Strafrecht

3 StR 487/21

Aktenzeichen  3 StR 487/21

Datum:
25.1.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2022:250122B3STR487.21.0
Normen:
§ 20 StGB
§ 21 StGB
§ 49 StGB
§ 64 StGB
§ 67 StGB
Spruchkörper:
3. Strafsenat

Verfahrensgang

vorgehend LG Osnabrück, 22. Juli 2021, Az: 12 KLs 5/21

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 22. Juli 2021 aufgehoben in den Aussprüchen über
a) die Einzelstrafen in den Fällen II. 1. a), II. 1. b) und II. 1. c) der Urteilsgründe,
b) die Gesamtfreiheitsstrafe und
c) die Dauer des Vorwegvollzugs eines Teils der Strafen vor der Maßregel;
jedoch bleiben die jeweils zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1
Das Landgericht hat den Angeklagten zum einen wegen Körperverletzung, wegen Körperverletzung in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte, mit Beleidigung und mit Sachbeschädigung sowie wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte (Fälle II. 1. a), II. 1. b) und II. 1. c) der Urteilsgründe) unter Einbeziehung einer wegen versuchten Diebstahls verhängten Einzelstrafe von vier Monaten aus einem Urteil des Amtsgerichts Osnabrück vom 2. März 2020 und Auflösung der dortigen Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten und zwei Wochen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Zum anderen hat es ihn wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Fall II. 2. der Urteilsgründe) zu einer weiteren Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Ferner hat die Strafkammer die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass von der Gesamtfreiheitsstrafe und der Freiheitsstrafe zwei Jahre vor der Maßregel zu vollziehen sind. Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die für die Taten II. 1. a), II. 1. b) und II. 1. c) der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen haben keinen Bestand. Die diesbezüglichen Strafzumessungserwägungen weisen einen durchgreifenden Rechtsfehler auf.
3
Die Strafkammer hat – sachverständig beraten – festgestellt, dass die Steuerungsfähigkeit des alkohol- und drogenabhängigen Angeklagten bei der Begehung dieser Taten aufgrund vorherigen Alkohol- und Drogenkonsums erheblich vermindert war. Von der fakultativen Strafrahmenverschiebung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB hat sie gleichwohl jeweils mit der Begründung abgesehen, der Alkohol- und Drogenrausch des Angeklagten sei selbstverschuldet gewesen. Mit dieser Erwägung durfte das Landgericht hier die Anwendung des gemilderten Strafrahmens nicht ablehnen.
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Zwar kommt die Versagung einer Strafrahmenverschiebung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB grundsätzlich in Betracht, wenn die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit auf eine selbst zu verantwortende Berauschung des Täters zurückzuführen ist (BGH, Beschlüsse vom 10. Juni 2021 – 4 StR 30/21, NStZ 2022, 93 Rn. 6; vom 18. Dezember 2019 – 3 StR 575/19, juris Rn. 5; vom 24. Juli 2017 – GSSt 3/17, BGHSt 62, 247 Rn. 43 ff.). Das setzt aber voraus, dass dem Angeklagten die Intoxikation zum Vorwurf gemacht werden kann. Seine Berauschung ist dem Täter jedoch dann nicht uneingeschränkt vorwerfbar, wenn er alkoholkrank, alkoholüberempfindlich oder drogenabhängig ist (BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2019 – 3 StR 575/19, juris Rn. 5; Urteil vom 12. Juni 2008 – 3 StR 84/08, NStZ 2009, 258 Rn. 4; Beschluss vom 16. Januar 2008 – 3 StR 479/07, NStZ 2008, 330; Fischer, StGB, 69. Aufl., § 21 Rn. 26 mwN).
5
Nach den Feststellungen ist der Angeklagte alkohol- und drogenabhängig. Im Rahmen ihrer Begründung für die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB hat die Strafkammer – dem psychiatrischen Sachverständigen folgend – ausgeführt, vor dem Hintergrund seines langjährigen und massiven Alkohol- und Drogenkonsums werde es dem Angeklagten ohne eine professionelle therapeutische Unterstützung in einem stationären Rahmen nicht gelingen, längere Zeit abstinent zu leben. Die Feststellungen widerstreiten damit der Annahme eines selbstverschuldeten Alkohol- und Drogenrausches.
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Auf dem dargelegten Rechtsfehler beruhen die Aussprüche über die Einzelstrafen (§ 337 Abs. 1 StPO). Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ist nicht auszuschließen, dass die Strafkammer ohne diese Erwägung zur Anwendung des gemilderten Strafrahmens und zu geringeren Strafen gelangt wäre.
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2. Die Aufhebung der für die Taten II. 1. a), II. 1. b) und II. 1. c) der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen bedingt die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs. Die Gesamtstrafenbildung ist aber auch für sich genommen zu beanstanden.
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Das Landgericht hat die Einzelstrafen für die Taten II. 1. a), II. 1. b) und II. 1. c) der Urteilsgründe unter Einbeziehung einer Einzelstrafe wegen versuchten Diebstahls aus einem Urteil des Amtsgerichts Osnabrück vom 2. März 2020 gemäß § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 und 2, § 55 Abs. 1 StGB auf eine Gesamtstrafe zurückgeführt, weil die vorgenannten drei verfahrensgegenständlichen Taten am 7. Februar 2020 begangen wurden. Es hat dem Urteil des Amtsgerichts Osnabrück vom 2. März 2020 Zäsurwirkung beigemessen. Weil die hiesige Tat II. 2. der Urteilsgründe am 29. August 2020 und damit der Vorverurteilung zeitlich nachfolgend verübt wurde, hat die Strafkammer für diese eine gesonderte Freiheitsstrafe verhängt.
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Anhand der Darlegungen im Urteil lässt sich nicht nachprüfen, ob dieses Vorgehen des Landgerichts frei von Rechtsfehlern ist. Denn die Strafkammer hat nicht hinreichend in den Blick genommen, dass bereits mit dem Urteil des Amtsgerichts Osnabrück vom 2. März 2020 zwei getrennte Strafen gegen den Angeklagten verhängt wurden, darunter eine nachträgliche Gesamtstrafe: Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten zum einen wegen versuchten Diebstahls, für den eine Einzelstrafe von vier Monaten festgesetzt wurde, unter Einbeziehung einer Vorverurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat wegen Beleidigung durch das Landgericht Osnabrück vom 9. August 2019 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten und zwei Wochen. Diese Strafe ist zum Zeitpunkt der hiesigen Verurteilung (22. Juli 2021) noch nicht erledigt gewesen. Zum anderen verurteilte das Amtsgericht den Angeklagten wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht zu einer gesonderten Freiheitsstrafe von fünf Monaten; diese Strafe ist zum Zeitpunkt der hiesigen Verurteilung nach vollständiger Strafverbüßung bereits erledigt gewesen.
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Die Urteilsgründe teilen jedoch die Tatzeit des versuchten Diebstahls nicht mit. Naheliegend ist, dass diese Tat vor dem 9. August 2019 begangen wurde. Denn das Amtsgericht Osnabrück hat mit seinem Urteil vom 2. März 2020 – wie ausgeführt – aus der Einzelstrafe für diese Tat und der Strafe wegen Beleidigung aus dem Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 9. August 2019 gemäß § 55 Abs. 1 StGB eine nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe gebildet.
11
Sollte der versuchte Diebstahl vor dem 9. August 2019 begangen worden und damit die nachträgliche Gesamtstrafenbildung durch das Amtsgericht Osnabrück richtig gewesen sein, hätte die Strafkammer die durch das Amtsgericht Osnabrück verhängte Gesamtstrafe nicht auflösen und die Einzelstrafe wegen versuchten Diebstahls nicht mit den Einzelstrafen für die Taten II. 1. a), II. 1. b) und II. 1. c) der Urteilsgründe zu einer Gesamtstrafe zusammenführen dürfen. Denn die vom Amtsgericht Osnabrück ausgesprochene nachträgliche Gesamtstrafe korrigierte dann den Strafausspruch des Urteils des Landgerichts Osnabrück vom 9. August 2019 und wäre damit für alle danach begangenen Taten – also auch die hier verfahrensgegenständlichen Taten – ohne Relevanz; sie wäre als auf das frühere Urteil “zurückprojiziert” zu behandeln und gesamtstrafenrechtlich verbraucht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Februar 2020 – 5 StR 613/19, juris Rn. 4; vom 20. September 2007 – 4 StR 431/07, juris; Urteil vom 12. August 1998 – 3 StR 537/97, BGHSt 44, 179, 180 f. mwN; Fischer, StGB, 69. Aufl., § 55 Rn. 12c). Die zweite mit dem Urteil des Amtsgerichts Osnabrück vom 2. März 2020 isoliert verhängte Freiheitsstrafe wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht wäre zwar grundsätzlich gesamtstrafenfähig mit den Einzelstrafen für die Taten II. 1. a), II. 1. b) und II. 1. c) der Urteilsgründe gewesen; diese Gesamtstrafenfähigkeit ist indes mit der vollständigen Erledigung dieser Strafe entfallen. Damit aber ist zugleich die Zäsurwirkung dieser Vorverurteilung erloschen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2017 – 3 StR 497/16, NStZ-RR 2017, 169; Fischer, StGB, 69. Aufl., § 55 Rn. 10), sodass – als naheliegend – in Betracht kommt, dass die Strafkammer keine nachträgliche Gesamtstrafenbildung vornehmen und nicht zwei getrennte Strafen verhängen durfte, sondern die vier mit dem angefochtenen Urteil verhängten Einzelstrafen auf eine Gesamtstrafe hätte zurückführen müssen.
12
3. Die Aufhebung der Gesamtstrafe entzieht der Bestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs eines Teils der Strafen vor der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt die Grundlage. Zwar ist die Strafkammer im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass bei paralleler Verhängung mehrerer getrennter Freiheitsstrafen in einem Urteil wegen der Zäsurwirkung einer Vorverurteilung Grundlage für die Bemessung der Dauer des Vorwegvollzugs die Summe der im Urteil ausgesprochenen Freiheitsstrafen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. November 2021 – 4 StR 337/21, juris Rn. 5; vom 26. Mai 2020 – 2 StR 65/20, NStZ-RR 2020, 242, 243; vom 19. Januar 2010 – 3 StR 499/09, NStZ-RR 2011, 106, 107). Da über die Einzelstrafen in den Fällen II. 1. a), II. 1. b) und II. 1. c) der Urteilsgründe und die Gesamtstrafe erneut befunden werden muss, ist indes die Dauer des Vorwegvollzugs (§ 67 Abs. 2 Satz 3, Abs. 5 Satz 1 StGB) neu zu berechnen.
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4. Die Sache bedarf im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Die zugehörigen Feststellungen bleiben von den aufgezeigten Rechtsfehlern unberührt, sodass sie gemäß § 353 Abs. 2 StPO bestehen bleiben können. Weitergehende Feststellungen, die den bislang getroffenen nicht widersprechen, sind möglich.
Berg     
      
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