Strafrecht

1 OWi 2 SsRs 85/21

Aktenzeichen  1 OWi 2 SsRs 85/21

Datum:
30.6.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
OLG Zweibrücken Senat für Bußgeldsachen
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:POLGZWE:2022:0630.1OWI2SSRS85.21.00
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

Die Geschäftsabläufe eines Amtsgerichts müssen gewährleisten, dass ein Schriftsatz, der per Fax gut drei Stunden vor einer Hauptverhandlung über den allgemeinen Anschluss des Gerichts eingeht und den Hinweis „Eilt! Termin heute!“ enthält, bis zum Beginn der Hauptverhandlung die Geschäftsstelle erreicht.

Verfahrensgang

vorgehend AG Ludwigshafen, 25. März 2021, 4d OWi 5089 Js 20761/20, Urteil

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 25.03.2021 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens – an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.

Gründe


I.
Mit Bußgeldbescheid der Stadt Ludwigshafen am Rhein vom 28.04.2020 wurde gegen den Betroffenen wegen einer am 20.02.2020 auf der B 44 (Hochstraße Nord) Höhe Einfahrt Rathauscenter, Richtung A650 begangenen fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb geschlossener Ortschaften um 23 km/h eine Geldbuße von 120 € festgesetzt. Das Amtsgericht Ludwigshafen am Rhein hat den Einspruch des Betroffenen gegen diesen Bußgeldbescheid durch Urteil vom 25.03.2021 gem. § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, nachdem weder der Betroffene noch sein Verteidiger zum Hauptverhandlungstermin erschienen waren.
Das beim Amtsgericht Ludwigshafen per Fax am selben Tag um 12:09 Uhr über den allgemeinen Anschluss (Fax-Nr. 0621/5616-380) eingegangene Schreiben, in dem der Verteidiger um Entbindung des Betroffenen vom persönlichen Erscheinen ersuchte, fand dabei keine Berücksichtigung. Es erreichte den zuständigen Richter über die Geschäftsstelle erst im Nachgang zur Hauptverhandlung. Auf dem Empfangsbekenntnis für die Ladung zur Hauptverhandlung, das der Verteidiger an das Amtsgericht zurückgeleitet hat, war nach der Angabe des Ansprechpartners (Frau B.) die Fax-Nr. der Geschäftsstelle (0621/5616-384) und im Briefkopf unter der Anschrift des Amtsgerichts die Fax-Nr. des allgemeinen Anschlusses (0621/5618-380) angegeben.
Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde und erhebt die Verfahrens- und Sachrüge. Er macht insbesondere geltend, der Einspruch sei zu Unrecht verworfen worden, da vor dem Hauptverhandlungstermin ein Antrag auf Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gestellt worden war, der vom Amtsgericht nicht beschieden worden sei.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Verfügung vom 13.09.2021 die Verfahrensakten dem Senat vorgelegt. Die Einzelrichterin hat die Sache gem. § 80a Abs. 3 OWiG an den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
Das Rechtsmittel hat (vorläufig) Erfolg.
II.
Die Verfahrensrüge, mit der der Betroffene die Verletzung rechtlichen Gehörs beanstandet, ist in zulässiger Weise erhoben worden.
Die Begründung der Verfahrensrüge erfüllt die Anforderungen der § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG. Verfahrensrügen müssen so begründet werden, dass die den Mangel enthaltenen Tatsachen so genau bezeichnet und vollständig angegeben sind, dass das Beschwerdegericht schon anhand der Rechtsbeschwerdeschrift, das heißt ohne Rückgriff auf die Akten, ersehen kann, ob eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör schlüssig dargetan und somit ein Verfahrensfehler vorliegt, falls die behaupteten Tatsachen zutreffen, und ob das Urteil auf diesem Fehler beruht.Der Rechtsmittelführer muss, wenn er den Gehörsverstoß auf eine Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG stützen will, die Umstände vortragen, die die Abwesenheit des Betroffenen entschuldigen und dem Gericht bekannt waren oder bekannt sein mussten (Kammergericht, Beschluss vom 27.03.2015, 3 Ws 148/15, juris, Rn. 9 u. Rn. 10).
Gemessen an diesen Anforderungen ist die Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe dem Antrag des Betroffenen, ihn gemäß § 73 Abs. 2 OWiG von der gesetzlichen Pflicht zum persönlichen Erscheinen zu entbinden, nicht entsprochen, obwohl dieser rechtzeitig gestellt worden sei und daher durch die Verwerfung seines Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, ordnungsgemäß ausgeführt.
Das Vorbringen in der Rechtsbeschwerdebegründung enthält die Mitteilung, wann und mit welchem Inhalt der Schriftsatz der Verteidigung vom 25.03.2021 (Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen) vor Verhandlungsbeginn beim Amtsgericht eingegangen ist. Dies genügt zur Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht, ob das Tatgericht eine ihm bekannte Tatsache rechtlich unzutreffend gewürdigt oder sich mit ihr in den Urteilsgründen nicht auseinandergesetzt hat oder eine Tatsache nicht zur Kenntnis genommen hat, obwohl es sie hätte zur Kenntnis nehmen können (OLG Bamberg, Beschluss vom 27.01.2009 – 2 Ss OWi 1613/08, juris Rn.8). Soweit in der Rechtsbeschwerdebegründung unrichtig vorgetragen wird, der Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen sei bei der Geschäftsstelle (richtigerweise über den allgemeinen Anschluss des Amtsgerichts bei der Wachtmeisterei) eingegangen, führt dies nicht zur Unzulässigkeit des Rügevorbringens. Es handelt sich nicht um einen rechtsmissbräuchlichen Vortrag, sondern ein offensichtliches Versehen.
Auf die Frage, ob im Rahmen einer Gehörsrüge die Darlegung dessen, was der Betroffene in der Hauptverhandlung vorgetragen hätte, erforderlich ist, kommt es vorliegend nicht an. Denn der Betroffene rügt nicht, dass ihm eine Stellungnahme zu entscheidungserheblichen Tatsachen verwehrt worden sei, sondern dass das Gericht seine Erklärung in dem Entbindungsantrag seines Verteidigers nicht ausreichend zur Kenntnis genommen hat (OLG Dresden, Beschluss vom 24.07.2013 – OLG 21 Ss 551/13 (Z), juris Rn.7; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 18.11.2002 – 2 Ss (OWi) 35 Z/02, juris Rn.3).
2. Die Rüge ist auch begründet.
Nach § 74 Abs. 2 OWiG hat das Gericht den Einspruch ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil zu verwerfen, wenn der Betroffene ohne genügende Entschuldigung ausbleibt, obwohl er von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen nicht entbunden war. Dabei kann der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde nur die fehlerhafte Anwendung des § 74 Abs. 2 OWiG auf den in der Hauptverhandlung bekannten Sachverhalt rügen. Eine Entscheidung gemäß § 74 Abs. 2 OWiG wird auf die Rechtsbeschwerde nur daraufhin überprüft, ob der rechtzeitig erhobene Einspruch zu Recht als unbegründet verworfen wurde, weil der Betroffene trotz nachgewiesener Ladung ohne genügende Entschuldigung und mangels Entbindung von der Verpflichtung zum Termin zu erscheinen, zum Hauptverhandlungstermin nicht erschienen ist. Wird ein Antrag des Betroffenen, ihn von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, zu Unrecht zurückgewiesen oder aber, wie hier, nicht beschieden, so liegt – falls am Ende ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs.2 OWiG ergeht – die Verletzung des Rechtes auf rechtliches Gehör darin, dass das Gericht nicht in Abwesenheit des Betroffenen dessen Einlassung oder Aussageverweigerung, auf die der Entbindungsantrag gestützt wird (§ 73 Abs.2 OWiG), zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung in der Sache erwogen, sondern mit einem Prozessurteil den Einspruch des Betroffenen verworfen hat (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 18.11.2002 – 2 Ss (OWi) 35 Z/02 –, juris Rn. 6).
Der Betroffene hat vorliegend mit Verteidigerschriftsatz vom 25.03.2021 per Fax Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen gestellt, der um 11:44 Uhr von der Kanzlei versandt und um 12:09 Uhr über den allgemeinen Anschluss bei der Wachtmeisterei eingegangen ist. Der Hauptverhandlungstermin fand um 15:20 Uhr statt und endete, da dem Tatrichter der Schriftsatz zu diesem Zeitpunkt nicht vorlag, mit einem Verwerfungsurteil.
Dass dem Amtsrichter der Entbindungsantrag bis zum Erlass der angefochtenen Entscheidung tatsächlich nicht zur Kenntnis gelangt war, ist unerheblich. Maßgeblich ist allein, ob der Antrag bei gehöriger gerichtsinternen Organisation dem Richter hätte rechtzeitig zugeleitet werden können (OLG Koblenz, Beschluss vom 27.04.2021 – 3 OWi 6 SsBs 59/21, juris). Dabei ist zu prüfen, ob im Einzelfall unter gewöhnlichen Umständen bei üblichem Geschäftsgang und zumutbarer Sorgfalt das Gericht von ihm Kenntnis hätte nehmen können und ihn deshalb einer Bearbeitung hätte zuführen müssen. Die reine Zeitspanne zwischen Antragseingang bis zum Hauptverhandlungstermin ist dabei nur ein Teilaspekt, wobei in diesem Zusammenhang die gewöhnlichen Geschäftszeiten des jeweiligen Gerichts nicht außer Acht zu lassen sind (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 30.10.2007 – 2 Ss OWi 1409/07, BeckRS 2007, 19100). Außerdem ist zu berücksichtigen, ob – falls der Kommunikationsweg via Fax gewählt wurde – die Telekopie an den Anschluss der zuständigen Geschäftsstelle oder an einen allgemeinen Anschluss des Gerichts versandt wurde. Im letzteren Fall bedarf es eines Hinweises auf die Eilbedürftigkeit der Vorlage an den zuständigen Richter (OLG Bamberg, Beschluss vom 23.05.2017 – 3 Ss OWi 654/17 –, juris Rn. 5).
Gemessen hieran war zu erwarten, dass der Schriftsatz dem zuständigen Tatrichter rechtzeitig zugeleitet werden kann. Die Geschäftsabläufe des Amtsgerichts hätten – auch unter Berücksichtigung der Mittagspause – gewährleisten müssen, dass ein Schriftsatz, der per Fax gut drei Stunden vor der Hauptverhandlung über den allgemeinen Anschluss des Gerichts eingeht und den Hinweis „Eilt! Termin heute!“ enthält, bis zum Beginn der Hauptverhandlung die Geschäftsstelle erreicht (insofern liegt der Fall auch anders als derjenige, den das Oberlandesgericht Bamberg zu entscheiden hatte, Beschluss vom 27.01.2009 – 2 Ss OWi 1613/08, juris; hier fehlte es an einem Hinweis auf die für denselben Tag anberaumte Hauptverhandlung). Mit dem Hinweis auf die Eilbedürftigkeit war die Behandlung als Sofortsache geboten (vgl. Senat, Beschluss vom 10.07.1996 – 1 Ss 161/96, juris).
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass bei dem Amtsgericht Ludwigshafen am Rhein nach Auskunft der Geschäftsleitung die mündliche und über Jahre praktizierte Anweisung gilt, dass Faxeingänge auf dem zentralen Faxanschluss fünfmal täglich gesichtet und auf Eilbedürftigkeit überprüft werden. Soweit die Eilbedürftigkeit ersichtlich ist, erfolgt ein Anruf in der zuständigen Abteilung und die Übergabe des Faxschreibens von Hand zu Hand.
Demnach liegt eine Gehörsverletzung in der Nichtbescheidung des Antrags auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen vor.
Auf eine etwaige Verletzung der Aufklärungs- bzw. Fürsorgepflicht des Tatrichters, die es gebietet, dass sich der Richter vor der Verkündung des Verwerfungsurteils bei der Geschäftsstelle informiert, ob dort eine entsprechende Nachricht – möglicherweise Anträge auf Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen oder zu Hinderungsgründen für das Nichterscheinen – vorliegt (KG Berlin, Beschluss vom 10.11.2011 – 3 Ws (B) 529/11, juris), kommt es aus den soeben dargestellten Gründen nicht mehr an. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass es die Sachaufklärungspflicht des Tatrichters grundsätzlich nicht gebietet, bei der Einlaufstelle nachzuforschen, ob dort ein Entschuldigungsschreiben des Betroffenen eingegangen ist, was nicht nur unter den Verhältnissen eines Großstadtgerichts eine Überspannung der Aufklärungspflicht wäre (BayObLG wistra 1992, 320; Göhler, OWiG, 17. Aufl., § 74 Rn.31 m. w. N.).
III.
Es bestand kein Anlass, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, die Sache an eine andere Abteilung oder ein anderes Amtsgericht zu verweisen (§ 79 Abs. 6 OWiG).


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