Steuerrecht

Grunderwerbsteuer

Aktenzeichen  4 K 3105/18

Datum:
21.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ErbStB – 2021, 44
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
GrEStG § 1 Abs. 2
WEG § 10 , § 31
FGO § 6 Abs. 1, § 90 Abs. 2, § 100 Abs. 1 S. 1, § 135 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Grunderwerbsteuerbescheid vom 20. Juli 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. November 2018 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Gründe

I.
Streitig ist, ob die Bestellung eines Dauerwohnrechts der Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 2 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) unterliegt.
Mit notariellem Vertrag vom xx.yy.20zz (UrNr. …) bestellte X zugunsten des Klägers ein Dauernutzungsrecht (gemäß § 31 des Wohnungseigentumsgesetzes -WEG-) an dem Grundvermögen FlurNr. ABC (eingetragen im Grundbuch des Amtsgerichts Y). Das Dauernutzungsrecht ist (…) veräußerlich und vererblich und (…) „nicht befristet, also zeitlich unbegrenzt“. Der Kläger als Berechtigter ist zur Veräußerung oder Vermietung bzw. Verpachtung des Dauernutzungsrechts nur mit Zustimmung des X als Eigentümer des o.g. Grundvermögens berechtigt (…), der diese Zustimmung nur aus wichtigem Grund versagen kann. Des Weiteren ist in (…) o.g. Vertrag („Schuldrechtliche Vereinbarungen“), auf den wegen der näheren Einzelheiten verwiesen wird, geregelt, dass der Kläger als Berechtigter des Dauernutzungsrechts in entsprechender Anwendung der §§ 10 bis 29 WEG die Rechte und Pflichten eines Wohnungseigentümers hat. Das mit o.g. Vertrag vom xx.yy.20zz begründete Dauernutzungsrecht wurde am … 20zz in der Zweiten Abteilung (Lasten und Beschränkungen) des Grundbuchs eingetragen. Mit Bescheid vom 20. Juli 2017 setzte das beklagte Finanzamt (im Folgenden: FA) (…) gegen den Kläger Grunderwerbsteuer (…) fest. Den hiergegen vom Kläger mit Schriftsatz vom 8. August 2017 eingelegten Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 2. November 2018 als unbegründet zurück.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner (am 29. November 2018 bei Gericht eingegangenen) Klage, zu deren Begründung er im Wesentlichen Folgendes vorträgt: Durch die Einräumung des Dauernutzungsrechts stehe es ihm nicht zu, an der Grundstücks- oder Gebäudesubstanz zu partizipieren. Auch sei das Dauerwohnrecht nicht in § 2 Abs. 2 GrEStG aufgeführt. Im Streitfall liege auch keine „besonders extreme Ausgestaltung“ eines Dauerwohnrechts vor. Insbesondere werde im Streitfall durch die entsprechende Anwendung der §§ 10 bis 29 WEG keine Grundstücksverwertungsbefugnis begründet.
Der Kläger beantragt,
den Grunderwerbsteuerbescheid vom 20. Juli 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. November 2018 aufzuheben.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es verweist zur Klageerwiderung auf die streitgegenständliche Einspruchsentscheidung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird gem. § 105 Abs. 3 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Grunderwerbsteuerakte des FA sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 20. April 2018 wurde der Rechtsstreit auf den Einzelrichter zur Entscheidung übertragen (§ 6 Abs. 1 FGO). Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet das Gericht ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).
II.
1. Die Klage ist zulässig. Sie wurde insbesondere fristgerecht erhoben.
2. Die Klage ist zudem begründet. Das FA hat im Streitfall zu Unrecht mit Bescheid vom 20. Juli 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. November 2018 Grunderwerbsteuer festgesetzt und den Kläger dadurch i.S.d. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO in seinen Rechten verletzt.
a) Nach § 1 Abs. 2 GrEStG unterliegen der Grunderwerbsteuer Rechtsvorgänge, die es ohne Begründung eines Anspruchs auf Übereignung einem anderen rechtlich oder wirtschaftlich ermöglichen, ein inländisches Grundstück auf eigene Rechnung zu verwerten. Die Verwertungsmöglichkeit wird i.S.v. § 1 Abs. 2 GrEStG erworben, wenn der Verwertungsberechtigte an der ganzen Substanz der Immobilie seinem Wert nach teilhat (Urteil des Bundesfinanzhofs -BFHvom 10. März 1999 II R 35/97, BFHE 188, 444, BStBl. II 1999, 491). Von § 1 Abs. 2 GrEStG werden solche Fälle erfasst, in denen die Einwirkungsmöglichkeiten dem rechtlichen Eigentum nahekommen und über die Befugnisse eines Mieters und Pächters hinausgehen (vgl. BFH-Urteil vom 29. Juli 1998 II R 71/96, BStBl. II 1999, 796). Das sind Fälle, in denen dem Erwerber Aufwendungen, Verluste und Wertminderungen zur Last fallen und ihm Erträgnisse, Wertsteigerungen und Verwertungserlöse zugutekommen (BFH-Urteil vom 18. Januar 1956 II 87/55 U, BFHE 62, 248, BStBl. III 1956, 92).
b) Das Dauerwohn- und Nutzungsrecht nach §§ 31 ff WEG fällt nicht unter den in § 2 GrEStG geregelten Grundstücksbegriff, so dass Rechtsvorgänge, die sich auf ein derartiges Recht beziehen, nicht der Grunderwerbsteuer unterliegen.
aa) Zutreffend ist zwar, dass in ganz besonderen extremen Ausnahmefällen der Tatbestand des § 1 Abs. 2 GrEStG, d. h. die Verschaffung der wirtschaftlichen Verwertungsbefugnis an einem Grundstück, erfüllt sein kann (vgl. Boruttau, 19. Auflage 2019, GrEStG, § 2 Rn. 289; Pahlke, GrEStG, 5. Auflage 2014, § 2 Rn. 63 m.w.N.).
bb) Das Gericht vermag in der Ausgestaltung des streitbefangenen Dauernutzungsrechts, das sich durchaus im Rahmen der nach §§ 31 ff WEG üblichen und zulässigen Gestaltungen bewegt, keinen derartigen ganz extremen (bislang nicht bekannt gewordenen) Ausnahmefall i.S. der oben angeführten Kommentierungen zu erkennen, der zur Anwendung des § 1 Abs. 2 GrEStG berechtigen könnte: So sind weder eine unbefristete Einräumung noch das Nichterfordernis einer Zustimmung des Grundstückseigentümers zur Vermietung oder Veräußerung, noch die Vereinbarung einer Entschädigung beim Heimfall, noch Regelungen über Instandhaltung, Versicherung und Wiederaufbau dem Wesen des Dauernutzungsrechts fremd (vgl. §§ 33 Abs. 2 und 4, 35, 36 Abs. 1 und 4 und 37 Nr. 1 WEG). Vielmehr fehlt dem Dauerwohnrecht (§§ 31 ff. WEG) der Charakter eines Eigentums. Es ist zwar wie das Wohnungseigentum veräußerlich und vererblich, ist aber kein Eigentum, sondern nur ein das Grundstück belastendes dingliches Nutzungsrecht, das nicht wie das Wohnungseigentum in Abteilung I (Eigentum), sondern in Abteilung II (dingliche Belastungen des Eigentums) des Grundbuchs eingetragen wird (BFH-Urteil vom 13. Juni 1957 V 259/56 U, BFHE 65, 98, BStBl III 1957, 269).
cc) Das Dauerwohnrecht unterliegt mithin auch nicht nach § 1 Abs. 2 GrEStG der Grunderwerbsteuer; denn der Erwerber – im Streitfall der Kläger – eines solchen Dauernutzungsrechts erwirbt nicht die rechtliche oder wirtschaftliche Möglichkeit, ein inländisches „Grundstück“ (oder einen Grundstücksteil) auf eigene Rechnung zu verwerten; auch ist das zeitlich unbeschränkte Dauerwohnrecht weder ein Grundstück noch einem Grundstück (wie ein Erbbaurecht) gleichgestellt (vgl. § 2 Abs. 2 GrEStG). Das Gericht hält damit an den Grundsätzen fest, die der 4. Senat des Finanzgerichts (FG) München aufgestellt hat (vgl. hierzu Urteil des FG München vom 11. September 2000 4 K 3863/97, juris).
dd) Ausgehend von den o.g. Grundsätzen ist nach Auffassung des Gerichts die Begründung des streitgegenständlichen Dauernutzungsrechts nicht grunderwerbsteuerbar, zumal das GrEStG keine wirtschaftliche Betrachtungsweise zulässt (vgl. Pahlke a.a.O. § 2 Rn. 63).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Absatz 1 FGO.
4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und dem Vollstreckungsschutz folgt aus §§ 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.


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