Steuerrecht

Zur abweichenden Festsetzung des Vorsteuerabzugs im Billigkeitswege

Aktenzeichen  11 K 168/16

Datum:
19.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 47994
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
AO § 163
AO § 227
UStG § 15

 

Leitsatz

1. Eine abweichende Festsetzung der Umsatzsteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen bei fehlerhafter Bezeichnung des Leistungsempfängers in einer Rechnung, aus der der Vorsteuerabzug begehrt wird, ist nur im Festsetzungsverfahren und nicht im Billigkeitswege nach §§ 163, 227 AO möglich.
2. (Hinweis: Gegen die Entscheidung wurde Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, die der BFH mit Beschluss vom 11.5.2020 – V B 99/19 als unbegründet zurückgewiesen hat).

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
1. Zulässigkeit der Klage
Entgegen der Auffassung des beklagten FA ist die Klage zulässig, insbesondere ist das nach § 44 Abs. 1 FGO erforderliche Vorverfahren durchgeführt worden.
Nach § 44 Abs. 1 FGO ist eine Klage – vorbehaltlich der hier nicht einschlägigen Vorschriften über die Sprungklage (§ 45 FGO) bzw. die Untätigkeitsklage (§ 46 FGO) – nur zulässig, wenn das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist.
Soweit das FA hierzu vorträgt, ausgehend von dem Antrag der Klägerin „aus Billigkeitsgründen die Umsatzsteuer gem. §§ 163, 227 AO … niedriger festzusetzen“ fehle es an einem Vorverfahren, vermag der erkennende Senat diese Rechtsauffassung des FA nicht nachzuvollziehen.
Im Streitfall hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 16.7.2015 eine Erstattung von Umsatzsteuer 2008 und 2009 beantragt, soweit diese auf der Versagung des Vorsteuerabzugs aus Rechnungen der Y GmbH (Y) und der X-Computer Vertriebsgesellschaft mbH (X)… resultiert. Hintergrund dieses Antrags war, dass die Klägerin im Verfahren vor dem Niedersächsischen Finanzgericht zum Az. 16 K 327/12 gegen die Versagung des Vorsteuerabzugs im Umsatzsteuerfestsetzungsverfahren Klage erhoben hatte. Im parallel erhobenen Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung der entsprechenden Umsatzsteuerbescheide 2008 und 2009 (16 V 224/13) hatte der Senat darauf verwiesen, dass für die Frage, „ob der Vorsteuerabzug dem Antragsteller aus Gründen der Rechtssicherheit zu belassen ist“, in einem gesonderten Billigkeitsverfahren zu entscheiden sei (Niedersächsisches Finanzgericht, Beschluss v. 13.2.2014 – 16 V 224/13). Zu einer Entscheidung in der Hauptsache zu diesem AdV-Verfahren (16 K 327/12) kam es in der Folge nicht, weil die Klägerin auf einen Hinweis des Berichterstatters vom 6.5.2014 die Klage zurückgenommen hat. Das Gericht hatte hier darauf auf einen anderen Gesichtspunkt hingewiesen – nämlich die unrichtige Bezeichnung der Klägerin als Leistungsempfängerin in den Rechnungen der Firmen Y und X.
Die damit rechtskräftig festgesetzte Umsatzsteuer wurde von der Klägerin bezahlt.
Der Antrag vom 16.7.2015 auf teilweise Erstattung der festgesetzten Umsatzsteuer 2008 und 2009 soweit der Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der Firmen Y und X versagt wurde, ist eindeutig – wie sich aus der Begründung dieses Antrags ergibt – auf eine Billigkeitsmaßnahme der Klägerin gerichtet. So weist die Klägerin auf Seite 10 ihres Antrags für den Senat eindeutig darauf hin, dass sie eine abweichende Festsetzung der Umsatzsteuer aus Billigkeitsgründen begehrt. Dies ergibt sich aus dem Text unter Ziff. 4 auf Seite 10 des Antragsschreibens, in dem die Klägerin unter Hinweis auf das BFH-Urteil V R 63/07 auf eine mögliche Gewährung des Vorsteuerabzugs im Billigkeitsverfahren („§§ 163, 227 AO“) verweist. Die weitere Begründung des Antrags bezieht sich sodann immer wieder auf die Rechtsprechung von EuGH und BFH zu entsprechenden Überlegungen zur abweichenden Festsetzung im Billigkeitswege.
Über den Antrag der Klägerin vom 16.7.2015 hat das FA mit Ablehnungsbescheid vom 9.10.2015 entschieden. Das FA hat hier formal zwar über den Erlass gem. § 227 AO entschieden, in den Gründen des Ablehnungsbescheids macht das FA jedoch Ausführungen, die auch auf eine abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen hinweisen:
„Es ist zwar aufgrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich möglich in den Fällen, in denen der Steuerpflichtige alles was möglich ist, unternommen hat, um die Unternehmereigenschaft des Vertragspartners zu überprüfen, einen Vorsteuerabzug im Billigkeitsweg zu gewähren (…).
Diese Begründung passt nach Auffassung des erkennenden Senats nicht nur zu einer Ablehnung eines Antrags auf Erlass gem. § 227 AO, sondern auch zu einer Ablehnung eines Antrags nach § 163 AO. In beiden Fällen geht es um eine abweichende Festsetzung der Umsatzsteuer im Billigkeitswege. Dagegen hat die Klägerin mit Schriftsatz an das FA vom 7.1.2016 Einspruch eingelegt. Auch dort hat sie auf Seite 2 wiederum darauf verwiesen, dass es ihr um eine abweichende Steuerfestsetzung im Billigkeitswege gehe. Über diesen Einspruch hat das FA mit Einspruchsbescheid vom 21.4.2016 entschieden. Erneut verweist das FA auch hier wieder auf die – aus Sicht des FA nicht gerechtfertigte – Billigkeitsmaßnahme (Seite 4 der Einspruchsentscheidung).
Insgesamt ist der erkennende Senat der Auffassung, dass die Streitgegenstände soweit sie einen Erlass gem. § 227 AO und eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen betreffen jedenfalls im vorliegenden Fall identisch sind. Soweit sowohl die Klägerin als auch das FA in ihren diversen Schreiben immer nur auf die Erlassvorschrift des § 227 AO verweisen, erachtet der erkennende Senat dies als unschädlich, da aus dem jeweiligen Text erkennbar ist, dass die Klägerin eine abweichende Steuerfestsetzung im Billigkeitswege erstrebt.
Der Senat folgt dem FA auch nicht in seiner Rechtsansicht, dass ein Antrag nach § 163 AO vor Bestandskraft der Steuerfestsetzung zu stellen sei. Aber unabhängig davon, dass ein derartiger – dann wohl vorsorglicher – Antrag im Regelfall keinen Sinn macht, solange über die Steuerfestsetzung noch nicht bestands-/rechtskräftig entschieden ist, ist das Vorbringen des FA auch in der Sache nicht zutreffend. Die Klägerin hat nämlich im Verfahren der Umsatzsteuerfestsetzung 2008 und 2009 (…) immer auch darauf verwiesen, dass sie gutgläubig gewesen sei und ihr zumindest aus diesem Grund Vertrauensschutz zu gewähren sei. Darin sieht der Senat jedenfalls konkludent auch einen Antrag der Klägerin auf eine Billigkeitsentscheidung. Letztlich scheiterte diese Auffassung an dem Hinweis des Gerichts im AdV-Verfahren 16 V 224/13, dass die Frage der Gutgläubigkeit in einem gesonderten (Billigkeits-) Verfahren zu prüfen sei. Zumindest darin ist bereits zu diesem Zeitpunkt ein Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung gem. §§ 163, 227 AO zu sehen.
2. Begründetheit der Klage
Die Klage ist jedoch unbegründet. Das beklagte FA hat zutreffend eine abweichende Festsetzung der Umsatzsteuer 2008 und 2009 im Billigkeitswege abgelehnt.
Dabei ist es unerheblich, ob die Ablehnung auf eine abweichende Festsetzung im Billigkeitswege (§ 163 AO) oder auf die Erlassregelung in § 227 AO gestützt wird. Der Begriff der Unbilligkeit ist in beiden Vorschriften in gleicher Weise auszulegen. Aus § 163 AO und auch aus § 227 AO kann sich die Unbilligkeit aus sachlichen und/oder persönlichen Gründen ergeben (BFH-Urt. v. 23.7.2013 – VIII R 17/10, BStBl II 2013, 820; Cöster in: Koenig, Kommentar zur Abgabenordnung 3. Aufl., § 163 AO Rz. 14 m.w.N.).
Im Streitfall kommen allein sachliche Billigkeitsgründe in Betracht.
Die Entscheidung über einen Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus sachlichen Billigkeitsgründen ist nach den §§ 163, 227 AO grundsätzlich eine Ermessensentscheidung, die nur in den durch § 102 AO gezogenen Grenzen überprüft werden kann.
Im Streitfall ist für den erkennenden Senat zunächst entscheidend, dass die Klägerin den Vorsteuerabzug (§ 15 Abs. 1 S.1 Nr. 1 UStG) aus den Eingangsrechnungen der Firmen Y und X vorgenommen hatte, obwohl als Leistungsempfängerin nicht die Klägerin, sondern entweder eine „Z GmbH – Vertrieb von Hard- und Software“ oder lediglich eine „Z GmbH“ bezeichnet war. Diese Bezeichnungen entsprachen nicht den Vorgaben des § 14 Abs. 4 Nr. 1 UStG bzw. Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL. Grundsätzlich reicht zwar jede Bezeichnung aus, die eine eindeutige und leicht nachprüfbare Feststellung des Namens und der Anschrift des Leistungsempfängers ermöglicht (Korn, in Bunjes Kommentar zum UStG 18. Aufl. 2019, § 14 Rz. 67 m.w.N. auf die ständige Rechtsprechung des BFH). Auf die richtige Bezeichnung des Leistungsempfängers ist in diesen Fällen aber vor allem dann zu achten, wenn nach den Umständen des Einzelfalls die leichte und eindeutige Identifizierung des Leistungsempfängers nicht möglich ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – eine Verwechslungsgefahr besteht.
In den Streitjahren existierte nämlich nicht nur die Klägerin unter der auch jetzt noch gültigen Bezeichnung „EDV und Büroservice Z GmbH“, sondern daneben auch die „Z GmbH – Vertrieb von Hard- und Software“ und die „Z GmbH – Vermögensverwaltung“. Welches dieser Unternehmen von den Firmen Y und X bezeichnet werden sollte, lässt sich für einen Außenstehenden nicht leicht und eindeutig feststellen. Der Hinweis des damaligen Berichterstatters im Klageverfahren wegen der Umsatzsteuerfestsetzung 2008 und 2009 war mithin zutreffend. Der Vorsteuerabzug aus den fraglichen Eingangsrechnungen der Firmen Y und X ist zutreffend versagt worden.
Diese Möglichkeit der Verwechslung hat auch der in der mündlichen Verhandlung vernommene ehemalige Geschäftsführer der Klägerin C nicht ausräumen können. Soweit der Zeuge ausgesagt hat die Firmen „Z GmbH – Vertrieb von Hard- und Software“ und die „Z GmbH Vermögensverwaltung“ seien in den Streitjahren (noch) inaktiv gewesen, ist dies anhand des Handelsregisters und der auch der Klägerin im Vorfeld der mündlichen Verhandlung übermittelten Unterlagen des FA nicht nachvollziehbar. Danach war für beide Firmen jedenfalls bereits in den Streitjahren eine Steuernummer vergeben worden. Außerdem ergibt sich, dass zumindest für die „Z GmbH – Vertrieb von Hard- und Software“ ab September 2007 Körperschaftsteuererklärungen und monatliche Umsatzsteuervoranmeldungen angefordert wurden. Diesen Hinweis des Gerichts konnte der Zeuge C nicht aufklären. Allein der Hinweis des Zeugen die Klägerin sei seinerzeit in der „IT-Welt“ unter der Bezeichnung „Z GmbH“ bekannt gewesen, reicht nicht aus.
Diese fehlerhafte Bezeichnung des Leistungsempfängers ist zwar grundsätzlich (auch rückwirkend) nach neuerer Rechtsprechung des BFH und des EuGH berichtigungsfähig. Eine Rechnungsberichtigung ist aber nach der Überzeugung des erkennenden Senats immer nur im Festsetzungsverfahren möglich und kann nicht im Billigkeitswege im Verfahren nach den §§ 163, 227 AO vorgenommen werden. Aus diesem Grund kommt auch der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung beantragte Schriftsatznachlass nicht in Betracht. Soweit die Klägerin nunmehr vorbringt, es lägen ihr bereits seit 2014 berichtigte Rechnungen vor, kommt es darauf nicht an.
Soweit das FA im Einspruchsverfahren darauf verwiesen hat, dass die Umsatzsteuerfestsetzung nicht offensichtlich und eindeutig fehlerhaft ist und deshalb für die Klägerin negative Umstände nicht im Billigkeitsverfahren korrigiert werden können, sind diese Ermessenserwägungen in der Sache nicht zu beanstanden. Sie entsprechen der – soweit ersichtlich – einhelligen Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum (vgl. dazu nur Fritsch in: Koenig, Kommentar zur Abgabenordnung, 3. Aufl., § 227 Rz. 15 m.w.N. auf die ständige Rechtsprechung des BFH). Im Einspruchsbescheid finden sich auch Erwägungen dazu, dass das FA sich nicht in Widerspruch zu einem vorangegangenen Tun gesetzt habe, das zu einem Verstoß gegen Treu und Glauben führen könnte. Das FA hat zutreffend darauf verwiesen, dass keine falschen Auskünfte erteilt worden seien. Man habe immer darauf verwiesen, dass ein Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der Firmen Y und X nicht in Betracht komme. Dass das Gericht einen anderen Aspekt gesehen habe, verstoße nicht gegen die schutzwürdigen Interessen des Steuerpflichtigen.
Der erkennende Senat hält diese Ermessenserwägungen des FA im Einspruchsbescheid nicht nur für ausreichend, sondern auch in der Sache für richtig. Ein Ermessensfehler, der es rechtfertigen könnte den Einspruchsbescheid aufzuheben ist nicht erkennbar. Im Übrigen könnte ein Ermessensfehler auch nicht darauf gestützt werden, dass berichtigte Rechnungen, die der Klägerin angeblich seit 2014 vorliegen, nicht gewürdigt wurden, denn die Klägerin hat diesen Umstand, der ihr offenbar seit 2014 bekannt war, erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 19.9.2019 vorgebracht. Das FA konnte mithin seine Ermessenserwägungen überhaupt nicht auf diesen Umstand stützen, mit der Folge, dass auch darin kein ermessenfehlerhaftes Verhalten gesehen werden kann.
Ebenso liegt eine Ermessensreduzierung auf „Null“ nicht vor. Diese käme nur in Betracht, wenn die materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nach § 15 UStG nicht vorliegen. Dann kann im Billigkeitsverfahren ausnahmsweise aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz des Vertrauensschutzes ein Vorsteuerabzug beansprucht werden, wenn der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer gutgläubig war und alle Maßnahmen ergriffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sich von der Richtigkeit der Angaben in der Rechnung zu überzeugen und seine Beteiligung an einem Betrug ausgeschlossen ist (vgl. dazu die grundlegen-den Entscheidungen des EuGH, Urt. v. 27.9.2007 – C-409/04, BStBl II 2009, 70 – Teleos; EuGH, Urt. v. 21.2. 2008 – C- 71/06, DStR 2008, 450 – Netto Supermarkt). Darauf kommt es aber im Streitfall nicht an, weil der Vorsteuerabzug – wie erwähnt – schon wegen der unzutreffenden Bezeichnung der Klägerin in den Eingangsrechnungen versagt worden ist. Dieser Mangel kann nicht im Billigkeitswege behoben werden. Demgemäß war der Senat auch nicht verpflichtet im Sinne einer Ermessensreduzierung auf Null eine abweichende Steuerfestsetzung im Billigkeitswege gem. §§ 163, 227 AO auszusprechen.
Die Klage hat demgemäß keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.


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