Strafrecht

Anordnung der Entnahme und molekulargenetischen Untersuchung von Körperzellen zur Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren – Straftat von erheblicher Bedeutung – Negativprognose

Aktenzeichen  1 Qs 55/21

Datum:
23.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 17314
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Traunstein
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 81g Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Eine Straftat von erheblicher Bedeutung iSd § 81g Abs. 1 S. 1 StPO ist dann gegeben, wenn die Straftat mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist, den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

I Gs 1777/20 2020-10-12 Bes AGROSENHEIM AG Rosenheim

Tenor

1. Die Beschwerde des Betroffenen R….. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim vom 12.10.2020 wird als unbegründet verworfen.
2. Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.
Das Amtsgericht Rosenheim verurteilte den Beschwerdeführer am 14.05.2019 wegen Diebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung.
Der Verurteilung lag nach folgender Sachverhalt zugrunde:
Am 19.10.2018 gegen 19:15 Uhr entwendete der Angeklagte das am Hintereingang des Hauses in Am K.platz 8, B. abgestellte Fahrrad Ghost/Square Cross X, schwarz/grün, FIN: WZR1203217K des Geschädigten J., indem er das angebrachte Spiralschloss mit einer mitgeführten kleinen Zange durchtrennte.
Der Wert des in gutem Zustand befindlichen Fahrrades, das der Angeklagte für sich behalten wollte, betrug mindestens 250 €. Der Geschädigte J. kaufte das Fahrrad 2015 zu einem Preis von 650.- Euro (UVP 750:- Euro).
Die gegen das Urteil eingelegte Berufung nahm der Beschwerdeführer in der Berufungshauptverhandlung vor dem Landgericht Traunstein am 03.10.2019 zurück.
Nachdem der Beschwerdeführer einem Termin zur Abgabe einer freiwilligen Speichelprobe am 14.08.2020 nicht nachgekommen war, erging am 12.10.2020 auf Antrag der Staatsanwaltschaft Traunstein unter dem Gz. I Gs 1777/20 ein Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim, mit welchen gemäß §§ 81 g, 162 StPO die molekulargenetische Untersuchung der durch eine körperliche Untersuchung erlangten Körperzellen durch das Landeskriminalamt Sachgebiet 203 zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters sowie des Geschlechts zum Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren angeordnet wurde. Zudem wurde die Entnahme eines Mundhöhlenabstrichs und für den Fall der Weigerung die Entnahme einer Blutprobe durch einen Arzt wurde angeordnet, § 81 Absatz ein Satz 2 StPO sowie die Durchsuchung der im Beschluss benannten Wohnung des Beschwerdeführers nach dem §§ 102, 105 Abs. 1 StPO zur Auffindung des Betroffenen zum Zwecke der Entnahme von Körperzellen.
Mit Schriftsatz seiner anwaltlichen Vertreterin vom 14.01.2021 legte der Beschwerdeführer gegen den Beschluss vom 12.10.2020 Beschwerde ein und beantragte die Aussetzung des Vollzuges des Beschlusses gemäß § 307 Abs. 2 StPO.
Das Amtsgericht Rosenheim wies die mit der Vollstreckung des Beschlusses vom 12.10.2020 beauftragte Polizeiinspektion Prien am Chiemsee am 04.02.2021 an, den Beschluss einstweilen nicht zu vollziehen.
Nach erfolgter Akteneinsicht wurde zur Beschwerdebegründung ausgeführt, die angeordneten Eingriffsmaßnahmen seien rechtswidrig. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Beschwerdebegründung Bezug genommen.
Das Amtsgericht Rosenheim half der Beschwerde mit Beschluss vom 02.03.2021 nicht ab. Hinsichtlich der Gründe wird ausdrücklich auf den Beschluss vom 02.03.2021 Bezug genommen.
Die Staatsanwaltsschaft Traunstein legte die Akten ohne Antrag mit Verfügung vom 04.03.2021 dem Landgericht Traunstein zur Entscheidung über die Beschwerde vom 14.01.2021 vor.
Mit Schriftsatz vom 05.03.2021 ergänzte die anwaltliche Vertreterin des Beschwerdeführers das Beschwerdevorbringen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
1. Gemäß § 81g StPO dürfen einem Beschuldigten, der einer Straftat von erheblicher Bedeutung oder einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung verdächtig ist, zur Identitätsfeststellung in künftigen Verfahren Körperzellen entnommen und zur Feststellung des DNA-Idendifizierungsmusters sowie des Geschlechts molekulargenetisch untersucht werden, wenn wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Beschuldigten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass gegen ihn künftig Strafverfahren wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung zu führen sind.
Gemäß § 81g Abs. 4 StPO gilt das entsprechend, wenn die betroffene Person wegen der Tat rechtskräftig verurteilt ist.
Die Straftat, wegen welcher der Beschwerdeführer am 14.05.2019 verurteilt wurde, stellt sich als Straftat von erheblicher Bedeutung dar. Die Straftat muss mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen sein, den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sein, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen vgl. Karlsruher Kommentar, Kommentar zur StPO, Hadamitzky, zu § 81g StPO, Rn 5).
Hierzu hat das Amtsgericht Rosenheim in der Nichtabhilfeentscheidung vom 02.03.2021 umfangreiche und zutreffende Ausführungen gemacht, denen sich die Kammer vollumfänglich anschließt.
2. Es besteht zur Überzeugung der Kammer auch weiterhin Grund zu der Annahme, dass gegen den Beschwerdeführer künftig erneut Strafverfahren wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung oder wegen mehrerer sonstiger Straftaten im Sinne des § 81 b Abs. 1 Satz 2 StPO zu führen sind.
Die Prognoseentscheidung hat in Form einer Gesamtabwägung der einzelnen Faktoren zu erfolgen. Zunächst ist festzustellen, dass der Beschwerdeführer, wenngleich länger zurückliegend (Urteil des Amtsgerichts München vom 8. 20.09.2012), wegen Hehlerei zu einer empfindlichen Geldstrafe von 180 Tagessätzen verurteilt wurde. Hinsichtlich der der Verurteilung vom 14.05.2019 zugrunde liegenden Tat ist zu konstatieren, dass diese professionell vorbereitet und durchgeführt wurde. Das entwendete Fahrrad befand sich in einem deutlich zurückversetzen, erhöhten Eingangsbereich, der lediglich über eine Treppe erreichbar war und von der Straße im Vorbeifahren nicht einsehbar war. An einem dort befindlichen Geländer war das Fahrrad mittels eines Spiralschlosses gesichert. Der Beschwerdeführer hat sich am Tattag laut Zeugenaussagen nach Abstellen seines Fahrzeugs und Abwarten, bis die Straße frei von Passanten war, schnellen Schrittes gezielt zu dem Tatobjekt begeben. Hieraus ist zu schließen, dass dieser das Diebesgut und die Örtlichkeit bereits vorher ausspioniert hatte. Dieser Schluss ergibt sich auch aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer ein geeignetes Werkzeug mit sich führte, um das Spiralschloss zu durchtrennen. Der Beschwerdeführer hat sich somit seinem Tatplan folgend mit seinem Fahrzeug zum Tatort begeben, um das Fahrrad zu entwenden und mit dem Fahrzeug vom Tatort zu entfernen. Dies zeugt von einer doch erheblichen kriminellen Energie des Beschwerdeführers bei der Tatausführung.
Zwar weist die Vertreterin des Beschwerdeführers zu Recht darauf hin, dass es keine weiteren Verurteilungen gegen den Beschwerdeführer gegeben hat, jedoch wurde gegen den Beschwerdeführer in der Vergangenheit immer wieder in Zusammenhang mit diversen, zum Teil erheblichen Diebstahlsvorwürfen ermittelt.
Letztlich sind laut Urteil des Amtsgerichts Rosenheim vom 14.05.2019 die finanziellen Verhältnisse des Beschwerdeführers als angespannt anzusehen, der 1200.- Euro netto monatlich verdient und in den Wintermonaten ausgestellt wird. Selbst unter Berücksichtigung der Einkünfte der Ehefrau in Höhe von 450 € sind die monatlich zur Verfügung stehenden Geldmittel aufgrund der monatlichen Miethöhe in Höhe von 800.- Euro warm mit ca. 850 € für 2 Personen doch sehr begrenzt, was weitere Vermögensdelikte befürchten lässt.
Aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände ist vorliegend von einer Wiederholungsgefahr auszugehen.
Nur ergänzend ist zu bemerken, dass die Vollstreckung der Entscheidung nach § 36 Abs. 2 Satz 1 StPO durch die Staatsanwaltschaft und die für diese tätig werdende Polizei erfolgt. Die Anordnung zur Entnahme nach § 81g Abs. 1 StPO beinhaltet zugleich die Befugnis zu deren zwangsweiser Durchsetzung. Die frühere Streitfrage, ob eine auf §§ 102, 105 StPO gestützte Durchsuchungsmaßnahme zulässig ist, hat sich durch die Aufnahme der retrograden DNA-Analyse in § 81g StPO erledigt (vgl. Münchner Kommentar, Türk, zu § 81g StPO, Rn 25).
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.


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