Steuerrecht

Gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen

Aktenzeichen  3 K 1419/17

Datum:
30.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
StEd – 2019, 665
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
EStG § 4 Abs. 1 S. 1
GewStG § 35b Abs. 2 S. 2 und 3
FGO § 100 Abs. 1 S. 1
AO § 173 Abs. 1 Nr. 1 S. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Gründe

Die Klage ist unbegründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide nicht in seinen Rechten verletzt, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen durch das Finanzamt ist dem Grunde und der Höhe nach rechtmäßig.
1. Gemäß § 162 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie diese nicht ermitteln oder berechnen kann. § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO i.V.m. § 162 AO eröffnet dem Finanzgericht hierzu eine eigene Schätzungsbefugnis. Diese Schätzungsbefugnis von Finanzamt und Finanzgericht war im Streitfall nach inzwischen übereinstimmender Auffassung der Beteiligten gegeben. Auf die Ausführungen des BFH im Urteil vom 20.03.2017 X R 11/16, BStBl II 2017, 992, zum Parallelfall des Finanzgerichts Thüringen wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen. Der BFH rügt insbesondere, dass der Inhalt der Geldspeicher im Zeitpunkt der (erstmaligen) Entleerung nicht aufgezeichnet, sondern der Bestand dieser Kassen lediglich durch Rückrechnung, nämlich durch Addition der Bankgutschriften und verausgabten Beträge, ermittelt wurde. Die zeitlich spätere Zählung der Geldbeträge durch die Bank bei Einzahlung auf dem Bankkonto sei dafür kein Ersatz, da sie – wie in den Fällen einer verzögerten Verbuchung – keinen wirksamen Schutz gegen die bei solchen, den offenen Ladenkassen ähnelnden Geldbehältern bestehende Manipulationsanfälligkeit darstelle. Die nur durch Rückrechnung ermittelten Kassenbestände beinhalteten keinerlei Vermutung der Richtigkeit. Damit fehle die Kassensturzfähigkeit. Folglich könnten die Buchführungsergebnisse, soweit sie die Erlöse aus dem Bereich Video/Kino betreffen, nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden.
2. Bei der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen sind gemäß § 162 Abs. 1 Satz 2 AO alle Umstände zu berücksichtigen, die dafür von Bedeutung sind. Die Schätzung darf nicht gegen anerkannte Schätzungsgrundsätze, allgemeine Erfahrungssätze oder die Denkgesetze verstoßen, auf sachfremden Erwägungen beruhen oder willkürlich sein (BFH a.a.O.). Die gewonnenen Schätzergebnisse müssen schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein (BFH-Urteil vom 18.10.1983 VIII R 190/82, BStBl II 1984, 88). Deshalb sind alle möglichen Anhaltspunkte, u.a. auch das Vorbringen des Steuerpflichtigen oder eine an sich fehlerhafte Buchführung, zu beachten und alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um im Rahmen des der Finanzbehörde (bzw. dem Gericht) Zumutbaren die Besteuerungsgrundlagen wenigstens teilweise zu ermitteln. Auf der anderen Seite ist aber auch das Maß der Verletzung der dem Steuerpflichtigen obliegenden Mitwirkungspflichten zu berücksichtigen. Deshalb ist es gerechtfertigt, bei einer Pflichtverletzung des Steuerpflichtigen, insbesondere bei einer nicht ordnungsgemäßen Buchführung, einen Sicherheitszuschlag vorzunehmen. Der Sicherheitszuschlag lässt sich dabei als eine griffweise Schätzung, die in einem vernünftigen Verhältnis zu den erklärten oder nicht erklärten Einnahmen stehen muss, charakterisieren (BFH-Urteil vom 15.04.2015 VIII R 49/12, StuB 2015, 604 m.w.N.).
Der Schätzungsrahmen ist umso größer, je ungesicherter das Tatsachenmaterial ist, auf dem die Schätzung beruht. Die Vernachlässigung der Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen bei der Sachaufklärung darf – wie die Rechtsprechung wiederholt betont hat – nicht dazu führen, dass der Nachlässige einen Vorteil gegenüber demjenigen erzielt, der seine steuerlichen Pflichten ordnungsgemäß erfüllt. Es gilt das Verbot der Prämierung von Mitwirkungspflichtverletzungen. Die Schätzungsungewissheit darf nicht dazu führen, nur den Betrag anzunehmen, der auch im ungünstigsten Fall als sicher vereinnahmt angesehen werden kann. Im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung muss ein Steuerpflichtiger, der Anlass zur Schätzung gibt, es vielmehr hinnehmen, dass die im Wesen jeder Schätzung liegende Unsicherheit oder Fehlertoleranz gegen ihn ausschlägt und das Finanzamt bzw. das Finanzgericht im Rahmen seines Schätzungsspielraums je nach Einzelfall bei steuererhöhenden Besteuerungsgrundlagen an der oberen, bei steuermindernden Besteuerungsgrundlagen an der unteren Grenze bleibt (Seer, in Tipke/Kruse AO/FGO Kommentar, 150. Lfg., § 162 AO Rz. 44, 45 mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen).
3. Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall ist das Ergebnis der Schätzung des Finanzamts nicht zu beanstanden. Nach Auffassung des Senats liegt es sogar noch im unteren Bereich des möglichen Schätzungsrahmens. Eine Verböserung durch das Finanzgericht ist allerdings gemäß § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO nicht möglich.
a) Im Streitfall hat das Finanzamt das Ergebnis der Buchführung des Klägers für den Shop unverändert der Besteuerung zugrunde gelegt. Auch die für den Bereich Kino und Kabinen erklärten Betriebsausgaben hat es übernommen. Lediglich auf die erklärten Einnahmen aus diesem Bereich hat es wegen der auch vom BFH in einem vergleichbaren Parallelbetrieb des Klägers ausdrücklich festgestellten schweren Mängel der Kassenführung einen Unsicherheitszuschlag i.H.v. 10% erhoben. Die Höhe der tatsächlichen Einnahmen aus diesem Bereich war und ist nicht zu ermitteln. Dafür hat der Kläger selbst gesorgt, indem er allein die Kassenbehälter in unregelmäßigen Abständen leerte, dabei die Überwachungskameras verhängte, damit seine Angestellten nicht sehen konnten, wieviel Geld er den Behältnissen entnahm, das entnommene Geld nicht sofort zählte und „verbuchte“, sondern teilweise im Tresor zwischenlagerte und nach Gusto auf der Bank einzahlte, wo der eingezahlte Betrag erstmals als Einnahme erfasst wurde. Diese Einnahmen rechnete der Kläger dann mit wohl von ihm in der Zwischenzeit in bar getätigten „Ausgaben“ zu den erfassten und erklärten Einnahmen hoch. Teilweise fand der Prüfer zwei verschiedene Kassenblätter für denselben Monat.
b) Eine Verprobung bzw. Hochrechnung der erklärten Einnahmen anhand der Betriebsausgaben, wie etwa im Gaststättenbereich oder im Handel, ist im Streitfall nicht möglich, da die Fixkosten für den Unterhalt der Räume, das Personal und die Gebühren für die gezeigten Filme unabhängig von der Zahl der Besucher sind. Das Kino muss z.B. unabhängig von der Anzahl der Besucher beleuchtet, bespielt, im Winter geheizt, im Sommer evtl. gekühlt werden. Die Filme laufen den ganzen Tag, so dass auch aus dem Verschleiß an Abspielgeräten – anders als bei verbrauchten Pizzakartons oder Kohlensäureflaschen – nicht auf Besucherzahlen (Pizza- oder Biermengen) hochgerechnet werden kann. Die genaue Zahl der Besucher wurde nicht erfasst. Der Besuch von Kino und Kabinen war unabhängig vom Besuch des Verkaufsraumes möglich, so dass das dortige Personal darüber keine Angaben machen konnte. Der Einkauf im Laden war auch nicht Voraussetzung für den Kino-/Kabinenbesuch. Eine Hochrechnung anhand der im Verkauf getätigten Umsätze ist deshalb nicht möglich. Die Bereiche Verkauf auf der einen Seite und Kino/Kabinen auf der anderen Seite sind voneinander unabhängig. Sie teilen lediglich dasselbe Gebäude. Dem Gericht erschließt sich daher nicht, was der ursprünglich erklärte Gesamtgewinn bzw. -verlust mit der Höhe des auf die Einnahmen aus dem Kino/Kabinenbereich erhobenen Sicherheitszuschlags zu tun haben soll (BFH im Urteil vom 20.03.2017 X R 11/16, BStBl II 2017, 992: „Auch erscheint es angesichts des ursprünglich erklärten Gesamtgewinns von zuletzt … € nicht ohne weitergehende und vertiefte Begründung verständlich, wieso das FG nicht einen geringeren Prozentsatz dieser Umsätze als ausreichend und angemessen bzw. zutreffend angesehen hat.“).
c) Es gibt zudem keine allgemeinen Erfahrungssätze etwa des Inhalts, dass jemand, der einen Penisring kauft, diesen anschließend 20 Minuten lang in einer Kabine ausprobiert, oder dass jemand, der im Shop ein bestimmtes Getränk und einen Snack kauft, sich auch für den Kauf einer Kinokarte entscheidet. Jedenfalls sind solche Erfahrungssätze dem Gericht nicht bekannt. In der amtlichen Richtsatzsammlung sind Erotikkinos und -kabinen nicht enthalten. Eine Richtsatzschätzung kam deshalb ebenfalls nicht in Betracht.
d) Eine umfassende Geldverkehrsrechnung war nicht möglich, weil die privaten Konten nicht vollständig vorgelegt wurden, bzw. nicht klar war, welche Privatkonten der Kläger (und seine Familie) damals unterhielten. Nach den Feststellungen des Prüfers hielt sich der Kläger insgesamt jeweils mehrere Monate im Jahr in seinem Haus in Spanien auf. Das spricht dafür, dass er dort zumindest über ein weiteres Konto verfügte. Die Tochter war im Internat in der Schweiz, die Ehefrau war wohl teilweise auch in der Schweiz und hatte dort ein Konto.
e) Dem Finanzamt und auch dem Finanzgericht blieb und bleibt deshalb nicht anders übrig, als wegen der schweren vom Kläger allein zu vertretenden Mängel der Kassenführung und des im Übrigen nicht näher aufklärbaren Sachverhalts einen Sicherheitszuschlag auf die erklärten Einnahmen aus dem Kino- und Kabinenbereich zu erheben. Dieser erscheint i.H.v. 10% der erklärten Einnahmen aus diesem Bereich auch sachgerecht, wirtschaftlich vernünftig, plausibel und den Umständen angemessen, nach Auffassung des Senats sogar eher zu niedrig. Das Finanzamt hat im Streitjahr 2008 Einnahmen i.H.v. netto 19.000 € (brutto 22.610 €) zugeschätzt, 2009 Einnahmen i.H.v. 17.000 € (brutto 20.230 €) und 2010 Einnahmen i.H.v. 18.000 € (brutto 21.420 €). Bei 360 Öffnungstagen im Jahr (der Betrieb war das ganze Jahr geöffnet) sind das im Jahr 2008 rund 63 € am Tag, 2009 rund 56 € am Tag und 2010 rund 60 € am Tag. Das sind etwa vier Kinobesucher á 15 € oder 6 Stunden Kabinenbesuch (45 Minuten pro Kabine). Mehreinnahmen in dieser Höhe erscheinen dem Gericht durchaus tatsächlich möglich gewesen zu sein. Der Einwand des Klägers, es habe auch schwache Tage gegeben, verfängt nicht, da er gerade keine regelmäßigen Aufzeichnungen geführt hat. Nach den von ihm erstellten Unterlagen gab es auch äußerst umsatzstarke Tage. Der von der Betriebsprüfung errechnete Durchschnitt der erklärten Erlöse schwankte zwischen 370 € – ca. 25 Kinobesucher – pro Tag (13.09.2010, Zeitraum 13 Tage) und 2.496 € – ca. 166 Kinobesucher – pro Tag (28.11.2009, Zeitraum 5 Tage, Gesamterlöse 12.480 €). Am 23.11.2009, also unmittelbar vor diesen fünf Tagen mit den höchsten durchschnittlichen Tageseinnahmen, erklärte der Kläger für 24 Tage ebenfalls Gesamterlöse i.H.v. 12.480 €, also nur 520 € am Tag. Wie es zu dieser enormen Schwankungsbreite innerhalb eines Monats, in dem weder eine Fußball-Weltmeisterschaft noch sonst ein mediales Großereignis stattgefunden hat, außerhalb der staugeneigten Hauptreisezeiten und ohne Baustellensperrung, Volksfest o.ä. gekommen sein soll, ist nicht nachvollziehbar.
4. Die angefochtenen Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrags 2012 und die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2012 sind Folge der aufgrund der Betriebsprüfung geänderten Bescheide über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2008, 2009 und 2010, bzw. der darauf beruhenden geänderten Bescheide über die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2008, 2009 und 2010. Da letztere, wie oben dargelegt, rechtmäßig sind, sind es erstere auch.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.


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