Steuerrecht

Verfristete Klage gegen Ablehnung des Asylantrags

Aktenzeichen  RO 11 K 19.50499

Datum:
8.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 17629
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 34a Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 74 Abs. 1
VwGO § 60 Abs. 1, Abs. 2, § 84 Abs. 1

 

Leitsatz

1.  Einem Asylbewerber ist es zumutbar, dass er sich bei Eingang eines erkennbar amtlichen Schreibens umgehend und intensiv darum bemüht, dessen Inhalt zu erkunden, dass er sich insbesondere mit allem ihm zumutbaren Nachdruck um eine rasche Aufklärung des Inhalts dieses Schreibens bemüht; ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG ist hierin nicht zu erblicken (Rn. 23). (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch Ausländer, welche nicht lesen und schreiben können, müssen alles ihnen zumutbare unternehmen, um sich vom Inhalt eines erkennbar amtlichen Schreibens Kenntnis zu verschaffen (Rn. 24). (redaktioneller Leitsatz)
3. Allein die Inhaftierung des Klägers zum Zeitpunkt der Zustellung des streitgegenständlichen Bescheids reicht nicht aus, um fehlendes Verschulden hinsichtlich der Wahrung der Klagefrist zu begründen (Rn. 26). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Gerichtsbescheid ist in Ziffer II. vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage kann gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden werden, weil die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten aufweist und der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist. Der Kläger wurde zuvor gehört, § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Die Beklagte hat mit der „Generalerklärung“ vom 27. Juni 2017 (Az. 234 – 7604/1.17) ihren Verzicht auf Anhörung vor Erlass eines Gerichtsbescheids erklärt.
Die nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO erhobene Anfechtungsklage ist bereits unzulässig, da vorliegend die gesetzliche Klagefrist nicht eingehalten wurde (I.). Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand war dem Kläger vorliegend nicht zu gewähren (II.).
I.
Gemäß § 74 Abs. 1 Hs. 2 AsylG muss die Klage gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz innerhalb einer Woche erhoben werden, wenn der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO innerhalb einer Woche zu stellen ist (§ 34a Abs. 2 Satz 1 und 3, § 36 Abs. 3 Satz 1 und 10).
Da es sich vorliegend bei Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids um eine Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG handelt, ist ein hiergegen gerichteter Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen, § 34 Abs. 2 Satz 1 AsylG. Demnach ist auch eine Klage gegen den Bescheid vom 3.4.2019 innerhalb einer Woche nach dessen Zustellung zu erheben, § 74 Abs. 1 Hs. 2 AsylG.
Diese Klagefrist wurde vorliegend nicht eingehalten.
Der Bescheid vom 3.4.2019 wurde ausweislich der sich im Behördenakt befindlichen Postzustellungsurkunde dem Kläger am 12.4.2019 zugestellt. Die Klagefrist begann daher am 13.4.2019 zu laufen und endete mit Ablauf des 19.4.2019, § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alt. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Mängel der Rechtsbehelfsbelehrung sind nicht ersichtlich, weshalb vorliegend auch nicht die Jahresfrist des § 58 Abs. 1, 2 Satz 2 VwGO Anwendung findet.
Die Klage ging jedoch erst am 13.5.2019 bei Gericht ein und ist daher verfristet.
II.
Eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gemäß § 60 VwGO war vorliegend entgegen der Ansicht der Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht zu gewähren.
Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist jemandem Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen, § 60 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 VwGO. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen, § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO i.V.m. § 294 Abs. 1 ZPO.
Der Kläger hat vorliegend nicht ausreichend glaubhaft gemacht, dass er ohne Verschulden an der Einhaltung der Klagefrist verhindert war.
Diese trägt insoweit vor, der Bescheid sei einem Justizvollzugsbeamten übergeben worden, der dem Kläger auf Nachfrage nur mitgeteilt habe, dass es sich dabei um Papiere bezüglich „migration“ handle. Dem Kläger sei nicht erklärt worden, dass es sich um eine Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge handelt, welche er innerhalb einer gewissen Frist mit einem Rechtsbehelf angreifen könne. Auch die dem Bescheid angefügte Rechtsbehelfsbelehrung habe den Kläger nicht in Kenntnis über den Lauf einer Klagefrist gesetzt, da dieser weder lesen noch schreiben könne. Nachdem der Kläger am 9.5.2019 aus der JVA Regensburg entlassen worden sei, habe er den streitgegenständlichen Bescheid am 13.5.2019 zu einer Mitarbeiterin der Caritas gebracht, welche ihm den Inhalt des Bescheids erklärt und ihm geraten habe, Klage zu erheben. Der Kläger sei tatsächlich daran gehindert gewesen, die gesetzliche Klagefrist einzuhalten, da er aufgrund des Fehlens eines für ihn verständlichen Hinweises schlicht nichts von einer laufenden Frist gewusst habe. Diese Verhinderung sei dabei auch ohne eigenes Verschulden des Klägers erfolgt. Zu betonen sei weiterhin, dass der Kläger auch nicht erkannt habe, dass es sich um ein Schriftstück mit ihn belastenden Inhalt handelte.
Für das Verschulden ist darauf abzustellen, ob der Kläger diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die für gewissenhafte, ihre Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmende Prozessführende geboten und nach den Gesamtumständen des Falles zuzumuten ist (vgl. BayVGH, B.v. 27.10.2014 Az. 10 C 14.1784 – juris; Kopp/Schenke, VwGO 24. Auflage 2018, § 60 Rn. 9 m.w.N.). Zwar fordern Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und Art. 19 Abs. 4 GG, dass die mangelhafte Kenntnis der deutschen Sprache bei einem Ausländer nicht zur Verkürzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vor Gericht führen darf. Unzureichende Sprachkenntnisse entheben einen Ausländer jedoch von nicht der Sorgfaltspflicht in der Wahrnehmung seiner Rechte. Wird wie hier einem Ausländer ein ihm unverständlicher Bescheid zugestellt, kann er aber seine Bedeutung so weit erfassen, dass es sich um ein amtliches Schriftstück handeln könnte, so können von ihm im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht zumutbare Anstrengungen verlangt werden, sich innerhalb angemessener Frist Gewissheit über den genauen Inhalt des Schriftstücks zu verschaffen. Bei einem Asylbewerber kommt hinzu, dass sein gesamter Aufenthalt auf den Asylbescheid hin orientiert ist. Deshalb ist es ihm zumutbar, dass er sich bei Eingang eines erkennbar amtlichen Schreibens umgehend und intensiv darum bemüht, dessen Inhalt zu erkunden, dass er sich insbesondere mit allem ihm zumutbaren Nachdruck um eine rasche Aufklärung des Inhalts dieses Schreibens bemüht; ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG ist hierin nicht zu erblicken. Anders als im Regelfall, in dem ein amtliches Schreiben den der deutschen Sprache unkundigen Adressaten im anderweitig bestimmten Lebensalltag erreicht, muss ein Asylbewerber vielmehr damit rechnen, dass dieses gerade sein Verfahren betrifft und von großer Dringlichkeit ist. Er darf deshalb nicht zunächst einige Tage untätig bleiben; vielmehr obliegt ihm, sich unverzüglich und mit allem ihm zumutbaren Nachdruck um eine rasche Aufklärung über den Inhalt eines ihm nicht verständlichen Schreibens zu bemühen Nur wenn unverzügliche und nachdrückliche Bemühungen in kürzester Zeit nicht dazu führen, dass sich der Asylbewerber über den Inhalt des Bescheides Klarheit verschaffen kann, ist ihm ein Verschulden nicht vorzuwerfen. Macht ein Asylbewerber fristgemäß und substantiiert glaubhaft geltend, dass er sich umgehend nach Erhalt des Schreibens mit allem ihm zumutbaren Nachdruck um eine rasche Aufklärung dessen Inhalts bemüht hat, dies aber dennoch nicht so rechtzeitig möglich war, dass er die Frist einhalten konnte, ist ihm Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren (vgl. hierzu: BayVGH, B.v. 16.8.2011 Az. 13a ZB 10.30412 – juris; BVerwG, B.v. 17.12.1993 Az. 1 B 177/93 – juris; BVerfG, B.v. 2.6.1992 Az. 2 BvR 1401/91, 2 BvR 254/92 – juris).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Der Kläger hat nicht vorgetragen, dass er sich umgehend und intensiv um eine Übersetzung des Schreibens gekümmert hat und so den ihn obliegenden Sorgfaltspflichten, zum „Wegfall des Hindernisses“ beizutragen, nachgekommen ist. Dem Kläger wurde der streitgegenständliche Bescheid am 12.4.2019 in der JVA Regensburg zugestellt. Ein Justizvollzugsbeamter habe dem Kläger auf Nachfrage bei der Übergabe des Bescheids mitgeteilt, dass es sich um Papiere bezüglich „migration“ handelt. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger unverzüglich und intensiv weitergehende Bemühungen unternommen hat, um den Inhalt des Schreibens und nicht lediglich dessen Anlass in Erfahrung zu bringen. Solche Bemühungen hat der Kläger nach dessen Vorbringen erst am 13.5.2019 und somit nach Ablauf der Frist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG unternommen, als er den Bescheid einer Mitarbeiterin der Caritas gezeigt hat, welche diesen letztlich für den Kläger übersetzte. Es ist nicht ersichtlich und nicht nachvollziehbar, weshalb der Kläger solche Bemühungen nicht auch in der JVA Regensburg angestrengt hat. Dass er sich unverzüglich nach Erhalt des Bescheids mit Nachdruck um eine Übersetzung bemüht hat, hat der Kläger in keiner Weise substantiiert dargelegt. Dies muss sich der Kläger daher vorliegend entgegen halten lassen. Er kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ihm nicht von Seiten Dritter – ohne entsprechende Nachfrage – mitgeteilt worden ist, dass es sich um einen Bescheid handelt, welchen er innerhalb einer entsprechenden Frist angreifen muss bzw. kann. Anhaltspunkte dafür, dass ihm eine entsprechende Hilfe auf Nachfrage verweigert wurde sind für das Gericht nicht ersichtlich und wurden auch nicht vorgebracht. Insoweit ist es auch unbehelflich, dass es sich bei dem Kläger um einen Analphabeten handelt. Für diesen sind die obigen Erwägungen ebenso anwendbar; auch Ausländer, welche nicht lesen und schreiben können, müssen alles ihnen zumutbare unternehmen, um sich vom Inhalt eines erkennbar amtlichen Schreibens Kenntnis zu verschaffen.
Dem Kläger hätte auch klar sein müssen, dass es sich insoweit um ein amtliches Schreiben betreffend sein Asylverfahren handelt. Zumindest hätte er die Bedeutung des Schreibens soweit erfassen können, dass es sich um ein amtliches Schreiben handeln könnte, das eine ihn belastende Entscheidung enthält. Allein die Aussage des das Schriftstück übergebenden Justizvollzugsbeamten, nach welchem dieses „migration“ betrifft, hätte den Kläger in diese Lage versetzen müssen. Er muss sich zudem nach den obigen Erwägungen entgegenhalten lassen, dass er in seiner Situation jederzeit mit Erhalt eines amtlichen Schreibens, insbesondere seines Asylbescheids rechnen musste; der gesamte Aufenthalt eines Asylbewerbers ist auf Erhalt des Asylbescheids hin orientiert.
Allein die Inhaftierung des Klägers zum Zeitpunkt der Zustellung des streitgegenständlichen Bescheids reicht ebenfalls nicht aus, um fehlendes Verschulden hinsichtlich der Wahrung der Klagefrist zu begründen. Die Inhaftierung hindert als solche nicht, bei Gericht – z.B. über den Postweg – Klage zu erheben (vgl. BayVGH, B.v. 27.1.2014 Az. 12 C 13.2685 – juris).
Nach alldem war die Klage mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).


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