Strafrecht

Auswirkungen des Verstoßes gegen rechtliches Gehör im Strafverfahren

Aktenzeichen  8 Qs 189/19

Datum:
22.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 53561
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BtMG § 29
EMRK Art. 6
GG Art. 103
StPO § 309 Abs. 2, 3 407 Abs. 3

 

Leitsatz

Unterlassen die Ermittlungsbehörden die gebotene Beteiligung des Angeschuldigten im Er-mittlungsverfahren, indem ihm Akteneinsicht nicht gewährt wird, steht das nicht der Fortführung des Verfahrens als Prozesshindernis entgegen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

306 Cs 303 Js 112693/19 2019-04-29 Bes AGDILLINGENADDONAU AG Dillingen

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Au. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Dillingen a.d. Donau vom 29.04.2019 wird dieser insgesamt aufgehoben.
2. Das Amtsgericht Dillingen a.d. Donau wird angewiesen, entweder den beantragten Strafbefehl zu erlassen oder Hauptverhandlung anzuberaumen.
3. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.
Im hiesigen Ermittlungsverfahren zeigte Rechtsanwalt Z. mit Schriftsatz vom 29.10.2018 (Bl. 21) die Verteidigung des Ang. an und beantragte, ihm nach Abschluss der Ermittlungen Akteneinsicht zu gewähren. Diesem Ersuchen wurde in der Abschlussverfügung vom 08.04.2019 (dort Ziffer 11, Bl. 27) nachgekommen und die Ermittlungsakte am 09.04.2019 an den Verteidiger übersandt. Mit Schriftsatz des Verteidigers vom 17.04.2019 (Bl. 26), der zusammen mit der Ermittlungsakte am 23.04.2019 bei der Staatsanwaltschaft Au. einging, bat dieser, wegen eines Kurzurlaubs „einer Stellungnahme bzw. Kontaktaufnahme bis zum 20.05.2019 entgegenzusehen“. Dem wurde seitens der Staatsanwaltschaft Au. nicht nachgekommen, sondern die Ermittlungsakte mit dem Strafbefehlsantrag an das Amtsgericht Dillingen a.d. Donau übersandt, wo sie am 26.04.2019 einging.
Mit dem Beschluss vom 29.04.2019, der Staatsanwaltschaft Au. zugestellt am 03.05.2019, hat das Amtsgericht Dillingen a.d. Donau trotz hinreichenden Tatverdachts – im angefochtenen Beschluss ist sogar von einer „relativ harten Beweislage“ die Rede – den Erlass eines Strafbefehls gegen den Ang. aus rechtlichen Gründen abgelehnt, das Verfahren gegen diesen endgültig eingestellt (Ziffer 1.) sowie die Verpflichtung der Staatskasse ausgesprochen, den Ang. für die Durchsuchungsmaßnahme vom 26.10.2018 zu entschädigen (Ziffer 2.); daneben wurden der Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Ang. auferlegt (Ziffer 3.). Das Amtsgericht Dillingen a.d. Donau hat befunden, dass das Ermittlungsverfahren aufgrund des vorstehend dargestellten Verfahrengangs an einem „evidenten, gravierenden und unheilbaren Mangel der fehlenden Bewilligung rechtlichen Gehörs“ leide und deshalb einzustellen sei.
Gegen den Beschluss wendet sich die Staatsanwaltschaft Au. mit Schriftsatz vom 07.05.2019, eingegangen beim Amtsgericht Dillingen a.d. Donau am 08.05.2019.
II.
1. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Au. ist statthaft und auch sonst zulässig, § 306 Abs. 1 StPO. Für die Entscheidung ist nach dem Turnus in Beschwerdesachen die 8. Strafkammer zuständig, auch wenn dem Strafbefehlsantrag ein Verstoß gegen das BtMG zugrunde liegt.
2. Der angefochtene Beschluss war in Ziffer 1. aufzuheben, weil der vom Amtsgericht Dillingen a.d. Donau angenommene Verstoß gegen das rechtliche Gehör kein dauerndes Verfahrens- oder Prozesshindernis darstellt und damit weder die Ablehnung des Strafbefehlsantrags noch die endgültige Verfahrenseinstellung rechtfertigt.
Eine gesetzliche Grundlage für die Entscheidung des Amtsgerichts Dillingen a.d. Donau ist nicht ersichtlich. Soweit zu deren Begründung Artikel 103 GG und Art. 6 EMRK herangezogen wird, ist evident, dass der hier vorliegende Verstoß mit den von der Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen „ungeschriebener“ Prozesshindernisse wie etwa der rechtsstaatswidrigen Tatprovokation oder Verstößen gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts nicht ansatzweise vergleichbar ist.
Auch ist nicht ersichtlich, warum hier die Gewährung rechtlichen Gehörs – konkret das Zuwarten, ob eine Stellungnahme eingeht oder nicht – nicht hätte nachgeholt werden können. Vielmehr werden Verstöße gegen das rechtliche Gehör in der Regel durch die nachträgliche Anhörung im Rechtsmittelzug geheilt, wenn die Entscheidung anfechtbar ist, vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage, § 33, Rn. 18. Im Strafbefehlsverfahren ist der Anspruch des Ang. auf rechtliches Gehör im Übrigen dadurch verbürgt, dass er gegen den Strafbefehl Einspruch einlegen und dadurch eine Hauptverhandlung erzwingen kann, vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 408, Rn. 24. 
3. Ziffer 2. (Entscheidung über StrEG) und Ziffer 3. (Kostenentscheidung) des angefochtenen Beschlusses waren nach den vorstehenden Ausführungen ebenfalls aufzuheben.
4. Wird die Beschwerde für begründet erachtet, erläßt das Beschwerdegericht grundsätzlich zugleich die in der Sache erforderliche Entscheidung, 309 Abs. 2 StPO. Da das Landgericht für den Erlass eines Strafbefehls bzw. die Anberaumung der Hauptverhandlung in erster Instanz – diese beiden Möglichkeiten sieht § 408 Abs. 3 StPO vor, wenn wie hier hinreichender Tatverdacht besteht und Verfahrens- oder Prozesshindernisse nicht ersichtlich sind – nicht zuständig ist, auch wenn es als Beschwerdegericht tätig wird, war das Verfahren zurück an das Amtsgericht Dillingen a. d. Donau zu verweisen.
4. Mit einer Stellungnahme des Verteidigers bis zum avisierten Zeitpunkt (20.05.2019) war bzw. ist nach der „endgültigen“ Verfahrenseinstellung das Amtsgericht Dillingen a.d. Donau am 29.04.2019 nicht mehr zu rechnen. Dem Amtsgericht Dillingen a.d. Donau steht es jedoch frei, dem Ang. rechtliches Gehör zu gewähren; § 407 Abs. 3 StPO steht dem nicht entgegen.
5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 StPO analog.


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