Steuerrecht

(Zur Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 15a UStG und Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL)

Aktenzeichen  XI R 31/20 (XI R 34/18), XI R 31/20, XI R 34/18

Datum:
21.4.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2021:U.210421.XIR31.20.0
Normen:
§ 4 Nr 15a UStG 2005
Art 132 Abs 1 Buchst g EGRL 112/2006
§ 2 Abs 1 UStG 2005
§ 2 Abs 3 UStG 2005
§ 81 Abs 3 S 1 SGB 10
Spruchkörper:
11. Senat

Leitsatz

Verwaltungsleistungen gegen Entgelt (z.B. Lagerung/Archivierung von Akten oder die Erledigung von Schreibarbeiten), die aufgrund vertraglicher Vereinbarungen zwischen verschiedenen Medizinischen Diensten der Krankenversicherung erbracht werden, sind weder nach § 4 Nr. 15a UStG noch nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL steuerfrei.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts … vom XX.XX.XXX   … wegen Umsatzsteuer 2008 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.
1
Streitig ist die Steuerbefreiung von Leistungen für Medizinische Dienste der Krankenversicherung (MDK).
2
Der Rechtsvorgänger der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war ein MDK in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins (im Folgenden: Kläger) und ist mit Wirkung vom XX.XX.XXXX eine Körperschaft des öffentlichen Rechts geworden. Er war Alleingesellschafter der … GmbH, der er Räumlichkeiten vermietete.
3
Unter dem XX.XX.XXXX vereinbarten der Kläger und der MDK in A (MDK A), dass der Kläger die Lagerung der Gutachtenakten des MDK A in Papierform und deren Betreuung gemäß den für den MDK A geltenden rechtlichen Bestimmungen sowie die “optische Archivierung” (Digitalisierung/elektronische Erfassung) auf Anfrage und die Zurverfügungstellung einschließlich der Versendung auf elektronischem Wege sowie Vernichtung (Entsorgung –Vernichtung des Belegguts nach Digitalisierung, Verschlagwortung und erfolgreicher Übertragung nach DIN32757– Sicherheitsstufe 4) übernimmt. Dazu heißt es: “Sollte die Finanzverwaltung … rechtskräftig feststellen, dass … die Umsatz-/Mehrwertsteuer für die zurückliegende Zeit eingefordert wird, … wird … vereinbart, dass der MDK in A für die zurückliegenden sowie die zukünftigen Rechnungsstellungen die anfallende Mehrwertsteuer zu tragen hat. … Der MDK in A trägt die Kosten der Datenleitung und des Transportes der Papierakten nach X … . Der MDK in A stellt dem MDK in Z zwei leistungsfähige Scanner zur Verfügung. … Der MDK in A stellt sicher, dass die Akten in der derzeitigen Sortierung in das Archiv eingestellt werden. … Der MDK in A stellt eine zentrale Verweisdatei zur Verfügung, aus der die Beratungsstellen und die Zuordnungen ersichtlich sind. … Der MDK Z berät den MDK in A in Angelegenheiten der optischen Archivierung seiner Papierakten. Bei marktgängigen Verbesserungen der Digitalisierungsmethoden hat der MDK in Z den MDK in A über die verbesserten Methoden zu beraten und diese nach vorheriger Absprache anzuwenden. … Der MDK in A bleibt Eigentümer der Akten und der Schränke.” Lagerung und Digitalisierung der Akten durfte der Kläger ausdrücklich nur durch sein eigenes Personal durchführen lassen.
4
Unter dem 10.03.2006 wurde der Kläger mit dem Schreiben von Gutachten der Gutachter des MDK A “nach Diktat” beauftragt. Der Kläger war ausdrücklich berechtigt, diese Schreibarbeiten durch Unterbeauftragung der “… GmbH” ausführen zu lassen. Die Diktate wurden dem Kläger als digitale Anhänge per Datenleitung auf einen separaten, im Eigentum des MDK A verbleibenden Server, der in den Räumen des Klägers stand, übertragen. Die Rückübertragung der geschriebenen Texte erfolgte auf demselben Weg. Die Kosten der Datenleitung trug der MDK A, ebenso die Kosten der Wartung des Servers. Der MDK A garantierte eine Mindestauftragsmenge von 30 Aufträgen pro Arbeitstag. Hinsichtlich der Umsatzsteuer wurde vereinbart: “Sofern eine Mehrwert-/Umsatzsteuer fällig wird, hat der MDK in A diese zusätzlich an den MDK in Z zu zahlen.” Man vereinbarte, dass der MDK A Eigentümer der digitalen Diktate bleibt und alleiniger Eigentümer der aufgrund der Diktate vom MDK in Z erstellten Gutachten ist.
5
Der Kläger schloss im Juli 20XX einen weiteren Vertrag mit dem MDK B, in dem er ebenfalls das Schreiben von Gutachten (garantierte Mindestauftragsmenge von 40 Gutachten pro Arbeitstag) übernahm. Dem Kläger war die Unterbeauftragung der “… GmbH” gestattet. Die Vertragsparteien gingen ausdrücklich davon aus, dass die vertraglichen Leistungen gemäß § 4 Nr. 15a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) von der Umsatzsteuer befreit seien. Sollte dennoch “eine Umsatzsteuer fällig werden”, wäre sie vom MDK B zusätzlich an den Kläger zu zahlen. Der MDK B trug die Kosten bis zum Übergabepunkt X. Die geschriebenen Gutachten sollte der Kläger im PDF-Format zur Verfügung stellen. Der MDK B sollte “Eigentümer” der digitalen Diktate bleiben und “alleiniger Eigentümer der aufgrund der Diktate … erstellten Gutachten” sein. In der in § 10 des Vertrags in Bezug genommenen Datenschutzvereinbarung wurde vereinbart, der Kläger werde die Kontrolle durch den Datenschutzbeauftragten des MDK B jederzeit gestatten. Am Verfahren beteiligte Mitarbeiter seien zur Auskunft über Abläufe und Anweisungen sowie Herausgabe von Unterlagen, auch ggf. elektronisch gespeicherter, verpflichtet.
6
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) setzte in der Annahme, dass der Kläger mit den genannten Vorgängen steuerpflichtige Leistungen erbracht habe, zuletzt mit Änderungsbescheid vom 03.12.2013 die Umsatzsteuer für 2008 auf … € fest. Mit Einspruchsentscheidung vom 11.02.2016 setzte das FA die Umsatzsteuer für 2008 auf … € herab und wies im Übrigen den Einspruch als unbegründet zurück. Die Herabsetzung beruhte ausschließlich auf einem höheren Vorsteuerabzug, den die Beteiligten miteinander abgestimmt hatten. Im Übrigen hielt das FA an seiner Auffassung fest, dass eine Steuerbefreiung für die weitergehenden Umsätze nicht zu gewähren sei.
7
Mit seiner Klage wandte sich der Kläger u.a. gegen die Ablehnung der Steuerbefreiung. Das Finanzgericht (FG) … wies die Klage mit Urteil vom XX.XX.XXXX – … als unbegründet ab. Die streitgegenständlichen Leistungen seien nicht von der Umsatzsteuer befreit. Insbesondere sei der Tatbestand des § 4 Nr. 15a UStG nicht erfüllt.
8
Mit der Revision wegen Umsatzsteuer 2008 rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
9
Bei unionsrechtskonformer Auslegung erfasse § 4 Nr. 15a UStG die streitgegenständlichen Leistungen. Das Schreiben von diktierten Gutachten und die Archivierung von Versicherungsakten seien unerlässlicher Bestandteil der gutachterlichen Stellungnahmen. Nur auf diese Weise könne der MDK seiner gesetzlichen Verpflichtung zur Erstattung einer gutachterlichen Stellungnahme in ernsthafter und dauerhafter Form nachkommen. Da den Versicherten das Recht zustehe, Einsicht in die über sie geführten Akten zu nehmen, müssten die von den MDK geführten Gutachterakten auch für eine bestimmte Zeit aufbewahrt werden. Diese Tätigkeiten könnten nicht losgelöst von der Haupttätigkeit, der Erstellung von Gutachten, beurteilt werden.
10
Der Senat hat mit Beschluss vom 16.09.2020 – XI R 34/18 mit Zustimmung der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in dem Verfahren C-657/19 angeordnet. Nach Ergehen des EuGH-Urteils Finanzamt D vom 08.10.2020 – C-657/19 (EU:C:2020:811) wurde das Verfahren unter dem Aktenzeichen XI R 31/20 (XI R 34/18) fortgesetzt.
11
Der Kläger trägt weiter vor, auf das Erfordernis der Unmittelbarkeit der Leistungen komme es nicht an. Dies ergebe sich auch aus dem EuGH-Urteil Finanzamt D (EU:C:2020:811). Der Zweck der Vorschrift, die Kosten der von Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) erfassten Kosten zu senken, spreche auch für diese Auslegung.
12
Unschädlich sei auch, dass er, der Kläger, als Subunternehmer die Leistungen für einen anderen MDK erbracht habe, damit dieser seine Aufgaben erfüllen könne.
13
Daneben hat der Kläger auch Revision wegen Körperschaftsteuer 2008 erhoben. Dieses Verfahren wurde durch Beschluss vom 21.04.2021 – XI R 31/20 (XI R 34/18) vom vorliegenden Verfahren abgetrennt und an den V. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) abgegeben (Az. V R 12/21).
14
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil wegen Umsatzsteuer 2008 aufzuheben und den Umsatzsteuerbescheid für 2008 vom 03.12.2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.02.2016 dahingehend abzuändern, dass die Umsatzsteuer auf 0 € festgesetzt wird.
15
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
16
Das EuGH-Urteil Finanzamt D (EU:C:2020:811) betreffe einen anderen Sachverhalt. Die zu beurteilenden Leistungen seien nicht vergleichbar. Gutachterliche Tätigkeiten seien im Streitfall nicht mit den Leistungen verbunden gewesen. Es lägen keine eng mit der Sozialfürsorge verbundene Dienstleistungen i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL vor.
17
Der EuGH habe in seinem Urteil Finanzamt D (EU:C:2020:811) ferner entschieden, dass eine Subunternehmertätigkeit im Auftrag einer nach nationalem Recht anerkannten sozialen Einrichtung für die eigene Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter nicht ausreiche. Im Streitfall seien die Leistungen durch die … GmbH erbracht worden, die durch den nationalen Gesetzgeber nicht als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt worden sei. Folglich könnten diese Leistungen nicht unter die Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL fallen.


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