Strafrecht

Ausweisung, Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 4 bzw. 6 Jahre, Türkischer Staatsangehöriger, ARB-Berechtigung;, 35 Jahre im Bundesgebiet;, Niederlassungserlaubnis;, Drogenabhängigkeit, Drogenkriminalität, Beschaffungskriminalität, Faktischer Inländer;, Ledig, Keine Kinder

Aktenzeichen  M 24 K 20.2377

Datum:
6.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30877
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 53
AufenthG § 54
AufenthG § 55
ARB 1/80 Art. 7
EMRK Art. 8 Abs. 1
AufenthG § 11

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
1. Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 19. Mai 2020 in der Fassung vom 6. Mai 2021. Die Klage ist im Hauptantrag als Anfechtungsklage gegen die in diesem Bescheid verfügte Ausweisung, im Hilfsantrag als Verpflichtungsklage auf Herabsetzung der von der Beklagten verfügten Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 AufenthG) statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist die Klagefrist eingehalten.
2. Die Klage ist jedoch im Haupt- und Hilfsantrag unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid vom 19. Mai 2020 in der Fassung vom 6. Mai 2021 erweist sich im hier maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, U.v. 30.7.2013 – 1 C 9.12 – juris Rn. 8; U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – juris Rn. 12) als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf (weitere) Verkürzung der Frist des gegen ihn verfügten Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 113 Abs. 5 VwGO, § 114 Satz 1 VwGO).
2.1. Der Bescheid ist formell rechtmäßig.
Die Ausländerbehörde der Landeshauptstadt München war für den Erlass des Bescheides nach § 71 Abs. 1 AufenthG, § 1 Nr. 1, § 2, § 6 Abs. 1 Satz 1 (seit 1 Dezember 2020: § 7 Abs. 1 Satz 1) Zuständigkeitsverordnung Ausländerrecht (ZustVAuslR) vom 27. August 2018 (GVBl. S. 714, 738, BayRS 26-1-1-I), die zuletzt durch Verordnung vom 2. November 2020 (GVBl. S. 625) geändert worden ist, sachlich und örtlich zuständig. Die Haft des Klägers ändert nichts an der örtlichen Zuständigkeit (§ 6 Abs. 3 Nr. 1 bzw. heute § 7 Abs. 3 Nr. 1 ZustVAuslR). Dem Kläger wurde vor Erlass des Bescheides Gelegenheit gegeben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG).
2.2. Die in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides verfügte Ausweisung des Klägers ist materiell rechtmäßig.
Das Gesetz sieht die Ausweisung ausnahmslos als gebundene Entscheidung vor, bei der die Behörde keine Ermessenserwägungen treffen darf und die daher der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt (BeckOK AuslR/Tanneberger/Fleuß, 25. Ed. 1.11.2019, AufenthG § 53 Rn. 20 m.w.N.).
Das Gericht folgt der ausführlichen und zutreffenden Begründung des streitgegenständlichen Bescheids vom 19. Mai 2020 in der Fassung vom 6. Mai 2021 und sieht – abgesehen von den folgenden Ausführungen – von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).
2.2.1. Die Ausweisung findet vorliegend ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Steht dem Ausländer – wie hier dem Kläger als türkischem Staatsangehörigen abgeleitet gemäß Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 von seinem Vater als dem regulären Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland angehörig gewesenem türkischen Arbeitnehmer, was vorliegend auch unstreitig ist – ein Recht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation -ARB 1/80- zu, sind an die Qualität der erforderlichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erhöhte Anforderungen zu stellen. Denn ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, darf nach § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.
In der Rechtsprechung ist geklärt, dass gegen die Anwendung der ab 1. Januar 2016 geltenden neuen Ausweisungsvorschriften auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige auch mit Blick auf Art. 13 ARB 1/80 (sog. Stillhalteklausel) keine Bedenken bestehen, weil sich die materiellen Anforderungen, unter denen diese Personen ausgewiesen werden dürfen, nicht zu ihren Lasten geändert haben und jedenfalls in der Gesamtschau eine Verschlechterung der Rechtspositionen eines durch Art. 13, 14 ARB 1/80 geschützten türkischen Staatsangehörigen nicht feststellbar ist (vgl. BayVGH, U.v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 – juris Rn. 28; B.v. 13.5.2016 – 10 ZB 15.492 – juris Rn. 14; B.v. 11.7.2016 – 10 ZB 15.837 – Rn. 11 jeweils m.w.N.). Der Maßstab des § 53 Abs. 3 AufenthG gibt exakt die Voraussetzungen wieder, die nach ständiger Rechtsprechung (EuGH, U.v. 8.12.2011 – C-371/08, „Ziebel“ – juris Rn. 82ff.; U.v. 29.3.2012 – C-7/10,C-9/10, „Kahveci„und „Inan“ – Rn. 40) für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen gemäß Art. 14 ARB 1/80 erfüllt sein mussten (BayVGH, B.v. 10.4.2019 – 19 ZB 17.1535 – juris Rn. 9-11 m.w.N.). Im Fall der Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen führt § 53 Abs. 3 AufenthG nicht zu einer Verdrängung der wertenden und gewichtenden Ausweisungsbestimmungen nach §§ 53 Abs. 1, 54, 55 AufenthG; ihnen kommt auch im Rahmen des § 53 Abs. 3 AufenthG die Bedeutung von gesetzlichen Umschreibungen spezieller Interessen mit dem jeweiligen Gewicht zu (BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 24; BayVGH, B.v. 10.4.2019 – 19 ZB 17.1535 – juris Rn. 9-11).
Da der Ausweisungsschutz aus Art. 3 Abs. 3 Europäisches Niederlassungsabkommen nicht weiter reicht als der aus ARB 1/80, ergibt sich aus jener Norm kein anderer Maßstab für die rechtliche Überprüfung der Ausweisung des Klägers (vgl. BVerwG, U.v. 2.9.2009 – 1 C 2/09 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 10.4.2019 – 19 ZB 17.1535 – juris Rn. 9-11). Auch aus Art. 7 des Niederlassungsabkommens zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik vom 12.1.1927 (BGBl II 1952, 608) ergeben sich keine höheren Anforderungen als die §§ 53 ff. AufenthG vorsehen.
Die Ausweisung ist unter Berücksichtigung des dargelegten Maßstabs rechtmäßig, weil das persönliche Verhalten des Klägers gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt und nach der erforderlichen Interessenabwägung die Ausweisung verhältnismäßig und für die Wahrung eines Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist.
2.2.2. Das persönliche Verhalten des Klägers stellt gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für öffentliche Sicherheit und Ordnung in Deutschland dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
2.2.2.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose hinsichtlich der Wiederholungsgefahr zu treffen, ohne dass sie an die Feststellungen der Strafgerichte rechtlich gebunden sind (BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10/12 – juris Rn. 18f. unter Verweis auf EuGH, U.v. 8.12.2011 – C-371/08, „Ziebel“, demzufolge der Gedanke der Resozialisierung im Aufnahmemitgliedstaat keinen Vorrang bei der Abwägung hat). Bei der vom Gericht zur angefochtenen Ausweisungsverfügung zu treffenden eigenständigen Prognose zur Sicherheitsgefahr bzw. schwerwiegenden Gefahr i.S.v. § 53 Abs. 3 AufenthG, ergeben sich die heranzuziehenden Indizien nicht nur aus dem Verhalten im Strafvollzug (oder Maßregelvollzug) und danach. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Tat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Für die Feststellung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr gilt ein differenzierender Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wonach an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BayVGH, B.v. 10.4.2019 – 19 ZB 17.1535 – juris Rn. 9-11; BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18). Bei der Ermittlung der erforderlichen Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ist der Rang des bedrohten Rechtsguts zu berücksichtigen, denn dieser bestimmt die mögliche Schadenshöhe (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – juris Rn. 16).
Der Maßstab einer gegenwärtigen, hinreichend schweren Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft verweist – anders als der Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit u. Ordnung im Polizeirecht – nicht auf die Gesamtheit aller Rechtsnormen, sondern auf einen spezifischen Rechtsgüterschutz (Bergmann/Dienelt/Dienelt, 13. Aufl. 2020, ARB 1/80 Art. 14 Rn. 43). Die Qualität der Gefährdung eines Grundinteresses der Gesellschaft kann dabei nicht durch die Quantität der Anzahl von Straftaten aufgewogen werden. Die Tatbestandvoraussetzung schließt in erster Linie eine Ausweisung wegen Fällen von Klein- oder Bagatellkriminalität aus. Wann umgekehrt eine schwerwiegende, ein Grundinteresse der Gesellschaft tangierende Gefahr vorliegt, lässt sich nicht losgelöst vom Einzelfall abstrakt bestimmen. Als allgemeine Leitlinie kann gelten, dass jedenfalls bei Drogen- und Gewaltkriminalität ein Grundinteresse der Gesellschaft betroffen ist (BeckOK AuslR/Kurzidem, 25. Ed. 1.3.2020, EWG-Türkei Art. 14 Rn. 15). Die obergerichtliche Rechtsprechung hat zudem festgehalten, dass etwa Verurteilungen wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Diebstahls (in fünf tatmehrheitlichen Fällen) einen hinreichend schweren Ausweisungsanlass darstellen, der über die mit jedem Rechtsverstoß verbundene Störung der öffentlichen Ordnung deutlich hinausgeht und ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (BayVGH, U.v. 28. März 2017 – 10 BV 16.1601 -, juris Rn 34).
Zu sehen ist in diesem Zusammenhang weiter, dass Betäubungsmitteldelikte zu den schweren, die Grundinteressen der Gesellschaft berührenden und schwer zu bekämpfenden Straftaten gehören (Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV). Die Folgen insbesondere für junge Menschen können äußerst gravierend sein. In ständiger Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, schwerwiegend sind und ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren (vgl. BVerwG, U.v. 14.5.2013 – 1 C 13.12 – juris Rn. 12 mit Nachweisen zur RSpr. des EuGH und des EGMR; vgl. BayVGH, B.v. 7.3.2019 – 10 ZB 18.2272 – juris Rn. 7). Die von unerlaubten Betäubungsmitteln ausgehenden Gefahren betreffen die Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit, welche in der Werteordnung der Grundrechte einen sehr hohen Rang einnehmen. Rauschgift bedroht diese Schutzgüter in hohem Maße und trägt dazu bei, dass soziale Beziehungen zerbrechen und die Einbindung in wirtschaftliche Strukturen zerstört wird. Die mit dem Drogenkonsum häufig einhergehende Beschaffungskriminalität schädigt zudem die Allgemeinheit, welche ferner auch für die medizinischen Folgekosten aufkommen muss (BayVGH, B.v. 10.4.2019 – 19 ZB 17.1535 – juris Rn. 9-11; B.v. 14.3.2013 – 19 ZB 12.1877; B.v. 10.10.2017 – 19 ZB 16.2636 – juris Rn. 8). Zu den gesellschaftlichen Grundinteressen zählt der Eigentumsund Vermögensschutz wie auch die körperliche Integrität Dritter.
2.2.2.2. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben steht zur Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 VwGO) fest, dass vom Kläger eine die Ausweisung tragende erhebliche Gefahr der Begehung weiterer Straftaten (Wiederholungsgefahr) ausgeht und sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
Der streitgegenständliche Bescheid vom 19. Mai 2020 in der Fassung vom 6. Mai 2021 konnte sich im Ausgangspunkt auf das Urteil des Amtsgerichts München vom 27. November 2019 stützen, mit dem der Kläger wegen Diebstahls in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten und Unterbringung in einer Entziehungsanstalt verurteilt wurde. Damit hat der Kläger auch das typisierte besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG verwirklicht. Dieses greift, wenn ein Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsoder Jugendstrafe von mindestens 2 Jahren verurteilt wurde. Der Kläger hat zuvor bereits zahlreiche Straftaten aus unterschiedlichsten Bereichen begangen, einschließlich räuberischen Diebstahls, Hehlerei, Betrugs, Körperverletzung und unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln. Er ist nur wenige Jahre ohne die Begehung von Straftaten ausgekommen und ist als Intensivstraftäter zu bezeichnen. Seine kriminelle Karriere begann dabei bereits im Jugendalter und hat sich stetig gesteigert. Trotz einschlägiger Vorstrafen und teilweise unter offener Bewährung ist er immer wieder erneut straffällig geworden. Auch in der Vergangenheit durchgeführte Therapien und Entgiftungen konnten ihn nicht von weiteren Straftaten abhalten. Befeuert wurde seine Straffälligkeit jeweils von seiner Drogensucht, zu deren Finanzierung er zahlreiche der Taten beging. Augenfällig ist die sich steigernde Dreistigkeit des Klägers bei der Begehung seiner Straftaten und die ebenfalls immer größer werdenden Schadenssummen. Zugleich ist der Kläger trotz wiederholter stationärer Anläufe und auch ambulanter Betreuung und trotz strafrechtlich angeordneter Drogentherapie im Maßregelvollzug immer wieder rückfällig in die Drogensucht geworden. Mit Ausnahme des Zeitraums von 2012 bis 2016 währte die Drogenfreiheit nie lange. Diese strafrechtliche und suchtbezogene Entwicklung im Verhalten des Klägers reicht vom Jugendalter bis heute im gefestigten Erwachsenenalter. Bezeichnend ist, dass die nun erneut angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wegen fehlender Erfolgsaussichten abgebrochen werden musste. Auch von ausländerrechtlichen Verwarnungen hat sich der Kläger völlig unbeeindruckt gezeigt. Eine Verhaltensänderung konnten sie nicht erzielen.
Der Kläger ist wie dargelegt überdies im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nach wie vor im Hinblick auf seine Drogensucht untherapiert. Zuletzt wurde eine Unterbringung nach § 64 StGB wegen mangelnden Erfolgsaussichten abgebrochen (Bl. 843 BA). Der Kläger hat bei seiner Einlassung in der mündlichen Verhandlung zunächst eine aktuell mögliche Drogentherapie mit Beginn im Juli 2021 ins Zentrum seiner Ausführungen gestellt, die Teilnahme daran als sein wesentliches Ziel dargestellt und zu seiner Therapiewilligkeit und Therapiebereitschaft ausgeführt. Es möge ihm die Teilnahme an dieser ca. 6 -monatigen Therapie ermöglicht werden. Im weiteren Verlauf der Verhandlung hat der Kläger diese ursprüngliche Einlassung nicht weiterverfolgt. Die Erfolgsaussichten dieser Therapie erscheinen dem Gericht nach der Vorgeschichte des Klägers und dem vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck auch zweifelhaft. Der Kläger zeigte sich teilweise aufbrausend und erneut ohne wesentliche Einsicht in seine früheren Straftaten. Die von der Beklagten nun letztlich verfügten, zuvor aber jahrelang für den Fall weiterer Straffälligkeit angekündigten aufenthaltsrechtlichen Folgen sieht er als unfair an, weil er in München geboren sei und nicht schlechter behandelt werden solle als ein deutscher Staatsbürger. Zudem lassen auch ein Wohlverhalten in Haft, Maßregelvollzug oder hier dem geschützten Rahmen der beabsichtigtenTherapie in der Fachklinik nach ständiger Rechtsprechung noch nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung schließen, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würden (vgl. BayVGH, B.v. 13.10.2017 – 10 ZB 17.1469 – juris Rn. 12; B.v. 29.8.2017 – 10 C 17.1298 – juris Rn. 3; B.v. 19.5.2015 – 10 ZB 15.331 – juris Rn. 7). Dass es bislang trotz einer Anordnung nach § 64 StGB nicht zu einer erfolgreichen Therapie gekommen ist, ist in der Sphäre des Klägers zu verorten. All dies spricht zur Überzeugung des Gerichts für die Annahme der erforderlichen Wiederholungsgefahr.
Die vom Kläger begangenen Straftaten stellen dabei einen hinreichend schweren Ausweisungsanlass dar, der über die mit jedem Rechtsverstoß verbundene Störung der öffentlichen Ordnung deutlich hinausgeht und ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Es handelt sich bei den vom Kläger begangenen Straftaten nicht um Klein- oder Bagatellkriminalität. Vielmehr ist zunächst in den Blick zu nehmen, dass schon die mit der Anlassverurteilung abgeurteilten Taten besonders erhebliche Eigentumspositionen betreffen. Der Kläger beging bei seinen Beutezügen Diebstähle mit großen, jeweils vierstelligen Schadenssummen. Dem Kläger sind darüber hinaus nicht nur die zur Finanzierung seiner Drogensucht über Jahre hinweg begangenen Eigentums- und Vermögensdelikte mit teilweise großem Schaden zur Last zu legen, vielmehr hat er auch mit Betäubungsmitteln in erheblichem Umfang gehandelt (vgl. Verurteilung vom 22. März 2010). Gerade auch der vorliegende Fall zeigt geradezu exemplarisch, dass Betäubungsmitteldelikte zu den schweren, die Grundinteressen der Gesellschaft berührenden und schwer zu bekämpfenden Straftaten gehören (Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV), die mit erheblichen persönlichen Folgen auch für die Konsumenten verbunden sind. Schließlich hat der Kläger auch Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit (vgl. Urteil vom 27. September 2011) und damit Gewaltdelikte begangen, die keinen besonderen Bezug zur Beschaffung von Betäubungsmitteln hatten. Er ist insgesamt aufgrund seiner Straftaten zu Freiheitsstrafen von jenseits von sechs Jahren verurteilt worden. Unabhängig davon, welche Zeiträume er infolge der Verurteilungen tatsächlich im Justizvollzug verbrachte, zeigt auch dies nachdrücklich, dass seine vielfältige Straffälligkeit ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
2.2.3. Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausreise überwiegt und die Ausweisung auch unerlässlich ist für die Wahrung des bereits dargestellten Grundinteresses der Gesellschaft.
Dabei ist im Rahmen der Prüfung der Unerlässlichkeit zu beachten, dass die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein müssen, wobei sämtliche konkreten Umstände, die für die Situation des Betroffenen kennzeichnend sind, zu berücksichtigen sind (vgl. BayVGH, U.v. 28.6.2016 – 10 B 13.1982 – juris Rn. 44 m.w.N.). Auch im Rahmen des § 53 Abs. 3 AufenthG ist unter Berücksichtigung des besonderen Gefährdungsmaßstabs für die darin bezeichneten Gruppen von Ausländern eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach § 53 Abs. 1 (i.V.m. Abs. 2) AufenthG durchzuführen (vgl. dazu die Gesetzesbegründung zu § 53 Abs. 3, BT-Drs. 18/4097 S. 50; BayVGH, U.v. 28.6.2016 – 10 B 13.1982 – juris Rn. 44; U.v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 – juris Rn. 37).
Dem bereits skizzierten, in der Person des Klägers bestehenden und in seiner massiven Straffälligkeit begründeten besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG steht vorliegend ein ebenfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegenüber, denn der Kläger war bis zur hier streitgegenständlichen Ausweisung in Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Die unter Einstellung sämtlicher berührter Belange vorzunehmende Gesamtabwägung ergibt jedoch, dass das öffentliche Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt.
Das Vorliegen eines in § 54 AufenthG normierten Ausweisungsinteresses, dem ein Bleibeinteresse gegenübersteht, führt nicht ohne Weiteres zur Ausweisung des Betroffenen. § 53 AufenthG gestaltet die Ausweisung als Ergebnis einer umfassenden, ergebnisoffenen Abwägung aller Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aus. In die Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG sind die in §§ 54, 55 AufenthG vorgesehenen Ausweisungs- und Bleibeinteressen mit der im Gesetz vorgenommenen grundsätzlichen Gewichtung einzubeziehen. Erforderlich ist eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalles (vgl. BT-Drs. 18/4097, S. 49 f.; HessVGH, B.v. 5.2.2016 – 9 B 16/16 – juris Rn. 5), darunter die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Aufnahmestaat, sein Alter, die Folgen der Ausweisung für die betroffene Person und ihre Familienangehörigen, ebenso die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, sowie die – persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen – Bindungen zum Aufenthaltsstaat oder fehlende Bindungen zum Staat der Staatsangehörigkeit (vgl. § 53 Abs. 2 AufenthG). Anhand dessen muss festgestellt werden, ob das Interesse an der Ausweisung letztlich überwiegt und die Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 3 AufenthG unerlässlich ist.
Prinzipiell erfassen die Bleibeinteressenstatbestände die Grundrechtspositionen und tragen den Wertentscheidungen der europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in grundsätzlich ausreichender Weise Rechnung (vgl. BVerfG, B.v. 1.3.2004 – 2 BvR 1570/03 – juris Rn. 21). Ungeachtet dessen sind die Bleibeinteressen des Klägers, die sich auf Grundrechtspositionen und auf Wertentscheidungen der EMRK stützen lassen, bei der vorzunehmenden Abwägung von Ausweisungs- und Bleibeinteresse ihrer Wertigkeit entsprechend in die Abwägung einzustellen und zu gewichten. Insbesondere sollen in die Abwägung die Kriterien mit einbezogen werden, die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) insoweit zu Art. 8 EMRK entwickelt worden sind: Art und Schwere der Straftat, Dauer des Aufenthalts im Gastland, seit der Tatzeit verstrichene Zeitspanne und Verhalten des Ausländers in dieser Zeit, Staatsangehörigkeit der Betroffenen, familiäre Situation und Dauer einer etwaigen Ehe, etwaige Kenntnis des Ehegatten von der Straftat bei Aufnahme der Beziehung, etwaige aus der Ehe hervorgegangene Kinder, ihr Alter und das Maß an Schwierigkeiten, denen der Ehegatte und/oder die Kinder im Abschiebungszielland begegnen können, sowie die Festigkeit der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Abschiebungszielland (BT-Drs 18/4097, S. 49; EGMR, U.v. 12.1.2010 – 47486/06, , in Fortschreibung der Boultif/Üner Kriterien; OVG NRW, U.v. 22.3.2012, – 18 A 951/09 – juris).
Zugunsten der klägerischen Bleibeinteressen ist dabei zunächst in den Blick zu nehmen, dass der Kläger im Bundesgebiet geboren, hier aufgewachsen ist und Zeit seines Lebens, also inzwischen gut 35 Jahre, in Deutschland gelebt hat. Seine Bindungen zum Bundesgebiet hat er in der mündlichen Verhandlung nochmals verdeutlicht. Auch lebt seine engere Familie, bestehend aus Eltern und Geschwistern im Bundesgebiet. Der Kläger ist „faktischer Inländer“. Diese Stellung als „faktischer Inländer“ verhindert die Ausweisung jedoch nicht von vornherein, sondern erfordert lediglich eine Abwägung der besonderen Umstände des Betroffenen und des Allgemeininteresses im jeweiligen Einzelfall (vgl. EGMR, U.v. 13.10.2011 – Nr. 41548/06, Trabelsi – juris Rn. 53; BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16; B.v. 1.3.2004 – 2 BvR 1570/03; BayVGH, B.v. 26.1.2015 – 10 ZB 13.808 – juris Rn. 37). Der volljährige Kläger ist ledig und kinderlos. Eine eigene Kernfamilie hat er nicht gegründet, so dass keine Bindungen bestehen, die in besonderem Maße unter verfassungsmäßigem Schutz (Art. 6 GG) stünden. Wenngleich er sein gesamtes Leben in der Bundesrepublik verbrachte, ist zu sehen, dass er während des Lebensanteils als Jugendlicher und Erwachsener, also ab Beginn der Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Lebensführung, nicht rechtstreu in der Bundesrepublik lebte. Von einer sozialen und beruflichen / wirtschaftlichen Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse kann nicht gesprochen werden. Er hat in Deutschland zwar einen Schulabschluss in Form des qualifizierenden Hauptschulabschlusses erworben. Die von ihm begonnenen Ausbildungen scheiterten zwar, zumindest in einem Fall aber lediglich an den schulischen Anforderungen. Nach Abbruch der Ausbildungen und vorübergehender Arbeit als Versicherungsvertreter und in Zeitarbeit war er zuletzt seit 2013 arbeitslos. Der Kläger ist trotz seines langandauernden Aufenthalts im Bundesgebiet seit seiner Geburt somit wirtschaftlich nur wenig integriert in Deutschland, die berufliche Integration ist letztlich nicht gelungen. Der Kläger hat auch Schulden aus früheren Strafverfahren.
Die Bleibeinteressen vermögen sich bei der Gesamtabwägung nicht über die erheblichen staatlichen Ausweisungsinteressen durchzusetzen. Der Kläger hat über die Jahre eine Vielzahl an Straftaten begangen, die mit mehr als sechs Jahren Freiheitsstrafe insgesamt geahndet wurden. Über seine Verurteilung hinaus wurden zudem zahlreiche weitere strafrechtliche Ermittlungsverfahren geführt, die später nach § 154 Abs. 1, Abs. 2 StPO eingestellt wurden. Seine Straftaten beging der Kläger trotz aufenthaltsrechtlicher Verwarnungen und einschlägiger Vorstrafen, trotz des hohen staatlichen und privaten Aufwands auch hinsichtlich der ihm angebotenen Therapiemöglichkeiten und trotz laufender Bewährungen. Letztlich weist die Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid zurecht darauf hin, dass den Kläger nichts von der Begehung weiterer Taten abhalten konnte. Die Rückfallgeschwindigkeit war, mit Ausnahme der vier Jahre zwischen 2012 und 2016, in denen der Kläger vorübergehend drogenfrei war, stets sehr hoch. Die Wiederholungsgefahr für weitere Straftaten ist als besonders hoch einzustufen.
Von den Straftaten des Klägers waren zahlreiche Rechtsgüter betroffen. Zunächst sind hier in erster Linie Eigentums- und Vermögensdelikte zu nennen, aber auch das besonders hoch eingestufte Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit war mehrfach betroffen. Nimmt man das unerlaubte Handeltreiben mit der besonders gefährlichen harten Droge Heroin hinzu, so wird deutlich, dass die Straftaten des Klägers letztlich das gesamte Feld der „Drogenkriminalität“ betreffen, von der Beschaffungskriminalität bis hin zur weiteren Verbreitung von Drogen. Die Bekämpfung der mit dem illegalen Handel von Betäubungsmitteln verbundenen Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die oftmals mit besonderen kriminellen auch organisierten Strukturen einhergehen, ist von besonders hoher Bedeutung. Bei den Drogen und ihren Folgen handelt es sich um eine Problematik, die mit allen staatlichen Mitteln, einschließlich des Aufenthaltsrechts bekämpft werden muss, was nicht zuletzt der Fall des Klägers auch geradezu exemplarisch zeigt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in Bezug auf die Beurteilung der Schwere begangener Straftaten betont, dass es sich bei dem Drogenhandel in Anbetracht der verheerenden Auswirkungen von Drogen auf die Bevölkerung um eine „Geißel der Menschheit“ handele (Vgl. EGMR, U.v. 19.2.1998 – 154/1996/773/974 (Dalia) -, Hudoc, Rn. 54; U.v. 30.11.1999 – 34374/97 – (Baghli), NVwZ 2000, 1401 ). Von der Sucht gehen schwerwiegende Gefahren für die Allgemeinheit aus (vgl. BVerfG, B.v. 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 – juris Rn. 26). Drogenkriminalität indiziert neben der Dauer der verhängten Freiheitsstrafe die Schwere der Straftat (vgl. BVerfG, B.v. 1.3.2004 – 2 BvR 1570/03 -, NVwZ 2004, 852 m.w.N.; zu einem einmaligen Delikt: BVerfG, B.v. 1.3.2000 – 2 BvR 2120/99 – NVwZ 2001, 67 ). Gemäß Art. 83 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV ist der illegale Drogenhandel als ein Bereich besonders schwerer Kriminalität zu werten (vgl. hierzu auch VG München, U.v. 7.6.2018 – M 27 K 16.2297 -, juris Rn 55).
Die berufliche Situation und die wirtschaftlichen Integrationsvoraussetzungen des Klägers sind in der Türkei und in Deutschland als gleich gut oder gleich schlecht einzustufen. Zwar besitzt der Kläger nach Aktenlage nur über wenige Bindungen zur Türkei, er spricht aber, wie auch in der mündlichen Verhandlung deutlich wurde, jedenfalls innerhalb der Familie, in der er aufgewachsen und Zeit seines Lebens sozialisiert wurde, die türkische Sprache, so dass es dem Kläger zur Überzeugung des Gerichts möglich und in jeder Hinsicht zumutbar ist, gegebenenfalls seine Sprachkenntnisse so zu ertüchtigen, dass er sich auch in der Türkei eine Existenz aufbauen und zumindest für den Zeitraum des Einreise- und Aufenthaltsverbots ein Auskommen finden kann. Dabei werden ihm gegebenenfalls auch seine Deutschkenntnisse von Nutzen sein. Das Gericht weist insoweit nochmals darauf hin, dass der Kläger nach den aufenthaltsrechtlichen Warnungen der Ausländerbehörde in der Vergangenheit damit rechnen musste, dass aufenthaltsrechtliche Maßnahmen mit der Folge auch einer Ausreisepflicht in die Türkei ergriffen werden können. Dennoch hat er sich zu keinem Zeitpunkt von der Begehung weiterer Straftaten abhalten lassen.
Die Ausweisung steht schließlich auch mit Art. 8 EMRK im Einklang, da sie gesetzlich vorgesehen ist (§ 53 Abs. 1 AufenthG) und einen in dieser Bestimmung aufgeführten legitimen Zweck, nämlich die Verteidigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und die Verhinderung von Straftaten, verfolgt. Die Ausweisung erweist sich als geeignete, erforderliche und angemessene Maßnahme, um den beabsichtigten Zweck durchzusetzen. Durch ein anderes, milderes Mittel kann der mit ihr verfolgte Zweck vorliegend nach den Erfahrungen aus der Vergangenheit nicht erreicht werden. Im Ergebnis ist die Ausweisung des Klägers daher verhältnismäßig und rechtmäßig und zur Wahrung des mit ihr verfolgten Interesses unerlässlich.
2.3. Auch das von der Beklagten in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot, das mit Anpassung des Bescheids in der mündlichen Verhandlung vom 6. Mai 2021 auf vier Jahre bei Straf- und Drogenfreiheit und sechs Jahre ohne diese Bedingung verkürzt wurde, lässt keine Rechtsfehler erkennen. Der Kläger hat weder Anspruch auf Herabsetzung der Befristung der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung, noch auf erneute ermessensfehlerfreie Entscheidung über das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG. Das Gericht verweist auch insoweit auf die zutreffenden Ausführungen im ausführlich begründeten Bescheid und sieht – abgesehen von den nachfolgenden Ausführungen – von der Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).
2.3.1. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer nach Satz 2 der Vorschrift weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach dem Aufenthaltsgesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden. Nach § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen, wobei die Frist nach Satz 4 der Vorschrift mit der Ausreise beginnt. Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden; sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten (§ 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Nach § 11 Abs. 5 Satz 1 AufenthG soll die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht.
Die behördliche Befristungsentscheidung unterliegt als Ermessensentscheidung einer gerichtlichen Kontrolle in den Grenzen von § 114 Satz 1 VwGO. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, welches seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die insoweit ermittelte Frist ist in einem zweiten Schritt an höherrangigem Verfassungsrecht sowie an unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben zu messen und gegebenenfalls zu relativieren. Insoweit bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einer umfassenden Abwägung aller im Einzelfall betroffenen Belange. Maßgeblicher Zeitpunkt ist die mündliche Verhandlung, so dass auf die zu diesem Zeitpunkt gegebene Sachlage abzustellen ist (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 27.16-, InfAuslR 2017, 336).
2.3.2. Die von der Beklagten unter Anwendung pflichtgemäßen Ermessens verfügte Sperrfrist begegnet – in der Fassung des in der mündlichen Verhandlung vom 6. Mai 2021 geänderten Bescheids – unter Berücksichtigung des eingeschränkten gerichtlichen Prüfungsmaßstabs (§ 114 Satz 1 VwGO) keinen rechtlichen Bedenken. Die Beklagte ist zurecht von dem Maßstab des § 11 Abs. 3 Satz 2, Abs. 5 AufenthG ausgegangen, wonach die Höchstfrist des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung zehn Jahre nicht überschreiten soll. Die im streitgegenständlichen Bescheid nach Änderung in der mündlichen Verhandlung festgesetzte zeitliche Befristung hält sich mithin in dem gesetzlich vorgegebenen Rahmen. Angesichts der Anlassverurteilung und der zahlreichen früheren strafrechtlichen Verurteilungen, des Gewichts der gefährdeten Rechtsgüter und der hohen Wiederholungsgefahr vermag das Gericht mit Blick auf die Festsetzung der zeitlichen Befristung auch unter Berücksichtigung höherrangigen Rechts keinen Ermessensfehler zu erkennen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot konnte vor dem bisherigen strafrechtlichen und suchtbezogenen Hintergrund des Klägers zudem ermessensgerecht mit der Bedingung der nachgewiesenen Straf- und Drogenfreiheit versehen werden (§ 11 Abs. 2 Satz 5 AufenthG). Auch hinsichtlich der in diesem Fall ebenfalls festzusetzenden längeren Frist bei nicht nachgewiesener Erfüllung der Bedingung sind Ermessensfehler nicht ersichtlich. Die von der Beklagten verfügten Fristen sind insgesamt erforderlich und angemessen, um der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu begegnen.
2.4. Die von der Beklagten unter Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids verfügten Regelungen (Anordnung der Abschiebung aus der Haft, Androhung der Abschiebung nach Haftentlassung) entsprechen den rechtlichen Vorgaben und sind nicht zu beanstanden (§ 58 Abs. 3 Nr. 1, § 59 Abs. 5 AufenthG bzw. § 58 Abs. 1, Abs. 2, § 59 Abs. 1 AufenthG).
3. Die Klage war demzufolge mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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