Strafrecht

Beweislage hinsichtlich der Rechtzeitigkeit der Rechtsbeschwerdebegründung bei zuungunsten des Betroffenen eingelegter Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft

Aktenzeichen  202 ObOWi 1611/19

Datum:
16.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 28166
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
OWiG § 46 Abs. 1, § 71 Abs. 1, § 77b Abs. 2, § 79 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5, Abs. 6, § 80a Abs. 1,
StPO § 35 Abs. 2 S. 1, § 261, § 267, § 275 Abs. 1 S. 2, § 301, § 341, § 346, § 349,
StVG § 24, § 25 Abs. 1 S. 1, Alt. 1, § 26a
BKatV § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

Lässt sich bei einer von der Staatsanwaltschaft zuungunsten des Betroffenen eingelegten Rechtsbeschwerde trotz Ausschöpfung aller verfügbaren Beweismittel nicht feststellen, ob sie rechtzeitig begründet worden ist, muss sie als rechtzeitig begründet angesehen werden (Anschluss an BGH, Beschl. vom 02.09.1960 – 4 StR 311/60 bei juris = NJW 1960, 2202 = MDR 1961, 78 = LM Nr. 5 zu § 349 StPO). (Rn. 3)

Tenor

I. Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts vom 21.02.2019 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe

I.
Mit Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle im Bayer. Polizeiverwaltungsamt vom 16.10.2018 wurde gegen den Betroffenen wegen einer am 29.08.2018 begangenen fahrlässigen Unterschreitung des Mindestabstandes zum vorausfahrenden Fahrzeug eine Geldbuße in Höhe von 160 Euro sowie wegen des groben Pflichtenverstoßes ein – mit der Vollstreckungserleichterung gemäß § 25 Abs. 2a StVG versehenes – Fahrverbot für die Dauer von einem Monat festgesetzt. Auf den Einspruch des Betroffenen verurteilte ihn das Amtsgericht am 21.02.2019 zu einer Geldbuße von 320 Euro. Von der Verhängung des im Bußgeldbescheid angeordneten Fahrverbotes sah es dagegen wegen eines drohenden Arbeitsplatzverlustes ab. Dabei legte es die von ihm als glaubhaft erachteten Angaben des Betroffenen zugrunde, wonach dieser als Werkzeugmacher und jüngster Mitarbeiter seiner Firma im Schichtbetrieb arbeite und deshalb für die Fahrt zum Arbeitsplatz in S. dringend auf sein Fahrzeug angewiesen sei, zumal er über keine Mitfahrgelegenheit verfüge. Zudem sei der Urlaub für ihn nicht frei planbar und könne nicht in dem Zeitraum eingebracht werden, in dem das Fahrverbot greife. Das Urteil des Amtsgerichts vom 21.02.2019 wurde der Staatsanwaltschaft am 27.02.2019 ohne Gründe zugestellt. Diese hatte vor der Hauptverhandlung keine schriftliche Begründung des Urteils beantragt; der Betroffene sowie die Unterbevollmächtigte seiner Verteidigerin hatten noch in der Hauptverhandlung vom 21.02.2019 Rechtsmittelverzicht erklärt. Die Staatsanwaltschaft legte gegen das Urteil Rechtsbeschwerde ein, die am 01.03.2019 bei dem Amtsgericht einging. Nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe an die Staatsanwaltschaft am 02.04.2019 begründete diese ihre Rechtsbeschwerde unter dem 04.04.2019; am 15.04.2019 verfügte die staatsanwaltschaftliche Sachbearbeiterin die eilige Übersendung der Rechtsbeschwerdebegründung an das Amtsgericht. Die Akte wurde von der Geschäftsstellenbeamtin am 16.04.2019 in das Postauslauffach gegeben. Am 08.05.2019 nahm die zuständige Amtsrichterin Kenntnis von der Rechtsmittelbegründung, wobei der Zeitpunkt des Eingangs der Akte bei dem Amtsgericht nicht mehr nachvollzogen werden kann. Mit ihrer Rechtsbeschwerde wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen das Absehen von der Verhängung des an sich verwirkten Regelfahrverbotes. Die Generalstaatsanwaltschaft vertritt die Rechtsbeschwerde und hat in ihrer Stellungnahme vom 07.08.2019 beantragt, das Urteil des Amtsgerichts vom 21.02.2019 auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft erweist sich als erfolgreich. Weder enthält das Urteil im Schuldspruch eine den Mindestanforderungen der §§ 261, 267 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG genügende Beweiswürdigung noch hält die Rechtsfolgenentscheidung, insbesondere die Begründung, mit der das Amtsgericht von der Verhängung des an sich verwirkten Regelfahrverbotes abgesehen hat, der rechtlichen Nachprüfung stand.
1. Soweit vorliegend unaufklärbar ist, ob die Rechtsbeschwerdebegründungsschrift, von welcher die Tatrichterin jedenfalls am 08.05.2019 Kenntnis genommen hat, noch vor Ablauf der am 02.05.2019 endenden Rechtsbeschwerdebegründungsfrist bei dem Amtsgericht eingegangen ist oder erst danach und damit verspätet, muss diese – worauf die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 07.08.2019 zutreffend hinweist – als rechtzeitig eingegangen angesehen werden. Ist der Eingang einer Einlegungserklärung bzw. wie hier einer Rechtsmittelbegründung überhaupt festgestellt, bestehen jedoch nicht behebbare tatsächliche Zweifel an der Einhaltung oder Versäumung der Einlegungs – bzw. der Begründungsfrist, so wirken sie zugunsten des Beschwerdeführers. Eine verspätet eingelegte oder begründete Revision bzw. Rechtsbeschwerde muss von dem zuständigen Gericht als unzulässig verworfen werden (§§ 346, 349 StPO); dies aber nur dann, wenn zur Überzeugung des Gerichts feststeht, dass sie verspätet eingelegt bzw. begründet ist. Bleibt dies zweifelhaft, so ist das Gericht nicht zur Verwerfung des Rechtsmittels befugt, sondern muss es als rechtzeitig behandeln (BGH NJW 1960, 2202; StV 1995, 454; BeckRS 2017, 131137; BayObLGSt 1965, 142). Zwar bezieht sich die angegebene Rechtsprechung jeweils auf Rechtsmittel eines Angeklagten, allerdings betont der BGH in seiner Entscheidung vom 02.09.1960 (NJW 1960, 2202), dass die Frage, ob das Rechtsmittel, dessen Einlegung zweifelhaft ist, als rechtzeitig eingelegt zu behandeln ist, für alle Verfahrensbeteiligten nur einheitlich beantwortet werden kann, also gleichviel ob es sich um ein Rechtsmittel des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft oder eines sonstigen Berechtigten handelt (ihm folgend insbesondere KK-StPO/Gericke 8. Aufl. § 341 Rn. 21; BeckOK-StPO/Wiedner 34. Ed. Stand: 01.07.2019 § 341 Rn. 37.2; Graf/Wiedner StPO 3. Aufl. § 341 Rn. 37a). Soweit bei Zweifeln an der Rechtzeitigkeit jedenfalls eines zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Rechtsmittels hiervon abgewichen wird (so OLG Hamburg NJW 1975, 1750; OLG Celle NJW 1967, 640; ebenso LR/Franke StPO 26. Aufl. § 341 Rn. 26; SK-StPO/Frisch 5. Aufl. § 341 Rn. 29; offen gelassen OLG Stuttgart MDR 1981, 424), steht dem schon entgegen, dass die Annahme einer Meistbegünstigung bzw. die Anwendung des Zweifelssatzes im Verfahrensrecht keine Grundlage hat (BeckOK-StPO/Wiedner a.a.O.)
2. Zur Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht gestellt ist das vollständige Urteil des Amtsgerichts in der am 28.03.2019 zur Akte gelangten Fassung. Nachdem seitens der Staatsanwaltschaft kein Antrag zur schriftlichen Begründung des Urteils gestellt worden war und ein Rechtsmittelverzicht des Betroffenen bzw. seiner Verteidigerin vorlag, konnte das Urteil der Staatsanwaltschaft ohne Gründe zugestellt werden. Diese Zustellung tritt, nachdem die Staatsanwaltschaft an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen hatte, als Form der Bekanntmachung (§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 35 Abs. 2 Satz 1 StPO) an die Stelle der mündlichen Urteilsverkündung und setzte die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde in Lauf (BayObLGSt 1996, 61 ff.). Nach Fertigung der schriftlichen Urteilsgründe gemäß § 77b Abs. 2 OWiG (unter Einhaltung der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO, welche erst mit der Einlegung der Rechtsbeschwerde und nicht schon mit der Urteilsverkündung zu laufen begann) setzte die Zustellung des mit Gründen versehenen Urteils an die Staatsanwaltschaft am 02.04.2019 die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde in Lauf (vgl. Göhler/Seitz/Bauer OWiG 17. Aufl. § 77b Rn. 3 mit Hinweis auf BGH NStZ 1999, 139), welche nach den Ausführungen oben zu II. 1 als gewahrt anzusehen ist.
3. Ob die damit zulässige Rechtsbeschwerde ausweislich ihrer Begründung als auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt anzusehen ist, kann der Senat offen lassen. Der Wirksamkeit einer möglichen Beschränkung stünde nämlich entgegen, dass die Schuldfeststellungen des angefochtenen Urteils so lückenhaft sind, dass sie eine Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs nicht ermöglichen. Ob dies dem Umstand geschuldet ist, dass das Amtsgericht (wie ersichtlich auch die Staatsanwaltschaft in ihrer Rechtsbeschwerdebegründung) davon ausgegangen ist, der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid sei in der Hauptverhandlung vom 21.02.2019 wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt worden, kann ebenfalls dahingestellt bleiben. Von einer wirksamen Beschränkung des Einspruchs kann hier nämlich unter Zugrundelegung der bloßen Erklärung des Betroffenen in der Hauptverhandlung, wonach er die Fahrereigenschaft einräume und die Messung nicht angreife, nicht ausgegangen werden. Insoweit weist die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 07.08.2019 zutreffend darauf hin, dass offen bleibe, ob sich der Betroffene weitere denkbare Einwendungen gegen den Schuldspruch – wie etwa die Berufung auf eine notstandsähnliche Lage – erhalten wollte, oder nicht. Das Amtsgericht hätte deshalb vor seiner Entscheidung entweder mit einem Hinweis an die Verteidigung auf eine präzise Festlegung des genauen Anfechtungsumfangs hinwirken oder aber im Falle fortbestehender Zweifel von einer unwirksamen Einspruchsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch und damit von einem unbeschränkten Anfechtungsumfang des Einspruchs des Betroffenen ausgehen müssen.
4. Sachlichrechtlich erweist sich die zu Ungunsten des Betroffenen eingelegte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, welche aber insoweit gemäß § 301 StPO auch zugunsten des Betroffenen wirkt, damit schon deshalb als erfolgreich, weil das angefochtene Urteil in der Darstellung der Beweiswürdigung (§§ 261, 267 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG) lückenhaft und daher nicht geeignet ist, den der Verurteilung zugrunde liegenden Schuldspruch sowie folglich auch die verhängten Rechtsfolgen zu tragen. Das Urteil lässt insoweit bereits jegliche Darstellung des objektiven und subjektiven Tatgeschehens vermissen, es werden noch nicht einmal der Tatort und die Tatzeit mitgeteilt, geschweige denn das zum Einsatz gekommene Messverfahren. Zwar dürfen an die Urteilsgründe in Bußgeldverfahren keine übertrieben hohen Anforderungen gestellt werden, doch muss das tatrichterliche Urteil nach allgemeiner obergerichtlicher Rechtsprechung bei Abstandsunterschreitungen, soweit es sich auf das Ergebnis eines standardisierten Messverfahrens stützt und sich keine Anhaltspunkte für Messfehler ergeben haben, jedenfalls Feststellungen zum angewandten Messverfahren, zum Messergebnis und zur Messtoleranz enthalten (vgl. nur OLG Bamberg NJW 2015, 1320; DAR 2012, 268). Denn mit der Mitteilung des angewandten Messverfahrens und des berücksichtigten Toleranzwertes wird im Rahmen eines durch Normen vereinheitlichten (technischen) Verfahrens nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung eine für die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts in aller Regel hinreichende Entscheidungsplattform zur Beurteilung einer nachvollziehbaren tatrichterlichen Beweiswürdigung geschaffen (grundlegend BGHSt 39, 291/301 ff. und BGHSt 43, 277/282 ff.). Auf diese regelmäßig unschwer festzustellenden und in den Urteilsgründen niederzulegenden Mindestangaben darf nur in den wenigen Fällen eines sog. qualifizierten Geständnisses verzichtet werden (OLG Bamberg, Beschluss vom 11.07.2006 – 3 Ss OWi 906/06 bei juris = OLGSt StPO § 267 Nr. 18). Ein uneingeschränktes und glaubhaftes Geständnis, den vorgeschriebenen Mindestabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug unterschritten zu haben (vgl. BGHSt 38, 291 ff.), liegt hier aber nicht vor. Dies würde nämlich voraussetzen, dass der Betroffene eine bestimmte Mindestabstandsunterschreitung nicht nur tatsächlich eingeräumt hat, sondern zusätzlich nach den konkreten Umständen auch einräumen konnte, den Mindestabstand in genau dem ihm vorgeworfenen Umfang unterschritten zu haben (vgl. OLG Bamberg NStZ-RR 2007, 321). Insoweit ergibt sich aber aus den Urteilsfeststellungen lediglich, dass der Betroffene den sich aus dem Bußgeldbescheid ergebenden Sachverhalt und die Messung „nicht angegriffen“ habe. Ob allein darin eine Bestätigung des ihm nachträglich bekannt gewordenen Messvorgang als solchen und der aus diesem resultierenden Abstandsunterschreitung durch den Betroffenen zu sehen ist, kann dahinstehen; jedenfalls aber wird deren Richtigkeit nicht als das Resultat eigener originärer Wahrnehmung bestätigt. Da auf eine Mitteilung des Messverfahrens mithin nicht verzichtet werden konnte, zwingt allein dieser Darstellungsmangel zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
5. Darüber hinaus begegnet auch die Rechtsfolgenentscheidung des Amtsgerichts durchgreifenden rechtlichen Bedenken, soweit sie wegen Vorliegens eines Härtefalls von der Verhängung des an sich verwirkten Regelfahrverbotes absieht.
a) Zwar hat das Amtsgericht zutreffend erkannt, dass vorliegend gemäß §§ 24, 25 Abs. 1 Satz 1 1. Alt., 26a StVG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BKatV i.V.m. Nr. 12.6.3 der Tabelle 2 zum BKat neben der Anordnung einer Geldbuße in Höhe von 160,00 € an sich die Verhängung eines Regelfahrverbotes für die Dauer von einem Monat wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers in Betracht kam. Gleichwohl hat es sich jedoch dazu veranlasst gesehen, allein auf der Grundlage der von dem Betroffenen vorgetragenen Tatsachen von einer unverhältnismäßigen beruflichen Härte auszugehen und deswegen von der Verhängung des an sich verwirkten Fahrverbotes bei gleichzeitiger Verdoppelung der Regelgeldbuße abzusehen. Dies erweist sich als rechtsfehlerhaft.
b) Nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung kann beim Vorliegen einer groben Pflichtverletzung trotz der grundsätzlich gebotenen Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer ein Absehen von einem an sich als Regelfall verwirklichten Fahrverbot dann gerechtfertigt sein, wenn dieses über bloße Erschwernisse bei der Berufsausübung hinaus zu einer konkreten Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Betroffenen führt. Eine erhebliche, eine Ausnahme rechtfertigende Härte liegt indes nicht schon dann vor, wenn mit einem Fahrverbot berufliche oder private Nachteile – auch schwerwiegender Art – verbunden sind bzw. der Betroffene in besonderem Maße auf die Fahrerlaubnis angewiesen ist (vgl. König in Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 45. Aufl. § 25 StVG Rn 25a). Denn berufliche Nachteile auch schwerwiegender Art sind mit einem Fahrverbot nicht nur in Ausnahmefällen, sondern sehr häufig verbunden. Der Umstand, beruflich besonders auf die Fahrerlaubnis angewiesen zu sein, muss für den Betroffenen vielmehr ein besonderer Grund sein, sich verantwortungsbewusst zu verhalten (vgl. nur BayObLGSt 2001, 140,143 f. m.w.N.). Auch wegen der grundsätzlich gebotenen Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer kommt ein Absehen von einem an sich als Regelfall verwirklichten Fahrverbot unter dem Gesichtspunkt der Existenzgefährdung nur in Betracht, wenn eine massive Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz, mithin eine „existenzvernichtende“ außergewöhnliche Härte vorliegt (OLG Bamberg NZV 2010, 46 m.w.N.). Dabei müssen aber von dem Betroffenen „in substantiierter Weise Tatsachen vorgetragen“ werden, welche die Annahme einer Existenzgefährdung „greifbar erscheinen lassen“ (BVerfG NJW 1995, 1541). Solche Angaben dürfen indes nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung nicht ungeprüft übernommen werden. Vielmehr ist ein derartiger Vortrag vom Tatrichter kritisch zu hinterfragen, um das missbräuchliche Behaupten eines solchen Ausnahmefalles auszuschließen. Zugleich wird das Rechtsbeschwerdegericht nur so in die Lage versetzt, die Rechtsanwendung – wenn auch eingeschränkt – nachzuprüfen (vgl. jüngst BayObLG, Beschluss vom 31.07.2019 – 202 ObOWi 1244/19 bei juris; aber auch schon OLG Bamberg ZfSch 2006, 412 ff.; DAR 2006, 515 f.; VRR 2012, 351 f., jeweils m.w.N.).
c) Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben vermögen die bisherigen Feststellungen und Erwägungen des Amtsgerichts die Annahme eines Ausnahmefalles, der ein Absehen von dem Regelfahrverbot rechtfertigen könnte, nicht zu begründen. Zwar hat sich die Tatrichterin zu Recht mit den möglichen Folgen eines Fahrverbotes für die berufliche Tätigkeit des Betroffenen auseinandergesetzt, was schon im Hinblick auf das mit Verfassungsrang ausgestattete rechtsstaatliche Übermaßverbot geboten war. Wie die Staatsanwaltschaft in ihrer Rechtsbeschwerdebegründung zutreffend ausführt, sind die hierzu getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts jedoch nicht ausreichend, um die Annahme einer unangemessenen Härte bei Verhängung eines einmonatigen Fahrverbotes zu tragen. Die tatrichterlichen Erwägungen stützen sich nämlich ausschließlich auf die Angaben des Betroffenen, die das Amtsgericht weder hinreichend kritisch hinterfragt noch durch eine zeugenschaftliche Vernehmung des Arbeitgebers bzw. seines Personalverantwortlichen überprüft hat. Je allgemeiner entsprechende Einlassungen eines Betroffenen insoweit gehalten sind, umso mehr muss sich dem Tatrichter ihre Überprüfung aufdrängen, um sich hinreichend vom sicheren Eintritt der nach aller Erfahrung kaum jemals wirklich auftretenden Konsequenz eines Arbeitsplatzverlustes infolge der Verhängung eines – wie hier nur einmonatigen und überdies mit der Vollstreckungserleichterung gemäß § 25 Abs. 2a StVG versehenen – Fahrverbotes zu überzeugen. Vorliegend fehlt es bereits an hinreichenden Feststellungen zu den Möglichkeiten des Betroffenen, seinen Arbeitsplatz mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Soweit das Amtsgericht weiter meint, der Betroffene könne die Benutzung eines Taxis bzw. die Heranziehung eines Aushilfsfahrers finanziell nicht leisten, bleibt es eine eingehende Darstellung der wirtschaftlichen Situation des Betroffenen schuldig. Kritisch begegnen musste die Tatrichterin schließlich auch den Erklärungen des Betroffenen zur angeblich fehlenden Möglichkeit, das im Raum stehende Fahrverbot ganz oder in Teilen im Urlaub abzuleisten, zumal sich der Betroffene seit August 2018 (!) auf eine mögliche Ableistung des Fahrverbotes einstellen konnte. Auch hierzu musste sich eine Vernehmung des Arbeitgebers bzw. seines Personalverantwortlichen aufdrängen. Nach alledem ist zu besorgen, dass das Amtsgericht seinen Feststellungen einseitig die Angaben des Betroffenen zugrunde gelegt und diese ohne hinreichende Ausschöpfung sich aufdrängender Beweismittel nur einer an der Oberfläche verbleibenden Plausibilitätsprüfung unterzogen hat. Dies genügt den aus § 267 Abs. 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG resultierenden sachlich-rechtlichen Anforderungen an die Abfassung der Urteilsgründe nicht.
III.
Aufgrund der aufgezeigten sachlich-rechtlichen Mängel kann das Urteil keinen Bestand haben. Die Sache wird daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG).
IV.
Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG.
Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.


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