Steuerrecht

Gewerbeuntersagung (erweitert), Gewerbebezogene Straftat, Gewerbebezogene Ordnungswidrigkeit

Aktenzeichen  M 16 K 20.1858

Datum:
25.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 33565
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GewO § 35 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 25. März 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin demzufolge nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, § 114 Satz 1 VwGO). Auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheids vom 25. März 2020, der das Gericht folgt, wird Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
1. Die Beklagte hat der Klägerin zu Recht die weitere Ausübung des angemeldeten Gewerbes als selbständiger Gewerbetreibender im stehenden Gewerbe untersagt (Nr. 1 des Bescheidstenors).
a) § 35 GewO ist das notwendige Korrelat zur Gewerbefreiheit. Diese Vorschrift soll verhindern, dass die Gewerbetreibende schrankenlosen Gebrauch von der Gewerbefreiheit ohne Rücksicht auf entgegenstehende Belange der Allgemeinheit macht. Ziel der Untersagung ist es, diejenigen Gewerbetreibenden vom Wirtschaftsverkehr auszuschließen, die wegen einer nicht ordnungsgemäßen Gewerbeausübung eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen (vgl. Marcks in Landmann/Rohmer, GewO, Stand September 2020, § 35 Rn. 15; Brüning in BeckOK, Stand 1.3.2021, § 35 vor Rn. 1, jeweils m.w.N.).
Unzuverlässig ist eine Gewerbetreibende, die nach dem Gesamteindruck ihres Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass sie ihr Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben wird. Tatsächliche Anhaltspunkte für eine solche Unzuverlässigkeit bestehen bei einer Gewerbetreibenden mit erheblichen Steuerrückständen sowie Zahlungsrückständen bei den Trägern der Sozialversicherung oder bei Straftaten im Zusammenhang mit der gewerblichen Betätigung. Für die Beurteilung der Zuverlässigkeit einer Gewerbetreibenden und der Rechtmäßigkeit einer Gewerbeuntersagung kommt es nicht darauf an, wie sich die tatsächlichen Verhältnisse nach Abschluss des behördlichen Untersagungsverfahrens weiterentwickelt haben. Haben sich die tatsächlichen Umstände geändert, muss die Initiative zur Wiederzulassung nach § 35 Abs. 6 GewO von der Gewerbetreibenden ausgehen (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6.14 – juris Rn. 13 ff. m.w.N.). Für die erforderliche Prognose zur Feststellung der Unzuverlässigkeit ist aus den bereits vorhandenen tatsächlichen Umständen auf ein wahrscheinliches zukünftiges Verhalten der Gewerbetreibenden zu schließen (vgl. BVerwG, B.v. 26.2.1997 – 1 B 34.97 – juris Rn. 8).
b) Daran gemessen war die Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt des Wirksamwerdens des angefochtenen Bescheids am 6. April 2020 im Gewerbeuntersagungsverfahren unzuverlässig und war die Prognose der Beklagten gerechtfertigt, dass die Klägerin ihr Gewerbe künftig nicht ordnungsgemäß ausüben wird.
aa) Die Klägerin wurde – wie ausgeführt – wegen Steuerhinterziehung in 14 tatmehrheitlichen Fällen rechtskräftig zu einer Gesamt-Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 7 Monaten verurteilt (die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt). Bereits hieraus ergibt sich die gewerbebezogene Unzuverlässigkeit der Klägerin.
Nach den nicht bestrittenen tatsächlichen Feststellungen, die dem rechtskräftigen Urteil vom … Oktober 2019 zugrunde liegen, hat die Klägerin in den Jahren 2008 bis 2012 gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb eines Groß- und Einzelhandels und im Jahr 2012 zudem Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit erzielt. Obschon der Klägerin die Verpflichtung bekannt war, ihre gewerblichen Umsätze und Gewinne sowie Einkünfte in inhaltlich vollständigen und wahrheitsgemäßen Einkommenssteuererklärungen, Gewerbesteuererklärungen und Umsatzsteuererklärungen bis zum 31.5. eines Jahres für das vorangegangene Jahr anzugeben, kam sie dem für die Jahre 2008 bis 2012 nicht nach. Für das Jahr 2009 gab die Klägerin am 2. November 2011 eine unrichtige Steuererklärung ab, im Übrigen gab sie keine Steuererklärungen ab. Dadurch verkürzte die Klägerin Steuern von insgesamt 171.327,23 Euro mit einem wirtschaftlichen Schaden von 152.396,94 Euro. Diesen Feststellungen liegt das im Urteil genannte Geständnis der Klägerin zugrunde. Diese Feststellungen bestreitet die Klägerin im Übrigen nicht; ebenso wenig liegen gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit dieser Feststellungen vor (vgl. BVerwG, B.v. 20.9.2012 – 3 B 7.12 – juris Rn. 8; B.v. 18.8.2011 – 3 B 6.11 – juris Rn. 10, jeweils m.w.N.).
Die von der Klägerin begangene Straftat der Steuerhinterziehung (hier: § 370 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AO) ist gewerbebezogen und – auch mit Blick auf das verhängte Strafmaß – nicht als nur geringfügiges Vergehen zu bewerten. Die Klägerin hat sich über Jahre hinweg beachtliche wirtschaftliche Vorteile zu Lasten des Steueraufkommens und damit der Solidargemeinschaft verschafft, indem sie gegenüber dem Finanzamt unrichtige Angaben gemacht hatte (Veranlagungszeitraum 2009) bzw. das Finanzamt pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis ließ (Veranlagungszeiträume 2008, 2010 bis 2012). In Summe hatte es die Klägerin unterlassen, Einkünfte in Höhe von über 200.000 Euro (jeweils bezogen auf die Einkommens- und Gewerbesteuer) und Umsätze in Höhe von deutlich über 3 Millionen Euro (bezogen auf die Umsatzsteuer) zu erklären und damit einen ungerechtfertigten Steuervorteil von etwa 150.000 Euro erlangt. Dies kann der Klägerin trotz ihres nach Ansicht der Klägerin „nicht ordnungsgemäß“ arbeitenden Steuerberaters und ihrer Schwierigkeiten beim Verständnis der deutschen Sprache unmöglich verborgen geblieben sein. In der über die Veranlagungsjahre 2008 bis 2012 begangenen Steuerstraftat kommt vielmehr ein besonderes Maß an krimineller Energie zum Ausdruck, was auch das Amtsgericht im Rahmen der Strafzumessung zu Lasten der Klägerin gewertet hat. Die Klägerin hat danach ein Verhalten gezeigt, einen (hier: erheblichen) finanziellen Vorteil über ihre Pflicht zur Abgabe wahrheitsgemäßer Erklärungen gegenüber dem Finanzamt zu stellen und nicht bereit zu sein, Steuern in ordnungsgemäßer Höhe an den Staat zu leisten.
Die seit dem 23. Oktober 2019 rechtskräftige Verurteilung der Klägerin wegen dieser Steuerstraftat ist im Bundeszentralregister eingetragen und deshalb auch im Gewerbeuntersagungsverfahren verwertbar (§§ 45 ff., § 51 f. BZRG). Ob und in welchem Zusammenhang die Verurteilung der Klägerin mit dem am 10. Januar 2013 über ihr Vermögen eröffnetes Insolvenzverfahren stand, bedarf keiner Klärung. Denn das Insolvenzverfahren war im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Gewerbeuntersagungsverfügung bereits beendet. Davon abgesehen liegt in der Verwirklichung der Straftat der Steuerhinterziehung ein Unwertgehalt, der über die bloße Nichtabführung von Steuern wegen wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit hinausgeht (vgl. zu letzterem BayVGH, B.v. 8.5.2020 – 22 ZB 20.127 – juris Rn. 22 m.w.N.). Dass die mit Urteil vom … Oktober 2019 geahndeten steuerrechtlichen Verfehlungen der Klägerin länger zurückliegende Veranlagungszeiträume von 2008 bis 2012 betreffen, ist gerade bei Steuerdelikten nicht ungewöhnlich und spricht insbesondere nicht gegen die Heranziehung der Verurteilung bei der Bewertung der Klägerin als gewerberechtlich unzuverlässig. Angesichts der über mehrere Veranlagungsjahre hinweg begangenen Fälle der Steuerhinterziehung ist zudem auf den Zeitpunkt letzten Tathandlung abzustellen, hier also frühestens auf den 31. Mai 2013. Davon abgesehen kann aus einer während und unter dem Druck eines anhängigen Strafverfahrens, insbesondere auch während eines Bewährungszeitraums, gezeigten Phase des Wohlverhaltens der Betroffenen nicht ohne weiteres auf einen grundlegenden Einstellungswandel geschlossen werden (vgl. BayVGH, B.v. 17.8.2020 – 22 ZB 20.1037 – juris Rn. 11 m.w.N.). Hiervon ausgehend ist es nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die erst seit dem 23. Oktober 2019 rechtskräftige Verurteilung der Klägerin wegen Steuerhinterziehung zum Anlass genommen hat, die Klägerin als gewerberechtlich unzuverlässig zu beurteilen.
Aus den diesbezüglichen Darlegungen der Klagepartei ergibt sich keine andere Bewertung. Der pauschale Einwand, die Klägerin sei schlichtweg nicht gut beraten worden, die entsprechenden Steuererklärungen seien vom beauftragten Steuerberater nicht erfüllt worden, verfehlt die Anforderungen an einen substantiierten Vortrag im Hinblick auf die mit rechtskräftigen Urteil geahndete Straftat der (vorsätzlichen) Steuerhinterziehung. Bei der Strafzumessung hatte das Amtsgericht zwar zugunsten der Klägerin eingestellt, „dass sie zur Wahrnehmung ihrer steuerlichen Pflichten einen Steuerberater zugezogen hatte, der jedoch den ihm erteilten Auftrag nicht erfüllte“. Dass der vormalige Steuerberater der Klägerin aber bösgläubig gewesen sei, selbst als Mittäter oder in mittelbarer Täterschaft der Steuerhinterziehung belangt wurde oder sich etwa der Beihilfe strafbar gemacht hätte, wird nicht dargetan und dies ist auch nicht ersichtlich. Ebenso wenig wird aufgezeigt, dass der vormalige Steuerberater seine Berufspflichten, nicht erfüllt hätte, also etwa von der Klägerin fristgerecht und zutreffend angegebene Einkünfte und Umsätze nicht bearbeitet oder fehlerhaft weitergegeben hätte oder es pflichtwidrig versäumt hätte, die Steuererklärungen für die Veranlagungsjahre 2008, 2010 bis 2012 einzureichen. Soweit es um die Erfüllung des dem Steuerberater erteilten Auftrags geht, fehlt es ebenso an Angaben dazu, welchen Inhalt und Umfang das diesem erteilte Mandat gehabt haben soll und worin eine Pflichtenverletzung durch den Steuerberater gelegen habe, die kausal für die Fälle der Steuerhinterziehung gewesen wären. Beschränkt sich die Tätigkeit des Steuerberaters auf die Erstellung der Steuererklärungen, darf der Steuerberater die ihm übergebenen Unterlagen und Informationen regelmäßig ungeprüft verwerten. Erhält er unzureichende oder keine Unterlagen, kann er auch keine Steuererklärung erstellen. Insoweit ist umgekehrt geklärt, dass die Steuerpflichtige im Regelfall (nur dann) darauf vertrauen darf, dass der Steuerberater die Steuererklärungen richtig und vollständig vorbereitet, wenn sie diesem die für die Erstellung der Steuererklärungen erforderlichen Informationen vollständig verschafft hat (vgl. BFH, U.v. 29.10.2013 – VIII R 27/10 – juris Rn. 32 m.w.N.). Wie die Verurteilung der Klägerin wegen Steuerhinterziehung nach § 370 AO zeigt, hat die Klägerin vorliegend aber (selbst) vorsätzlich gehandelt.
Nicht von Belang ist, dass die Klägerin der deutschen Sprache nur bedingt mächtig ist (vgl. BayVGH, B.v. 20.10.2015 – 22 ZB 15.2091 – juris Rn. 8 f.). Will sich die Klägerin weiterhin gewerblich betätigen, muss von ihr auch in objektiver Beziehung erwartet werden können, dass sie ihre gewerbebezogenen Rechtspflichten kennt. Sieht sich die Klägerin an der Einhaltung dieser Pflichten durch mangelnde Kenntnisse der deutschen Sprache gehindert, ist es der Klägerin zuzumuten, dieses Hindernis zu beseitigen, sei es, dass sie eine Person zu Rate zieht, die ihr die rechtlichen Anforderungen in der Muttersprache der Klägerin nahebringt, einer zuverlässigen Person mit hinreichenden Deutschkenntnissen die entsprechenden Aufgaben überträgt und/oder selbst die deutsche Sprache erlernt. Maßgeblich ist allein, dass die Klägerin insbesondere die ihr durch die Rechtsordnung aufgegebenen gewerbebezogenen Pflichten erfüllt, was zunächst voraussetzt, dass sie sich dieser Pflichten bewusst wird. Daran mangelt es offenkundig, wie auch die Verfehlungen der Klägerin in Bezug auf ihr derzeit ausgeübtes Gewerbe im Bereich des Lebensmittelhandels erkennen lassen.
Dass die Klägerin ratenweise den Geldbetrag begleicht, dessen (obligatorische) Einziehung das Amtsgericht nach § 73c Satz 1 StGB angeordnet hat und der dem Wert des durch die Steuerhinterziehung Erlangten entspricht, lässt allenfalls Schlüsse auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Klägerin zu und auf das Nichtvorliegen von Gründen, hier von der Einziehung abzusehen (§ 421 Abs. 1 StPO). Eine Wiedergutmachung aus eigenem Antrieb der Klägerin ist darin aber ebenso wenig zu sehen wie eine abweichende Beurteilung der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit der Klägerin auf Grundlage eines seit ihrer Verurteilung eingetretenen Einstellungswandels.
bb) Weiterhin hat die Beklagte zu Recht auf die erheblichen Rechtsverstöße der Klägerin beim Betrieb ihres Lebensmittelgewerbes Bezug genommen und hieraus in Zusammenschau mit der Verurteilung wegen Steuerhinterziehung in nicht zu beanstandender Weise geschlossen, dass die von der Klägerin gezeigte Einstellung zur Rechtsordnung auch künftig kein rechtstreues Verhalten erwarten lässt.
Ausweislich der aktenkundigen Feststellungen der Beklagten wurden im Betrieb der Klägerin anlässlich von zwei aufeinanderfolgenden Vor-Ort-Kontrollen erhebliche lebensmittelrechtliche Mängel, darunter auch gravierende Hygienemängel, vorgefunden, die nicht nur eine (bestandskräftige) Anordnung zum Vollzug lebensmittelrechtlicher Vorschriften zur Folge hatten, sondern zugleich die Einleitung eines (inzwischen rechtskräftig abgeschlossenen) Bußgeldverfahrens erforderten u.a. wegen Verstößen gegen lebensmittelrechtliche Hygienevorschriften, gegen die Pflicht zur Preisangabe und zur Auszeichnung von Waren sowie gegen lebensmittelrechtliche Informationspflichten. Maßgeblich für die hieraus folgende gewerberechtliche Unzuverlässigkeit ist nicht lediglich die Vielzahl der festgestellten Mängel, insbesondere in lebensmittelhygienischer Hinsicht, sondern dass es die Klägerin unterlassen hatte, die bereits am … Juni 2019 festgestellten Beanstandungen unverzüglich zu beheben, wie nach Aktenlage bei einer Nachkontrolle am … September 2019 festgestellt wurde.
cc) Von vorstehenden Verstößen ausgehend ist die prognostische Bewertung der Beklagten, das bisherige Verhalten der Klägerin biete keine Gewähr für eine künftige ordnungsgemäße Ausübung eines Gewerbes, gerechtfertigt.
Die vonseiten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen aus dem Jahr 2011 und 2012 führen zu keiner anderen Bewertung. Danach sei die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, drei Lebensmittelgeschäfte zu führen bzw. habe sich die Klägerin vom 3. bis 5. Oktober 2011 in stationärer Untersuchung in einem Klinikum befunden. Ausweislich eines ärztlichen Attests habe sich die Klägerin am 20. März 2019 zur Untersuchung u.a. wegen anhaltender Kopfschmerzen vorgestellt. Auch wenn die Klägerin an einer chronischen Erkrankung leidet, ergibt sich hieraus vor dem Hintergrund der aktenkundigen Tatsachen keine gewerbliche Zuverlässigkeit oder entschuldet dies zumindest nicht, dass die Klägerin es unterlassen hat, einen vertrauensvollen Vertreter zu bestellen, der in Zeiträumen einer Erkrankung der Klägerin deren gewerbebezogene Pflichten zuverlässig erfüllt.
Bei Abwägung aller Umstände sind im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Gewerbeuntersagungsverfügung aus Sicht des Gerichts keine anderen Mittel zur Abwehr von Gefahren für die Allgemeinheit ersichtlich als die angeordnete Gewerbeuntersagung. Die Gewerbeuntersagung ist vorliegend auch verhältnismäßig. Eine den gesetzlichen Anforderungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO entsprechende Gewerbeuntersagung kann allenfalls in extremen Ausnahmefällen unverhältnismäßig sein. Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht zu sehen (vgl. BVerwG, B. v. 25.3.1991 – 1 B 10.91 – juris Rn. 4; BayVGH, B. v. 24.10.2012 – 22 ZB 12.853 – juris Rn. 26, jeweils m.w.N.).
Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt, hat die Klägerin auch nach Wirksamwerden der Gewerbeuntersagungsverfügung gezeigt, dass ein Einstellungswandel hin zur verlässlichen Beachtung von gewerberelevanten Rechtsvorschriften oder ein dahingehender Wandel in der Führung ihres Gewerbebetriebs nicht eingetreten ist. Ausweislich des Urteils des Amtsgerichts M. vom … Februar 2021 wurde die Klägerin wegen Inverkehrbringens von nicht sicheren, durch den Verzehr von Menschen ungeeigneten Lebensmitteln zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 20 Euro verurteilt. Dem lag eine weitere Kontrolle des Lebensmittelgeschäfts der Klägerin am … März 2020 zugrunde. Weiterhin seien mehrere weitere Bußgeldverfahren eingeleitet worden.
2. Die Erweiterung der Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO auf eine Tätigkeit der Klägerin als Vertretungsberechtigte einer Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person sowie die Ausübung jeglicher selbständigen gewerblichen Tätigkeit im stehenden Gewerbe ist nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat das ihr insoweit eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei (§ 114 Satz 1 VwGO) ausgeübt.
Nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO kann die Gewerbeuntersagung auf alle Gewerbe erstreckt werden, soweit die festgestellten Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Gewerbetreibende auch für diese Tätigkeiten oder Gewerbe unzuverlässig ist. Insoweit müssen Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit der Gewerbetreibenden in Bezug auf die Ausweichtätigkeit dartun („gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit“). Ist eine Gewerbetreibende in Bezug auf andere – nicht ausgeübte – gewerbliche Betätigungen unzuverlässig und ist die Untersagung auch hinsichtlich dieser Betätigungen erforderlich, so ist eine Ermessensentscheidung, die von der Möglichkeit der erweiterten Gewerbeuntersagung Gebrauch macht, nicht rechtswidrig, wenn der Verwaltungsentscheidung zumindest konkludent die maßgebliche Erwägung entnommen werden kann, die anderweitige Gewerbeausübung sei so wahrscheinlich, dass sich die Untersagung auch darauf erstrecken soll (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6.14 – juris Rn. 17 ff. m.w.N.).
Dem genügen die Ermessenserwägungen der Beklagten, die in der einzelfallbezogenen Begründung der erweiterten Untersagungsverfügung im Bescheid vom 25. März 2020 ihren Niederschlag gefunden haben, wenngleich die Beklagte – wohl zu Unrecht – auch von der wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit der Klägerin ausging. Die Voraussetzungen für den Erlass einer erweiterten Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO lagen im maßgeblichen Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Untersagungsverfügung gleichwohl vor. Insbesondere war die erweiterte Gewerbeuntersagung erforderlich, weil eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für ein Ausweichen der Klägerin auf eine anderweitige Gewerbetätigkeit bestand. Bereits die vielfältigen früher angezeigten und ausgeübten gewerblichen Tätigkeiten, vorwiegend im Handelsgewerbe, lassen erkennen, dass das gewerbliche Betätigungsfeld der Klägerin weit gefasst ist. Besondere Umstände im Einzelfall, die hier eine andere Bewertung hätten zulassen können, lagen nicht vor. Dies hat die Beklagte zutreffend erkannt.
Hiervon ausgehend wurde das eingeräumte Ermessen frei von Rechtsfehlern ausgeübt (§ 114 Satz 1 VwGO). Die Klägerin ist gewerbeübergreifend unzuverlässig, weil sie mit den ihr zur Last gelegten Verfehlungen der Steuerhinterziehung aber auch des Verstoßes gegen behördliche Anordnungen Pflichten unter Missachtung der Rechtsordnung verletzt hat, die für jede Gewerbetreibende, jede Vertretungsberechtigte eines Gewerbetreibenden und jede mit der Leitung eines Gewerbebetriebs Beauftragte gelten und sich nicht auf eine bestimmte gewerbliche Tätigkeit beschränken. Das rechtfertigt die Annahme der Beklagten, dass die Klägerin ein entsprechendes Verhalten auch bei Ausübung eines anderen Gewerbes an den Tag legen wird (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6.14 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 27.8.2018 – 22 ZB 18.1562 – juris Rn. 22, 26, jeweils m.w.N.).
Auch in Bezug auf die erweiterte Gewerbeuntersagung ist in der Rechtsprechung geklärt, dass der Ausschluss einer gewerbeübergreifend unzuverlässigen Gewerbetreibenden aus dem Wirtschaftsverkehr mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Ausprägung durch Art. 12 Abs. 1 GG grundsätzlich im Einklang steht (vgl. BayVGH, B.v. 3.8.2015 – 22 ZB 15.1271 – juris Rn. 24 m.w.N.)
3. Gegen die der Klägerin eingeräumte Abwicklungsfrist von 10 Tagen nach Unanfechtbarkeit der Untersagungsverfügung (Nr. 3 des Bescheidstenors) bestehen ebenso wenig Bedenken wie gegen die Androhung des unmittelbaren Zwangs (Nr. 4 des Bescheidstenors).
4. Die behördliche Kostenentscheidung ist nicht zu beanstanden. Insbesondere begegnet die Bescheidsgebühr in Höhe von 450 Euro angesichts des zutreffend in Ansatz gebrachten Gebührenrahmens von 50 Euro bis 2.000 Euro keinen Bedenken (Tarif-Nr. 5.III.5/15 des Kostenverzeichnisses zum Kostengesetz).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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