Steuerrecht

Versagungsbescheid wegen mangelnder Mitwirkung

Aktenzeichen  S 46 AS 899/17

Datum:
12.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB I SGB I § 66
SGG SGG § 96, § 99

 

Leitsatz

1 Werden leistungserhebliche Unterlagen und Auskünfte angefordert, die der Leistungsträger sich nicht selbst beschaffen kann, so handelt es sich um eine Mitwirkungspflicht des Klägers. Legt dieser das Verlangte nicht innerhalb einer angemessenen Frist vor, kann die Leistung allein deshalb versagt werden. (Rn. 21 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
2 Insbesondere wenn der Kläger als selbständiger Künstler hohe Betriebsausgaben hat, deren Finanzierung er nicht erklären kann, kann der Beklagte davon ausgehen, dass Einkommen oder Vermögen verheimlicht wurden. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3 Einem Versagungsbescheid nachfolgende Bewilligungsbescheide aufgrund dann vorgelegter Unterlagen werden nicht Gegenstand des ersten Rechtsstreits. Weder ändern Bewilligungsbescheide einen Versagungsbescheid noch ersetzen sie diesen. Es handelt sich um einen anderen Streitstoff bzw. veränderte Tatsachen. (Rn. 25 – 26) (redaktioneller Leitsatz)
4 Eine zulässige Klageänderung liegt ebenfalls nicht vor, wenn der Kläger nach Erlass der Bewilligungsbescheide höhere Leistungen begehrt. (Rn. 29 – 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage gegen den Versagungsbescheid vom 21. Februar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. April 2017 wird abgewiesen. Die Klage gegen die beiden Bescheide vom 20. Juni 2017 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die Klage gegen den Versagungsbescheid ist zulässig aber unbegründet, weil der Versagungsbescheid den Vorgaben des Gesetzes entspricht. Die Klage gegen die beiden Bewilligungsbescheide ist abzuweisen, weil diese weder nach § 96 SGG noch nach § 99 SGG zulässiger Gegenstand dieser Klage wurden.
1. Versagungsbescheid
Die Klage gegen den Versagungsbescheid vom 21.02.2017 ist als reine Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGG statthaft. Eine Klage auf Leistung, sprich Zahlung von Arbeitslosengeld II, ist dagegen grundsätzlich nicht zulässig (Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 12. Auflage 2017, § 54 Rn. 38b).
Das BSG hat ausnahmsweise auch eine Leistungsklage gegen einen Versagungsbescheid für möglich erachtet (BSG, Urteil vom 01.07.2009, B 4 AS 78/08 R und BSG, Beschluss vom 25.02.2013, B 14 AS 133/12 B), wenn nach Aufhebung des Versagungsbescheids eine erneute Versagung so gut wie sicher wäre oder die Leistungsvoraussetzungen auf andere Weise geklärt sind. Diese Ausnahmefälle sieht das erkennende Gericht als problematisch an, weil klare prozessrechtliche Strukturen durch kaum fassbare prozessökonomische Betrachtungen aufgeweicht werden. Das kann aber dahinstehen, weil diese Ausnahmefälle hier nicht vorliegen. Der Versagungsbescheid ist hier nicht aufzuheben und die Leistungsvoraussetzungen sind nicht geklärt. Nach wie vor ist unklar, wie der Kläger seine Verluste gegenfinanziert und es konnte nur eine vorläufige Bewilligung erfolgen.
Der Versagungsbescheid hat sich durch die nachfolgenden Bewilligungsbescheide nicht nach § 39 Abs. 2 SGB Xerledigt und die Anfechtungsklage musste nicht auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG umgestellt werden.
Die Bewilligungsbescheide vom 20.06.2017 enthalten für den Versagungsbescheid keine Aufhebungsverfügung, etwa nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X. Sie enthalten auch keine Äußerung dazu, ob es sich dabei um eine Bewilligung nach nachgeholter Mitwirkung gemäß § 67 SGB Ihandelt. Eine derartige Entscheidung setzt voraus, dass die vorherige Versagung bestehen bleibt, weil die Mitwirkung erst nach der Versagung erbbracht wurde und die nachfolgende Bewilligung trotz Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen nur in Form einer Ermessensentscheidung erfolgt. Weil das Ermessen nach § 67 SGB Ibei existenzsichernden Leistungen regelmäßig eng begrenzt ist, tritt dieser Unterschied in der Praxis in den Hintergrund und das erklärt, weshalb die Bewilligungsbescheide keine Ausführungen zum Ermessen enthalten. Nach dem gesamten Ablauf, insbesondere den Mitwirkungshandlungen nach Abschluss des Widerspruchverfahrens zum Versagungsbescheid und der anschließenden Bewilligung geht das Gericht davon aus, dass die Bewilligungsbescheide Leistungsbescheide nach § 67 SGB Isind und der Versagungsbescheid sich auch nicht auf andere Weise erledigt hat. Da der Kläger die Klage gegen den Versagungsbescheid trotz Hinweis des Gerichts nicht für erledigt erklärt hat, ist dieser Bescheid vom Gericht zu überprüfen.
Die Klage gegen den Versagungsbescheid ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Die Klage ist jedoch unbegründet, weil der Bescheid dem Gesetz entspricht und der Kläger dadurch nicht in seinen Rechten verletzt ist.
Nach § 66 Abs. 1 S. 1 SGB Ikann der Leistungsträger eine Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, wenn ein Antragsteller oder Leistungsbezieher seinen Mitwirkungspflichten nach §§ 60 bis 62, 65 SGB Inicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird. Nach § 66 Abs. 3 SGB Imuss der Betroffene auf diese Folge zuvor schriftlich hingewiesen worden sein und eine angemessene Frist zur Mitwirkung gesetzt worden sein.
Der Kläger wurde mit Schreiben vom 08.02.2017 mit Frist bis zum 20.02.2017 aufgefordert, die Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2015, drei Anlagen EKS für drei benannte Halbjahre (einschließlich des bevorstehenden) vorzulegen und eine schriftliche Stellungnahme, wie er die bisherigen betrieblichen Verluste kompensiert habe. Zugleich wurde dem Kläger eine Versagung der beantragten Leistungen in Aussicht gestellt, falls er diesen Mitwirkungspflichten nicht fristgerecht nachkomme. Bei den angeforderten Unterlagen und Auskünften handelt es sich um Mitwirkungspflichten nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 SGB I. Der Kläger sollte leistungserhebliche Tatsachen angeben und Beweisurkunden vorlegen. Der Beklagte durfte wegen § 60 Abs. 2 SGB Iverlangen, dass der Kläger das Formblatt EKS verwendet. Diese Mitwirkungspflichten waren nicht gemäß § 65 SGB I Abs. 1 und 3 SGB Ibeschränkt, sie waren insbesondere dem Kläger zumutbar und der Beklagte konnte diese Informationen nicht auf anderem Weg beschaffen. Entgegen der Behauptung des Klägers lag ihm die Betriebskostenabrechnung für 2015 seit Juni 2016 vor.
Der Kläger ist diesen Anforderungen nicht innerhalb der Frist nachgekommen. Die Frist war auch ausreichend bemessen, wenn man berücksichtigt, dass der Antragsteller bereits mit Schreiben vom 25.01.2017 aufgefordert worden war, die EKS und den Betriebskostenabrechnung für 2015 vorzulegen.
Weil der Kläger seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht fristgerecht nachgekommen ist, war der Beklagte berechtigt, die Leistung zu versagen, weil die Leistungsvoraussetzungen nicht nachgewiesen wurden. Ohne eine nachvollziehbare Erklärung, wie der Kläger die seit Jahren hohen Betriebsausgaben finanziert hatte bzw. diese im kommenden halben Jahr finanzieren werde, konnte die Hilfebedürftigkeit nicht festgestellt werden. Der Beklagte konnte davon ausgehen, dass der Kläger Einkommen oder Vermögen verheimlichte. Der Beklagte hat auch ein ausreichendes Ermessen ausgeübt. Er hat insbesondere abgewogen, ob im vorliegenden Fall eine teilweise Versagung und teilweise Bewilligung in Betracht kommt. Er hat dies ohne Ermessensfehler verneint, weil die Unklarheiten den gesamten Leistungsanspruch betreffen. Der Beklagte hat ferner berücksichtigt, dass sowohl im Bereich der Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit als auch im Bereich der Kosten der Unterkunft (Betriebskostenabrechnung, Erhöhung der Miete auf Wunsch des Klägers) erhebliche Unklarheiten bestanden. Der strittige Bescheid ist deshalb nicht zu beanstanden. Die Klage ist unbegründet.
2. Nachfolgende Bewilligungsbescheide
a) Entgegen der Annahme des Beklagten wurden die nachfolgenden Bewilligungsbescheide nach § 67 SGB Inicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens gegen den Versagungsbescheid. Die Bewilligungsbescheide haben den Versagungsbescheid weder abgeändert noch ersetzt.
Auf den ersten Blick erscheint die nachfolgende Bewilligung als Ersetzung der Leistungsablehnung wegen mangelnder Mitwirkung. Ein Vergleich der beiden Verfügungsätze zeigt aber, dass es sich um einen anderen Streitstoff bzw. um veränderte Tatsachen handelt. Dann liegt keine Abänderung oder Ersetzung des vorherigen Verwaltungsaktes vor (Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 12. Auflage 2017, § 96 Rn. 4a).
Der Versagungsbescheid trifft keine Aussage zu einzelnen Leistungsvoraussetzungen, sondern zur fehlenden Mitwirkung des Antragstellers im Verwaltungsverfahren. Beim Versagungsbescheid sind im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren lediglich Mitwirkungshandlungen zu berücksichtigen, die bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens erfolgen. Mitwirkungshandlungen die danach erfolgen, sind für einen Versagungsbescheid nicht mehr entscheidungserheblich (z.B. Bay LSG, Beschluss vom 28.07.2015, L 16 AS 118/15, Juris-Rn. 28). Derartige spätere Mitwirkungshandlungen können, wenn dann die Leistungsvoraussetzungen vorliegen, zu einem Bewilligungsbescheid nach § 67 SGB Iführen. Das sind dann aber eine andere Tatsachenbasis und ein anderer Streitstoff.
Ein Bewilligungsbescheid nach § 67 SGB Iwird daher nicht nach § 96 SGG Gegenstand einer Klage gegen einen Versagungsbescheid nach § 66 SGB I (ebenso LSG NRW, Beschluss vom 06.08.2008, L 19 B 94/08 AS, dort Juris-Rn. 16).
b) Die Bewilligungsbescheide wurden auch nicht nach § 99 SGG zulässiger Klagegegenstand.
Der Kläger hat nach Erlass der beiden Bewilligungsbescheide vom 20.06.2017 durch seinen Antrag auf höhere Leistungen eine Klageänderung erklärt. Diese Klageänderung war aber nicht zulässig.
Ein Fall der gesetzlich zulässigen Klageänderungen nach § 99 Abs. 3 SGG liegt nicht vor, insbesondere kann ein unzulässiges Leistungsbegehren in der Klage gegen den Versagungsbescheid nicht Ausgangspunkt einer Änderung des Klageantrags nach § 99 Abs. 3 Nr. 2 und 3 SGG sein.
Der Beklagte hat auch nicht in die Klageänderung eingewilligt nach § 99 Abs. 2 SGG. Der Hinweis auf § 96 SGG in den Bewilligungsbescheiden war keine Prozesshandlung, weil dieser Hinweis nicht an das Gericht gerichtet war. Außerdem hatte der Kläger zu diesem Zeitpunkt seine Klageänderung noch nicht erklärt. Der Beklagte widersprach der Klageänderung mit Schreiben vom 31.08.2017, ohne sich vorher auf die geänderte Klage eingelassen zu haben.
Die Klageänderung ist auch nicht sachdienlich nach § 99 Abs. 1 Alt. 2 SGG. Es fehlt die Durchführung eines Widerspruchverfahrens, so dass die Klage ohnehin unzulässig wäre. Der Kläger wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass seine Widerspruchsfrist gemäß § 66 Abs. 2 SGG ein Jahr ab Bekanntgabe der Bewilligungsbescheide beträgt, weil der Hinweis auf § 96 SGG eine unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung:war.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.


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