Steuerrecht

Gemeinde, Leistungen, Bescheid, Reisepass, Anordnungsgrund, Anordnungsanspruch, Anfechtungsklage, Versorgung, Vollziehung, Gesundheitszustand, Verwaltungsakt, Ermessensentscheidung, Pass, Gefahrenprognose, einstweiliger Rechtsschutz, sofortige Vollziehbarkeit, Anordnung der sofortigen Vollziehung

Aktenzeichen  RN 9 E 21.1483

Datum:
9.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 51190
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,– Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung von der Antragsgegnerin die Aushändigung seines Reisepasses.
Der Antragsteller, deutscher Staatsangehöriger, ist in Thailand wohnhaft. Bei einer Passkontrolle am 19. September 2015 wurde der Antragsteller am Flughafen von der Bundespolizei angehalten und unter Übergabe eines Bescheids sein Pass mit der Nummer … sichergestellt. Grund hierfür war ein Bescheid des Bürger- und Ordnungsamtes B., mit dem die Einziehung des Reisepasses sowie eine räumliche Beschränkung des Personalausweises angeordnet worden war. Einen Zugang dieses Bescheides im April 2015 oder zu einem späteren Zeitpunkt bestreitet der Antragsteller. Mit Schreiben vom 24. Februar 2021 an das Finanzamt D. bat der Bevollmächtigte unter Hinweis auf den sehr schlechten Gesundheitszustand des Klägers und dessen bereits erfolgte Leistungen in seiner Steuersache um eine Stellungnahme und Begründung für die Beschlagnahme des Reisepasses, der von der Gemeinde C. am 19. Mai 2016 ausgestellt worden sei.
Am 6. April 2021 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin bei Anmeldung seines Wohnsitzes einen Reisepass und einen Personalausweis. Diese liegen der Antragsgegnerin zwischenzeitlich vor.
Mit Bescheid vom 10. Juni 2021 ordnete die Gemeinde K. im Wald, Landkreis R., die Nichtaushändigung/Einziehung des Reisepasses des Antragstellers mit der Seriennummer … (Ziffer 1 Buchst. a) sowie eine räumliche Beschränkung seines Personalausweises Nr. … (Ziffer 1 Buchst. b) an. Die sofortige Vollziehbarkeit hinsichtlich der Ziffern 1 Buchst. a) und b) wurde angeordnet (Ziffer 2). Wie bereits mündlich mitgeteilt, könne dem Antragsteller aufgrund der Entscheidung des Bürger- und Ordnungsamtes B. kein Reisepass oder/und Personalausweis ausgehändigt werden. Nach Rückfrage beim Finanzamt D. sei die Beschränkung weiterhin erforderlich, weshalb der Reisepass sowie der Personalausweis weiterhin einzubehalten seien. Da der Antragsteller trotz des Bescheides des Bürger- und Ordnungsamtes B. vom 30. März 2015, der ihm mit Zustellungsurkunde zugestellt worden sei, im Zuge der Anmeldung seines Wohnsitzes am 6. April 2021 in K. umgehend einen Reisepass und einen Personalausweis beantragt habe, habe erst nach Prüfung der elektronischen Datenübermittlung diese Sperre festgestellt werden können. Entgegen den mit Unterschrift bestätigten Angaben des Antragstellers bei seiner Anmeldung am 6. April 2021 seien sein am 24. September 2014 beantragter Reisepass (Passbehörde B.) und der von ihm am 19. Mai 2016 in der Passbehörde C. beantragte Reisepass nicht verloren gegangen, sondern lägen in den betreffenden Behörden in Verwahrung. Es bestehe die Sorge, dass sich der Antragsteller dauerhaft seinen offenen steuerlichen Verpflichtungen entziehen und Deutschland verlassen werde. Die Forderungen des Freistaates Bayern seien vollstreckbar. Nach Aussage des Finanzamtes D. seien die Beschränkungen seiner Ausweispapiere nach wie vor erforderlich. Zudem habe er sich, trotz räumlicher Beschränkung seiner Ausweisdokumente, laut Meldedatenübermittlung im Ausland aufgehalten. Bei der Anmeldung habe er als Zuzugswohnung dann D. angegeben, was sich als nicht richtig herausgestellt habe. Des Weiteren habe er die Passentziehung verschwiegen und umgehend einen Expressreisepass und einen Personalausweis beantragt. Die bei der Datenübermittlung übermittelten Ausweise, ausgestellt am 24. September 2014 durch die Ausweisbehörde B. und am 19. Mai 2016 durch die Passbehörde C. , habe er nach Rückfrage der Gemeinde K. bei der Anmeldung mit Unterschrift als Verlust gemeldet. Dieses Verhalten lasse darauf schließen, dass der Antragsteller versuche, sich seinen steuerlichen Verpflichtungen zu entziehen. Eine Rechtsbehelfsbelehrungwar dem Schreiben nicht beigefügt.
Am 26. Juli 2021 ließ der Antragsteller gegen den Freistaat Bayern, vertreten durch die Gemeinde K., Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO stellen. Zur Sache trägt der Bevollmächtigte ergänzend vor, dass der Bescheid des Ordnungsamtes B. ebenso wie der Bescheid der Antragsgegnerin unzutreffend sei. Die Steuerschuld belaufe sich schon nicht auf ca. 3 Millionen EUR; vielmehr habe es sich bei der Hauptverhandlung im Jahre 2011 um eine Steuerschuld in Höhe von 1,1 Millionen EUR gehandelt, der Rest seien Zinsen. Einen Bescheid des Ordnungsamtes B. habe der Antragsteller nicht erhalten. Der Antragsteller habe sich zu keinem Zeitpunkt seinen „steuerlichen Verpflichtungen entziehen“ wollen und wolle dies auch nicht. Er sei mehrfach im Finanzamt D. persönlich vorstellig geworden, um eine Lösung zu finden. Auch aktuell bemühe sich der Antragsteller, die Thematik mit dem Finanzamt D. aufzuarbeiten und endlich zu klären. Auch sein thailändischer Vertreter Herr S. habe bereits mehrfach versucht, Gesprächstermine im Finanzamt D. zu vereinbaren. Auch der Bevollmächtigte habe bereits mehrfach mit dem Finanzamt D. korrespondiert. Mehrfach sei eine Zahlung seitens des Antragstellers von 50.000 EUR auf die Steuerschuld angeboten worden, um die Passherausgabe zu ermöglichen; die Summe würde er sich von seiner Familie leihen werden. Der gegenständliche Bescheid sei schon formal fehlerhaft, weil die Rechtsbehelfsbelehrungfehle und nicht einmal die Höhe der Steuerschuld angegeben sei. Weiter werde verkannt, dass es im Bescheid des Ordnungsamtes B. um eine völlig andere Reisepassnummer gehe. Der Bescheid des Ordnungsamtes B. sei dem Antragsteller zum einen nicht zugegangen. Es sei nicht nachzuvollziehen, wieso der Antragsteller bei der Anmeldung des Wohnsitzes in der Gemeinde K. bei der Beantragung eines neuen Reisepasses auf eine „Sperre“ würde hinweisen haben sollen. Bei Bestand einer solchen würde ein neuer Reisepass von der Antragsgegnerin gar nicht im System habe beauftragt werde können. Dies sei auch seitens einer Verwaltungsangestellten der Antragsgegnerin bestätigt worden. Es bestehe auch nicht die Sorge, der Antragsteller werde sich dauerhaft seinen offenen steuerlichen Verpflichtungen entziehen werden. Die Steuerschuld sei in einem erheblichen Umfang bereits beglichen. Bereits 2009 habe der Antragsteller eine Kaution von 2 Millionen EUR bezahlt, die als Steuer einbehalten worden sei. Seine Lebensversicherung (Wert 250.000 EUR) habe er freiwillig abgegeben. Alle Immobilienfonds des Antragstellers (Wert 188.000 EUR) und alle Praxiseinnahmen von 2009 und 2010 (Wert 748.000 EUR) seien gepfändet worden. Damals habe der Vater des Antragstellers, bis auch ihm das Geld ausgegangen sei, mit monatlich 5.000 EUR zur Aufrechterhaltung eines Notfallbetriebs ausgeholfen. Die Praxis des Antragstellers habe notfallmäßig deutlich unter Wert für 200.000 EUR verkauft werden müssen; den Erlös habe das Finanzamt gepfändet. 2014 sei der Schmuck der Ehefrau (Wert 3.600 EUR), 2018 seien 22.000 EUR von dem gesperrten Konto der Sparkasse O. gepfändet worden. Aus der Versteigerung des Hauses des Antragstellers seien 141.000 EUR und 27.000 EUR an das Finanzamt gegangen; letztere Summe stehe laut Rechtspfleger dem Eigentümer zu. Seit 2011 lebe der Antragsteller ausschließlich von seiner Berufsunfähigkeitsrente (1.180 EUR), wovon er seiner Frau gegenüber unterhaltspflichtig sei. 2013 habe er seine letzte eidesstattliche Versicherung abgegeben. Da das Finanzamt an keinerlei Einigung interessiert gewesen sei, hätten auch keine Beträge genannt oder Abmachungen bzw. Verabredungen getroffen werden können. Der Antragsteller wohne in Thailand, wo sich u.a. auch seine Unterlagen befänden. Schon allein deswegen müsse er dringend zurück nach Hause reisen. Der Antragsteller sei multimorbid (kompletter Linksschenkelblock (Herz), Niereninsuffizienz, hypertensive Krisen, Fibromyalgie und schwere Depression). Die dringend notwendigen Behandlungen im San Paulo Hua Hin Hospital könne er wegen der rechtswidrigen Verweigerung der Passherausgabe nicht weiter fortführen. Aus der beigefügten ärztlichen Bestätigung des Herrn Dr. W. ergebe sich, dass „In der Gesamtheit seiner gesundheitlichen Problematik nach dem bio-psycho-sozialem Model (…) eine adäquate Behandlung unter Einbeziehung von Klimafaktoren, biosozialen Faktoren und spezifischen ganzheitlichen Ansätzen nur im asiatischen Bereich wie in Thailand bis auf weiters nachhaltig erfolgversprechend [sei]“. Der schlechte Gesundheitszustand des Antragstellers spitze sich mit fortlaufender Zeit immer weiter zu und habe nun, sowohl körperlich als auch psychisch, einen neuen Höhepunkt erreicht. Jetzt bestehe akuter Behandlungsbedarf in Thailand. Der Anordnungsanspruch ergebe sich aus dem Passgesetz. Die Antragsgegnerin sei nicht zu einer Zurückhaltung des Reisepasses berechtigt. Der Antragsteller wolle sich seinen steuerlichen Verpflichtungen in Deutschland nicht entziehen. Er sei schon seit geraumer Zeit mit dem Finanzamt im Gespräch und das, obwohl es sich um eine Steuerschuld von vor über einem Jahrzehnt handle. Auch im Jahre 2021 sei der Antragsteller noch für das Finanzamt verfügbar, er nehme aktiv teil und trete aktiv gegenüber dem Finanzamt auf. Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nr. 4 PassG lägen demnach nicht vor. Zudem bestehe ein Anordnungsgrund. Die Herausgabe des Passes sei äußerst dringend, weil der Antragsteller unverzüglich seiner Behandlung in Thailand zugeführt werden müsse. Aufgrund des Passentzugs hänge er seit März 2020 in Deutschland fest. Die Behandlung seiner Erkrankungen sei nur in Thailand erfolgversprechend. Sein Gesundheitszustand spitze sich nun konkret und akut zu und erreiche nun ihren Höhepunkt, sodass jetzt akuter Behandlungsbedarf bestehe. Die weitere Verweigerung einer Behandlungsmöglichkeit in Thailand würde für den Antragsteller zu unumkehrbaren, erheblichen gesundheitlichen Konsequenzen führen werden. Das Verwehren der notwendigen Behandlung in Thailand trotz aktiver Gespräche und des R. Kontakts mit dem Finanzamt sei nicht akzeptabel. Aus Anlage 6 des Antragsschriftsatzes ergibt sich, dass die vom Bevollmächtigten erwähnten 2 Millionen EUR als Sicherheitsleistung zur Außervollzugsetzung des Haftbefehls gegen den Antragsteller im Verfahren 52 Js 10272/09 StA L. beim Amtsgericht L. (Hinterlegungsstelle) hinterlegt worden sind; seitens des Antragstellers wurde auf die Rückgabe nicht verzichtet. Auf die beigefügten Anlagen im Übrigen wird Bezug genommen.
Der Antragsteller beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Reisepass des Antragstellers mit der Nummer … herauszugeben.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Es seien weder Anordnungsgrund noch Anordnungsanspruch substantiiert dargetan worden. Aus dem eigenen Sachvortrag des Antragstellers ergebe sich gerade, dass eine Einigung mit dem Finanzamt hinsichtlich der Rückführung der Steuerschuld gerade nicht habe erzielt werden können. Insofern werde auf die beigefügte Mitteilung des Finanzamts D. vom 16. Juni 2021 verwiesen, in der mitgeteilt worden sei, dass die Voraussetzungen für den Passentzug nach wie vor gegeben seien. Das Finanzamt führe explizit aus, dass etwaigen gegenteiligen Behauptungen des Antragstellers oder seines rechtlichen Vertreters kein Glauben zu schenken sei. Vielmehr sei die Antragsgegnerin ausdrücklich gebeten worden, dem Antragsteller keinen Reisepass auszustellen bzw. auszuhändigen. Die weiteren Ausführungen des Antragstellers hinsichtlich einer vermeintlichen Rückführung der Steuerschuld würden unter ausdrücklicher Verwahrung gegen die Beweislast bestritten. Die seitens des Antragstellers vorgelegten Unterlagen seien in keiner Weise geeignet, den erforderlichen Anordnungsgrund zu erweisen. Die vorgelegten ärztlichen Bestätigungen könnten den formalen und inhaltlichen Kriterien für ein gültiges Attest nicht genügen. Es seien keine Diagnosen genannt worden. Es erfolge auch keine konkrete Nennung der durch die Diagnosen verursachten Beschwerden sowie Therapieempfehlungen und Therapieziele. Insofern werde auf die beigefügte fachliche Einschätzung des Ärztlichen Kreisverbandes D.-R. vom 6. Juli 2021 Bezug genommen. Daneben sei dem Sachvortrag in keiner Weise zu entnehmen, warum der Antragsteller gerade zur medizinischen Behandlung nach Thailand würde reisen müssen. Es dürfe als bekannt vorausgesetzt werden, dass das medizinische Niveau im Bundesgebiet und zumal im Freistaat Bayern sicherlich auf höchstem Niveau anzusiedeln sei. Insofern sei dem Antragsteller – sofern er tatsächlich unter den vorgetragenen Erkrankungen würde leiden sollen – sicherlich zuzumuten, die erforderliche medizinische Versorgung und Behandlung in Deutschland vornehmen zu lassen. Der gesamte Sachvortrag ziele augenscheinlich und ausschließlich nur darauf ab, sich wieder aus Deutschland abzusetzen und sich somit dem Zugriff des Fiskus zu entziehen. Auf den Inhalt der beigefügten Unterlagen wird Bezug genommen.
Zur weiteren Sachverhaltswiedergabe wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.
II.
Der Eilantrag hat keinen Erfolg.
1. Er erweist sich bereits als unzulässig. Wie sich aus § 14 Passgesetz (PassG) ergibt, ist gegen eine Passentziehung bzw. die – ein Minus darstellende – Nichtaushändigung eines Passes nach § 8 PassG die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO die richtige Klageart. Einstweiliger Rechtsschutz wäre demgemäß über § 80 Abs. 5 VwGO zu suchen gewesen (vgl. auch Hornung/Möller/Hornung, 1. Aufl. 2011, PaßG § 8 Rn. 8). Entgegen der Ansicht des Bevollmächtigten ist das als Verwaltungsakt (Art. 35 BayVwVfG) zu wertende Schreiben der Antragsgegnerin nicht infolge fehlender Rechtsbehelfsbelehrungformal fehlerhaft. Das Fehlen einer Rechtsbehelfsbelehrunglässt die Frage der Wirksamkeit oder Rechtmäßigkeit eines Bescheids unberührt und führt lediglich zu einer Verlängerung der Klagefrist (§ 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Darüber hinaus sind – die Zulässigkeit des Antrags unterstellt – auch Anordnungsanspruch und -grund nicht glaubhaft gemacht (siehe hierzu unter 2.b.).
2. Ergänzend bleibt anzumerken, dass sich die streitgegenständliche Nichtaushändigung bzw. Entziehung des Reisepasses des Antragstellers nach summarischer Prüfung als rechtmäßig erweist und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt, so dass auch ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO erfolglos sein würde.
a. Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hätte nicht bereits deshalb Erfolg, weil vorliegend die Begründung des unter Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids angeordneten Sofortvollzugs (§ 80 Abs. 3 VwGO) fehlt. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Passentziehung entfalten nach § 14 PassG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO keine aufschiebende Wirkungen, weshalb die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Behörde gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO entbehrlich gewesen wäre. Insoweit braucht das besondere öffentliche Interesse an der Anordnung der sofortigen Vollziehung auch nicht begründet werden (vgl. auch Beimowski/Gawron/Beimowski/Gawron, 1. Aufl. 2018, PaßG § 8 Rn. 10).
b. Unabhängig von der Frage, ob bezüglich des Antragstellers bereits eine Sperre infolge der Entscheidung der Stadt B. eingetragen war und der Antragsteller bereits deshalb keinen Pass mehr hätte erhalten dürfen, sind nach summarischer Prüfung die Voraussetzungen des § 8 PassG i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 4 PassG vorliegend erfüllt.
Nach § 8 PassG kann dem Inhaber ein Pass entzogen werden, wenn Tatsachen bekannt werden, die nach § 7 Abs. 1 PassG die Passversagung rechtfertigen würden. Gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 4 PassG ist der Pass zu versagen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, dass der Passbewerber sich seinen steuerlichen Verpflichtungen entziehen oder den Vorschriften des Zoll- und Monopolrechts oder des Außenwirtschaftsrechts zuwiderhandeln oder schwerwiegende Verstöße gegen Einfuhr-, Ausfuhr- oder Durchfuhrverbote oder -beschränkungen begehen will. Wie bei § 7 PassG ist die Entscheidung der Behörde hinsichtlich der bekannt gewordenen Tatsachen verwaltungsgerichtlich voll nachprüfbar (OVG Nordrhein-Westfalen, NJW 1981, 838 m.w.N.). Zwar besteht hinsichtlich der Ermessensentscheidung anders als im Rahmen von § 7 PassG nur eine eingeschränkte Prüfungskompetenz (§ 114 Satz 1 VwGO). Hinsichtlich der Würdigung der Tatsachen und der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit i.S.v. § 7 Abs. 2 PassG räumt die Vorschrift aber gerade kein Ermessen ein (Hornung/Möller/Hornung, 1. Aufl. 2011, PaßG § 8 Rn. 9). Der Passversagungsgrund muss durch auf Tatsachen gestützte Erkenntnisse belegt werden. Die Gefahrenprognose stützende Tatsachen müssen nach Zeit, Ort und Inhalt so konkret gefasst sein, dass sie einer Überprüfung im gerichtlichen Verfahren zugänglich sind (VG Aachen. U.v. 26.8.2009 – 8 K 637/09, BeckRS 2009, 38910 m.w.N.; Beimowski/Gawron/Beimowski/Gawron, 1. Aufl. 2018, PaßG § 7 Rn. 19).
§ 7 Abs. 1 Nr. 4 PassG dient der Sicherung des staatlichen Steueranspruchs gegen Steuerflüchtige (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 11.9.2007 – 5 S 56.07, NJW 2008, 313), auch zum Schutze der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Sinne des Art. 27 Abs. 1 RL 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie), da ohne Einhaltung der Steuerpflicht die Rechts- und Staatsordnung nicht aufrecht erhalten werden kann. Objektiv muss zumindest ein vollziehbarer Steuerbescheid, der nicht offensichtlich rechtswidrig ist, vorliegen, aus dem sich erhebliche Steuerrückstände ergeben (OVG Berlin-Brandenburg v. 11.9.2007 – 5 S 56/07, NJW 2008, 313 m.w.N), 91.144,59 EUR im Fall VG Ansbach B.v. 21.9.2016 – AN 5 S 16.01732. Eine bestandskräftige oder rechtskräftige Feststellung der Steuerrückstände kann aus dem Wortlaut der Nr. 4 nicht entnommen werden und ist damit auch nicht erforderlich (VG Berlin, B.v. 27.8.2014, BeckRS 2014, 55737 m.w.N.; Beimowski/Gawron/Beimowski/Gawron, 1. Aufl. 2018, PaßG § 7 Rn. 54, 55). In subjektiver Hinsicht muss ein Steuerfluchtwille hinzutreten, also die Absicht ins Ausland auszureisen. Gefordert wird damit ein Kausalzusammenhang zwischen steuerlicher Verpflichtung im Inland und der Ausreiseabsicht (OVG Magdeburg. B.v. 25.3.2009 – 3 M 531/08 m.w.N) Es müssen damit als Indizien wirkende (VG Ansbach, U.v. 23.2.2017 – AN 5 K 15.01676) Tatsachen vorliegen, der Steuerschuldner wolle sich durch das Absetzen ins Ausland dieser Verpflichtung entziehen. Lediglich Vermutungen sind nicht ausreichend. Diese Nachweisführung für den Steuerfluchtwillen obliegt der Passbehörde, wobei sie bei der Erstellung der Prognose auf das gezeigte Verhalten des Passbewerbers in der Vergangenheit zurückgreifen kann. Zu betrachten ist das gesamte Verhalten des Passbewerbers (Beimowski/Gawron/Beimowski/Gawron, 1. Aufl. 2018, PaßG § 7 Rn. 56 m.w.N.). Aber auch die Höhe der Steuerschuld kann im Einzelfall ein maßgebliches Indiz für einen Steuerfluchtwillen sein (OVG Lüneburg, B.v. 4.11.2008 – 11 ME 286/08, NJW 2009 1988 m.w.N.). Lediglich die Tatsache, dass erhebliche Steuerschulden vorliegen, ist für sich allein nicht ausreichend, um den Tatbestand der Nr. 4 zu erfüllen. Entscheidend sind die Gesamtumstände, z.B. Steuerschulden in Höhe von 975.718,33 EUR mit nachfolgender Verringerung des Vermögens u.a. durch Übertragung an die Ehefrau und vorhergehender längerfristiger Aufenthalt in London, vgl. OVG Bremen, B.v. 25.1.2013 – 1 B 297/12, NordÖR 2013, 217). Nach OVG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 11.9.2007 – 5 S 56.07, NJW 2008, 313) könne der Fluchtwille allein auf die Höhe der Steuerschuld gestützt werden, wenn sie 200.000 EUR übersteigt. Kann der Betroffene auch in diesem Fall glaubhaft nachvollziehbare Gründe für die Ausreise machen, so wäre die Passversagung nicht gerechtfertigt (Beimowski/Gawron/Beimowski/Gawron, 1. Aufl. 2018, PaßG § 7 Rn. 56).
Der Antragsteller hatte nach Angaben seines Bevollmächtigten Steuerschulden jedenfalls in Höhe von 1,1 Millionen EUR; die restlichen 1,9 Millionen EUR seien Zinsen. Insofern sollen nach weiterem Vortrag des Bevollmächtigten bereits verschiedene Summen durch Hinterlegung und nachfolgende Einbehaltung als Steuer, Verpfändungen, Versteigerungen etc. beglichen sein. Die genannten Summen zusammengerechnet ergeben mehr als 3,5 Millionen EUR und würden die im Raum stehenden Steuerschulden in Höhe von 3 Millionen EUR deutlich übersteigen, was im Widerspruch zum eigenen Vorbringen des Antragstellers steht, sich auch aktuell zu bemühen, die Thematik mit dem Finanzamt D. aufzuarbeiten und endlich zu klären. Unstreitig bestehen damit weiterhin Steuerschulden des Antragstellers. Wie zur Feststellung durch die Steuerbehörde, ob Tatsachen einen Steuerfluchtwillen indizieren, erforderlich, hat sich die Antragsgegnerin an das Finanzamt D. gewandt und von dort mit Schreiben vom 16. Juni 2021 die Mitteilung erhalten, dass dem Antragsteller der Pass aufgrund seiner Steuerschulden entzogen worden sei und die Voraussetzungen für den Passentzug nach wie vor gegeben seien. Ausweislich des Bescheids hat der Antragsteller der Antragsgegnerin gegenüber bei Beantragung angegeben, dass seine Ausweispapiere, ausgestellt durch die Ausweisbehörden B. und C., verloren gegangen seien. Die bloße Berufung darauf, von der „Sperre“ nichts gewusst zu haben, vermag insofern nicht zu verfangen. So wusste der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt bereits, dass sein Pass von der Bundespolizei auf Grundlage des Bescheids der Stadt B. – dahingestellt, ob dieser rechtmäßig oder wirksam ist oder nicht – eingezogen worden war. Auch wusste der Antragsteller – wie insbesondere die Anfrage seines Bevollmächtigten beim Finanzamt D. vom 24. Februar 2021 beweist – sehr wohl, dass sich sein am 19. Mai 2016 bei der Passbehörde C. beantragter Reisepass in Verwahrung befindet, so dass er bei Neubeantragung gegenüber der Antragsgegnerin jedenfalls unzutreffende Angaben gemacht hat.
Gründe für eine Ausreise konnte der Antragsteller bislang nicht glaubhaft nachvollziehbar machen. So bringt er als Argument für seine Ausreise seine multiplen Erkrankungen vor, die seine Rückreise nach und Behandlung in Thailand dringend erforderlich machen würden. Zum Nachweis wurden ein fachärztliches Attest des Herrn Dr. W., E., vom 10. April 2021 und eine ärztliche Bestätigung des San Paulo Hua Hin Hospital vom 27. April 2021 vorgelegt. Diese Schreiben können die Notwendigkeit einer Behandlung ausschließlich in Thailand und damit verbunden die Rückreise des Antragstellers dorthin jedoch nicht glaubhaft machen. Das fachärztliche Attest des Dr. W. beschränkt sich auf die reine Feststellung der Notwendigkeit einer Behandlung in Thailand, ohne weitere Ausführungen insbesondere zum genauen Krankheitsbild, zur Anamnese oder Grundlage der Schlussfolgerung zu treffen. Auch eine – belastbare – Begründung, weshalb und vor allem welche Behandlung des Klägers nur im asiatischen Raum wie beispielsweise Thailand nachhaltig erfolgversprechend sein soll, wird nicht gegeben. Der rein pauschale Hinweis, aus biopsychosozialer Sicht sei dies erforderlich, reicht insofern nicht aus. Die Bestätigung des San Paulo Hua Hin Hospital vom 27. April 2021 gibt zwar an, dass der Antragsteller seit 2014 Patient ist und welche Diagnosen bestehen; insofern wird als weitere Erkrankung Diabetes genannt, hingegen die bestehende Depression des Antragstellers entgegen dem Vortrag des Bevollmächtigten nicht als schwer angegeben. Jedoch fehlt auch hier jegliche Begründung, welche Behandlung überhaupt notwendig und warum eine erfolgreiche und nachhaltige Behandlung nur in Thailand möglich sein soll.
Vor diesem Hintergrund liegen Tatsachen vor, die eine Absicht des Antragstellers, sich seiner Steuerpflicht zu entziehen, wahrscheinlich erscheinen lassen. Ermessensfehler bei Ausübung des der Antragsgegnerin folglich nach § 8 PassG eröffneten Ermessens sind nach summarischer Prüfung nicht ersichtlich.
Danach war der Eilantrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2 und 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung von Ziffern 1.5 und 30.1 des Streitwertkataloges 2013.


Ähnliche Artikel

Steuererklärung für Rentner

Grundsätzlich ist man als Rentner zur Steuererklärung verpflichtet, wenn der Grundfreibetrag überschritten wird. Es gibt allerdings Ausnahmen und Freibeträge, die diesen erhöhen.
Mehr lesen

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben