Steuerrecht

Vorläufiger Rechtsschutz gegen Rundfunkbeitragsbescheid für eine Wohnung

Aktenzeichen  M 6 S 16.3617

Datum:
5.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5, Abs. 6

 

Leitsatz

§ 80 Abs. 6 S. 1 VwGO regelt eine Zugangsvoraussetzung zur Entlastung der Verwaltungsgerichte, die nicht nachholbar ist und deshalb bereits bei Rechtshängigkeit des gerichtlichen Aussetzungsverfahrens vorliegen muss. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren M 6 S 16.3617 wird abgelehnt.
II.
Der Antrag wird abgelehnt.
III.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
IV.
Der Streitwert wird auf Euro 220,49 festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Heranziehung zur Zahlung von Rundfunkbeiträgen für eine Wohnung durch den Antragsgegner.
Der Antragsgegner erließ der Antragstellerin gegenüber unter der Beitragsnummer … Gebühren-/Beitragsbescheide bzw. Festsetzungsbescheide, mit denen er Rundfunkbeiträge und Säumniszuschläge für eine Wohnung in Höhe von insgesamt a… Euro festsetzte, am 1. Dezember 2013 (zusammen mit noch rückständigen Rundfunkgebühren), 1. März 2014, 1. Juni 2014, 2. Juli 2015, 1. September 2015, 2. November 2015, 1. Februar 2016, 3. Juni 2016 und 1. August 2016.
Hinsichtlich keiner dieser Bescheide ging beim Antragsgegner ein Antrag der Antragstellerin auf Aussetzung der Vollziehung ein.
Der Antragsgegner richtete unter dem … Juli 2016 ein Vollstreckungsersuchen an das Amtsgericht A. mit einem Ausstandsverzeichnis über die Bescheide vom 1. Dezember 2013, 1. März 2014, 1. Juni 2014, 2. Juli 2015, 1. September 2015 und 2. November 2015
Am … August 2016 erhob die Antragstellerin zur Niederschrift Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München (M 6 K 16.3616). Sie beantragte, den „Festsetzungsbescheid vom 1. August 2016 sowie die bereits früher unter der Beitragsnummer: … ergangenen Bescheide“ aufzuheben (Antrag Nr. 1). Außerdem beantragte sie, den Beklagten zu verpflichten, die festgesetzten Rückstände zu stornieren (Antrag Nr. 2). Zudem beantragte sie noch:
„3. Im Hinblick auf die eingeleitete Zwangsvollstreckung wird die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) angeordnet.“
Schließlich beantragte sie, ihr sowohl für das Klage- als auch das Antragsverfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren.
In der Sache weise sie darauf hin, dass die Beitragsforderung des Antragsgegners ihr gegenüber nicht gerechtfertigt sei, was sie näher erläuterte.
Als Anlage waren neben weiteren Unterlagen Kopien der Festsetzungsbescheide vom 1. August 2016 und 3. Juni 2016 beigegeben.
Der ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice teilte zunächst für den Antragsgegner mit Schreiben vom … August 2016 mit, dass bis zum erstinstanzlichen Abschluss der Verwaltungsstreitigkeit das Vollstreckungsersuchen (vom …7.2016) zurückgezogen und eine Zwangsvollstreckung einstweilen ausgesetzt worden sei. Das Beitragskonto sei mahn- und sollausgesetzt, so dass vorerst keine Zahlungsaufforderungen oder Beitragsbescheide ergingen. Die Vollziehung etwaiger Beitragsbescheide, die über das Vollstreckungsersuchen hinausgingen, sei ausgesetzt.
Mit Schriftsatz 19. August 2016 übersandte der Antragsgegner zunächst vorab seine Akte.
Am … August 2016 ging bei Gericht die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin vom … August 2016 ein.
Mit Schriftsatz vom … September 2016 erklärte der Antragsgegner, dass sich der Eilantrag (M 6 S 16.3617) erledigt habe. Einer Erledigungserklärung stimme er vorab zu und beantrage, die Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen. Hinsichtlich des Klageverfahrens M 6 K 16.3616 unterbreitete er der Antragstellerin einen Vergleichsvorschlag zur schnellen und einvernehmlichen Erledigung der Verfahren, bei dessen Annahme die Antragstellerin Klage und Antrag bis … September 2016 zurückzunehmen gehabt hätte. Für den Fall der nicht (fristgerechten) Annahme behielt er sich Anträge und weiteren Vortrag vor.
Mit gerichtlichem Schreiben vom … September 2016, zugestellt am … September 2016, wurde der Antragstellerin zum Antragsverfahren M 6 S 16.3617 Gelegenheit gegeben, binnen 2 Wochen eine Erledigungserklärung abzugeben. In Ihrem Schriftsatz vom … September 2016, mit dem sie an den Antragsgegner Forderungen hinsichtlich eines Vergleichs stellte, äußerte sich die Antragstellerin hierzu nicht. Auch nachfolgend ging bei Gericht keine Erledigungserklärung der Antragstellerin zum Antragsverfahren ein.
Mit Beschluss vom 5. Oktober 2016 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakten in diesem Verfahren und im Verfahren M 6 K 16.3616 sowie auf die vorgelegten Akten des Antragsgegners verwiesen.
II.
Sowohl der Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – als auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hierfür sind ohne Erfolg.
1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen.
Nach § 166 VwGO i. V. m. § 114 Zivilprozessordnung – ZPO – erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung bei summarischer Prüfung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht liegt dabei nicht erst dann vor, wenn der erfolgreiche Ausgang des Prozesses gewiss oder überwiegend wahrscheinlich ist. Vielmehr genügt zur Bejahung hinreichender Erfolgsaussichten bereits eine gewisse Wahrscheinlichkeit hiervon. Denn die Prüfung der Erfolgsaussichten dient nicht dazu, die Rechtsverfolgung in das Prozesskostenhilfeverfahren vorzuverlagern.
1.1 Nach der dem Gericht vorliegenden Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin und den hierzu beigegebenen Unterlagen kann sie die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen.
1.2 Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist jedoch deswegen unbegründet, weil der eigentliche Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife hinsichtlich der Prozesskostenhilfe offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bot.
Dies ergibt sich – unabhängig von der Tatsache, dass zum Zeitpunkt des Eingangs der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin vom … August 2016 bei Gericht am … August 2016 im vorliegenden Antragsverfahren nach dem Schreiben des Beitragsservice vom … August 2016, an die Antragstellerin zur Kenntnisnahme versandt am selben Tag, bereits ein erledigendes Ereignis eingetreten war – aus Folgendem:
1.2.1 Zunächst ist nach Auslegung gem. § 88 VwGO davon auszugehen, dass die Antragstellerin die Bescheide vom 1. Dezember 2013, 1. März 2014, 1. Juni 2014, 2. Juli 2015, 1. September 2015, 2. November 2015, 1. Februar 2016, 3. Juni 2016 und 1. August 2016 zum Gegenstand ihrer Anfechtungsklage und damit auch zum Gegenstand des hierzu gestellten Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemacht hat, hinsichtlich des Bescheids vom 1. Dezember 2013 allerdings nur insoweit, als er rückständige Rundfunkbeiträge festsetzte, nicht auch hinsichtlich der ebenfalls festgesetzten rückständigen Rundfunkgebühren und des hierzu ergangenen Säumniszuschlags. Denn in der Klage vom … August 2016 machte sie den konkret benannten Festsetzungsbescheid vom 1. August 2016 zum Verfahrensgegenstand, aber auch „die“, und damit alle, „früher unter der Beitragsnummer: … ergangenen Bescheide“. Und der Bescheid vom 1. Dezember 2013 war der erste gegenüber der Klägerin ergangene Bescheid zu dieser Beitragsnummer. Zudem begründete sie ihre Klage damit, dass „die Beitragsforderung“ nicht gerechtfertigt sei, was eine Einbeziehung der Festsetzung rückständiger Rundfunkgebühren im Bescheid vom 1. Dezember 2013 ausschließt.
1.2.2 Hinsichtlich der Bescheide vom 1. Dezember 2013, 1. März 2014, 1. Juni 2014, 2. Juli 2015, 1. September 2015 und 2. November 2015 – die Gegenstand des Ausstandsverzeichnisses zum Vollstreckungsersuchen vom … Juli 2016 waren – wäre der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gem. § 80 Abs. 5 VwGO vom … August 2016 bereits deswegen unzulässig gewesen, weil diese Bescheide bereits zuvor bestandskräftig geworden waren. Hinsichtlich keiner dieser Bescheide ist beim Antragsgegner zuvor ein Widerspruch eingegangen, noch wurde Klage erhoben.
1.2.3 Hinsichtlich der Bescheide vom 1. Februar 2016 (bei dem das unter 1.2.1 dargelegte entsprechend gilt), 3. Juni 2016 (insoweit könnte das Schreiben ohne Datum mit Bezug auf diesen Bescheid, das am … August 2016 beim Antragsgegner einging, einen Widerspruch darstellen, der jedoch ebenfalls bereits verfristet gewesen wäre) und 1. August 2016 (lediglich insoweit ist am … August 2016 rechtzeitig die Klage erhoben worden) ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage jedenfalls mangels Durchführung des Verfahrens nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO als unzulässig anzusehen.
§ 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO regelt eine Zugangsvoraussetzung zur Entlastung der Verwaltungsgerichte, die nicht nachholbar ist und deshalb bereits bei Rechtshängigkeit des gerichtlichen Aussetzungsverfahrens vorliegen muss. Danach ist bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Dies gilt nur dann nicht, wenn entweder die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder eine Vollstreckung droht (s. § 80 Abs. 6 Satz 2 VwGO).
Die Antragstellerin hat zu keinem der genannten Bescheide einen Aussetzungsantrag beim Antragsgegner gestellt. Hiervon hätte sie nicht absehen dürfen, da noch nicht deren Vollstreckung drohte. Es war vom Antragsgegner hinsichtlich der genannten Bescheide weder der Beginn von Vollstreckungsmaßnahmen für einen unmittelbar bevorstehenden Termin angekündigt, noch liefen Vorbereitungen für eine alsbaldige Vollstreckung. Dass die Behörde zu erkennen gibt, dass sie die Vollziehung eines Abgabenbescheids nicht von sich aus aussetzen will, genügt grundsätzlich noch nicht, ebenso nicht der formularmäßige Hinweis auf Vollstreckung bei nicht fristgerechter Zahlung (vgl. VGH BW, B. v. 28.2.2011 – 2 S 107/11 – juris; BayVGH, B. v. 18.2.2010 – 10 CS 09.3204 – juris).
2. Der eigentliche Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ist unzulässig geworden, weil das Rechtsschutzbedürfnis hierfür entfallen ist.
Der Beitragsservice hat für den Antragsgegner mit Schreiben vom … August 2016 mitgeteilt, dass er das Vollstreckungsersuchen (vom **7.2016) zurückgezogen, die Zwangsvollstreckung einstweilen ausgesetzt und das Beitragskonto mahn- und sollausgesetzt habe. Auch die Vollziehung von Beitragsbescheiden, die über das Vollstreckungsersuchen hinausgienen, sei ausgesetzt. Damit waren alle der Antragstellerin gegenüber unter ihrer Beitragsnummer ergangenen Bescheide erfasst.
Der Antragsgegner teilte denn auch mit Schriftsatz vom … September 2016 mit, dass sich der Eilantrag aus seiner Sicht erledigt habe. Einer Erledigungserklärung stimme er vorab zu.
Trotz gerichtlicher Aufforderung zum Antragsverfahren vom … September 2016 ging bei Gericht binnen der gesetzten Frist von 2 Wochen nach Zustellung des Schreibens (Postzustellungsurkunde vom …9.2016) – und nachfolgend bis heute – keine prozessbeendende Erklärung der Antragstellerin zum Antragsverfahren ein. Der Schriftsatz der Antragstellerin vom … September 2016 enthält jedenfalls keine solche.
Ein weiteres Zuwarten erschien nun nicht mehr angebracht.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 3 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes – GKG – i. V. m. der Empfehlung in Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, Anh. § 164 Rn. 14).


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