Strafrecht

Beschwerde, Verteidiger, Staatsanwaltschaft, Tatverdacht, Zustellung, Ermittlungsverfahren, Frist, Einstellung, Verpflichtung, Monatsfrist, Zustellungsmangel, Umfang, Mitteilung, sofortige Beschwerde, eingelegte sofortige Beschwerde

Aktenzeichen  12 Qs 58/21

Datum:
24.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 24143
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StrEG § 9 Abs. 1 Satz 4
StPO § 37 Abs. 1
ZPO § 189

 

Leitsatz

Ist die Einstellungsverfügung entgegen § 9 Abs. 1 Satz 4 StrEG nicht zugestellt worden, kann der Zustellungsmangel nicht nach § 37 Abs. 1 StPO mit § 189 ZPO dadurch geheilt werden, dass der Verteidiger später Einsicht in die Ermittlungsakte nimmt. Die Monatsfrist läuft daher nicht an.

Verfahrensgang

59 Gs 7055/21 2021-08-04 Bes AGNUERNBERG AG Nürnberg

Tenor

1. Unter Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Nürnberg vom 4. August 2021, 59 Gs 7055/21, wird festgestellt, dass die Staatskasse dem Beschuldigten zur Entschädigung verpflichtet ist für Durchsuchungen vom 22. April 2021 in den
a) Privaträumen …,
b) Geschäftsräumen …, soweit der Beschuldigte hiervon betroffen worden ist.
2. Die weitergehende sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
3. Die Beschwerdegebühr wird um die Hälfte ermäßigt. Die Staatskasse trägt ihre eigenen und die notwendigen Auslagen des Beschuldigten.

Gründe

I.
Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth führte gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt. In dessen Rahmen ließ sie am 22. April 2021 aufgrund von Durchsuchungsbeschlüssen des Amtsgerichts Nürnberg vom 16. Februar 2021 (…) Durchsuchungen in den in Ziff. 1 des Tenors genannten Objekten durchführen.
Der ursprüngliche Tatverdacht konnte im Folgenden nicht erhärtet werden. Die sachbearbeitende Staatsanwältin stellte daher das Ermittlungsverfahren mit Verfügung vom 16. Juni 2021 nach § 170 Abs. 2 StPO ein und verfügte zugleich deren formlose Mitteilung an die beiden Verteidiger des Beschuldigten.
Am 21. Juni 2021 nahm die Verteidigerin des Beschuldigten Einsicht in die Ermittlungsakte.
Mit Schriftsatz vom 28. Juli 2021 an das Amtsgericht Nürnberg – Ermittlungsgericht -, dort eingegangen am selben Tag, beantragte der Verteidiger, die Verpflichtung der Staatskasse zur Entschädigung für die Durchsuchungen festzustellen. Weiterhin beantragte er, dem Beschuldigten eine Entschädigung i.H.v. 401,50 € zu gewähren.
Das Amtsgericht Nürnberg lehnte den Antrag mit Beschluss vom 4. August 2021 als verfristet ab. Die Verteidiger hätten nämlich von der Einstellungsverfügung bereits durch Akteneinsicht vom 21. Juni 2021 Kenntnis gehabt. Gegen den ihm am 5. August 2021 zugestellten Beschluss legte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 12. August 2021, beim Amtsgericht eingegangen am selben Tag, sofortige Beschwerde ein.
Die Staatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die statthafte (§ 9 Abs. 2 StrEG) und auch im Übrigen zulässig eingelegte sofortige Beschwerde ist im tenorierten Umfang begründet (1). Darüber hinaus ist sie unbegründet und war dementsprechend zu verwerfen (2).
1. Die sofortige Beschwerde hat Erfolg, soweit der Beschuldigte die Abweisung seines Feststellungsantrags angreift. Dessen formelle und materielle Voraussetzungen sind nämlich gegeben.
a) Gegen den Beschuldigten sind mit den Durchsuchungen im Grundsatz entschädigungspflichtige Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt worden (§ 2 Abs. 2 Nr. 4 StrEG). Die im Tenor unter Ziff. 1.b enthaltene Einschränkung (“soweit“) dient der Klarstellung, weil nur der Beschuldigte, nicht jedoch seine Gesellschaften, deren Räume durchsucht wurden, nach dem StrEG entschädigungsberechtigt ist (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., vor § 1 StrEG, Rn. 2 m.w.N.). Das Ermittlungsverfahren ist von der Staatsanwaltschaft nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden (§ 2 Abs. 1 StrEG).
b) Es liegt ein Antrag des Beschuldigten vor. Nach § 9 Abs. 1 Satz 4 StrEG ist der Entschädigungsantrag binnen Monatsfrist nach Zustellung der Einstellungsentscheidung zu stellen. Diese Frist ist gewahrt.
aa) Entgegen der gesetzlichen Vorgabe (§ 9 Abs. 1 Satz 4 StrEG: „nach Zustellung“) und der eigenen Mitteilung in der der Einstellungsverfügung beigelegten Belehrung (vgl. Bl. 225/226 d. A.: „nach Zustellung“) hat die Staatsanwaltschaft keine (förmliche) Zustellung, sondern lediglich eine formlose Mitteilung ihrer Einstellungsverfügung veranlasst. Die Frist des § 9 Abs. 1 Satz 4 StrEG beginnt allerdings erst, wenn die Einstellung (förmlich) zugestellt worden ist (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 9 StrEG, Rn. 5). Daran fehlt es.
bb) Die Kammer folgt nicht der Auffassung des Amtsgerichts, wonach die Gewährung der Einsicht in die Akte an die Verteidiger am 21. Juni 2021 – in der die zuvor getroffene Einstellungsverfügung in der Urschrift enthalten war – den Zustellungsmangel nach § 37 Abs. 1 StPO mit § 189 ZPO hätte heilen können, mit der Folge, dass die Monatsfrist bereits am 21. Juli 2021 abgelaufen wäre (wie hier BGH, Beschluss vom 19. Juni 2019 – IV ZR 224/18, juris Rn. 19; BayObLG, Beschluss vom 16. Juni 2004 – 2Z BR 253/03, NJW 2004, 3722; OLG Nürnberg, Urteil vom 1. August 2019 – 13 U 1667/17, juris Rn. 42 und Urteil vom 5. November 1981 – 8 U 351/81, MDR 1982, 238; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 21. März 2019 – 1 OWi 2 Ss Rs 76/18, juris Rn. 7 mit eingehender Begründung; Zöller/Schultzky, ZPO, 33. Aufl., § 189 Rn. 4; Häublein/Müller in MünchKomm-ZPO, 6. Aufl., § 189 Rn. 13). Sähe man es anders, wäre der Verteidiger im Übrigen aus Gründen anwaltlicher Vorsicht genötigt, die komplette Akte durchzusehen um festzustellen, ob sich dort zuzustellende Dokumente finden. Der Sinn der Akteneinsicht liegt aber nicht darin, Haftungsfallen für den Anwalt aufzustellen, sondern allein darin, ihm die Information zu gewähren, die er braucht.
Nichts anderes folgt aus dem Beschluss des OLG Hamm vom 8. August 2017 (3 RBs 106/17, juris). Das OLG hat erwogen (aaO, Rn. 22), dass durch die Einsichtnahme des Verteidigers in die Bußgeldakte, in der sich der zuzustellende Bußgeldbescheid befindet, ein tatsächlicher oder nachweisbarer Zugang i.S.d. Heilungsvorschriften bewirkt werden kann, sofern zuvor ein auf eine förmliche Zustellung gerichteter Zustellungswille dokumentiert ist. Ob dem zu folgen ist, kann dahinstehen, denn an der genannten Voraussetzung fehlt es bereits: Die Staatsanwaltschaft hat ihre Einstellungsverfügung gerade formlos versenden wollen, sodass der Zustellungswille fehlt.
cc) Die Heilung des Zustellungsmangels trat somit erst mit dem tatsächlichen Zugang der Einstellungsverfügung beim Verteidiger ein (§ 37 Abs. 1 StPO mit § 189 ZPO). Dieser gibt den Zeitpunkt ihres Zugangs in der Beschwerde mit dem 28. Juni 2021 an. Das ist nicht zu widerlegen. Der am 28. Juli 2021 beim Amtsgericht eingegangene Entschädigungsantrag erfolgte somit in der Monatsfrist.
c) Einen Entschädigungsanspruch ausschließende Umstände, insbesondere solche nach § 5 Abs. 2 oder § 6 Abs. 1 StrEG, ergeben sich aus der vorgelegten Akte nicht.
2. Unbegründet ist die sofortige Beschwerde jedoch, soweit sich der Beschuldigte zugleich dagegen wehrt, dass sein bezifferter Entschädigungsanspruch über 401,50 € abgewiesen worden ist. Das Zusprechen bezifferter Zahlungsansprüche fällt nämlich nicht in die Kompetenz des angegangenen Amtsgerichts. Denn wie bei der Entscheidung nach § 8 StrEG hat das Gericht im Fall des hier anwendbaren § 9 StrEG nur über den Grund der Entschädigung zu entscheiden, nicht zugleich über die Höhe. Letztere bleibt dem Betragsverfahren vorbehalten, für welches die (Grund-)Entscheidung nach § 9 StrEG Bindungswirkung erzeugt. Erst wenn die Staatsanwaltschaft im anschließenden Betragsverfahren entschieden hat (§ 10 StrEG), kann sich der Beschuldigte hiergegen an das Gericht wenden (§ 13 Abs. 1 StrEG).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO.


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