Steuerrecht

Kapitalertragsteuererstattung bei beschränkt steuerpflichtiger Kapitalgesellschaft

Aktenzeichen  I R 31/18

Datum:
13.4.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2021:U.130421.IR31.18.0
Normen:
§ 43 Abs 1 S 3 EStG 2002
§ 50d Abs 1 S 2 EStG 2002
§ 50d Abs 1 S 7 EStG 2002
§ 50d Abs 1 S 8 EStG 2002
§ 170 Abs 2 AO
§ 171 Abs 15 AO
§ 169 AO
Spruchkörper:
1. Senat

Leitsatz

1. NV: Der Senat hält daran fest, dass die nachträgliche Erstattung einbehaltener und abgeführter Kapitalertragsteuer auf eine analoge Anwendung des § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG 2002 gestützt werden kann, wenn die Einbehaltung und Abführung gegen unionsrechtliche Grundfreiheiten verstößt (Festhaltung am Urteil vom 11.01.2012 – I R 25/10, BFHE 236, 318).
2. NV: Für die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs sind die Vorschriften der §§ 169 bis 171 AO anzuwenden; für eine analoge Anwendung der Fristenregelungen in § 50d Abs. 1 Satz 7 und 8 EStG 2002 ist kein Raum.

Verfahrensgang

vorgehend FG Nürnberg, 12. April 2018, Az: 6 K 1390/16, Urteil

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 12.04.2018 – 6 K 1390/16 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.
1
Das Begehren der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), einer in Frankreich ansässigen Kapitalgesellschaft in der Rechtsform einer société par actions simplifiée (S.A.S.), ist darauf gerichtet, den im Juni 2002 von ihrer deutschen Tochtergesellschaft, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), ausgeschütteten Gewinn unter vollständiger Entlastung von deutscher Kapitalertragsteuer zu beziehen.
2
Dieses Begehren verfolgte sie zunächst erfolglos in einem ersten Rechtsstreit. Dieser Rechtsstreit begann mit dem Antrag der Klägerin an das frühere Bundesamt für Finanzen (seit dem 01.01.2006: Bundeszentralamt für Steuern –BZSt–; im Folgenden wird vereinfachend und einheitlich nur noch vom BZSt gesprochen), ihr eine Freistellungsbescheinigung gemäß § 50d Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes in der im Jahr 2002 geltenden Fassung (EStG) zu erteilen. Der Antrag hatte nur zum Teil Erfolg. Das BZSt bescheinigte, dass die GmbH als Schuldnerin der Dividendenzahlung nach dem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung mit der Französischen Republik berechtigt sei, den Steuerabzug für die Kapitalerträge in Höhe von 5 % des Bruttoertrags vorzunehmen.
3
Die Klägerin verfolgte ihr Begehren auf vollständige Quellensteuerbefreiung auf dem Klageweg weiter. Das von ihr angerufene Finanzgericht (FG) Köln wies ihre Klage allerdings mit Urteil vom 28.01.2010 – 2 K 4220/03 (juris) ab.
4
Der Revision zum Bundesfinanzhof (BFH) blieb der Erfolg versagt (Senatsurteil vom 11.01.2012 – I R 25/10, BFHE 236, 318). Der BFH bestätigte die Auffassung des FG Köln, dass der Klägerin ein Anspruch auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung gemäß § 50d Abs. 2 EStG im Wesentlichen deshalb nicht zugestanden habe, weil eine S.A.S. im Jahr 2002 –noch– nicht zum Kreis der von § 43b EStG begünstigten Gesellschaftsformen gehört habe. Die Klägerin habe sich aber zu Recht dagegen gewandt, dass bei ihr –im Gegensatz zu rein inländischen Konstellationen– durch die abgeltende Wirkung des Quellensteuerabzugs die Kapitalertragsteuer definitiv werde, was gegen die unionsrechtlich verbürgte Kapitalverkehrsfreiheit verstoße. Diese materiell-rechtliche Rüge habe die Klägerin aber nicht mit Erfolg in einem auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung gerichteten Verfahren anbringen können. Vielmehr sei sie gehalten gewesen, den Steuerabzug zunächst hinzunehmen und ihr Begehren in einem auf Erlass eines Freistellungsbescheids gerichteten Verfahren in analoger Anwendung des § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG zu verfolgen.
5
Die GmbH hatte im Verlauf des (ersten) Rechtsstreits Kapitalertragsteuer in Höhe von 5 % der Gewinnausschüttung angemeldet, einen zunächst dagegen erhobenen Einspruch –unter gewährter Aussetzung der Vollziehung– mit Schriftsatz vom 22.05.2012 zurückgenommen und schließlich die Kapitalertragsteuer am 05.06.2012 an die Finanzbehörde abgeführt.
6
Bereits während des vorstehend beschriebenen Rechtsstreits stellte die Klägerin am 18.06.2010 unter Berufung auf eine analoge Anwendung des § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG den Antrag, ihr einen Freistellungsbescheid zu erteilen und die (verbliebene) Kapitalertragsteuer in Höhe von 5 % zu erstatten.
7
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) lehnte diesen Antrag ab und wies den Einspruch zurück. Das gegen diese Entscheidung angerufene FG gab der Klage auf Erlass des begehrten Freistellungsbescheids statt (FG Nürnberg, Urteil vom 12.04.2018 – 6 K 1390/16, Entscheidungen der Finanzgerichte 2019, 1095). Es ging dabei zugunsten der Klägerin u.a. davon aus, dass aufgrund der analog anwendbaren Regelung des § 50d Abs. 1 Satz 8 EStG noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten sei.
8
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA eine Verletzung des materiellen Rechts.
9
Es beantragt, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.
10
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
11
Das dem Revisionsverfahren beigetretene Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat keinen Antrag gestellt; es unterstützt in der Sache den Standpunkt des FA.


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