Strafrecht

22 Qs 1/22

Aktenzeichen  22 Qs 1/22

Datum:
10.1.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LG Magdeburg 2. Große Strafkammer
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
§ 213 StPO
Art 2 Abs 2 S 1 GG
Spruchkörper:
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Tenor

Auf die Beschwerde des Rechtsanwalts Dr. L. Th., B. wird der Hauptverhandlungstermin vom 11.Januar 2022 und die sich anschließenden Fortsetzungstermine
aufgehoben.

Gründe

I.
Mit Anklageschrift vom 12. August 2020 hat die Staatsanwaltschaft M. dem Angeklagten D. J., vertreten von Rechtsanwalt Dr. L. Th. als Pflichtverteidiger, zur Last gelegt, am 11. August 2018 in M. gemeinschaftlich handelnd mit neun weiteren Angeklagten in vier rechtlich zusammentreffenden Fällen eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit geschädigt zu haben, wobei die Körperverletzung mit anderen Beteiligten gemeinschaftlich und mittels eines gefährlichen Werkzeuges begangen worden sei, und – tateinheitlich dazu – sich als Täter oder Teilnehmer an Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen oder Bedrohungen gegen Menschen mit einer Gewalttätigkeit, die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen wurde, beteiligt zu haben, wobei die Täter bedeutenden Schaden an fremden Sachen angerichtet hätten.
Konkret wird ihnen vorgeworfen, sich nach einem zuvor gefassten Tatplan am 11. August 2018 gegen 18.40 Uhr gemeinsam mit vier weiteren gesondert Verfolgten zum DB-Haltepunkt B.er See begeben zu haben. Dort hätten sie sich vermummt und begonnen, unmittelbar nach der Anfahrt des Regionalzuges S 39057 diesen auf der rechten Seite arbeitsteilig nahezu vollständig mit Farbe zu besprühen. Um währenddessen eine Weiterfahrt des Zuges zu verhindern, hätten die Angeklagten Autoreifen in die geöffneten Türen geworfen. Zudem habe der Angeklagte J. mehrmals Pfefferspray durch eine geöffnete Tür in das Wageninnere gesprüht, wobei er auch gezielte Sprühstöße gegen einen Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes sowie zwei Zeugen gerichtet habe, die jeweils versucht hätten, die Autoreifen aus der Tür zu schieben und so die Türen zu schließen. Insgesamt seien sieben Personen, insbesondere durch Augenreizungen und Atembeschwerden, verletzt worden.
Durch Beschluss vom 24. Juni 2021 wurde das Verfahren zur Hauptverhandlung zugelassen und vor dem Amtsgericht – Jugendschöffengericht – M. eröffnet. Mit Ladungsverfügung vom gleichen Tag bestimmte der Vorsitzende Richter acht Hauptverhandlungstermine auf den 11., 13., 18. und 20. Januar 2022 sowie auf den 1., 3., 8. und 10. Februar 2022.
Am 28. Dezember 2021 erließ der Vorsitzende Richter eine Sicherheitsverfügung für den Termin zur Hauptverhandlung und die Fortsetzungstermine. Er ordnete an, dass die Zahl der Zuschauerplätze im Verhandlungssaal auf 17, wobei fünf Plätze den Presse– und Medienvertretern vorbehalten blieben, begrenzt werde und eine Einlasskontrolle der Zuschauer einschließlich der Presse- und Medienvertreterschaft stattzufinden habe. Der Zutritt zum Verhandlungssaal sei diesem Personenkreis nur nach der “3G-Regelung der Corona-Schutzmaßnahmen” mit einem Nachweis über den vollständigen Impfschutz, einer Genesung oder einen negativen Corona-Schnelltest, der nicht älter als 24 Stunden sei, gestattet, wobei sie ihre Identität mit einem entsprechenden Lichtbildausweis nachweisen und eine FFP2-Schutzmaske tragen müssten. Diese Schutzmaske sei von den Zuschauern bzw. Presse- und Medienvertretern während der gesamten Dauer der Verhandlung zu tragen.
Mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2021 beantragte Rechtsanwalt Dr. Th. die Aufhebung der Termine. Er begründete dies damit, dass die Aufhebung der Hauptverhandlungstermine das zwingende Ergebnis einer Abwägung zwischen dem Ziel einer wirksamen und raschen Strafverfolgung einerseits und dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung im Allgemeinen und der Verfahrensbeteiligten im Spezifischen sei. Zum einen würden an der Hauptverhandlung mindestens 25 Personen zzgl. Öffentlichkeit, Zeugen und weitere Personen teilnehmen. Zum anderen handele es sich bei dem hier vorgeworfenen schweren Landfriedensbruch, der ein Vergehen und kein Verbrechen darstelle, um ein Geschehen aus dem Sommer 2018, und um keine Haftsache. Mit Verfügung vom 28. Dezember 2021, abgesandt am 30. Dezember 2021, teilte das Gericht Dr. Th. mit, dass es keinen Anlass sehe, den Hauptverhandlungstermin zu verschieben, da ein hinreichender Schutz vor Ansteckungen mit dem Coronavirus gewährleistet sei. Im Übrigen könne aufgrund der umfassenden Schutzmöglichkeiten durch Impfungen ein gesundheitliches Risiko für die Verfahrensbeteiligten weitestgehend ausgeschlossen werden. Auf nochmaligen Antrag auf Terminsverlegung von Rechtsanwalt Dr. Th. vom 30. Dezember 2021 teilte der Vorsitzende Richter mit Schreiben vom 4. Januar 2022 mit, dass es bei dem bestimmten Hauptverhandlungstermin einschließlich der Fortsetzungstermine bleibe.
Rechtsanwalt Dr. Th. legte gegen die Entscheidung des Vorsitzenden vom 30. Dezember 2021 am 04. Januar 2022 Beschwerde ein.
Er führte u. a. aus, dass die Entscheidung des Vorsitzenden ermessensfehlerhaft sei. Der Vorsitzende Richter habe sich mit dem Infektionsrisiko der Omikron-Variante vorliegend nicht hinreichend auseinandergesetzt. Bei seiner Entscheidung habe er weder die Anzahl der Verfahrensbeteiligten berücksichtigt noch die Tatsache, dass viele Schnelltests nicht zuverlässig wirken würden. Zudem würden Angaben über die Größe des Raumes, vorhandene Raumluftfilter, und Plexiglasscheiben fehlen und es seien PCR-Testungen vom Gericht bislang nicht vorgesehen. Darüber hinaus sei auch nicht ermittelt worden, wer von den Verfahrensbeteiligten geimpft sei, die Anwendung der “3G-Regel” gelte nur für Zuschauer.
Die Staatsanwaltschaft beantragte, die Beschwerde zu verwerfen.
Mit Verfügung vom 7. Januar 2022 wurde das Verfahren durch den Vorsitzenden Richter des Amtsgerichts – Jugendschöffengericht – M. dem Landgericht M. zur Entscheidung vorgelegt. In seiner Verfügung führte der Vorsitzende aus, dass der Saal 1 über eine Luftfilteranlage in der Decke verfüge, eine leistungsstarke Filteranlage im Bereich der Sitzplätze der Angeklagten aufgestellt werde und sich zwischen den Sitzplätzen der Verfahrensbeteiligten Plexiglasscheiben befänden.
II.
1.
Die Beschwerde gegen die beantragte Terminsverlegung ist zulässig. Zwar ist die Beschwerde gegen die Ablehnung eines Antrags auf Terminsverlegung grundsätzlich nach § 305 S. 1 StPO ausgeschlossen, sie ist jedoch ausnahmsweise statthaft, wenn sie darauf gestützt ist, dass die Entscheidung des Vorsitzenden rechtswidrig ist, wozu auch die fehlerhafte Ausübung des Ermessens gehört. Entscheidend ist, ob die Zwischenentscheidung der Terminierung für den Betroffenen bereits einen bleibenden rechtlichen Nachteil nach sich zieht, der nicht mehr oder nicht vollständig behoben werden könnte (vergleiche OLG Stuttgart, Beschluss vom 30. November 2020 – 4 Ws 265 / 20 –, zitiert nach juris).
Dem Verteidiger als Verfahrensbeteiligtem kann unter Anwendung dieses Maßstabes nicht verwehrt werden, gestützt auf die Behauptung einer nicht mehr behebbaren drohenden Gesundheitsschädigung und damit einer Verletzung seines Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG die unterlassene Terminsaufhebung als Zwischenentscheidung durch die Einlegung einer Beschwerde zur Überprüfung zu stellen (vergleiche OLG Stuttgart a.a.O.).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
2.
Die Beschwerde ist in der Sache auch begründet.
Der Vorsitzende Richter hat bei seiner Entscheidung das staatliche Interesse an einer reibungslosen und beschleunigten Durchführung des Strafverfahrens, um dem staatlichen Strafanspruch Geltung zu verschaffen, und die Interessen der Verfahrensbeteiligten, namentlich das Gesundheitsrisiko, nicht in angemessener Weise gegeneinander abgewogen. Er hat im Ergebnis die Durchführung des Verfahrens in Saal 1 des Amtsgerichts M. während der zurzeit im Rahmen der Corona-Pandemie vorherrschenden Omikron-Variante höher bewertet als das Recht des Beschwerdeführers auf körperliche Unversehrtheit.
Wichtige Gründe, die für eine solche Bewertung sprechen, sind nicht ersichtlich.
Bei der von dem Gericht durchzuführenden Abwägung im Rahmen des ausgeübten Ermessens hätte zunächst die Größe des Saales 1 von 140 m² und die Anzahl der beteiligten Personen, die mindestens bei 29 und maximal bei 46 Personen liegen dürfte, Berücksichtigung finden müssen. Dies hätte rechnerisch bereits im Ergebnis dazu geführt, dass die geltenden Abstandsvorschriften von mindestens 1,50 m pro Person nicht hinreichend berücksichtigt worden sind. Die Tatsache, dass Plexiglasscheiben zwischen den Sitzplätzen der Verfahrensbeteiligten aufgestellt worden sind, reicht bekanntermaßen nicht aus, um der hochansteckenden Omikron-Variante entgegenzuwirken. Dies gilt auch für die installierte bzw. bewegliche Luftfilteranlage, zumal dem Beschwerdegericht nichts zu deren Wirkungsweise im Einzelnen bekannt ist. Des Weiteren ist nicht ausreichend bewertet worden, dass lediglich die Zuschauer hinsichtlich der Einhaltung der “3G-Regeln” überprüft werden, nicht jedoch in die Verfahrensbeteiligten.
Soweit der Vorsitzende Richter auf den Krankheitsschutz aufgrund von Impfmöglichkeiten verwiesen hat, entspricht dies nicht mehr dem aktuellen Stand. Denn es ist bekannt, dass selbst die Drittimpfung (Boosterimpfung) nicht zuverlässig vor einer Infektion mit der Omikron-Variante schützt und der Schutz von Erst – und Zweitimpfung geringer ausfällt.
Bei der zu treffenden Ermessensabwägung ist auch zu bewerten, dass es sich vorliegend nicht um eine Haftsache handelt, die beschleunigt zu verhandeln ist, sondern um ein Geschehen, das zum Zeitpunkt der Anklageerhebung zwei Jahre und inzwischen nahezu dreieinhalb Jahre zurückliegt. Sofern es sich tatsächlich um eine Haftsache gehandelt hätte, wäre zudem im Rahmen der Ermessenserwägung die Möglichkeit eines anderen Hygienekonzepts zu prüfen gewesen, worüber die Kammer im vorliegenden Fall jedoch nicht zu entscheiden hatte.
Da der Vorsitzende Richter somit von dem ihm zustehenden pflichtgemäßen Ermessen keinen fehlerfreien Gebrauch gemacht hat, waren der Termin zur Hauptverhandlung und die Fortsetzungstermine aufzuheben.
3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.


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