Steuerrecht

Wohnraumbegriff im Sinne des Zweckentfremdungsrechts

Aktenzeichen  M 9 K 17.4119

Datum:
17.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
DWW – 2018, 112
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
ZwEWG Art. 1 S. 2 Nr. 3, Art. 3 Abs. 2, Art. 4
LStVG Art. 7 Abs. 2
BauGB § 34
BayBO Art. 46

 

Leitsatz

1 Unter den Wohnraumbegriff im Sinne des Zweckentfremdungsrechts fallen alle Räume, die bei Inkrafttreten des Verbots der Zweckentfremdung sowohl nach Anlage und baulicher Ausstattung tatsächlich und baurechtlich (im Sinne materieller Baurechtsmäßigkeit) geeignet waren, auf Dauer bewohnt zu werden. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Für den Tatbestand der Zweckentfremdung ist irrelevant, ob der Wohnraum dem “allgemeinen” Wohnungsmarkt zur Verfügung stünde. Wohnraumverlust “für die Allgemeinheit” ist keine Voraussetzung für die Anwendung des Zweckentfremdungsrechts. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet; der angefochtene Bescheid verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Der Bescheid ist formell rechtmäßig; die Kläger als Nießbraucher wurden insbesondere unter dem 10. Juli 2017 zum beabsichtigen Erlass des streitgegenständlichen Bescheids nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG angehört (Bl. 75 d. BA).
2. Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig.
a) Dass die Hauptverfügung, Ziff. 1 des Bescheids, auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 und 2 LStVG i.V.m. Art. 4 ZwEWG n.F. gestützt wurde, ist auch angesichts der neu geschaffenen rein zweckentfremdungsrechtlichen Rechtsgrundlage in Art. 3 Abs. 2 ZwEWG n.F. (vgl. auch die Gesetzesbegründung, LT-Drs. 17/15781, S. 6f.) unschädlich, da die Ermächtigungsgrundlage ausgewechselt werden kann, wenn sich damit die rechtlichen Voraussetzungen nicht ändern (vgl. z.B. OVG SH, U.v. 26.5.2009 – 1 LB 38/08 – juris). Dies ist hier der Fall, da beide Regelungen der Behörde u.a. Ermessen eröffnen. Die Zitate der alten Fassung der Zweckentfremdungssatzung der Beklagten (i.F.: ZeS) sind hingegen ohne Weiteres korrekt, da die Neufassung der ZeS erst im Dezember 2017 bekanntgemacht wurde.
b) Der zweckentfremdungsrechtliche Tatbestand des Art. 2 Satz 2 Nr. 3 ZwEWG a.F. bzw. Art. 1 Satz 2 Nr. 3 ZwEWG n.F. i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZeS a.F. ist erfüllt, was durch die Screenshots der Homepage der Kläger (vgl. Bl. 1ff. d. BA), durch die E-Mail des Gastes (Bl. 60 d. BA) und durch die Erkenntnisse der Ortseinsicht vom 4. Juli 2017 (ausführlicher Ermittlungsbericht auf Bl. 68ff. d. BA) ausreichend belegt ist. Dass weitere Ortseinsichten nicht durchgeführt werden konnten, rührt von der fehlenden Kooperation der Kläger her: Selbst diese eine Ortseinsicht musste mit einer Betretensanordnung erzwungen werden (Bl. 57 d. BA). Dass sie die WE an ca. 120 Tagen im Jahr wechselnd und kurzfristig an Touristen vermieten, haben die Kläger im Übrigen zugestanden (Bl. 70 d. BA); im Rahmen der mündlichen Verhandlung gaben sie dazu an, diese Nutzung fortführen zu wollen.
Anders als der Klägerbevollmächtigte meint, unterfällt die Vermietung des Dachbzw. Obergeschosses nicht § 4 Abs. 2 Nr. 3 ZeS a.F./n.F. Danach ist eine Zweckentfremdung dann nicht gegeben, wenn eine Wohnung durch die Verfügungsberechtigte bzw. den Verfügungsberechtigten oder die Mieterin bzw. den Mieter zu gewerblichen oder beruflichen Zwecken mitbenutzt wird, insgesamt jedoch die Wohnnutzung überwiegt (über 50 v. H. der Gesamtfläche) und Räume nicht im Sinne von Abs. 1 Nr. 2 baulich verändert wurden.
Vorliegend ist nicht auf das Einfamilienhaus als „Wohnung“ in diesem Sinne abzustellen, sondern isoliert auf die Räumlichkeiten im Dachbzw. Obergeschoss:
Das Zweckentfremdungsrecht ist nicht „gesamtobjektbezogen“, wie v.a. aus § 3 Abs. 1 ZeS i.V.m. § 3 Abs. 2 Satz 1 ZeS a.F./n.F. hervorgeht. Bereits nach dem Wortlaut „objektiv geeignet sind Räume, wenn sie (alleine oder zusammen mit anderen Räumen) die Führung eines selbständigen Haushalts ermöglichen“ liegt mit der „Einheit“ im Dachbzw. Obergeschoss eigenständiger Wohnraum in diesem Sinne vor. Es kommt (nur) darauf an, ob die Räumlichkeiten die Führung eines selbstständigen Haushalts ermöglichen. Dementsprechend wird Wohnraum von der obergerichtlichen Rechtsprechung, vgl. z.B. bei BayVGH, B.v. 26.11.2015 – 12 CS 15.2257 – juris Rn. 12 m.w.N., folgendermaßen definiert:
„Es muss sich […] um Raum handeln, der bestimmt und geeignet ist, auf die Dauer bewohnt zu werden. Unter den Wohnraumbegriff im Sinne des Zweckentfremdungsrechts fallen damit alle Räume, die bei Inkrafttreten des Verbots der Zweckentfremdung sowohl nach Anlage und baulicher Ausstattung tatsächlich und baurechtlich (im Sinne materieller Baurechtsmäßigkeit) geeignet waren, auf Dauer bewohnt zu werden. Dieser Definition entspricht auch § 3 Abs. 1 und 2 der Satzung der Landeshauptstadt München über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum. Die vom Wohnungsbegriff im Rechtssinne vorausgesetzte objektive Eignung der Räume zum dauerhaften Bewohnen verlangt ausnahmslos als Mindestausstattung […] einen Kochraum mit Entlüftungsmöglichkeit, Wasserzapfstelle, Spülbecken und Anschlussmöglichkeit für Gas- oder Elektroherd, sowie eine Toilette und ein Bad.“
Hinsichtlich dieser Ausstattungsvoraussetzungen besteht für die vorliegende WE kein Zweifel (vgl. dazu auch BVerwG, U.v. 20.8.1986 – 8 C 16/84 – juris); die Ortseinsicht hat ergeben, dass sowohl eine Küchenzeile als auch ein Bad vorhanden sind. Eine Dauerwohnnutzung der WE ist vorliegend auch baurechtlich genehmigungsfähig, wie aus der in der mündlichen Verhandlung vonseiten des Beklagtenvertreters übergebenen E-Mail der Lokalbaukommission (i.F.: LBK) vom 12. Januar 2018 (eingeheftet im Gerichtsakt M 9 K 17.4119) hervorgeht. Dies folgt im unbeplanten Innenbereich, § 34 BauGB, für sich genommen auch bereits daraus, dass die Anzahl der Wohneinheiten kein Einfügenskriterium darstellt (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 24.4.1989 – 4 B 72/89 – juris; U.v. 23.3.1994 – 4 C 18/92 – juris). Die in der mündlichen Verhandlung vertiefte Behauptung, dass die LBK einen Bauantrag für ein Zweifamilienhaus wegen der Zahl der Wohneinheiten abgelehnt habe, liegt angesichts dessen ohnehin fern und wurde zudem mit der Stellungnahme vom 12. Januar 2018 entkräftet.
Dass die WE baurechtlich nicht explizit bspw. als separate Einliegerwohnung genehmigt wurde, ist für die zweckentfremdungsrechtliche Beurteilung irrelevant. Eine den Tatbestand der „Mitbenutzung“ ausschließende Separierung kann sich – neben dem Umstand, dass die Ausstattung der WE die Führung eines selbstständigen Haushalts ermöglicht und dass die WE baurechtlich geeignet ist, auf Dauer bewohnt zu werden (siehe oben) – weiter auch aus anderen Gesichtspunkten ergeben:
Die Ermittlungen der Beklagten haben eine klare räumliche Trennung gegenüber dem Wohnbereich der Kläger nachgewiesen. So liegt die WE bspw. nicht auf derselben Ebene wie die Wohnräume der Kläger (für einen weniger eindeutigen Fall vgl. VG Berlin, U.v. 3.3.2017 – 6 K 136.16 – juris); weiter ist sie über das Treppenhaus separat erreichbar, vgl. den Ermittlungsbericht zur Ortseinsicht, Bl. 71 d. BA: „Im Erdgeschoss führt eine Tür wohl in die Räume des Ehepaars F. (nicht Gegenstand der Besichtigung). Durch das Treppenhaus gelangten wir zu einer weiteren Tür, welche die Wohnräume im 1. Obergeschoss (Dachgeschoss) abschließt“. Es ist demnach eine klare Trennung erkennbar und auch tatsächlich durchführbar; auch Art. 46 BayBO zeigt, dass die Einheit im DG als eigenständige Wohnung angesehen werden kann (vgl. dazu VG München, U.v. 12.12.2001 – M 9 K 01.484 – juris und BayVGH, B.v. 26.11.2015 – 12 CS 15.2257 – juris). Als weiteres Indiz spricht für eine Eigenständigkeit auch der Umstand, dass die WE über ein eigenes Klingelschild verfügt(e), Bl. 15 d. BA.
Die Vermietung der WE stellt auch deswegen nicht nur eine Mitbenutzung von Wohnraum dar, weil es an der dauerhaften und längerfristigen Nutzung zu Wohnzwecken durch die Kläger selbst und an einer Einschränkung dieser Wohnnutzung fehlt. § 4 Abs. 2 Nr. 3 ZeS setzt voraus, dass die Wohnartigkeit der gesamten Nutzung erhalten bleibt und insbesondere eine Identität von Wohnungs- und gewerblichem bzw. freiberuflichem Nutzer bestehen muss, da nur dann von einer fortdauernden Nutzung der gesamten Einheit als Wohnung gesprochen werden kann (vgl. HessVGH, U.v. 22.3.2000 – 4 UE 613/97 – juris Rn. 33 m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall: Die Kläger bewohnen das Erdgeschoss; das Dachgeschoss wird nicht von ihnen mitbenutzt, sondern eigenständig zu Zwecken der Fremdenbeherbergung vermietet (siehe auch sogleich). Diese Nutzung des Dachgeschosses schränkt die Kläger in ihrer Wohnnutzung auch in keiner Weise ein, sondern ist unabhängig von ihr (vgl. z.G. auch BVerwG, U.v. 22.4.1994 – 8 C 29/92 – juris; VG München, U.v. 21.7.2003 – M 8 K 02.2878 – juris). Der Sachverhalt ist damit nicht bspw. mit dem Fall vergleichbar, dass ein Zimmer einer 3-Zimmer-Wohnung untervermietet wird und der Untermieter die sanitären Anlagen und die Küche der 3-Zimmer-Wohnung mitbenutzt, was eine echte Einschränkung der Wohnnutzung darstellen würde.
Dass die WE selbst – also: isoliert das Dachbzw. Obergeschoss – von den Klägern in relevanter Weise mitgenutzt wird, scheidet nach den Ermittlungen der Beklagten aus. Die Sperrung zweier Schrankteile im als Schlafzimmer vermieteten Raum der WE zum Zeitpunkt der Ortseinsicht genügt dafür nicht, da bereits unklar ist, was in diesen Schrankteilen gelagert wurde, als die Beklagtenvertreter anwesend waren. Weiter würde die Mitbenutzung nur eines Schranks die Vorgaben des § 4 Abs. 2 Nr. 3 ZeS ohnehin nicht erfüllen. Der klägerische Vortrag, ein Zimmer der WE werde als Arbeitsbzw. Lesezimmer genutzt, was eine hinreichende Mitbenutzung darstelle, ist nach den Ermittlungen der Beklagten widerlegt: Die bei der Ortseinsicht gefertigte Skizze (Bl. 68 d. BA) zeigt zusammen mit den Screenshots der Homepage (Bl. 1ff. d. BA), dass eine Nutzung des „Gästezimmers“ durch die Kläger bei Anwesenheit von Touristen nicht stattfand bzw. stattfindet. Der im Grundriss, eingeheftet vor Bl. 1 d. BA, noch als Schlafzimmer geführte Raum wurde und wird den Gästen als „gemütlich eingerichtetes Wohnzimmer“ zur Verfügung gestellt (Bl. 8 d. BA i.V.m. Bl. 68 d. BA). Auf dem Homepagefoto ist die Balkontür erkennbar, die nur auf dieser Seite des Anwesens existiert. Daneben bieten die Kläger noch eine „Wohnküche“ an (entspricht dem im Grundriss als Zimmer „Kind“ dargestellten Raum) und ein Schlafzimmer (entspricht der Grundrissbezeichnung Zimmer „Arbeit“). Weiter wurde stets eine Wohnung mit 65 m² angenommen (vgl. Bl. 1ff. d. BA); diese Größe umfasst das komplette Dachgeschoss. Dass die WE demgegenüber lediglich als „Zwei-Zimmer Wohnung“ angeboten wurde, schadet damit nicht. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung ließen sich die Kläger im Übrigen hauptsächlich zur Nutzung der WE bzw. des „Gästezimmers“ ein, wenn keine Gäste anwesend sind; diese Nutzung ist vorliegend aber ohnehin nicht entscheidungserheblich.
Die streitgegenständliche Nutzung stellt nach alledem eine Zweckentfremdung der WE dar; auch der zeitliche Rahmen von 8 Wochen aus § Abs. 1 Nr. 3 ZeS n.F. wäre mit 120 Tagen im Jahr weit überschritten. Dabei ist auch irrelevant, ob die WE dem „allgemeinen“ Wohnungsmarkt zur Verfügung stünde – die Kläger also langfristig vermieten würden –, wenn die Vermietung an Feriengäste aufgegeben würde; entscheidend ist, dass eine Dauerwohnnutzung rechtlich zulässig wäre: Wohnraumverlust „für die Allgemeinheit“ ist keine Voraussetzung für die Anwendung des Zweckentfremdungsrechts (vgl. auch VG Berlin, U.v. 9.8.2016 – 6 K 112.16 – juris Rn. 35; Discher, ZfIR 2017, 469).
c) Der Bescheid wurde zu Recht an die Kläger gerichtet, Art. 9 Abs. 1 Satz 1 LStVG. Als Nießbraucher und Anbieter der WE (vgl. Bl. 1 d. BA) sind sie Handlungsstörer und unmittelbar für die Überschreitung der Gefahrenschwelle verantwortlich.
d) Die Zwangsgeldandrohung stützt sich richtigerweise auf Art. 29, 31 und 36 VwZVG.
Die Kostenentscheidung fußt auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708f. ZPO.


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