Strafrecht

Ausweisung trotz positiver strafvollstreckungsrechtlicher Entscheidung

Aktenzeichen  19 ZB 16.2636

Datum:
10.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 128927
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 53 Abs. 1, Abs. 2, § 54 Abs. 1 Nr. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 4
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

1 Rechtstreues Verhalten während der Inhaftierung, der Bewährungszeit oder der Zeit einer Zurückstellung der Strafvollstreckung indiziert nicht, dass eine relevante Wiederholungsgefahr im Sinne der §§ 53 ff. AufenthG nicht mehr besteht. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die strafvollstreckungsrechtliche Entscheidung, durch die die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wegen positiver Prognose (vorläufig) beendet wird, indiziert nicht, dass eine relevante Wiederholungsgefahr im Sinne der §§ 53 ff. AufenthG nicht mehr besteht. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Möglichkeit, dass eine zur Bewährung verfügte Strafaussetzung oder Strafrestaussetzung widerrufen wird, übt einen erheblichen Legalbewährungsdruck auf den Verurteilten aus. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
4 Eine drohende Ausweisung erzeugt insbesondere bei Personen mit Hafterfahrung häufig einen Legalbewährungsdruck, der über denjenigen einer drohenden Inhaftierung hinausgeht. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 5 K 14.01826 2016-09-29 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsantragsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsantragsverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.
IV. Der Prozesskostenhilfeantrag für das Zulassungsantragsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
Der am … 1979 im Bundesgebiet geborene Kläger, türkischer Staatsangehöriger, begehrt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 29. September 2016, durch das seine Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 7. November 2014 abgewiesen worden ist. Mit diesem Bescheid wurde der Kläger aus dem Bundesgebiet ausgewiesen (Nr. I. des Bescheides), wurden die Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von sieben Jahren ab Ausreise bzw. Abschiebung befristet (Nr. II.), wurde die Abschiebung aus Haft bzw. Maßregelvollzug heraus in die Türkei angeordnet (Nr. III.) und der Kläger für den Fall, dass die Abschiebung unmittelbar aus dem Vollzug heraus nicht möglich ist und er aus dem Vollzug entlassen wird, unter Androhung der Abschiebung aufgefordert, das Bundesgebiet unter Fristsetzung zu verlassen, andernfalls er insbesondere in die Türkei abgeschoben werde (Nr. IV.).
Der auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten derart in Frage gestellt wird, dass sich die gesicherte Möglichkeit der Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ergibt (z.B. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546/547), mithin diese Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – DVBl 2004, 838/839). Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen des Klägers nicht.
1. Der Kläger macht zunächst geltend, das Gericht habe nicht berücksichtigt, dass ihm als türkischem Assoziationsberechtigten besonderer Ausweisungsschutz zustehe, sodass er nur bei einer gegenwärtigen und schwerwiegenden Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft im Sinne des § 53 Abs. 3 AufenthG ausgewiesen werden könne und die Bestimmungen in §§ 54, 55 AufenthG auf ihn nicht anwendbar seien. Das Verwaltungsgericht sei vielmehr unrichtigerweise von einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ausgegangen und habe die §§ 54, 55 AufenthG trotz ihrer Verdrängung durch § 53 Abs. 3 AufenthG bei der Gesamtabwägung berücksichtigt. Diese Ausführungen wecken keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils.
Die Vertreterin des öffentlichen Interesses hat zutreffend darauf hingewiesen (die Beklagte hat sich gleichsinnig geäußert), dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 24 ff., 26) den Bestimmungen in §§ 54, 55 AufenthG auch in den Fällen des § 53 Abs. 3 AufenthG Bedeutung zukommt, und zwar die Bedeutung von gesetzlichen Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an der Ausweisung im Sinne des § 53 Abs. 3 Halbs. 1 AufenthG, die besonderes Gewicht haben. Der Entwurfsbegründung zu § 53 (BT-Drs. 18/4097, S. 50), aus der der Kläger seine Rechtsansicht ableitet, ist nichts zu entnehmen, was in Widerspruch zu dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts steht. Zwar ist hier von einer „Sonderregelung“ die Rede, jedoch bezieht sich diese Wendung ersichtlich auf das in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegte Maß der Sicherheitsgefahr und statuiert im Übrigen keine Verdrängung der wertenden und gewichtenden Ausweisungsbestimmungen.
2. Soweit der Kläger (der sich nur mit der Frage einer Wiederholungsgefahr nach der Aussetzung von Strafvollstreckung und Maßregelvollzug im Frühjahr 2016 befasst) der Auffassung sein sollte, sein Verhalten bis zum Maßregelvollzug in der Zeit vom 10. Juni 2014 bis zum 18. März 2016 indiziere nicht das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG bzw. nicht diejenige gegenwärtige, tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Union Voraussetzung der Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen ist (EuGH, U.v. 8.12.2011 – C-371/08 – Rn. 82 ff., insbesondere 86) und von § 53 Abs. 3 Halbs. 1 AufenthG vorausgesetzt wird, trifft dies nicht zu.
Bei dem Kläger ist mit weiteren schwerwiegenden Drogendelikten zu rechnen. Betäubungsmitteldelikte gehören zu den schweren, die Grundinteressen der Gesellschaft berührenden und schwer zu bekämpfenden Straftaten (Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV). Die Folgen insbesondere für junge Menschen können äußerst gravierend sein. Der Gerichtshof der Europäischen Union sieht in der Rauschgiftsucht „ein großes Übel für den Einzelnen und eine soziale und wirtschaftliche Gefahr für die Menschheit“ (vgl. EuGH, U.v. 23.11.2010 – Rs.C-149/09, Tsakouridis – NVwZ 2011, 221 Rn. 47). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mehrfach klargestellt, dass er in Anbetracht der verheerenden Auswirkungen von Drogen auf die Bevölkerung Verständnis dafür hat, dass die Vertragsstaaten in Bezug auf diejenigen, die zur Verbreitung dieser Plage beitragen, entschlossen durchgreifen (U.v. 30.11.1999 – Nr. 34374-97 „Baghli“ – NVwZ 2000, 1401; U.v. 17.4.2003 – Nr. 52853/99 „Yilmaz“ – NJW 2004, 2147; vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 17.3.2005 – 18 B 445.05 – juris). Die von unerlaubten Betäubungsmitteln ausgehenden Gefahren betreffen die Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit, welche in der Werteordnung der Grundrechte einen sehr hohen Rang einnehmen. Rauschgift bedroht diese Schutzgüter in hohem Maße und trägt dazu bei, dass soziale Beziehungen zerbrechen und die Einbindung in wirtschaftliche Strukturen zerstört wird. Die mit dem Drogenkonsum häufig einhergehende Beschaffungskriminalität schädigt zudem die Allgemeinheit, welche ferner auch für die medizinischen Folgekosten aufkommen muss (BayVGH, B.v. 14.3.2013 – 19 ZB 12.1877).
Gegen den Kläger ist in zahlreichen Fällen ermittelt worden. Diese Ermittlungsverfahren sind zum Teil eingestellt worden und haben zum Teil zu Strafbefehlen geführt. Vier Strafbefehle (vom 6.12.2000, 28.12.2000 – hieraus ist nachträglich die Gesamtstrafe vom 17.4.2001 gebildet worden –, vom 26.1.2001 und vom 24.1.2005) und fünf Verfahrenseinstellungen (sämtliche nicht nach § 170 Abs. 2 StPO: vom 17.5.95, 13.5.1998, 11.3.2002, 17.3.2005, 17.8.2010 und 12.8.2013) haben Drogendelikte zum Gegenstand gehabt. Durch mehrere Strafurteile ist der Kläger zu Freiheitstrafen von insgesamt fünf Jahren und vier Monaten verurteilt worden (vom 16.7.2003: drei Monate auf Bewährung – Bewährung am 30.3.2005 wiederrufen; vom 2.6.2004: ein Monat ohne Bewährung; vom 26.1.2006: ein Jahr und sechs Monate; die gleichzeitig verfügte Unterbringung in einer Entziehungsanstalt – nach § 64 Satz 1 StGB setzt dies die Gefahr erheblicher rechtswidriger Taten voraus – ist am 30.8.2006 wegen Aussichtslosigkeit abgebrochen worden, sodass die Freiheitsstrafe weiter vollzogen worden ist; vom 4.2.2014: vier Jahre und sechs Monate, erneut mit Anordnung der Unterbringung wegen der Gefahr erheblicher rechtswidriger Taten). Alle Freiheitsstrafen sind wegen Betäubungsmitteldelikten verhängt worden, und zwar nicht nur wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln und wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln, sondern insbesondere auch wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung. Zuvor (schon im Jahr 1998) war ein Verfahren gegen den Kläger wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nach § 45 Abs. 2 JGG eingestellt worden. Bei den vom Kläger präferierten Amphetaminvarianten (Ecstasy, Methamphetamin, Crystal, Speed) handelt es sich nicht um weiche Drogen; sie haben ein enormes Suchtpotential.
Durch die Freiheitstrafe von vier Jahren und sechs Monaten vom 4. Februar 2014 ist auch ein Überfall des Klägers auf seinen Drogenlieferanten geahndet worden, durch den der Kläger, der die gelieferten Drogen nicht bezahlt hat, der Kaufpreisforderung ein Ende setzen wollte. Er hat dabei den Lieferanten mit einem Elektroschocker angegriffen und ihn – bereits am Boden liegend – mit Fäusten geschlagen und mit Füßen getreten, sodass er einen 2 bis 3 cm langen Einriss an der Unterlippe, eine Platzwunde am rechten Oberkopf, diverse Hämatome und Prellungen sowie mehrere Brandmarken mit Blasenbildung an Ohren und im Kopf- und Nackenbereich erlitten hat. Eine der bereits erwähnten Verfahrenseinstellungen nach § 45 Abs. 3 JGG (diejenige vom 14. Mai 1995) hat ebenfalls eine gefährliche Körperverletzung zum Gegenstand gehabt. In den Jahren 2003, 2004, 2005 und 2006 ist der Kläger jeweils – zum Teil nach Bewährungswiderruf, zum Teil nach unbedingter Verurteilung – inhaftiert gewesen (in den Anfangsjahren jeweils einige Monate, im Jahr 2005 während des größten Teils des Jahres und im Jahr 2006 mehr als ein halbes Jahr). Von dem Betäubungsmittelhandel und der gefährlichen Körperverletzung im Jahr 2013 hat ihn dies nicht abgehalten. Der Kläger ist am 15. Februar 2001 von der Ausländerbehörde verwarnt worden; am 2. September 2005, 4. Januar 2006 und 4. Januar 2007 (Anhörungsschreiben) hat die Ausländerbehörde seine Ausweisung erwogen, dann aber (jeweils) noch einmal davon abgesehen. Auch hierdurch ist die Fortführung und Verschärfung der Delinquenz des Klägers vom Jahr 2013 nicht verhindert worden. In den Strafurteilen vom 2. Juni 2004 bis zum 4. Februar 2014 haben die Strafgerichte (insbesondere wegen Rückfälligkeit während laufender Bewährung) jeweils negative Prognosen gestellt und Strafaussetzungen abgelehnt; im Strafurteil vom 4. Februar 2014 wird auf das enorme Suchtpotential des gehandelten Methamphetamin hingewiesen, auf die erhebliche Menge, die gehandelt worden ist, sowie auf die acht einschlägigen Vorstrafen im Bundeszentralregisterauszug.
Die Betäubungsmittelsucht des Klägers hat bis zu seiner jüngsten Therapie in Unterbringung etwa 20 Jahre lang bestanden. Er hat vor allem Methamphetamin, aber auch andere Drogen (darunter Cannabis, LSD, Kokain und Heroin) konsumiert. Ihm ist mehrfach Drogensucht in Form der Polytoxikomanie attestiert worden (u.a. in dem Befundbericht über den Maßregelvollzug im Juni und Juli 2006). Im strafgerichtlichen Gutachten vom 17. Oktober 2013 ist sein Drogenverhalten als „tiefverwurzelte innere Disposition“ bezeichnet worden. Vor der jüngsten Drogentherapie, die im März 2016 beendet gewesen ist, hat er Ende des Jahres 1998, im Sommer 2006 (Maßregelvollzug) sowie in der zweiten Jahreshälfte 2007 an Drogentherapien teilgenommen (vgl. im einzelnen Nr. 3 der Gründe des vorliegenden Beschlusses), ohne dass damit eine nachhaltige Befreiung von der Sucht verbunden gewesen wäre.
3. Der Kläger trägt vor, nunmehr bestehe eine gegenwärtige und schwerwiegende Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft nicht mehr. Er habe während des im Strafurteil vom 4. Februar 2014 angeordneten Maßregelvollzugs eine achtmonatige stationäre Drogentherapie abgeschlossen, in der er sich rasant positiv entwickelt habe. Der positiven Prognose in der strafvollstreckungsrechtlichen Aussetzungsentscheidung und den entsprechenden ärztlichen Berichten und dem Prognosegutachten vom 29. Januar 2016, auf denen sie beruht und die das Verwaltungsgericht vernachlässigt habe, komme maßgebliche Bedeutung zu. Diese positive Entwicklung sei keineswegs nur wegen des Ausweisungsverfahrens erfolgt. Seit der bedingten Entlassung im März 2016 stehe er in ambulanter Weiterbehandlung. Das Verwaltungsgericht habe nicht dargelegt, dass ein Grundinteresse der Gesellschaft tatsächlich berührt werde. Dies sei auch nicht der Fall; er bringe sich vielmehr durch seine Arbeitskraft und sein Engagement an seiner fortwährenden Entwicklung in die Gesellschaft ein. Er gehe seit eineinhalb Jahren einer festen Tätigkeit nach und ihm werde mehr Verantwortung übertragen (Beförderungsmöglichkeit). Die vom Verwaltungsgericht erwähnten Schulden stammten hauptsächlich aus den strafrechtlichen Verurteilungen; sie würden in Raten regelmäßig und zuverlässig bezahlt.
Dieses Vorbringen greift nicht gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts durch, eine gegenwärtige und schwerwiegende Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft bestehe weiterhin.
Entgegen der Auffassung des Klägers kommt der positiven Prognose in der strafvollstreckungsrechtlichen Aussetzungsentscheidung und den entsprechenden ärztlichen Berichten und dem Prognosegutachten vom 29. Januar 2016, auf denen sie beruht, zwar indizielle Bedeutung für die ausweisungsrechtliche Prognose zu, jedoch keine entscheidende.
a) In seiner Entscheidung vom 2. Mai 2017 (19 CS 16.2466), die durch die vom Kläger zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 2016 (2 BvR 1943/16) veranlasst worden ist, hat der Senat dargelegt, dass dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Annahme zugrunde liegt, über die Aussetzung eines Strafrests nach Teilverbüßung werde anhand derselben Sozialprognose entschieden, wie sie bei Ausweisungsentscheidungen zu erstellen ist (mit der Folge eines besonderen Begründungsbedarfs im Fall einer Abweichung von der strafvollstreckungsrechtlichen Prognose). Der Senat hat hier weiter dargelegt, dass die – ohne ersichtliche Befassung mit Wortlaut und Auslegung der strafvollstreckungsrechtlichen Bestimmungen gebildete – Auffassung im Beschluss des Bundeverfassungsgerichts unrichtig ist und dass die dezidierte Feststellung des Bundesverwaltungsgerichts, die Annahme einer Wiederholungsgefahr im Ausweisungsverfahren stelle kein Abweichen von der strafgerichtlichen Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung dar (B.v. 16.11.1992 – Az. 1 B 197/92 – InfAuslR 1993,121, juris Rn. 4, vgl. auch die eingehende Erläuterung im U.v. 15.1.2013, a.a.O., Rn. 19), die Rechtslage zutreffend wiedergibt:
„Entgegen der im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (S. 11 oben) geäußerten Auffassung wird ein Verurteilter durch rechtstreues Verhalten während der Inhaftierung, der Bewährungszeit oder der Zeit einer Zurückstellung der Strafvollstreckung dem vom deutschen Strafvollstreckungsrecht bezweckten Resozialisierungsziel nicht gerecht (es indiziert daher auch nicht, dass eine relevante Wiederholungsgefahr im Sinne der §§ 53 ff. AufenthG nicht mehr besteht), sondern erst bei nachhaltig rechtstreuem Verhalten ohne ständige Pflichtenmahnung durch ein ‚Damoklesschwert‘ (so bezeichnen Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, § 57 Rn. 1 die Möglichkeit, die Aussetzung des Strafrests zu widerrufen). Jedenfalls in Fällen nachhaltiger Delinquenz ist eine nachhaltige Resozialisierung oft nicht im Rahmen einer Strafvollstreckung zu erreichen (sinngemäß ebenso BVerfG, B.v. 16.3.1994 – 2 BvL 3/90, 2 BvL 4/91, 2 BvR 1537/88, 2 BvR 400/90, 2 BvR 349/91, 2 BvR 387/92 – BVerfGE 91,1, juris Rn. 90). Dies beruht unter anderem auf dem Umstand, dass mit der Begrenzung des Strafmaßes auf das Schuldangemessene auch die strafvollstreckungsrechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten begrenzt sind. Es ist Aufgabe des Strafvollstreckungsrechts, aus den zu Gebote stehenden – derart begrenzten – Mitteln (z.B. probeweise Vollzugslockerung, Zurückstellung der Strafvollstreckung, Strafrestaussetzung, aber auch Verlängerung der Bewährungszeit, Widerruf begünstigender Maßnahmen usw.; der B.d. BVerfG v. 16.3.1994, a.a.O., juris Rn. 65 spricht insoweit von positiven und negativen Verhaltensverstärkern) diejenigen auszuwählen, die – unter Berücksichtigung des öffentlichen Sicherheitsinteresses – die Resozialisierungswahrscheinlichkeit so weit als möglich erhöhen. Die Art und der Umfang der jeweils anstehenden – für die Frage einer nachhaltigen Resozialisierung nur begrenzt bedeutsamen – konkreten Vollstreckungsentscheidung bestimmen den Prognosehorizont und auch die Prognosetiefe. Die im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts geäußerte Auffassung, dass eine Strafrestaussetzung regelmäßig der Ausweisung entgegensteht, würde zu einer empfindlichen Störung dieses Strafvollstreckungssystems führen. Die Strafvollstreckungsbehörden sind sich derzeit nicht bewusst, dass eine Strafrestaussetzung regelmäßig vorgreiflich ist für die Frage der Ausweisung. Müssten sie von einer solchen Vorgreiflichkeit ihrer Entscheidung ausgehen, würden sie das Erprobungsmittel der Strafrestaussetzung in derartigen Fällen restriktiv handhaben, obwohl die Vorschriften …. die mit einer restriktiven Handhabung einhergehende unterschiedliche Behandlung von deutschen Staatsangehörigen und Ausländern nicht vorsehen. Nachdem eine unterschiedliche Handhabung bei identischer Vorschriftenlage kaum zu rechtfertigen ist, könnte dies auch dazu führen, dass die Handhabung des Instituts der Strafrestaussetzung (entgegen den Absichten des Gesetzgebers) ganz allgemein restriktiver wird.
Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB setzt die Aussetzung des Strafrestes unter anderem voraus, dass ‚dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann‘. Diese Formulierung weicht deutlich von der Formulierung der positiven Sozialprognose in § 56 StGB ab, der Vorschrift über Strafaussetzungen von Anfang an (bedingte Freiheitsstrafen). Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB erfolgt eine solche Strafaussetzung, ‚wenn zu erwarten ist, dass der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird‘. Dies bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit eines (über die Bewährungszeit hinausgehenden) straffreien Verhaltens größer sein muss als diejenige neuer Straftaten (Stree/Kinzig, a.a.O., § 56 Rn. 17 mit Rspr.-Nachw.). In § 57 StGB, der Vorschrift über die Aussetzung desjenigen Strafrestes, der nach einer Teilverbüßung verbleibt, hat der Gesetzgeber diesen Prognosemaßstab nicht festgelegt. Insbesondere fordert er hier nicht, dass auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs Delinquenzfreiheit zu erwarten ist. Er hätte sonst die Möglichkeit der Aussetzung eines Strafrestes zu sehr eingeschränkt und dem mit der Aussetzung verbundenen Resozialisierungsinteresse nicht gedient (Stree/Kinzig, a.a.O., § 57 Rn. 10; Kühl in Dreher/Maassen/Lackner, StGB, 28.. Aufl. 2014, § 57 Rn. 7; vgl. auch BGH, B.v. 25.04.2003 – StB 4/03, 1 AR 266/03 – NStZ-RR 2003,200 ff., juris Rn. 5 ff. und LS 1, wo hervorgehoben wird, dass bei der Strafrestaussetzung ein größeres Risiko als bei der Strafaussetzung nach § 56 eingegangen werden kann). Nach der strafgerichtlichen Rechtsprechung kann die Aussetzung des Strafrestes ‚verantwortet werden‘ im Sinne des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Erfolg spricht (eine reale Chance); eine Wahrscheinlichkeit der Resozialisierung, also eine Unwahrscheinlichkeit neuer Straftaten (sie müssen nicht unbedingt einschlägig sein vgl. BGH, U.v. 28.06.2000 – 3 StR 156/00 – NStZ-RR 2001,15, juris Rn. 18 sowie BayObLG, U.v. 05.09.2002 – 5 St RR 224/2002 – NStZ-RR 2003, 105, juris Rn. 9 f.) oder eine ‚überwiegende Wahrscheinlichkeit‘ der Bewährung in Freiheit wird nicht gefordert (Stree/Kinzig, a.a.O., § 57 Rn. 11 ff., Fischer, StGB, 63. Aufl. 2016, § 57 Rn. 14). Rechtsprechung und Literatur gehen ganz überwiegend davon aus, dass die (durch Art. 1 Nr. 2 Buchst. ades Gesetzes v. 26.1.1998, BGBl I S. 160) mit Wirkung vom 31. Januar 1998 eingeführte Wendung ‚… erwartet werden kann‘ gegenüber der vorher geltenden Formulierung ‚wenn erprobt werden kann‘ keine inhaltliche Veränderung des Maßstabs herbeiführen sollte (Fischer, a.a.O., § 57 Rn. 13, Kühl, a.a.O., § 57 Rn. 7 sowie Stree/Kinzig, a.a.O., § 57 Rn. 9 und 15 jeweils mit Rspr.-Nachw.). Demzufolge bezieht sich die hier zu erstellende Prognose auf die Frage, ob bei dem Verurteilten eine Chance besteht, dass er die Bewährungszeit durchsteht (Kühl, a.a.O., § 57 Rn. 7: reale Bewährungschance). In Übereinstimmung hiermit formuliert das Bundesverwaltungsgericht in seiner bereits erwähnten Bewertung der Strafrestaussetzung im Rahmen der ausweisungsrechtlichen Gefahrenprognose, bei der Strafrestaussetzung stehe das Resozialisierungsinteresse im Vordergrund.
Der Verzicht auf eine Wahrscheinlichkeit der Resozialisierung als Voraussetzung für eine Aussetzung des Strafrestes beruht darauf, dass das mit einer Strafrestaussetzung verbundene Instrumentarium einschließlich des mit einem Aussetzungswiderruf verbundenen Legalbewährungsdrucks der Führungsaufsicht für Vollverbüßer überlegen ist (Stree/Kinzig, a.a.O., § 57 Rn. 14). Das Strafvollstreckungsgericht muss sich für eine dieser beiden Möglichkeiten entscheiden, weil das Strafrecht im Hinblick auf Art. 3 GG und auf Art. 2 der Antidiskriminierungsrichtlinie (RL 2000/42/EG des Rates v. 29.6.2000, ABl L 180/22) zwischen Deutschen und Ausländern grundsätzlich keinen Unterschied macht und deshalb davon ausgeht, dass ein Straftäter nach Verbüßung der schuldangemessenen Strafe auch dann nicht von der Gesellschaft ferngehalten werden kann (abgesehen von den Fällen, in denen die engen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung oder des § 64 Abs. 1 StGB für eine Unterbringung vorliegen), wenn weitere Straftaten wahrscheinlich sind. Das Strafvollstreckungsgericht hat demzufolge zum einen die Möglichkeit, einen Straftäter, bei dem weitere Straftaten wahrscheinlich sind, auch noch den Strafrest verbüßen zu lassen und auf diese Weise dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit für einen relativ kurzen Zeitraum voll Rechnung zu tragen, für die Folgezeit aber praktisch nicht mehr. Es kann zum anderen aber auch den Strafrest aussetzen und so für einen relativ langen Zeitraum den vorläufig Entlassenen unter (dem sich aus der Möglichkeit eines Aussetzungswiderrufs ergebenden) Legalbewährungsdruck halten, was die Wahrscheinlichkeit dafür erhöht, dass es zu denjenigen (im Falle einer Vollverbüßung weniger wahrscheinlichen) mentalen Veränderungen kommt, die für eine Straffreiheit über die Bewährungszeit hinaus erforderlich sind. Insgesamt geht es bei der Frage der Strafrestaussetzung häufig nicht um die Frage, ob weitere Straftaten wahrscheinlich sind, sondern darum, dass die bestehende Gefahr weiterer Straftaten (einschließlich solcher nach dem Ende des gesamten Vollstreckungsverfahrens) durch die Strafrestaussetzung wirksamer als durch die Vollverbüßung gemindert werden kann (der Senat hat dies bereits mehrfach – vgl. zuletzt Rn. 19 des Beschlusses vom 28.9.2016 – mit der verkürzenden Formulierung zum Ausdruck gebracht, eine Reststrafenaussetzung liege allgemein deshalb nahe, weil der Wohlverhaltensdruck, dem der Haftentlassene bei einer Reststrafenaussetzung unterliege, wegen der Möglichkeit eines Bewährungswiderrufs mit Reststrafenverbüßung höher sei als der Wohlverhaltensdruck nach einer Vollverbüßung, an die sich lediglich die Führungsaufsicht anschließt). Wenn die Reststrafenaussetzung im Einzelfall scheitert, mag dies von der Öffentlichkeit dem staatlichen Verantwortungsbereich stärker angelastet werden als eine Straftat nach Vollverbüßung; dies ändert aber nichts an der generellen Erhöhung der Sicherheit der Allgemeinheit (der Zahl der erfolgreichen Resozialisierungen), wenn der Legalbewährungsdruck der Strafrestaussetzung so häufig wie möglich genutzt und zu dem Mittel der Vollverbüßung so selten wie unbedingt nötig gegriffen wird. Die bei Bewährungsversagen auftretenden Straftaten dürfen eben nicht isoliert betrachtet werden. Der Wert des Instituts der Strafrestaussetzung wird nur deutlich bei einem Vergleich der gesamten Delinquenz nach Strafrestaussetzungen mit der (zu schätzenden) gesamten Delinquenz, zu der es in diesen Fällen nach Vollverbüßungen (ohne vorherige Strafrestaussetzungen) gekommen wäre (Stree/Kinzig – a.a.O., § 57 Rn. 1a – weist auf Untersuchungen hin, denen zufolge es bei der Strafrestaussetzung noch unausgeschöpfte Potenziale gibt).
Insgesamt ist eine Gefahrenprognose mittels differenzierter Abwägung bewertungsbedürftiger Indizien unverzichtbar. Der im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 2016 für richtig gehaltene Maßstab der Evidenz (den Gründen des Beschlusses – S. 11 – zufolge hat das während bestehenden Legalbewährungsdrucks gezeigte Verhalten die ausweisungsrechtliche Gefahrenprognose zu einem günstigen Ergebnis zu führen, solange nicht offensichtlich ist, dass ‚die Bemühungen des Ausländers ausschließlich dem Ausweisungsverfahren geschuldet sind‘) trägt dem nicht Rechnung. Mit der (nicht durch eine Rechtsvorschrift oder eine sonstige Quelle belegten) Aufwertung des während Haft, Bewährungszeit und Ausweisungsverfahren gezeigten Legalverhaltens von einem gewichtungsbedürftigen Prognoseaspekt zu einem praktisch nicht abwägbaren Entscheidungskriterium (es liegt in der Natur der Sache, dass das Vorspiegeln eines inneren Wandels bzw. die begrenzte Fähigkeit zu einem solchen Wandel in aller Regel nicht offensichtlich ist) wird die Komplexität der Problematik verkannt, eine vollumfängliche sowie rational nachvollziehbare Prognoseentscheidung verhindert und das öffentliche Sicherheitsinteresse vernachlässigt. Im Falle der Anwendung eines solchen Evidenzmaßstabs im Strafvollstreckungsrecht (etwa in der Art, dass eine günstige Prognose aufgrund ordnungsgemäßer Führung zu stellen ist, solange nicht offensichtlich ist, dass die ordnungsgemäße Führung ausschließlich dem jeweils angewendeten Druckmittel des Strafvollstreckungsrechts geschuldet ist) würde dasselbe gelten und würden beispielsweise ein differenzierter Führungsbericht oder ein Prognosegutachten jede Bedeutung verlieren. Durch Urteil vom 15. Januar 2013 (a.a.O., vgl. insbesondere Rn. 19 ff.) hat das Bundesverwaltungsgericht das ihm unterbreitete Berufungsurteil wegen der (auch durch Unionsrecht nicht gestützten) vorinstanzlichen Annahme aufgehoben, bei einer Strafrestaussetzung entfalle ausländerrechtlich die Wiederholungsgefahr zwangsläufig oder zumindest regelmäßig.“
In zahlreichen Entscheidungen haben Oberverwaltungsgerichte die im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 2016 befürwortete Gleichsetzung der strafvollstreckungsrechtlichen Prognose mit der ausweisungsrechtlichen Prognose sich nicht zu eigen gemacht, sondern den im Senatsbeschluss vom 2. Mai 2017 dargestellten Unterschied zwischen den beiden Prognosehorizonten genutzt, um das Vorliegen einer breiteren, die Abweichung von der strafvollstreckungsrechtlichen Entscheidung rechtfertigenden Tatsachengrundlage der Ausweisungsentscheidung zu begründen (OVG NRW, U.v. 12.07.2017 – 18 A 2735/15 – juris Rn. 67 ff.; OVG Lüneburg, B.v. 23.03.2017 – 11 ME 72/17 – juris Rn. 6 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 04.01.2017 – OVG 11 N 58.16 – juris Rn. 7; BayVGH – 10. Senat, B.v. 19.06.2017 – 10 ZB 17.732 – juris Rn. 18 f. und B.v. 04.04.2017 – 10 ZB 15.2062 – juris Rn. 21). In seiner Darstellung der aktuellen Rechtsprechung zum Aufenthaltsrecht (NVwZ-Extra, 2017, 1/13) hat sich Berlit gegen die Annahme einer Identität des aufenthaltsrechtlichen, insoweit gefahrenabwehrrechtlichen Maßstabs mit dem straf(-vollstreckungs)-rechtlichen Maßstab für die Wiederholungsgefahr gewandt.
Strafvollstreckungsrechtliche Entscheidungen, durch die – wie vorliegend – die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wegen positiver Prognose (vorläufig) beendet wird, haben eine Bedeutung, die der im zitierten Senatsbeschluss vom 2. Mai 2017 dargestellten Bedeutung der Strafrestaussetzungsentscheidung vergleichbar ist. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat nicht das Ziel, Gefahren für die öffentliche Sicherheit längerfristig zu unterbinden. Für eine Anordnung dieser Maßregel genügt die hinreichend konkrete Aussicht (ein vertretbares Risiko ist einzugehen, vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 67d Rn. 11), dass durch sie der Verurteilte über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang bewahrt wird (§ 64 Satz 2 StGB), wobei „eine erhebliche Zeit“ in der Regel bereits ab einem Jahr angenommen werden kann (Stree/Kinzig, a.a.O., § 64 Rn. 15; Schöch in Leipziger Kommentar StGB, 12. Aufl. 2008, § 64 Rn. 136 und in Festschrift für Klaus Volk, 2009, S. 705). Eine langfristige Bewahrung vor dem Rückfall kann bereits deshalb nicht als Ziel der Unterbringung festgelegt werden, weil dann entsprechend lange Unterbringungszeiten erforderlich wären. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt als freiheitsentziehende Maßnahme darf jedoch nach § 67 Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich (vorbehaltlich des Satzes 3 der Bestimmung) zwei Jahre nicht übersteigen, muss in jedem Fall verhältnismäßig sein (§ 62 StGB) und insoweit umso strengeren Voraussetzungen genügen, je länger die Unterbringung dauert (BVerfG, B.v. 19.11.2012 – 2 BvR 193/12 – StV 2014,148 ff.). Die Beendigung der Unterbringung nach § 67d Abs. 5 Satz 1 StGB, „wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen“, ist somit bereits dann vorzunehmen, wenn für eine – im Vergleich zum ausländerrechtlichen Prognosehorizont – relativ kurze Zeitspanne die konkrete Aussicht (unter Eingehung eines vertretbaren Risikos) auf das Unterbleiben rechtswidriger Taten besteht. Nichts anderes gilt für die (vorliegend vorgenommene) Beendigung der Unterbringung nach § 67d Abs. 2 Satz 1 StGB, „wenn zu erwarten ist, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird“, denn auch bei dieser strafvollstreckungsrechtlichen Entscheidung sowie bei der Erstellung eines Prognosegutachtens hierfür sind die begrenzte Zielsetzung der Unterbringung und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Für eine Evaluierung der Unterbringung zur Suchtbehandlung stehen nur wenige Untersuchungen zur Verfügung. Diesen zufolge wird mehr als die Hälfte der Straftäter, die aus dem Maßregelvollzug wegen guter Prognose (vorläufig) entlassen werden, innerhalb von zwei bis drei Jahren erneut straffällig. Bei etwas weniger als der Hälfte kommt es in diesem Zeitraum erneut zu einer Freiheitsstrafe oder zu einem Widerruf der Aussetzung des Maßregelvollzugs (vgl. Dessecker, Recht & Psychiatrie, 2004, 192, 197 ff.). Insgesamt ist nach der dargestellten Rechtslage das erforderliche Maß an Erfolgswahrscheinlichkeit für eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung und für eine entsprechende Beendigung der Maßregel wesentlich kleiner als dasjenige für eine positive ausländerrechtliche Gefahrenprognose, weil auch die kleinste Resozialisierungschance genutzt werden muss. Wie bereits erwähnt unterscheidet das Strafrecht grundsätzlich nicht zwischen Deutschen und Ausländern und berücksichtigt daher regelmäßig (die Ausnahmebestimmungen in § 67 Abs. 2 Satz 4 und Abs. 3 Satz 3 StGB haben vorliegend wegen des offenen Ausweisungsverfahrens keine Anwendung gefunden) nicht die Möglichkeit, die Sicherheit der Allgemeinheit durch eine Aufenthaltsbeendigung zu gewährleisten.
b) Im Übrigen wäre auch dann, wenn die Annahme des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 19. Oktober 2016 zuträfe, dass strafvollstreckungsrechtliche Entscheidungen die ausweisungsrechtliche Prognose in der Regel präjudizieren, im vorliegenden Fall von einer gegenwärtigen und schwerwiegenden Wiederholungsgefahr auszugehen. Im Falle des Klägers liegen sachliche Gründe vor, wie sie auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine Abweichung von der strafvollstreckungsrechtlichen Einschätzung begründen können. Die im Ausweisungsverfahren gebotene Gesamtbetrachtung führt zu einer wesentlich breiteren Tatsachengrundlage als derjenigen, auf der die strafvollstreckungsrechtliche Aussetzungsentscheidung getroffen worden ist, die lediglich die Aussicht voraussetzt, den Kläger „eine erhebliche Zeitspanne vor einem Rückfall in den suchtbedingten Rauschmittelkonsum zu bewahren“. Die im Ausweisungsverfahren anzuwendenden Bestimmungen in §§ 53 ff. AufenthG erlauben es nicht, den größten Teil der vorliegenden Prognoseanhaltspunkte unberücksichtigt zu lassen, insbesondere die Umstände, dass der Kläger nicht nur einige Betäubungsmitteldelikte begangen hat, sondern mehrfach auch Handel mit Betäubungsmitteln getrieben hat, gefährliche Körperverletzungen begangen hat, durch mehrere Inhaftierungen und Ausweisungsankündigungen sich nicht gewandelt hat, 20 Jahre lang süchtig gewesen ist (insbesondere nach Amphetaminderivaten), vor der jetzigen Therapie zwei Therapien abgeschlossen hat (eine dritte hat er abgebrochen), die letztlich erfolglos geblieben sind, auch wenn bestehender Legalbewährungsdruck zu (teilweise längeren) konsumsfreien Phasen geführt hat.
Der Beschluss des Landgerichts R. vom 3. März 2016 (der – wie erwähnt – nicht vor dem Horizont der langfristigen ausländerbehördlichen Gefahrenprognose abgefasst ist) ist ausschließlich auf den Bericht des Bezirkskrankenhauses P. vom 8. September 2015 mit der Anregung, den Kläger zu entlassen, sowie auf das Prognosegutachten vom 29. Januar 2016 gestützt (vgl. I. der Gründe). Der Beschluss berücksichtigt nicht das Erfordernis, dem Unterschied zwischen Primärabhängigen mit Beschaffungsdelikten einerseits und Sekundärabhängigen mit krimineller Karriere andererseits Rechnung zu tragen (zu diesem Unterschied vgl. Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 8. Aufl. 2016, § 35 Rn. 33). Der Beschluss spricht eine Vielzahl von Anhaltspunkten nicht an, die zwar für die Aussetzungsentscheidung im allgemeinen unwesentlich sein mögen, weil bei einem Fehlen anderer Alternativen auf der im Therapieabschluss liegenden Chance aufgebaut werden muss, die aber für den ausländerrechtlichen Prognosehorizont wesentlich sind. Diese Anhaltspunkte werden auch im strafvollstreckungsrechtlichen Prognosegutachten vom 29. Januar 2016 nicht gewürdigt. Mehrere dieser Anhaltspunkte finden sich zwar in den dem Gutachter vorliegenden und von ihm umfangreich wiedergegebenen Unterlagen. In der abschließenden Begründung seiner Prognose (S. 33 ff.) kommt der Gutachter jedoch nicht auf sie zu sprechen, sondern legt – unter anderem mit Hinweisen auf die günstige Entwicklung und die Abstinenzentscheidung des Klägers, wie sie auch während der Therapie in Bad N. im Herbst 1998 sowie während der Therapie in der Klinik N. in der zweiten Hälfte des Jahres 2007 vorgelegen haben – ausschließlich ein (äußerlich) mustergültiges Verhalten des Klägers während der Drogentherapie ab dem Sommer 2014 dar, ohne dieses Verhalten zu hinterfragen. Lediglich einige einschränkende Bemerkungen (wie „verbleibende Risikokonstellationen“ und die Abschätzung des Verhaltens des Klägers im Falle eines Suchtmittelrückfalls, vgl. S. 37 oder „ausreichend gebesserte Sozial-, Legal- und auch Krankheitsprognose“, vgl. S. 38) lassen die Restzweifel des Prognosegutachters erkennen. Im Wesentlichen ebenso verhält es sich mit dem im Beschluss vom 3. März 2016 angesprochenen Bericht des Bezirkskrankenhauses P. vom 8. September 2015. Insoweit ist allerdings zu berücksichtigen, dass Therapieberichte keine objektiven Bewertungen oder gar Begutachtungen darstellen. Zu einer effektiven Drogenberatung ist ein enges Vertrauensverhältnis zwischen dem Drogenabhängigen und dem Berater erforderlich. Der Berater ist kein verlängerter Arm des Staates (Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 436). Weil Drogenberater Interessenvertreter ihrer Klienten (und nicht des Staates) sind (Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 253), sind die Therapiestellungnahmen nicht als objektive Gutachten, sondern als einseitige Stellungnahmen zu bewerten (Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 253). Gegen unzureichende Stellungnahmen von Therapieeinrichtungen gibt es keine effektive Handhabe (Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 413 ff.). Im Wesentlichen aus diesen Gründen hat der Gesetzgeber bei der Anrechnung der Therapie auf die Strafe nach § 36 BtMG nicht auf erfolgreiche Therapiezeiten, sondern auf die Aufenthaltszeiten in der Therapie an sich abgestellt (Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 16 ff.). Auch bei der Anrechnung des Maßregelvollzugs der Unterbringung auf die Strafe nach § 67 Abs. 4 StGB kommt es nicht auf einen (von der Therapieeinrichtung bescheinigten) Erfolg des Maßregelvollzugs an.
Der Beschluss erwähnt nicht, dass der Kläger spätestens ab dem Alter von 16 Jahren – also etwa 20 Jahre lang (drogenfreie Zeiten eingeschlossen, die zu einer Suchtbewältigung nicht geführt haben) – betäubungsmittelsüchtig gewesen ist.
Er erwähnt auch nicht, dass die vom Kläger gehandelten und konsumierten Substanzen „ein enormes Suchtpotenzial“ (S. 12 des Strafurteils vom 4.2.2014) haben und dass sie aufgrund der konsumierten Vielfalt zu einer Polytoxikomanie geführt haben (so bereits der Befundbericht über den Maßregelvollzug im Sommer 2006), die im strafgerichtlichen Gutachten vom 17. Oktober 2013 als „tiefverwurzelte innere Disposition“ bezeichnet worden ist. Alternativ zum Begriff „Polytoxikomanie“ (und ohne Widerspruch hierzu) ist auch von einer Abhängigkeit bezüglich Metamphetamin und Cannabis die Rede.
Weiterhin erwähnt der Beschluss nicht, dass der Kläger bereits mehrfach Drogenbehandlungen absolviert hat, die längerfristig erfolglos geblieben sind. Dies ist deshalb von erheblicher Bedeutung, weil die Erfolgschancen einer Therapie, die im Allgemeinen bereits deutlich unter 50% liegen (die Katamnesedaten zum Entlassungsjahrgang 2011 – Drogeneinrichtungen – Stand: August 2013 des Bundesverbandes für Stationäre Suchtkrankenhilfe e. V. – Teil 1 – lassen auf eine Misserfolgsquote nach einem Jahr von 70% und mehr schließen; nach Klos/Görgen – Rückfallprophylaxe bei Drogenabhängigkeit, 2009, S. 25 ff. – sind Rückfälle eher die Regel als die Ausnahme; vgl. insoweit auch Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 8. Aufl. 2016, § 35 Rn. 47: „bescheidene Erfolge“), den vorliegenden Untersuchungen zufolge umso geringer sind, je mehr erfolglose Therapien vorhergegangen sind (Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe e.V., Nr. 4.6 der Auswertung der Katamnesedaten zum Entlassungsjahrgang 2011 – Drogeneinrichtungen – Stand: August 2013; als Grund für diese Chancenverschlechterung wird eine Chronifizierung des Sucht angenommen; vgl. auch Klos/Görgen, Rückfallprophylaxe bei Drogenabhängigkeit, 2009, S. 26 ff.). Der Kläger hat sich vom 13. Oktober 1998 bis zum 2. Dezember 1998 wegen seines Drogenmissbrauchs in der Psychosomatischen Klinik B. aufgehalten; bei der Entlassung sind ihm die Bearbeitung aktueller Konfliktfelder und persönlichkeitsspezifischer Defizite, eine deutliche Stabilisierung des psychosomatischen Gesamtzustandes sowie wichtige Reifungsschritte attestiert worden. Nachdem er dann zahlreiche weitere Betäubungsmittelstraftaten begangen hatte, ist der Kläger aufgrund des Strafurteils des Landgerichts A. vom 26. Januar 2006, in dem ihm eine gute Therapiemotivation und gute Erfolgschancen bescheinigt worden sind, in einer Entziehungsanstalt untergebracht worden. Nachdem der Kläger vom Tage der Aufnahme an eine Therapierung abgelehnt hat (weil die Dauer der Therapie von zwei Jahren in keinem Verhältnis zur Reststrafe stehe) und ihm die Einrichtung deswegen eine negative Sucht-, Legalsowie Sozialprognose gestellt hat, ist die Maßregel durch Beschluss des Landgerichts B. vom 30. August 2006 wegen Aussichtslosigkeit beendet und die Reststrafe vollzogen worden. In der Zeit vom 4. Juli 2007 bis zum 21. Dezember 2007 hat der Kläger in der Klinik N. eine stationäre Entwöhnungstherapie absolviert. Nachdem er mit dem Drogenkonsum wieder begonnen hatte (der Kläger behauptet, zu einem Rückfall sei es erst im Jahr 2012 gekommen; dies ist jedoch zweifelhaft, nachdem bereits am 17.8.2010 ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz nicht nach § 170 Abs. 2 StPO, sondern nach § 153 Abs. 1 StPO eingestellt worden ist) und nahezu täglich Cannabis sowie Methamphetamin konsumierte (vgl. S. 28 des Prognosegutachtens vom 29.1.2016), ist er am 14. August 2013 inhaftiert und am 4. Februar 2014 zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt worden sowie zur Maßregel der Unterbringung zwecks Durchführung einer Drogentherapie, auf die sich der Kläger nun beruft. Dementsprechend hat das Strafgericht im Urteil vom 4. Februar 2014 es lediglich „nicht ausgeschlossen“, dass der Kläger im Rahmen der Unterbringung seine Drogenabhängigkeit bewältigt und anschließend ein strafffreies Leben führt.
Der Beschluss des Landgerichts vom 3. März 2016 erwähnt auch nicht, dass der vom Strafgericht hinzugezogenen Sachverständige L. eine Therapiedauer von 18 Monaten für erforderlich gehalten hat, dass sich das Strafgericht im Strafurteil vom 4. Februar 2014 nach eigener Würdigung der Gesamtumstände dieser Einschätzung angeschlossen hat und dass aber nicht einmal ein Jahr lang eine intensive Behandlung des Klägers stattgefunden hat. Nach dem Beginn des Maßregelvollzugs am 10. Juni 2014 in der Aufnahme-/Motivations-Station der Klinik für Forensische Psychiatrie in R., von wo aus er am 8. Juli 2014 in das Bezirkskrankenhaus P. verlegt worden ist, hat der Kläger bereits am 7. August 2014 die erste Lockerungsstufe erhalten; zu Beginn des Jahres 2015 ist es ihm gestattet worden, außerhalb der Klinik zu übernachten, im Februar 2015, ein Praktikum im Messebau in N. zu absolvieren (das ihn überlastet hat), und im Sommer 2015, eine Berufstätigkeit in einem Callcenter in E. aufzunehmen. Er musste dann nur noch zu einem Therapiegespräch pro Woche erscheinen, ab Herbst 2015 nur noch 14-täglich.
Der Beschluss des Landgerichts vom 3. März 2016 übergeht die (dem Prognosegutachten vom 29.1.2016 zu entnehmenden, aber nicht thematisieren) deutlichen Anzeichen dafür, dass der Kläger unter Druck zu einem hoch angepassten Verhalten in der Lage ist, wenn er dadurch Einschränkungen seiner persönlichen Freiheit beseitigen oder vermindern kann, und dass angepasstes Verhalten des Klägers unter einem „Damoklesschwert“ keine Gewähr für ein längerfristiges Ausbleiben von Sucht und Delinquenz bietet. Dem im Prognosegutachten (S. 18) wiedergegebenen Vermerk des Bezugstherapeuten vom 29. Juli 2014 über die Unterbringung zufolge hat sich der Kläger gewandt und sehr ausführlich geäußert und dabei ein „sehr angepasstes Verhalten (,überall keine Probleme’)“ gezeigt. Er ist teils „devot“ aufgetreten. Dem ebenfalls hier wiedergegebenen Therapeuten-Vermerk vom 2. September 2014 ist zu entnehmen, dass sich der Kläger die Therapeuten-Sprache zu eigen gemacht hat (auch in der Epikrise des Bezirkskrankenhauses P. vom 5.8.2016 – S. 5 – findet sich die Bemerkung, der Kläger sei zeitweise durch ein bemühtes und auch etwas überangepasstes Verhalten aufgefallen; gleichwohl wird im selben Schreiben – ohne Auseinandersetzung mit dieser Verhaltensbeobachtung – anerkennend festgestellt, der Kläger besitze die Fähigkeit, sich gegenüber Bezugspflegeteam und Therapeuten zu öffnen, sei reflektiert und sozial hochkompetent, hoch therapiemotiviert, engagiert und hole sich stets Rat). Aus dem Vermerk vom 29. Juli 2014 ergibt sich auch, dass er auf die Frage nach vorhandenem Suchtdruck taktiert hat; er hat zunächst ausweichend, dann aber angepasst reagiert, indem er Auslösesituationen (Diskothek) beschrieben hat mit dem Bemerken, diese widerten ihn im Rückblick an. Dem im Prognosegutachten vom 29. Januar 2016 zitierten Vermerk vom 15. September 2014 ist zu entnehmen, dass der Kläger einen Kontrollverlust „rasch bagatellisiert“ hat. Der Kläger hat durch sein (äußerlich) mustergültiges Verhalten während der Unterbringung erreicht, dass trotz seiner zahlreichen einschlägigen Vorahndungen die durch das Urteil vom 4. Februar 2014 verhängte Freiheitsentziehung von vier Jahren und sechs Monaten auf zwei Jahre und sechs Monate – die Unterbringung eingeschlossen – verkürzt worden ist (am 14.8.2013 ist er vorläufig festgenommen worden; in der Zeit bis zur Entlassung aus dem Maßregelvollzug am 18.3.2016 ist auch die Ersatzfreiheitsstrafe für den Strafbefehl vom 10.6.2013 über 30 Tagessätze wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln vollzogen worden). Bereits nach seiner Verhaftung am 27. Februar 2005 wegen des Verdachts des Rauschgifthandels hat der Kläger versucht, mithilfe einer freiwilligen Therapie im Wege des § 35 BtMG die weitere Haft abzuwenden (vgl. das Schreiben der Bezirksklinik H. vom 13.7.2005). Nachdem ihm dies nicht gelungen und im Strafurteil vom 26. Januar 2006 die Maßregel der Unterbringung verhängt worden ist (in seinem Schreiben vom 16.11.2006 an die Ausländerbehörde spricht der Kläger von einer vorgesehenen Therapiedauer von zwei Jahren), hat er durch vorsätzliche Mitwirkungsverweigerung einen Abbruch der Unterbringung (Erledigung wegen Aussichtslosigkeit) herbeigeführt, weil die Dauer der Unterbringung zwecks Durchführung der fachlicherseits für nötig gehaltenen Therapie länger gewesen wäre als die Reststrafe. Ein derartiger leichtfertiger Umgang mit der Therapiechance spricht gegen eine echte Therapiebereitschaft (vgl. Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 216). Nach Verbüßung der Reststrafe hat der Kläger, der nun unter Führungsaufsicht gestanden hat, eine Therapie von weniger als sechs Monaten (bis Dezember 2007) absolviert. Der Kläger selbst hat die anschließende drogenfreie Phase ab Dezember 2007 in einen Zusammenhang mit der im Wesentlichen gleichzeitigen Führungsaufsicht gestellt (vgl. S. 21 des Prognosegutachtens vom 29.1.2016 sowie S. 2 der Epikrise des Bezirkskrankenhauses P. vom 5.8.2016: „habe allerdings fünf Jahre Führungsaufsicht gehabt“). Diese positive Phase fällt zudem in einen Zeitraum, in dem die Ausländerbehörde die bereits angekündigte Ausweisung zurückgestellt hat, um die weitere Entwicklung des Klägers abzuwarten (ausländerbehördliches Schreiben vom 6.2.2007; zum Legalbewährungsdruck eines Ausweisungsverfahrens, vgl. Rn. 35). Nach wenigen Jahren hat der Kläger mit dem Drogenkonsum und auch mit dem Drogenhandel erneut begonnen.
Eine Gesamtwürdigung dieses Verhaltens ergibt, dass dem Kläger weniger an der Suchtbefreiung als an einer schnellen Beendigung der mit Haft und Unterbringung verbundenen persönlichen Einschränkungen gelegen ist und dass er in der Lage ist, sich für die Erhaltung oder Wiedergewinnung persönlicher Freiheit in hohem Maß den staatlichen Verhaltensanforderungen anzupassen, ohne den erforderlichen inneren Wandel tatsächlich zu vollziehen. Hierbei handelt es sich um keine seltene Erscheinung (zur Scheinmotivation vgl. Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 31, 32, 215 ff., 242), denn staatliche Druckmittel sind insofern zwiespältige Resozialisierungsmittel, als sie einerseits ein Gegengewicht zum Suchtdruck bilden, andererseits aber in einem Spannungsverhältnis zu der Erfahrung stehen, dass ein Therapieerfolg bei freiwilliger Mitwirkung signifikant wahrscheinlicher ist.
Unberücksichtigt bleibt im Beschluss vom 3. März 2016 schließlich auch, dass der Kläger, der seit dem 17. Lebensjahr an Nikotin gewöhnt ist, 20 bis 30 Zigaretten (schwarzer Tabak) pro Tag raucht (das Prognosegutachten vom 29.1.2016 erwähnt dies auf S. 23 des Prognosegutachtens, enthält sich aber diesbezüglich jeder Kommentierung) und demzufolge weiterhin von Suchtmechanismen abhängig ist.
Unberücksichtigt bleibt auch, dass der Kläger weder über gute Erwerbschancen noch über tiefere Bindungen verfügt (vgl. Rn. 40). Dies ist wesentlich für die Resozialisierungswahrscheinlichkeit; §§ 56 Abs. 1 Satz 2, 57 Abs. 1 Satz 2 StGB nennen als Prognoseindizien die Persönlichkeit, das Vorleben und die Lebensverhältnisse, zu denen wesentlich die Qualität von Bindungen und Beziehungen sowie die Ausbildungs- und Erwerbsbiografie gehören.
Es fällt allerdings auf, dass das Strafvollstreckungsgericht trotz seiner (ausländerrechtlich gesehen) nicht hinreichend differenzierten Entscheidung die längst mögliche Bewährungszeit (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 2 StGB sowie § 36 Abs. 4 BtMG) festgelegt hat.
Das Gewicht der negativen ausländerrechtlichen Prognoseindizien wird auch nicht dadurch aufgewogen, dass seit der Entlassung des Klägers aus Haft und Maßregelvollzug Anhaltspunkte für Delinquenz oder Drogenkonsum nicht mehr aufgetreten sind und seine Entwicklung seitens des Bewährungshelfers günstig beurteilt wird.
In der Beschreibung der am 4. Februar 2014 abgeurteilten Straftat, die der Kläger den Therapeuten im Bezirkskrankenhaus P. geliefert hat (vgl. S. 4 des Berichts des Bezirkskrankenhauses vom 5.8.2016), werden die Geschehnisse unrichtig dargestellt und beschönigt, sodass von einer auch heute noch fehlenden Einsicht des Klägers in das von ihm begangene Unrecht ausgegangen werden muss. Das Strafgericht hat nicht – wie vom Kläger gegenüber den Therapeuten des Bezirkskrankenhauses angegeben – festgestellt, dass dem Kläger unreiner Stoff verkauft worden sei, den er nicht mehr habe weiterverkaufen können, und der Dealer ihn gesucht und auch seine Familie bedroht habe, weshalb er ihm habe zuvorkommen müssen. Das Strafgericht ist aufgrund eines Rauschgiftvortests von einem durchschnittlichen Wirkstoffgehalt ausgegangen (vgl. S. 3 und S. 9 der Anklageschrift vom 22.10.2013 sowie S. 9 des Strafurteils vom 4.2.2014). Dem Strafurteil ist auch nicht zu entnehmen, dass der Kläger die im Bericht des Bezirkskrankenhauses wiedergegebene beschönigende Darstellung im Strafverfahren zu seiner Verteidigung vorgetragen hätte.
Seit seiner Entlassung am 18. März 2016 steht der Kläger unter Bewährung, muss also nicht nur bei Straftaten, sondern bereits bei Verstößen gegen Bewährungsauflagen mit einer erneuten Inhaftierung rechnen. Es entspricht allgemeiner Erfahrung (und der Absicht des Gesetzgebers), dass die Möglichkeit, eine zur Bewährung verfügte Strafaussetzung/Strafrestaussetzung zu widerrufen, einen erheblichen Legalbewährungsdruck darstellt (Stree/Kinzig, a.a.O., § 57 Rn. 14 m.w.N. und Rn. 1: „Damoklesschwert“; ähnlich Patzak, a.a.O., § 36 BtMG Rn. 68), also zu erheblichen Anstrengungen in Richtung Selbstdisziplin und Lebensordnung führen kann. Weiterhin ist der Kläger durch den vorliegend streitgegenständlichen Bescheid vom 7. November 2014 ausgewiesen worden. Eine drohende Ausweisung erzeugt insbesondere bei Personen mit Hafterfahrung (Ausgewiesene besitzen diese regelmäßig und auch der Kläger besitzt sie) häufig einen Legalbewährungsdruck, der über denjenigen einer drohenden Inhaftierung hinausgeht; hierzu trägt auch der Umstand bei, dass im Ausweisungsrechtsstreit aktuelle Entwicklungen zu berücksichtigen sind. Der Stellungnahme der Bezugstherapeutin vom 9. November 2015, den eigenen Angaben des Klägers vom selben Tag und dem Bericht über den Maßregelvollzug ab 2014 (alle zitiert im Prognosegutachten vom 29.1.2016, S. 20, 25 und 32) sowie dem Bewährungshilfebericht vom 6. Februar 2017 ist zu entnehmen, dass der Kläger in der Ausweisung eine gewichtige Bedrohung sieht. Dieser besondere Legalbewährungsdruck ist auch den Äußerungen der Beteiligten und Gutachter in anderen Verfahren zu entnehmen (vgl. beispielsweise S. 26 des Senatsbeschlusses vom 2.5.2017 – 19 CS 16.2466 – juris sowie S. 10 des Senatsbeschlusses vom 14.8.2017 – 19 ZB 16.541) und entspricht allgemein den Erfahrungen des Senats. Demzufolge ist das Legalverhalten des Klägers in einer Zeit, in der er nicht nur unter Bewährung steht, sondern ihm auch die Ausweisung droht, zwar grundsätzlich als günstiges Indiz für die ausweisungsrechtliche, über die Zeiträume mit Legalbewährungsdruck hinausgehende Prognose heranzuziehen. Jedoch kommt diesem Indiz nur ein geringes, die gravierenden negativen Prognosekriterien nicht überwiegendes Gewicht zu, weil es angesichts des mehrschichtigen Abstinenz- und Legalbewährungsdrucks, der während des rechtstreuen Verhaltens besteht (und in mindestens demselben Maß während des Strafvollzugs und des Maßregelvollzugs), nach allgemeiner Erfahrung und auch nach der Auffassung der Strafgesetzgebers (der durch die Drohung mit Strafvollstreckung die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs der Erprobungsphase in Freiheit zu erhöhen beabsichtigt) nicht den Schluss auf ein gleichartiges Verhalten in Zeiträumen gewährleistet, in denen dieser Druck nicht besteht. Die gegenwärtig auf den Kläger einwirkenden Druckmittel sind nicht geeignet, das Unterlassen von Straftaten auf Dauer zu erzwingen, und bewirken in einem großen Teil der Fälle – zu dem der vorliegende Fall angesichts der erwähnten Umstände mit großer Wahrscheinlichkeit gehört – keinen inneren Wandel, sondern nur ein druckmittelbedingtes Anpassungsverhalten ohne Nachhaltigkeit (z.B. eine ordnungsgemäße Führung in der Haft und in der Bewährungszeit, jedoch nicht während deren gesamter Dauer oder nicht lange über sie hinaus, oder die Teilnahme an einer Drogentherapie ohne nachhaltige Suchtbefreiung, vgl. Rn. 28, 29). In fast allen vom Senat überprüften Ausweisungsfällen sind Strafrestaussetzungen bzw. Vollstreckungszurückstellungen (zum Teil mehrfach) erfolgt, jedoch erneut Straftaten nicht lange nach dem Ablauf der jeweiligen Bewährungszeit (oder sogar noch während dieser) begangen worden. Ein geringes Gewicht kommt dem Legalverhalten des Klägers nach der Entlassung aus dem Maßregelvollzug auch deshalb zu, weil er bereits gezeigt hat, dass er durch Haft und Strafaussetzung nicht nachhaltig zu beeindrucken ist, weil er durch mehrere Therapien nicht nachhaltig von seiner Abhängigkeit befreit worden ist und weil die gegenwärtige Situation keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Entwicklung aufweist, die sich von der negativen Entwicklung des Klägers nach früheren vielversprechenden Ansätzen unterscheidet.
4. Vor dem Hintergrund der tatbestandsmäßigen Gefährdungslage gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG ist bei der vorzunehmenden Interessenabwägung von einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG einerseits und von besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen nach § 55 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 AufenthG auszugehen. Die nach § 53 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG vorzunehmende Gesamtabwägung der gegenläufigen Interessen führt – auch unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK – zum Überwiegen des öffentlichen Ausweisungsinteresses.
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- oder Familienlebens. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Gerichtshof) kann eine Aufenthaltsbeendigung einen – rechtferti-gungsbedürftigen – Eingriff in das Privat- oder Familienleben darstellen, wenn der Ausländer über starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat verfügt, das Privat- oder Familienleben in diesem fest verankert ist und sich nicht auf eine lose Verbindung beschränkt (U.v. 16.6.2005 – Sisojeva u.a. Lettland [Sisojeva I], Nr. 60654/00 – EuGRZ 2006, 554). Eine danach den Schutz des Privat- oder Familienlebens auslösende Verbindung mit der Bundesrepublik Deutschland als Aufenthaltsstaat kommt grundsätzlich für solche Ausländer in Betracht, die aufgrund eines Hineinwachsens in die hiesigen Verhältnisse bei gleichzeitiger Entfremdung von ihrem Heimatland so eng mit der Bundesrepublik Deutschland verbunden sind, dass sie gewissermaßen deutschen Staatsangehörigen gleichzustellen sind, während sie mit ihrem Heimatland im Wesentlichen nur noch das formale Band ihrer Staatsangehörigkeit verbindet (vgl. BVerwG, U.v. 29.9.1998 – 1 C 8.96 – NVwZ 1999, 303). Mögliche Eingriffe in das Recht eines Ausländers auf Achtung seines Privat- oder Familienlebens sind unter den Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 2 EMRK statthaft und müssen ein ausgewogenes Gewicht zwischen den gegenläufigen Interessen des Einzelnen und der Gesellschaft herstellen. Dabei ist eine Abwägung nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip durchzuführen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 30.3.2010 – 1 C 8.09 – juris m.w.N. zur Rspr. des EGMR). Im Rahmen der Ermittlung der privaten Belange ist in Rechnung zu stellen, inwieweit der Ausländer unter Berücksichtigung seines Lebensalters in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert ist. Als Gesichtspunkte für das Vorhandensein von anerkennenswerten Bindungen können Integrationsleistungen in persönlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht von Bedeutung sein, der rechtliche Status, die Beachtung gesetzlicher Pflichten und Verbote, der Grund für die Dauer des Aufenthalts und Kenntnisse der deutschen Sprache. Diese Bindungen des Ausländers im Inland sind in Beziehung zu setzen zu den Bindungen an seinen Heimatstaat. Hierzu gehört die Prüfung, inwieweit der Ausländer unter Berücksichtigung seines Lebensalters, seiner persönlichen Befähigung und seiner familiären Anbindung im Heimatland von dem Land seiner Staatsangehörigkeit bzw. Herkunft entwurzelt ist.
Hinsichtlich des Schutzes der familiären Beziehungen ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofes anerkannt, dass selbst schwerwiegende Beeinträchtigungen familiärer Beziehungen nicht stets das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung verdrängen. Vielmehr ist anhand der sog. „Boultif-Kriterien“ ein gerechter Ausgleich der gegenläufigen Interessen zu finden (vgl. z.B. EuGH, U.v. 18.10.2006 – Nr. 46410/99 juris Rn. 57 ff.) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist zu berücksichtigen, dass Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt gewährt und allein aufgrund formal-rechtlicher Bindungen ausländerrechtliche Schutzwirkungen nicht entfaltet (vgl. BVerfG, B.v. 1.12.2008 – 2 BvR 1830/08 – juris). Wie der Gerichtshof betont auch das Bundesverfassungsgericht, dass selbst gewichtige familiäre Belange sich nicht stets gegenüber gegenläufigen öffentlichen Interessen durchsetzen (z.B. B.v. 23.1.2006 – 2 BvR 1935/05 – juris Rn. 23). Es ist zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für eine gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte (vgl. BVerfG, B.v. 1.12.2008 a.a.O., B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – NVwZ 2013, 1207). Über die familiären Belange hinaus ist das Interesse des Klägers an einem Verbleib im Bundesgebiet unter Berücksichtigung der Dauer seines Aufenthalts und des Maßes seiner Integration angemessen zu würdigen.
Nach diesen Maßstäben kann sich der Kläger nicht erfolgreich auf eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung im Rahmen des Art. 8 EMRK berufen, denn der Anspruch des Klägers auf Schutz seines Privatlebens wird von den widerstreitenden öffentlichen Belangen überwogen, namentlich den in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Belangen der öffentlichen Ordnung und der Verhinderung von strafbaren Handlungen. Die Delinquenz des Klägers und die Gefahr der Begehung erneuter erheblicher Straftaten überwiegen seine schutzwürdigen sozialen und familiären Bindungen im Bundesgebiet. Zwar ist der Kläger in der Bundesrepublik geboren und hier aufgewachsen. Aber selbst für faktische Inländer besteht kein generelles Ausweisungsverbot; die besondere Härte, die eine Ausweisung wegen der Verwurzelung im Bundesgebiet für diese Personengruppe darstellt, ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 19).
Dem Kläger steht zwar ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zur Seite. Dieses überwiegt jedoch nicht das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse, das sich aus der vom Kläger ausgehenden gegenwärtigen, tatsächlichen und hinreichend schweren Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft ergibt. Der Kläger wohnt zwar seit seiner Geburt im Jahre 1979 im Bundesgebiet, ist assoziationsberechtigt und im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Sein Leben ist aber seit dem 14. Lebensjahr von Drogenkonsum (vgl. den von ihm verfassten „Suchtverlauf“, Bl. 227 der Ausländerakte) und seit dem 16. Lebensjahr von Straftaten maßgeblich geprägt, sodass er nicht schutzwürdig hat davon ausgehen können, dass – wenn er als Erwachsener dieses Verhalten fortsetzt – sein Aufenthaltsrecht von längerem Bestand sein wird. Der Kläger hat sich nicht nur in erheblichem Umfang (insbesondere zweimal durch Drogenhandel) strafbar gemacht; ihm ist auch der Aufbau einer wirtschaftlichen Lebensgrundlage nicht gelungen. Insgesamt kann von einer Integration in die Lebensverhältnisse des Bundesgebiets nicht gesprochen werden. Es spricht zwar viel dafür, dass die Entwicklung des Klägers negativ durch seinen Vater beeinflusst worden ist, den er als gewalttätigen Alkoholiker beschreibt. Jedoch wohnt der Kläger bereits seit dem Jahr 1998 nicht mehr in der elterlichen Wohnung und hat mehrfach die Möglichkeit gehabt, mit fachlicher Unterstützung seine persönlichen Probleme zu bewältigen. Seinem Verhalten ist aber zu entnehmen, dass er die Problem- und Suchtbewältigung zurückstellt, wenn er dadurch persönliche Einschränkungen vermeiden kann. Der Kläger hat keinen Schulabschluss. Begonnene Ausbildungen hat er abgebrochen. Mit selbständigen Tätigkeiten (D2-Shop, Model- und Eventmanagement, Medienberater) ist er ebenfalls nicht erfolgreich gewesen. Das Gefühl, mit der D2-Filiale überlastet zu sein, hat den Kläger zur Schließung der Filiale bewogen; den erneuten Drogenrückfall im Vorfeld der Verurteilungen vom 16. Juli 2003, 2. Juni 2004 und 26. Januar 2006 hat er ebenfalls auf diese Überlastung zurückgeführt (vgl. S. 22 des Prognosegutachtens vom 29.1.2016). Wegen Überlastung hat er auch das Praktikum im Messebau im Frühjahr 2015 abgebrochen, für das die Unterbringung im Maßregelvollzug gelockert worden war; infolge seiner enttäuschten/subdepressiven Gefühle musste er damals durch das Nachsorge-Therapeutenteam aufgefangen werden. Im Übrigen hat er in Callcentern gearbeitet. Der Kläger hat angegeben, sein längstes Arbeitsverhältnis habe ungefähr ein Jahr gedauert. Im vorliegenden Verfahren hat er bestritten, jemals arbeitslos gewesen zu sein. Er hat dies jedoch nicht belegt und sein unstetes Berufsleben spricht dagegen; überdies ist dem Strafurteil vom 26. Januar 2006 (S. 5) seine Mitteilung zu entnehmen, er sei zwischen Oktober 2003 und Februar 2005 arbeitslos gewesen. Seit längerer Zeit arbeitet der Kläger zwar erneut in einem Callcenter; hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Kläger unter dem Eindruck des schwebenden Ausweisungsverfahrens und der Möglichkeit eines Bewährungswiderrufs steht. Der Kläger hat Schulden, die nach seinen Angaben „hauptsächlich aus den strafrechtlichen Verurteilungen stammen“. Der Kläger ist nicht verheiratet und hat keine Kinder. Die drei Partnerinnen, mit denen der Kläger nach seinen Angaben jeweils etwa ein Jahr lang eine Beziehung gehabt hat, haben ebenfalls Drogen konsumiert (vgl. S. 23 des Prognosegutachtens vom 29.1.2016). Angesichts seiner Volljährigkeit kommt den Beziehungen zu seiner Mutter (sein Vater ist im Jahr 2008 verstorben) kein wesentliches Gewicht zu. Der Kläger hat zwar vorgetragen, er kümmere sich um seine schwerkranke Mutter. Gegen eine Beistandsgemeinschaft von Gewicht spricht jedoch zum einen, dass die Mutter erst vor kurzem ein halbes Jahr in der Türkei verbracht hat, und zum anderen, dass der Kläger angegeben hat, er sehe seine Mutter (und eine Schwester, die bei der Mutter wohne) meistens 14-tägig am Samstag oder Sonntag (vgl. S. 21 des Prognosegutachtens vom 29.1.2016), und zu Betreuungsleistungen nichts ausgeführt hat. Der Kläger behauptet zwar, er habe keinerlei Bindungen an die Türkei oder Beziehungen dorthin. Dies ist jedoch nicht glaubhaft. Zu den Herkunftsfamilien seiner Eltern hat sich der Kläger nicht geäußert. Der Vater des Klägers hat nach dessen Angaben vor seinem Tod „die meiste Zeit des Jahres“ bzw. „die Hälfte des Jahres“ in seiner türkischen Heimat verbracht, in der auch die Mutter des Klägers mehr als 20 Jahre lang gelebt hat und erst kürzlich lang zu Besuch gewesen ist. Unter diesen Umständen drängen sich nähere und weitere verwandtschaftliche Bindungen in der Türkei auf, auf die sich der Kläger beim Aufbau einer Existenz stützen kann. In finanzieller Hinsicht kann der Kläger beim Aufbau einer Existenz in der Türkei von seiner Mutter unterstützt werden, zu der er nach seiner Angabe ein gutes Verhältnis hat. Sie dürfte zumindest zur Überweisung kleiner Beträge in der Lage sein, die angesichts der allgemeinen Lebensverhältnisse in der Türkei eine erhebliche Hilfe darstellen können. Nachdem der Kläger fast 20 Jahre lang bei seinen Eltern gewohnt hat, ist von ausreichenden türkischen Sprachkenntnissen auszugehen. Der Kläger ist voll erwerbsfähig und in einem Alter, in dem ihm der Aufbau eines Privatlebens zumutbar und möglich ist. Die Befürchtung, er werde zum Wehrdienst eingezogen werden, ist unbegründet (vgl. die E-Mail des türkischen Generalkonsulats in N., Bl. 404 der Ausländerakte).
Das Prozesskostenhilfegesuch für das Zulassungsantragsverfahren war abzulehnen, da – wie sich aus Obigem ergibt – der Zulassungsantrag keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne der §§ 166 VwGO, 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat.
Die Entscheidung über die Kosten des Zulassungsantragsverfahrens beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 3, Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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