Steuerrecht

Nichtannahmebeschluss: Art 3 Abs 1 GG gebietet keine Anwendung der Abgeordnetenpauschale des Art 3 Nr 12 EStG auf Steuerpflichtige mit Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit – fehlendes Rechtsschutzinteresse bzgl der Höhe der Abgeordnetenpauschale

Aktenzeichen  2 BvR 2227/08, 2 BvR 2228/08

Datum:
26.7.2010
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Nichtannahmebeschluss
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2010:rk20100726.2bvr222708
Normen:
Art 3 Abs 1 GG
§ 12 AbgG
§ 6 AbgG BW
§ 3 Nr 12 EStG
Spruchkörper:
2. Senat 1. Kammer

Verfahrensgang

vorgehend BFH, 11. September 2008, Az: VI R 63/04, Urteilvorgehend BFH, 11. September 2008, Az: VI R 13/06, Urteil

Gründe

1
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen, da die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht
vorliegen. Sie haben keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 ; 96, 245 ). Die Beschwerdeführer
werden durch die gemäß § 3 Nr. 12 des Einkommensteuergesetzes – EStG – normierte Steuerbefreiung der nach den Abgeordnetengesetzen
des Bundes und der Länder gewährten Abgeordnetenpauschalen nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Der Bundesfinanzhof
hat es im Ergebnis zu Recht abgelehnt, die Steuerbefreiungsvorschrift des § 3 Nr. 12 EStG auf die Beschwerdeführer anzuwenden.
Nichtselbständig tätige Steuerpflichtige werden dadurch, dass § 3 Nr. 12 EStG die Aufwandsentschädigung, die Bundes- und Landtagsabgeordnete
monatlich als Pauschale erhalten, steuerfrei stellt, hinsichtlich der steuerlichen Berücksichtigung berufsbedingter Aufwendungen
nicht verfassungswidrig benachteiligt.

2
1. Die – gegebenenfalls – bestehende steuerliche Begünstigung der Abgeordneten ist aufgrund der – auch verfassungsrechtlich
geschützten – besonderen Stellung des Abgeordnetenmandats dem Grunde nach sachlich gerechtfertigt:

3
a) Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches
ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 116, 164 ; 122, 210 ; stRspr). Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für
ungleiche Begünstigungen (BVerfGE 110, 412 ; 116, 164 ; 122, 210 ). Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben
sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen
Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (stRspr; vgl. BVerfGE 110, 274 ;
112, 164 ; 116, 164 ; 122, 210 ). Für die Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen
kommt es wesentlich darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung
grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann (stRspr; vgl. BVerfGE 112, 164 ; 122, 210 ). Genauere Maßstäbe
und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt
und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen (stRspr;
vgl. BVerfGE 105, 73 ; 107, 27 ; 112, 268 ; 122, 210 ).

4
b) Nach diesen Grundsätzen verstößt die Besteuerung der Beschwerdeführer nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG:

5
aa) Die Beschwerdeführer beziehen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach § 19 EStG. Für berufsbedingte Aufwendungen
stehen ihnen nach § 9a Satz 1 Nr. 1 EStG der Arbeitnehmerpauschbetrag und bei entsprechendem Nachweis ein höherer Werbungskostenabzug
hinsichtlich der tatsächlich entstandenen Aufwendungen nach § 9 EStG zu. Dies entspricht dem der Einkommensteuer zugrunde
liegenden Nettoprinzip, nach dem nur das “Nettoeinkommen” – die Erwerbseinnahmen abzüglich der Erwerbsaufwendungen und der
existenzsichernden Aufwendungen – besteuert wird. Die – pauschale – steuerliche Berücksichtigung berufsbedingter Aufwendungen
nach § 9a EStG ist vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsgemäß angesehen worden (vgl. BVerfGE 96, 1).

6
bb) Die von der Besteuerung der Einkünfte aus nichtselbständiger, weisungsgebundener Arbeit abweichende einkommensteuerliche
Berücksichtigung von “beruflich” bedingten Aufwendungen eines parlamentarischen Mandatsträgers ist dem Grunde nach durch die
besondere Stellung der Abgeordneten hinreichend sachlich begründet.

7
Abgeordnete “schulden” in Abgrenzung zu Arbeitnehmern rechtlich keine Dienste, sondern nehmen in Freiheit ihr Mandat wahr
(vgl. BVerfGE 76, 256 betreffend den Vergleich mit Beamten). Der Abgeordnete entscheidet grundsätzlich frei und in ausschließlicher
Verantwortlichkeit gegenüber dem Wähler über die Art und Weise der Wahrnehmung seines Mandats (vgl. BVerfGE 118, 277 <336
f.>); dies betrifft auch die Frage, welche Kosten er dabei auf sich nimmt. Die pauschale Erstattung dieser Aufwendungen soll
Abgrenzungsschwierigkeiten vermeiden, die beim Einzelnachweis mandatsbedingter Aufwendungen dadurch aufträten, dass die Aufgaben
eines Abgeordneten aufgrund der Besonderheiten des Abgeordnetenstatus nicht in abschließender Form bestimmt werden könnten
(vgl. “Zweites Gutachten zur Neuregelung der Diäten der Mitglieder des Bundestages” des Beirates für Entschädigungsfragen
beim Präsidium des Deutschen Bundestages, BTDrucks 7/5531, S. 32, 44). Sie wird nach § 12 des Abgeordnetengesetzes – AbgG
– des Bundes beziehungsweise § 6 AbgG des Landes Baden-Württemberg zweckgebunden ausschließlich für mandatsbedingte Aufwendungen
gewährt. Ihr Charakter entspricht weniger einer Werbungskostenpauschale als eher einem pauschalierten Auslagenersatz für Kosten,
deren tatsächlicher Anfall vermutet wird.

8
Wie der Bundesfinanzhof in den mit den Verfassungsbeschwerden angegriffenen Entscheidungen zu Recht ausführt, dient auch die
Steuerfreiheit der Aufwandsentschädigung der Vereinfachung und der Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten, da die Besteuerung
der Kostenpauschale und die Geltendmachung der mandatsbezogenen Aufwendungen als Werbungskosten entfallen (vgl. v. Beckerath,
in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, Bd. 3, § 3 Rn. B 12/32). Da auch nicht offensichtlich ist, dass die Abgeordnetenentschädigung
bereits im Kern nicht tatsächlich entstandenen Aufwand ausgleicht (vgl. BVerfGE 99, 280 ), ist danach eine abweichende
steuerliche Berücksichtigung der Aufwandsentschädigung eines Abgeordneten gegenüber den Erwerbsaufwendungen bei nichtselbständiger
Arbeit dem Grunde nach sachlich gerechtfertigt.

9
2. Soweit sich die Verfassungsbeschwerden gegen die Höhe der Abgeordnetenentschädigung richten, fehlt es bereits am erforderlichen
Rechtsschutzinteresse. Der Bundesfinanzhof hat die Entscheidungserforderlichkeit der Frage, ob die Steuerbefreiung der Abgeordnetenentschädigung
der Höhe nach verfassungsmäßig ist, zutreffend verneint, denn insoweit könnten die Beschwerdeführer auch im Fall der Verfassungswidrigkeit
der angegriffenen Entschädigungsregelung mangels Entscheidungserheblichkeit im Ausgangsverfahren ihre Rechtsposition nicht
verbessern.

10
Soweit im Steuerrecht Steuerbefreiungen, Steuerentlastungen oder sonstige steuerliche Begünstigungen nur bestimmten Personen
oder Gruppen gewährt werden, stellt sich häufig die Frage, ob eine solche Norm mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist. Liegt ein
Gleichheitsverstoß vor, ist in der Regel eine bloße Erklärung der Verfassungswidrigkeit geboten, weil der Gesetzgeber im Rahmen
seiner Gestaltungsfreiheit verschiedene Möglichkeiten hat, den Verfassungsverstoß zu beseitigen. Auch um der Gefahr zu begegnen,
dass die Gerichte und letztlich das Bundesverfassungsgericht durch ihre Einschätzung in den Bereich der Gesetzgebung übergreifen,
ist daher jedenfalls in den Fällen, in denen die Verfassungswidrigkeit einer Steuerrechtsnorm geltend gemacht wird, die nur
bestimmte Personen oder Gruppen begünstigt, für die Entscheidungserheblichkeit darauf abzustellen, ob es ausgeschlossen ist,
dass der Gesetzgeber eine für den Steuerpflichtigen günstige Regelung verabschiedet. Die Entscheidungserheblichkeit fehlt,
wenn der Gesetzgeber an der Schaffung einer für den Kläger günstigeren Regelung aus Rechtsgründen oder aus offenkundigen sachlichen
Gründen gehindert ist (vgl. BVerfGE 121, 108 m.w.N.). Dies ist aus den vom Bundesfinanzhof genannten Gründen vorliegend
der Fall. Wäre die Abgeordnetenpauschale der Höhe nach verfassungswidrig, könnte die in Bezug auf die Abgeordnetenpauschale
gewährte Steuerfreiheit auch den Beschwerdeführern nicht gewährt werden.

11
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

12
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.


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