Steuerrecht

Prozesskostenhilfe für Klage gegen Gewerbeuntersagung

Aktenzeichen  22 C 21.2935

Datum:
10.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 990
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GewO § 35 Abs. 1, Abs. 6
VwGO § 166 Abs. 1
ZPO § 114 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Für die Beurteilung der Zuverlässigkeit des Gewerbetreibenden kommt es auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung an. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Erhebliche steuerliche Rückstände machen deutlich, dass der Gewerbetreibende in einer seine gewerbliche Unzuverlässigkeit begründenden Weise wirtschaftlich leistungsunfähig und infolge des Fehlens der erforderlichen Geldmittel zu einer ordnungsgemäßen Betriebsführung und zur Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Zahlungsverpflichtungen nicht in der Lage war. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit erfordert kein Verschulden des Gewerbetreibenden; es kommt nicht darauf an, welche Ursachen zu der Überschuldung und der wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit geführt haben. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 16 K 19.883 2021-11-04 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Kläger seinen in erster Instanz erfolglos gebliebenen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für seine Klage gegen die von der Beklagten mit Bescheid vom 25. Januar 2019 auf der Grundlage von § 35 Abs. 1 Satz 1 und 2 GewO verfügte erweiterte Gewerbeuntersagung weiter.
Den Antrag auf Prozesskostenhilfe für diese Klage hat das Bayerische Verwaltungsgericht München mit Beschluss vom 4. November 2021 – dem Kläger zugestellt am 10. November 2021 – abgelehnt. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, dass die erhobene Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Die Beklagte sei im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zu Recht von der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers ausgegangen. Der Kläger habe Rückstände beim Finanzamt und beim Kassen- und Steueramt der Beklagten gehabt, die sowohl nach ihrem absoluten Betrag wie auch im Verhältnis zur Wirtschaftskraft des Gewerbes erheblich erschienen, ohne dass Ratenzahlungsvereinbarungen bestanden hätten. Aus Eintragungen des Klägers im Schuldnerverzeichnis wegen Ausschlusses der Gläubigerbefriedigung werde nicht nur deutlich, dass der Kläger seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkomme und leistungsunfähig sei, sondern auch, dass er nicht willig oder in der Lage sei, mit seinen Gläubigern eine gütliche Einigung herbeizuführen oder eine Zahlungsvereinbarung abzuschließen, um die Eintragung ins Schuldnerverzeichnis zu verhindern. Des Weiteren sei der Kläger seinen steuerlichen Erklärungspflichten nicht nachgekommen.
Mit Schreiben vom 18. November 2021, beim Verwaltungsgericht eingegangen am 22. November 2021, legte der Kläger Beschwerde ein. Zur Begründung führte er aus, die Versagung von Prozesskostenhilfe sei nicht haltbar. Jeder Migrant, der nach Deutschland komme oder gekommen sei, bekomme Rechtsbeistand unabhängig von den Erfolgsaussichten. Zudem habe er, der Kläger, die Situation nicht verschuldet.
Die Beklagte ist der Beschwerde entgegengetreten.
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig (§ 146 Abs. 1, § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO), aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt, weil die gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussichten der Klage nicht vorliegen.
1. Für die Beurteilung der Frage, ob der Kläger i.S.d. § 35 Abs. 1 GewO zuverlässig ist, kommt es auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung an, hier also auf den Zeitpunkt des Bescheiderlasses (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6.14 – BVerwGE 152, 39 – juris Rn. 15; U.v. 2.2.1982 – 1 C 17.79 – BVerwGE 65, 9 – juris Rn. 25; BayVGH, B.v. 22.10.2021 – 22 ZB 21.1938 – juris Rn. 18). Gegenüber dem Zeitpunkt des Bescheiderlasses veränderte Umstände können nur im Rahmen eines Wiedergestattungsverfahrens (§ 35 Abs. 6 GewO) von Relevanz sein.
Bei Bescheiderlass hatte der Kläger erhebliche steuerliche Rückstände sowohl beim Finanzamt als auch beim Kassen- und Steueramt der Beklagten (insgesamt über 44.000 Euro), leistete dementsprechend schon länger keine (nennenswerten) freiwilligen Zahlungen auf diese öffentlich-rechtlichen Forderungen, erfüllte sonstige steuerliche (Erklärungs- bzw. Vorauszahlungs-) Pflichten nicht und war zwei Mal wegen ausgeschlossener Gläubigerbefriedigung im Schuldnerverzeichnis (vgl. § 882b, § 882c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) eingetragen. Hieraus wird deutlich, dass der Kläger in einer seine gewerberechtliche Unzuverlässigkeit begründenden Weise wirtschaftlich leistungsunfähig und infolge des Fehlens der erforderlichen Geldmittel zu einer ordnungsgemäßen Betriebsführung im Allgemeinen und zur Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Zahlungsverpflichtungen im Besonderen nicht in der Lage war (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6.14 – BVerwGE 152, 39 – juris Rn. 14; U.v. 2.2.1982 – 1 C 146.80 – BVerwGE 65, 1 – juris Rn. 13). Der Vortrag des Klägers in seinem Klageschreiben vom 23. Februar 2019, er habe seine „Pflichten arg vernachlässigt“, was darauf beruhe, dass es ihm „wirtschaftlich sehr schlecht“ gegangen sei, bestätigt dies.
Das Beschwerdevorbringen des Klägers, er sei unverschuldet in diese Situation gekommen, vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern. Die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit erfordert kein Verschulden des Gewerbetreibenden; es kommt nicht darauf an, welche Ursachen zu der Überschuldung und der wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit geführt haben (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 146.80 – BVerwGE 65, 1 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 23.11.2021 – 22 ZB 21.2508 – juris Rn. 15). Dass der Kläger trotz seiner Schulden nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept arbeitete (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6.14 – BVerwGE 152, 39 – juris Rn. 14), war im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses nicht anzunehmen. Vielmehr hat der Kläger in seinem Klageschreiben vom 23. Februar 2019 die Erstellung eines solchen Konzepts – ohnehin in sehr allgemeiner Form – erst angekündigt.
2. Auch sonst ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Klage gegen die erweiterte Gewerbeuntersagung sowie die Einstellungsverfügung und die Androhung unmittelbaren Zwangs hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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