Steuerrecht

Passentziehung und Passversagung bei erheblichen Steuerrückständen

Aktenzeichen  AN 5 K 15.01676

Datum:
23.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
PassG PassG § 7 Abs. 1 Nr. 4, § 8

 

Leitsatz

1 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung einer Passversagung nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 PassG ist derjenige der Behördenentscheidung, weil Umstände, die der Passbehörde nicht bekannt waren oder – weil sie in der Zukunft liegen – nicht bekannt sein konnten, auch nicht Gegenstand der von ihr zu treffenden Ermessensentscheidung gewesen sein konnten (Anschluss an OVG Bln-Bbg BeckRS 2014, 58540). (redaktioneller Leitsatz)
2 In objektiver Hinsicht setzt § 8 PassG iVm § 7 Abs. 1 Nr. 4 PassG voraus, dass sich aus vollziehbaren Steuerbescheiden, die nicht offensichtlich rechtswidrig sind, ergibt, dass erhebliche Steuerrückstände bestehen. Nicht erforderlich ist, dass die Steuerbescheide auch bereits bestands- oder gar rechtskräftig wären (Anschluss an OVG Bremen BeckRS 2013, 47081). (redaktioneller Leitsatz)
3 In subjektiver Hinsicht erfordert der Passversagungsgrund des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 PassG einen Steuerfluchtwillen, der voraussetzt, dass das gesamte Verhalten des Passinhabers und sonstige objektive Umstände den Schluss rechtfertigen, dass sich der Passinhaber mit Hilfe des in Rede stehenden Ausweisdokuments ins Ausland absetzen will, um sich auf diese Weise seinen steuerlichen Verpflichtungen zu entziehen. (redaktioneller Leitsatz)
4 Ein nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 PassG erforderlicher Steuerfluchtwillen lässt sich nur anhand von Indizien feststellen. Dabei ist das gesamte Verhalten des Passbewerbers zu würdigen. Ein maßgebliches Indiz ist dabei eine beträchtliche Höhe der Steuerschulden ((Anschluss an OVG Bremen BeckRS 2013, 47081). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Die Klage ist zwar zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 28. August 2015 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Erteilung eines Reisepasses.
Zu Recht hat die Beklagte unter Ziffer 1. des streitgegenständlichen Bescheids dem Kläger seinen Reisepass entzogen, unter Ziffer 3. des streitgegenständlichen Bescheids die Rückgabe des Reisepasses gefordert sowie unter Ziffer 4. des streitgegenständlichen Bescheids unmittelbaren Zwang zur Durchsetzung der Herausgabepflicht angedroht. Insoweit ist der Bescheid rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die auf § 8 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 4 PassG gestützte Entziehung des dem Kläger ausgestellten Reisepasses … unter Ziffer 1. des angefochtenen Bescheids ist rechtmäßig.
Nach § 8 PassG kann ein Pass entzogen werden, wenn Tatsachen bekannt werden, die nach § 7 Abs. 1 PassG die Passversagung rechtfertigen würden. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 PassG ist der Pass zu versagen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, dass der Passbewerber sich u.a. seinen steuerlichen Verpflichtungen entziehen will. Maßgeblich ist insoweit der Zeitpunkt der Behördenentscheidung, weil Umstände, die der Passbehörde nicht bekannt waren oder – weil sie in der Zukunft liegen – nicht bekannt sein konnten, auch nicht Gegenstand der von ihr zu treffenden Ermessensentscheidung gewesen sein konnten (OVG Berlin-Brandenburg, U.v. 2.10.2014 – OVG 5 B 9.13 – juris Rn. 38 zum insoweit vergleichbaren Entzug eines Passes nach § 8 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 2 PassG; a. A. OVG NRW, U.v. 4.5.2015 – 19 A 2097/14 – juris Rn. 23, das die nach Auffassung der Kammer einmalige Passentziehung mit einer räumlichen Beschränkung, welche Dauerwirkung hat, gleichsetzt und dabei verkennt, dass nach einer Passentziehung grundsätzlich ein neuer Pass ausgestellt werden kann).
In objektiver Hinsicht setzt § 8 PassG i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 4 PassG voraus, dass sich aus vollziehbaren Steuerbescheiden, die nicht offensichtlich rechtswidrig sind, ergibt, dass erhebliche Steuerrückstände bestehen (vgl. VG Berlin, B.v. 27.8.2014 – 23 L 410.14 – juris Rn. 20; OVG NRW, B.v. 2.1.1996 – 25 B 3037/95 – juris Rn. 2). Nicht erforderlich ist, dass die Steuerbescheide auch bereits bestands- oder gar rechtskräftig wären (vgl. OVG NRW, B.v. 2.1.1996 – 25 B 3037/95 – juris Rn. 2; OVG Bremen, B.v. 25.1.2013 – 1 B 297/12 – juris Rn. 4). Die Voraussetzung erheblicher Steuerrückstände aus vollziehbaren und nicht offensichtlich rechtswidrigen Steuerbescheiden war hier zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses erfüllt. Aufgrund der zwischenzeitlich durch den Kläger dem Finanzgericht gegenüber erklärten Klagerücknahmen gegen die hier zugrundeliegenden Steuerbescheide sind die hier gegebenen Steuerrückstände darüber hinaus nunmehr sogar bestandskräftig, so dass an der Höhe der damaligen Steuerrückstände keine Zweifel bestehen.
Unstreitig war zwischen den Beteiligten hier bereits zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des hier streitgegenständlichen Bescheides, dass der Kläger aus vollstreckbaren Steuerbescheiden Rückstände gegenüber dem Freistaat Bayern aus Steuern und öffentlichen Abgaben in einer Gesamthöhe von 404.733,48 EUR sowie gegenüber der Beklagten aus Gewerbesteuer in Höhe von 134.402,28 EUR hatte. Dass der Kläger erfolglos im Wege des Einspruchs gegen diese Steuerbescheide vorgegangen ist, änderte an den bestehenden und vollstreckbaren Steuerrückständen ebenso wenig wie der Umstand, dass der Kläger (zwischenzeitlich zurückgenommene) Klagen gegen die Einspruchsbescheide zum Finanzgericht … erhoben hatte. Die vom Kläger vorgebrachten Einwände führen auch nicht dazu, dass von einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit der gegen den Kläger erlassenen Steuerbescheide auszugehen wäre. Zwar ist davon auszugehen, dass das Finanzamt ursprünglich irrtümlich auch die Ehefrau des Klägers gesamtschuldnerisch für Einkommensteuer aus dem Jahr 2003 herangezogen hat, was schon wegen der erst 2004 erfolgten Eheschließung wohl rechtswidrig war. Jedoch hat das Finanzamt dies zum einen zwischenzeitlich korrigiert. Zum anderen ist der Umstand, dass die Ehefrau des Klägers ursprünglich zu diesen Einkommensteuerbeträgen als Gesamtschuldnerin neben dem Kläger herangezogen werden sollte, ohne Auswirkung darauf, dass der Kläger selbst rechtmäßig zu diesen Beträgen herangezogen wurde. Auch der weitere Vortrag des Klägers, die ihm vom Finanzamt als Einkommen zugerechneten Provisionszahlungen seien zum Teil an die Käufer der von ihm vermittelten Immobilien zurückgeflossen, führt nicht zur Annahme der offensichtlichen Rechtswidrigkeit der Steuerbescheide. Der Kläger hat nach den Erkenntnissen der Steuerfahndung seit dem Steuerjahr 2006 keine einzige Steuererklärung abgegeben und hat nunmehr selbst die von ihm ursprünglich angestrengten finanzgerichtlichen Klagen zurückgenommen und dadurch die Bestandskraft der festgesetzten Steuerrückstände selbst herbeigeführt. Wenn der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nun ausführt, er sei im Rahmen des gegen ihn geführten Strafverfahrens vom Finanzamt regelrecht erpresst worden, die finanzgerichtlichen Klagen zurückzunehmen, kann dies ebenso wenig dazu führen, dass von einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit der Steuerbescheide auszugehen wäre. Vielmehr sind, worauf das Finanzamt … zutreffend hingewiesen hat, die strafrechtliche Verfolgung einer Steuerhinterziehung und die finanzgerichtliche Klärung der Höhe der Steuerforderungen unabhängig voneinander zu sehen. Zudem geht die Kammer mit dem Finanzamt … davon aus, dass der Kläger durch die Beschränkung der Strafverfolgung aufgrund der erfolgten Verständigung ein für ihn insbesondere im Hinblick auf den im Raum stehenden Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Urteil des Landgerichts … vom 6. März 2014 günstiges Ergebnis erzielt hat. Zudem wird die Darstellung des Klägers, nach der das Finanzamt maßgeblichen Einfluss auf die Verständigung gehabt haben soll, bereits dadurch in Zweifel gezogen, dass zwar die Verständigung, nicht aber die Anwesenheit eines Vertreters des Finanzamtes in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht … protokolliert wurde. Entgegen der Ansicht der Prozessbevollmächtigten des Klägers führen auch die bislang erfolgten Vollstreckungsmaßnahmen nicht dazu, dass nicht mehr von Steuerrückständen im oben genannten Sinn, die als objektive Grundlage einer Passentziehung herangezogen werden können, auszugehen wäre. Denn die geltend gemachten Vollstreckungsmaßnahmen decken die bestehenden vollstreckbaren Steuerrückstände nur zu einem geringen Teil ab, so dass von einer Beitreibung oder jedenfalls Sicherung eines erheblichen Teils der Rückstände entgegen der Ansicht der Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht die Rede sein kann. Dies gilt angesichts der erheblichen Rückstände für die erfolgten Sachpfändungen einiger weniger Gegenstände (1 TV-Gerät, 1 Flasche Dom Perignon, 1 Espressomaschine, 3 Tennisschläger), ohne dass dies weiterer Begründung bedarf. Dies gilt auch hinsichtlich der Eintragung einer Sicherungshypothek hinsichtlich des dem Kläger gehörenden Anteils des Grundstücks in … über einen Betrag von 203.906,22 EUR aus Einkommens- und Umsatzsteuer aus den Jahren 2005 bis 2007. Dabei kann offen bleiben, ob von dem vom Finanzamt … angegebenen Wert von nur etwa 40.000 EUR auszugehen ist, oder ob die Prozessbevollmächtigten des Klägers diesen Wert des dem Kläger gehörenden Grundstücksanteils mit Nichtwissen bestreiten können. Denn in jedem Fall ist nur etwa höchstens die Hälfte der insgesamt bestehenden Steuerrückstände des Klägers gegenüber dem Freistaat durch diese Hypothek gesichert. Ungesichert bleiben zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses weitere gut 200.000 EUR Steuerrückstände gegenüber dem Freistaat, die bis zur mündlichen Verhandlung noch weiter angewachsen sind, sowie die Rückstände gegenüber der Beklagten aus Gewebesteuer in Höhe von etwa 135.000 EUR.
In subjektiver Hinsicht erfordert der Passversagungsgrund des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 PassG ferner einen Steuerfluchtwillen, der voraussetzt, dass das gesamte Verhalten des Passinhabers und sonstige objektive Umstände den Schluss rechtfertigen, dass sich der Passinhaber mit Hilfe des in Rede stehenden Ausweisdokuments ins Ausland absetzen will, um sich auf diese Weise seinen steuerlichen Verpflichtungen zu entziehen. Erforderlich ist hier ein Kausalzusammenhang zwischen den Steuerschulden des Passinhabers einerseits und seinem Auslandsaufenthalt andererseits (vgl. zum Ganzen: OVG NRW, B.v. 2.1.1996 – 25 B 3037/95 – juris Rn. 5). Ein solcher Wille lässt sich nur anhand von Indizien feststellen. Dabei ist das gesamte Verhalten des Passbewerbers zu würdigen. Ein maßgebliches Indiz ist dabei eine beträchtliche Höhe der Steuerschulden (vgl. OVG Bremen, B.v. 25.1.2013 – 1 B 297/12 – juris Rn. 5). Ein Steuerfluchtwille ergibt sich dabei bereits aus der erheblichen Höhe der Steuerrückstände (vgl. etwa OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 11.9.2007 – OVG 5 S. 56.07 – juris Rn. 11: Steuerrückstände von 228.000 EUR als „maßgebliches Indiz“). Angesichts der hier in Rede stehenden, noch weit höheren Beträge lässt sich der Steuerfluchtwille des Klägers bereits allein aus den bestehenden unstreitigen Steuerrückständen herleiten (vgl. VG Berlin, B.v. 27.8.2014 – 23 L 410.14 – juris Rn. 23 m.w.N. aus der Rechtsprechung mit weiteren zum Teil erheblich unter den hier in Rede stehenden Beträgen).
Darüber hinaus treten hier zudem weitere Indizien, die für einen Steuerfluchtwillen des Klägers sprechen, hinzu.
Entgegen der Ansicht der Prozessbevollmächtigten des Klägers ist der Umstand, dass der Kläger mit einer thailändischen Staatsangehörigen, die jedenfalls Miteigentümerin eines Hausgrundstücks in Thailand ist, wie sich aus ihrer eidesstattlichen Erklärung vom 19. November 2015 ergibt, ein weiteres Indiz, das vorliegend für einen Steuerfluchtwillen spricht. Zwar ist den Prozessbevollmächtigten des Klägers zuzugeben, dass allein der Umstand, dass der Kläger mit einer thailändischen Staatsangehörigen verheiratet ist, kein Umstand ist, der einen Steuerfluchtwillen begründen kann. Das räumt auch die Beklagte ein. Die Prozessbevollmächtigten des Klägers verkennen jedoch, dass auch die Beklagte nicht aus dieser Ehe auf den Steuerfluchtwillen geschlossen hat, sondern vielmehr die auch durch diese Ehe begründeten Verbindungen des Klägers nach Thailand als ein zusätzliches Indiz zu den erheblichen Steuerrückständen des Klägers herangezogen hat. Da auf einen solchen subjektiven Steuerfluchtwillen ohnehin, wie ausgeführt, nur auf Grund von Indizien geschlossen werden kann, kann auch eine solche Ehe, zumal wenn, wie hier, der ausländische Ehepartner (Mit-)Eigentümer einer Immobilie ist, so dass Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Steuerschuldner im Ausland mit einer gewissen Infrastruktur rechnen kann, bzw. dort nicht „bei Null anfangen“ müsste, als ein Indiz zur Plausibilisierung eines solchen Steuerfluchtwillens herangezogen werden. Auch wenn die Kammer davon ausgeht, dass der Kläger selbst nicht Eigentümer von Immobilien in Thailand ist, so hat seine Ehefrau ihrer eigenen eidesstattlichen Erklärung vom 19. November 2015 nach jedenfalls Miteigentum an einem Hausgrundstück. Daher und aufgrund der beim Kläger sichergestellten Belege für Baukosten, ist davon auszugehen, dass dem Kläger und seiner Familie dieses Hausgrundstück zur Nutzung zur Verfügung steht. Zwar behauptet der Kläger, die Baukosten seien von seiner Schwiegermutter bezahlt worden. Dies erscheint jedoch angesichts des Umstandes, dass die Belege beim Kläger in Deutschland gefunden worden sind, unglaubhaft. Zu dieser von der Kammer bereits in ihrem Beschluss vom 24. November 2015 vertretenen Ansicht hat der Kläger auch nichts weiter vorgetragen, wodurch etwa erklärt worden wäre, warum sich die Belege beim Kläger befunden haben. Daher geht die Kammer weiterhin davon aus, dass sich der Kläger zumindest in erheblicher Weise an den Kosten des Hausgrundstücks beteiligt hat, was erwarten lässt, dass sich für ihn daraus, auch unterhalb der Schwelle eines Miteigentums, Nutzungsrechte ergeben. Angesichts dessen kommt es entgegen der Ansicht der Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht darauf an, ob der Kläger selbst über Grundbesitz in Thailand verfügt. Auch wenn den Prozessbevollmächtigten des Klägers zuzugeben ist, dass der Bescheid der Beklagten vom 28. August 2015 hinsichtlich des Grundbesitzes des Klägers selbst uneindeutig ist, stellt auch die Beklagte nicht maßgeblich auf einen eigenen Grundbesitz des Klägers ab. Schließlich sind auch die über die in Thailand bestehende Wohnmöglichkeit hinaus bestehende Verwurzelung der Ehefrau in Thailand und ihre Beziehungen dorthin weitere Indizien für einen Steuerfluchtwillen des Klägers. Nach den Angaben des Klägers stammt sie aus einer wohlhabenden Familie. Auch wenn der Kläger zu den wirtschaftlichen Aktivitäten seiner Ehefrau in Thailand widersprüchliche Angaben gemacht hat, ist davon auszugehen, dass der Kläger in Thailand über seine Ehefrau und deren Familie auf eine gewisse soziale und wirtschaftliche Infrastruktur treffen würde, die ihm ein Absetzen nach Thailand, um sich seinen steuerlichen Verpflichtungen in Deutschland zu entziehen, erleichtern würde.
Weiter spricht vorliegend für einen subjektiven Steuerfluchtwillen des Klägers, dass entgegen dem Eindruck, der wohl mit der eidesstattlichen Erklärung des Klägers vom 19. November 2015 erweckt werden soll, davon auszugehen ist, dass der Kläger in den vergangenen Jahren erhebliche Geldsummen nach Thailand verbracht hat. Nach den Ermittlungsergebnissen der Steuerfahndung hat der Kläger bei Gelegenheit diverser Reisen nach Thailand größere Summen an Bargeld dorthin verbracht. Gestützt wird dieses Ergebnis einerseits dadurch, dass größere Bargeldabhebungen belegt sind, aber beim Kläger kein Bargeld festgestellt werden konnte. Beim Kläger sichergestellt werden konnten dagegen Belege über umfangreiches Baumaterial, welches in Thailand erworben wurde. Dies wird auch nicht durch die eidesstattlichen Erklärungen erschüttert. Zwar erklärt der Kläger selbst, er habe anlässlich seiner Ferienreisen keinerlei Bargeldtransfers nach Thailand vorgenommen. Damit sind Bargeldtransfers bei Gelegenheit anderer als Ferienreisen nicht ausgeschlossen. Ein solcher Ausschluss ergibt sich auch nicht aus der eidesstattlichen Erklärung der Ehefrau des Klägers vom 19. November 2015, die nur die gemeinsamen Reisen als Ferienreisen angibt, so dass die Reisen, die der Kläger mit seiner Stieftochter unternommen hat (etwa am 25.7.2006, 1.8.2009, 23.12.2011), schon nicht erfasst sind. Eine andere Erklärung zum Verbleib der abgehobenen Summen hat der Kläger, worauf auch das Finanzamt … hinweist, bis heute nicht vorgetragen. Damit ist davon auszugehen, dass der Kläger erhebliche Bargeldsummen nach Thailand verbracht hat, was zum einen die Annahme, dass er dort auf eine gewisse Infrastruktur bauen kann, weiter stützt und zum anderen bedeutet, dass er sein in Deutschland verfügbares Vermögen in einem beträchtlichen Umfang vermindert hat (zur Vermögensminderung als weiterem Indiz für einen Steuerfluchtwillen vgl. OVG Bremen, B.v. 25.1.2013 – 1 B 297/12 – juris Rn. 6).
Ein weiteres Indiz, das zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses für einen Steuerfluchtwillen des Klägers sprach, war, wie die Beklagte zutreffend ausgeführt hat, dass der Kläger im Falle einer weiteren Verurteilung durch das Amtsgericht … im gegen ihn wegen Steuerhinterziehung geführten Strafverfahren zu einer Freiheitsstrafe und des sodann zu erwartenden Widerrufs der Aussetzung der zweijährigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus dem Urteil des Landgerichts … vom 6. März 2014 mit längerer Haft rechnen musste. Die Aussicht, möglicherweise eine solche Haftstrafe verbüßen zu müssen, ließ den Gedanken, dass sich der Kläger ins Ausland absetzen wollen könnte, plausibel erscheinen. Auch wenn das Amtsgericht … den Kläger nunmehr mit seinem Urteil vom 7. Juli 2016 lediglich zu einer Geldstrafe verurteilt hat, so dass mit einem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nun nicht mehr zu rechnen ist und somit derzeit nicht von einem zu vollziehenden Freiheitsentzug gegenüber dem Kläger auszugehen ist, steht diese spätere Entwicklung der mit dem streitgegenständlichen Bescheid verfügten Passentziehung nicht entgegen, auch wenn dieser Umstand im Rahmen einer Neuerteilung eines Passes anders zu bewerten ist.
Weiter sprach für einen Steuerfluchtwillen des Klägers zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses, dass für seinen Sohn ein Reisepass beantragt worden ist, wobei angegeben wurde, dass die Ehefrau des Klägers mit dem Sohn des Klägers nach Thailand reisen möchte. Entgegen dem ursprünglichen Vortrag der Prozessbevollmächtigten des Klägers erklärte der Kläger später auch selbst, dass er selbst ebenfalls beabsichtigte, nach Thailand zu reisen. Somit war bereits von konkreten Reisevorbereitungen auszugehen. Dass der Kläger weiter erklärte, er beabsichtige, wieder nach Deutschland zurückzukehren, konnte nach den obigen Ausführungen kein Gewicht haben.
Schließlich war auch eine Kausalität zwischen den erheblichen Steuerrückständen und einem zu erwartenden nicht nur vorübergehenden Auslandsaufenthalt anzunehmen. Es war davon auszugehen, dass der Kläger es vorziehen würde, in Thailand, wo er nach dem Vorstehenden mit einer gewissen sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur rechnen konnte, seinen dauerhaften Aufenthalt zu nehmen, anstatt nach Deutschland zurückzukehren, wo er sich den Forderungen des Finanzamtes, seine erheblichen Steuerrückstände zu begleichen oder wenigstens zu reduzieren, ausgesetzt sah und ihn (aus damaliger Sicht) möglicherweise eine längere Haftstrafe erwartete.
Die Entziehung des Passes des Klägers war auch nicht ermessensfehlerhaft, insbesondere nicht unverhältnismäßig. Die Maßnahme war geeignet, den mit § 7 Abs. 1 Nr. 4 PassG bezweckten Rechtsgüterschutz, die Sicherstellung der Erfüllung der steuerlichen Verpflichtungen zum Wohle der Allgemeinheit, zu fördern. Die infolge der durch die Passentziehung herbeigeführten Einschränkungen der Reisefreiheit des Klägers war aus damaliger Sicht geeignet, die Erfüllung seiner Steuerschuld zu fördern und ist dies auch noch heute. Die Maßnahme war insbesondere vor dem Hintergrund der dem Kläger grundsätzlich zustehenden, grundrechtlich verbürgten Ausreisefreiheit auch im Übrigen verhältnismäßig und ist dies auch noch. Maßgeblich ist hierbei zum einen die enorme Höhe der Steuerrückstände, wobei festzuhalten ist, dass hier nicht die Höhe des Steuerschadens, der Gegenstand des Strafverfahrens gewesen ist, zugrunde zu legen ist, sondern, wie das Finanzamt …zutreffend ausgeführt hat, die Höhe der insgesamt nicht entrichteten Steuer. Dem Kläger ist zwar zuzugeben, dass eine Passentziehung grundsätzlich unverhältnismäßig sein kann, wenn unter keinen Umständen zu erwarten ist, dass die Passentziehung dazu beiträgt, den Steuerschuldner zu Zahlungen auf seine Steuerschuld zu bewegen. Zwar bezieht der Kläger Leistungen nach dem SGB II und lebt mit seiner Ehefrau in Bedarfsgemeinschaft, so dass zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses wie auch gegenwärtig Zahlungen nicht wahrscheinlich sind. Die Möglichkeiten des Klägers jedenfalls zu einer Reduzierung seiner Steuerrückstände beizutragen sind jedoch – entgegen der Darstellung des Klägers in der mündlichen Verhandlung – nicht ausgeschöpft. Zum einen kann der Kläger, was er im Übrigen bereits angekündigt, bisher jedoch offenbar nicht umgesetzt hat, wieder eine Erwerbstätigkeit aufnehmen, um so Einkünfte zu erzielen, mit denen er Zahlungen auf die Steuerschuld leisten kann. Einer diesbezüglichen Einigung mit dem Finanzamt bedarf es, entgegen der Darstellung des Klägers nicht, es sei denn er wollte ihm nicht zustehende Vergünstigungen wie Steuernachlässe zur Bedingung der Aufnahme irgendwelcher Bemühungen machen. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass der Kläger offenbar jegliche Erwerbsbemühungen eingestellt hat, seit das Finanzamt gegen ihn vorgegangen ist. Zum anderen hat das Finanzamt … zutreffend darauf hingewiesen, dass es dem Kläger unbenommen ist, eine Verwertung seines Hälfteanteils des Grundstücks in … zu betreiben, um mit dem Erlös einen Teil seiner Steuerschuld abzutragen. Schließlich geht die Kammer, wie bereits ausgeführt, mit der Beklagten und dem Finanzamt … davon aus, dass der Kläger erhebliche Geldsummen ins Ausland geschafft hat. Weiter geht die Kammer auf dieser Grundlage davon aus, dass diese Geldströme, zu deren Aufklärung der Kläger, der auch, worauf das Finanzamt … ebenfalls hingewiesen hat, anderweitig Vermögensbestandteile bewusst verschwiegen hat, nichts beigetragen hat, umkehrbar sind, so dass damit dem Kläger noch erhebliche Möglichkeiten verbleiben, Zahlungen zur Reduzierung seiner Steuerrückstände zu leisten. Dem schützenswerten Interesse des Klägers daran, sich im Inland ordnungsgemäß auszuweisen, ist im Übrigen durch den ihm verbleibenden Personalausweis Rechnung getragen.
Ist die Entziehung des Reisepasses des Klägers nach dem Vorstehenden rechtmäßig, so gilt dies auch für die Anordnung der Rückgabe, der der Kläger bis heute trotz der sofortigen Vollziehbarkeit der Anordnung nicht nachgekommen ist, sowie für die Androhung der Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung der Herausgabepflicht. Zu Recht geht die Beklagte hierbei davon aus, dass sonstige zulässige Zwangsmittel, insbesondere die Androhung eines Zwangsgeldes, keinen zweckentsprechenden Erfolg erwarten lassen oder ungeeignet sind (Art. 34 Satz 1 BayVwZVG).
Soweit sich die Klage auf Ziffer 2. des angefochtenen Bescheids mit dem Ziel bezieht, unter ihrer Aufhebung die Beklagte zur Ausstellung eines neuen Reisepasses zu verpflichten, ist die Klage ebenfalls zulässig, aber ebenfalls nicht begründet, denn der Kläger hat zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf die Ausstellung eines neuen Reisepasses.
Die Beklagte hat unter Ziffer 2. die Ausstellung einer Reisepasses gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 4 PassG zu Recht versagt.
Die Passversagung ist formell rechtmäßig. Insbesondere wurde der hierfür erforderliche Antrag nachgeholt (Art. 45 Abs. 1 Nr. 1 BayVwVfG). Denn ein Pass wird zwar nach § 6 Abs. 1 Satz 1 PassG nur auf Antrag ausgestellt und ein solcher Antrag lag zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses nicht vor. Die anderweitigen Bevollmächtigten des Klägers haben jedoch mit Schreiben vom 29. August 2016 zwischenzeitlich für diesen bei der Beklagten die Ausstellung eines neuen Passes beantragt. Damit liegt zwar eine Verletzung einer Verfahrensvorschrift vor (Art. 22 Satz 2 Nr. 2 BayVwVfG), die jedoch nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 1 BayVwVfG unbeachtlich ist, weil, wie von dieser Norm vorausgesetzt, der Antrag nachträglich gestellt worden ist. Dies war nach Art. 45 Abs. 2 BayVwVfG bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens möglich.
Die Passversagung ist auch materiell rechtmäßig. Denn dem Kläger ist der beantragte Pass nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 PassG zwingend zu versagen, ohne dass der Beklagten hierbei Ermessen zukäme, weil Tatsachen die Annahme begründen, dass sich der Kläger seinen steuerlichen Verpflichtungen entziehen will. Hierzu kann im Wesentlichen auf die obigen Ausführungen zur Passentziehung verwiesen werden. Ergänzend ist nur auszuführen, dass auch zum im Hinblick auf die Passversagung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung sowohl hinreichend Tatsachen vorliegen, die die Annahme eines Steuerfluchtwillens begründen, als auch weiterhin von einer Verhältnismäßigkeit der Maßnahme in dem Sinne, dass kein Verstoß gegen das Übermaßverbot besteht, auszugehen ist.
Die objektiven Steuerrückstände sind inzwischen aufgrund der Rücknahme der finanzgerichtlichen Klagen durch den Kläger nicht nur, wie erforderlich, vollstreckbar und nicht offensichtlich rechtswidrig, sondern bestandskräftig. Maßgebliches Indiz für den subjektiven Steuerfluchtwillen ist die enorme Höhe der hier gegebenen, seit Bescheiderlass weiter angewachsenen Rückstände (vgl. hierzu insbesondere OVG Berlin-Brandenburg, B.v.11.9.2007 – OVG 5 S. 56.07 – juris Rn. 11; OVG Bremen, B.v. 25.1.2013 – 1 B 297/12 – juris Rn. 5; VG Berlin, B.v. 27.8.2014 – 23 L 410.14 – juris Rn. 23). Darüber hinaus bestehen als weitere Indizien, die für den Steuerfluchtwillen sprechen, die Verbindungen des Klägers nach Thailand, wie oben ausgeführt, unverändert fort. Auch bis heute hat der Kläger die Geldtransfers nach Thailand, durch die er sein in Deutschland verfügbares Vermögen, das dem Zugriff der Finanzverwaltung unterläge, in beträchtlichem Umfang vermindert hat (vgl. hierzu OVG Bremen, B.v. 25.1.2013 1 B 297/12 – juris Rn. 6), nicht aufgeklärt. In Deutschland verbliebene Vermögensbestandteile hat der Kläger wiederholt in Vermögensaufstellungen verschwiegen, was ebenfalls darauf hindeutet, dass er nicht bereit ist, dem Fiskus von „seinem Geld“ etwas abzugeben. Dass der Kläger tatsächlich nach Thailand ausreisen will, hat er in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich bestätigt, indem er sich über die ihm nun fehlende Reisemöglichkeit zu den Verwandten seiner Frau beklagte. Zwar leugnete er eine Fluchtgefahr, kokettierte aber zugleich damit, dass der Staat im Falle seiner Flucht aufgrund der dann nicht mehr auszuzahlenden Leistungen nach dem SGB II sparen würde, was darauf schließen lässt, dass der Kläger eine Flucht „durchgerechnet“, jedenfalls in Betracht gezogen hat. Dass dem Kläger wohl ein Widerruf der Aussetzung zur Bewährung der gegen ihn mit Urteil des Landgerichts … vom 6. März 2014 verhängten Freiheitsstrafe von zwei Jahren nicht mehr droht, fällt all dem gegenüber nicht ins Gewicht. Angesichts der enormen Steuerrückstände, der bislang völlig fehlenden Bemühungen des Klägers, der trotz gegenteiliger Ankündigungen eine Erwerbstätigkeit nicht wieder aufgenommen hat und auch bislang den Verbleib der Gelder nicht nachvollziehbar erklärt hat, seine Steuerrückstände auch nur ansatzweise zu reduzieren, und der auch durch die bisher entgegen der sofort vollziehbaren Anordnung nicht erfolgten Rückgabe seines Passes an die Beklagte dokumentierten nicht bestehenden Kooperationsbereitschaft des Klägers steht der Passversagung auch das Übermaßverbot nicht entgegen.
Nach all dem war die Klage vollumfänglich mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.


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