Steuerrecht

Selbstanzeige eines Mitglieds des BayVerfGH

Aktenzeichen  Vf. 32-IX-20

Datum:
16.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 12930
Gerichtsart:
VerfGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verfassungsgerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 24, § 30
VfGHG Art. 9

 

Leitsatz

1. Dass ein Verfassungsrichter ein Volksbegehren, über dessen Zulassung der BayVerfGH zu entscheiden hat, durch seine Unterschrift unterstützt hat, genügt für die Besorgnis der Befangenheit ebenso wenig wie der Umstand, dass der Verfassungsrichter einer Gruppierung angehört, die als Initiatorin oder Unterstützerin des Volksbegehrens auftritt. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aus den besonderen Umständen kann sich Anlass zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit des Richters ergeben, wenn er sich öffentlich besonders für das Volksbegehren engagiert. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Die Selbstanzeige des Mitglieds des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs Sch. wird für nicht begründet erklärt.

Gründe

I.
1. Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung eines Volksbegehrens zur Begrenzung der Miethöhe in 162 Gemeinden mit angespanntem Wohnungsmarkt in Bayern gegeben sind.
Beim Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration wurde am 6. März 2020 der Antrag gestellt, ein Volksbegehren unter dem Titel „6 Jahre Mietenstopp“ zuzulassen. Das Staatsministerium hat am 17. April 2020 gemäß Art. 64 Abs. 1 Satz 1 LWG die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs beantragt, weil es die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung des Volksbegehrens nicht für gegeben erachtet, insbesondere weil der Landesgesetzgeber für die im Volksbegehrensentwurf vorgesehenen Regelungen zur Begrenzung der Miethöhe keine Gesetzgebungsbefugnis habe.
2. Nach der Geschäftsverteilung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs gehört der Richter des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs Sch. als nichtberufsrichterliches Mitglied des Verfassungsgerichtshofs der für die Entscheidung zuständigen Spruchgruppe VI an.
Der Richter hat dem Verfassungsgerichtshof mit Schreiben vom 13. Mai 2020 die folgende Erklärung übermittelt:
„[…] Ich zeige […] an, dass ich seit November 2018 dem sog. Landesverbandsbeirat des Deutschen Mieterbundes (DMB), Landesverband Bayern e. V. angehöre und auf einer Liste zur Sammlung von Unterschriften für den Antrag auf Zulassung des Volksbegehrens unterschrieben habe. Der Landesverbandsbeirat ist nach der Satzung des Landesverbands für die ‚Bestimmung der mieterpolitischen und organisatorischen Aufgaben des Landesverbandes …‘ zuständig. […]“
Der Deutsche Mieterbund (DMB), Landesverband Bayern e. V., ist Mitinitiator/Unterstützer des Volksbegehrens.
3. Dem Bevollmächtigten des Beauftragten des Volksbegehrens und dem Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration ist die Erklärung übersandt und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
II.
1. Gemäß Art. 9 VfGHG sind auf die Ausschließung und die Ablehnung eines Mitglieds des Verfassungsgerichtshofs die Vorschriften der §§ 22 bis 30 StPO entsprechend anzuwenden. Über die Selbstanzeige des Verfassungsrichters Sch. nach Art. 9 VfGHG i. V. m. § 30 StPO hat der Verfassungsgerichtshof – ohne Mitwirkung des anzeigenden Richters (§ 27 Abs. 1 StPO) – in der Besetzung zu entscheiden, die auch über die Vorlage in der Hauptsache zu entscheiden hat.
2. Die in der Selbstanzeige mitgeteilten Umstände sind nicht geeignet, einen Ausschluss von der Mitwirkung kraft Gesetzes zu begründen (Art. 9 VfGHG i. V. m. §§ 22, 23 StPO). Insbesondere sind die Umstände nicht vergleichbar mit der Situation, in der ein Richter bei einer durch ein Rechtsmittel angefochtenen Entscheidung selbst mitgewirkt hat und nun dem Spruchkörper angehört, der in einem höheren Rechtszug zur Entscheidung berufen ist (§ 23 Abs. 1 StPO).
3. Der vom Verfassungsrichter Sch. in seiner Erklärung vom 13. Mai 2020 mitgeteilte Sachverhalt begründet auch nicht die Besorgnis der Befangenheit gemäß Art. 9 VfGHG i. V. m. §§ 30, 24 Abs. 2 StPO.
Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit findet gemäß § 24 Abs. 2 StPO statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Nach § 30 StPO hat der Verfassungsgerichtshof auch ohne ein Ablehnungsgesuch Beteiligter über die Mitwirkung eines Richters zu entscheiden, wenn dieser einen Sachverhalt anzeigt, der seine Ablehnung rechtfertigen könnte. Entscheidend ist, ob nach Auffassung des Gerichts bei vernünftiger Würdigung aller Umstände für einen am Verfahren Beteiligten Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit und an der objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln; ob der Richter tatsächlich befangen ist, spielt keine Rolle (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 7.7.1997 VerfGHE 50, 147/149; vom 29.2.2008 VerfGHE 61, 44/46; vom 8.11.2019 – Vf. 50-VI-18 – juris Rn. 13).
Im vorliegenden Verfahren über die Vorlage des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration betreffend den Antrag auf Zulassung des Volksbegehrens „6 Jahre Mietenstopp“ geht es im Wesentlichen um die Frage, ob der dem Volksbegehren zugrunde liegende Gesetzentwurf mit der Bayerischen Verfassung im Einklang steht. Die Situation ist daher in Bezug auf die Frage einer etwaigen Befangenheit eines Verfassungsrichters, der in irgendeiner Form an dem Volksbegehren mitgewirkt oder dieses unterstützt hat, vergleichbar damit, dass ein Verfassungsrichter im Rahmen einer Popularklage zur Entscheidung über eine Norm berufen ist, an deren Erlass er im Gesetzgebungsverfahren beteiligt war.
Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs begründet nicht jede frühere Beteiligung eines Verfassungsrichters an einem Gesetzgebungsverfahren die Besorgnis der Befangenheit in einem späteren Popularklageverfahren, welches die Verfassungsmäßigkeit einer der erlassenen Normen betrifft. Allerdings kann sich aus den besonderen Umständen Anlass zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit des Richters ergeben. So hat der Verfassungsgerichtshof beispielsweise darauf hingewiesen, dass wissenschaftliche Äußerungen zu einer für das Verfahren bedeutsamen Rechtsfrage zwar für sich genommen keinen Befangenheitsgrund darstellten; Anlass zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit eines Richters könnten jedoch z. B. dann bestehen, wenn die wissenschaftliche Tätigkeit die Unterstützung eines Verfahrensbeteiligten bezweckte (VerfGHE 61, 44/46; VerfGH vom 13.8.2018 – Vf. 2-VII-17 – juris Rn. 14). Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof in einem Fall die Besorgnis der Befangenheit einer Verfassungsrichterin in einem Popularklageverfahren bejaht, in dem diese als zuständige Referatsleiterin im Bayerischen Staatsministerium der Justiz sowohl selbst (gemeinsam mit einem weiteren Referatsleiter) den Entwurf des im Verfahren teilweise angegriffenen Gesetzes verfasst als auch unter anderem die Beratungen des Entwurfs im Rechtsausschuss des Bayerischen Landtags begleitet hatte (VerfGH vom 13.8.2018 – Vf. 2-VII-17 – juris Rn. 14).
Im vorliegenden Fall ist jedoch eine solche Besorgnis der Befangenheit nicht gegeben. Dass ein Verfassungsrichter ein Volksbegehren, über dessen Zulassung der Verfassungsgerichtshof zu entscheiden hat, durch seine Unterschrift unterstützt hat, genügt hierfür ebenso wenig wie der Umstand, dass der Verfassungsrichter einer Gruppierung angehört, die als Initiatorin oder Unterstützerin des Volksbegehrens auftritt. Ebenso wie die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei grundsätzlich kein Grund ist, von einer Befangenheit eines Verfassungsrichters auszugehen (VerfGH vom 7.7.1997 VerfGHE 50, 147/149; vom 17.7.2000 – Vf. 3-VII-99 – juris Rn. 6), gilt dies für das Innehaben eines Amtes in einer Organisation, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die Anlass geben, eine Besorgnis der Befangenheit anzunehmen (VerfGHE 50, 147/149). Auch daraus, dass ein Verfassungsrichter in anderer Funktion eine nun zu überprüfende Rechtsnorm angewendet oder für wirksam angesehen hat, kann für sich genommen kein Ausschließungsgrund abgeleitet werden (VerfGH vom 20.4.2009 – Vf. 8-VII-05 – juris Rn. 11). Dementsprechend genügt die Zugehörigkeit zum Beirat des Deutschen Mieterbundes (DMB), Landesverband Bayern e. V., im vorliegenden Fall nicht, um die Besorgnis der Befangenheit zu begründen.
Zwar könnte eine andere Bewertung geboten sein, wenn sich der Verfassungsrichter öffentlich besonders für das Volksbegehren engagiert, das Anliegen demonstrativ unterstützt und sich dadurch in einer besonderen Weise festgelegt hätte (VerfGHE 50, 147/150), wenn er z. B. in einer öffentlichen Versammlung den Anwesenden ausdrücklich empfohlen hätte, den Antrag auf Zulassung des Volksbegehrens zu unterzeichnen, und demnach exponiert für das Volksbegehren und dessen Ziele eingetreten wäre (VerfGH vom 16.7.1987 – Vf. 55-IX-87 – amtl. Umdruck S. 4); ebenso, wenn er wissenschaftliche Äußerungen zu einer für das Verfahren bedeutsamen Rechtsfrage getätigt hätte und diese in Zusammenhang mit dem nun anhängigen oder seinerzeit bevorstehenden verfassungsgerichtlichen Verfahren erfolgt wären (VerfGHE 61, 44/46). All dies ist jedoch im vorliegenden Fall weder vorgetragen noch ersichtlich.


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