Strafrecht

Dienstvergehen, Disziplinarverfahren, Staatsanwaltschaft, Dienstenthebung, Einstellung, Bundesamt, Antragsteller, Dienstpflicht, Pflichtverletzung, Anerkennung, Soldat, Aufhebung, Soldaten, Straftat, politische Treuepflicht, Aussage des Zeugen

Aktenzeichen  S 9 GL 01/21

Datum:
18.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 11516
Gerichtsart:
Truppendienstgericht Süd
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird zurückgewiesen.
2. Die Entscheidungen über die Kosten bleibt der Hauptsacheentscheidung vorbehalten.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Aufhebung seiner vorläufigen Dienstenthebung und des damit verbundenen Uniformtrageverbotes. Der 37 Jahre alte Berufssoldat trat am 1. Januar 2006 seinen Dienst bei der Bundeswehr an und wird voraussichtlich am 30. September 2039 aus dem Dienst ausscheiden. Eingesetzt ist er bei der 3./Kommando X in Y.
Am 29. September 2020 nahm die Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich der Division Schnelle Kräfte gegen den Antragsteller Vorermittlungen auf wegen des Verdachts auf Verstoß gegen die politische Treuepflicht aus § 8 Soldatengesetz (SG). Die Verdachtsmomente waren im Zuge der Ermittlungen gegen andere Soldaten erstmals aufgetaucht und betrafen die Ausführung des sogenannten „Hitlergrußes“ im Juni 2018 bei einer Abschlussfeier im Rahmen eines Ausbildungsvorhabens des XY in den USA. Im Zuge der Ermittlungen erwirkte die Wehrdisziplinaranwaltschaft beim Truppendienstgericht Süd einen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss (Aktenzeichen S 3 DsL 9/20), der sich zur Aufklärung des Dienstvergehens unter anderem auf elektronischen Datenträger, EDV-Anlagen, private Mobilfunktelefone nebst Speichermedien und räumlich getrennter Speicherbereiche des Antragstellers bezog. Dieser Beschluss wurde dem Soldaten am 18. November 2020 eröffnet. Vor Vollzug des Beschlusses willigte der Antragsteller in seiner verantwortlichen Vernehmung vom selben Tag in eine freiwillige Sicherstellung der genannten Gegenstände ein. Die sichergestellten elektronischen Kommunikations- und Speichermittel wurden dem Bundesamt für den militärischen Abschirmdienst zur Auswertung übergeben.
Am 19. November 2020 sprach der Kommandeur Kommando X aufgrund des verfahrensgegenständlichen Sachverhaltes gegenüber dem Soldaten ein Verbot der Dienstausübung in Verbindung mit einem Uniformtrageverbot gemäß § 22 SG aus. Nach erfolglosem Beschwerdeverfahren beantragte der Soldat die Entscheidung des Truppendienstgerichts. Dieses Verfahren ist beim Truppendienstgericht Süd unter dem Aktenzeichen S 9 BLa 8/21 anhängig.
Nach Anhörung der Vertrauensperson am 13. Januar 2021 und Anhörung des Antragstellers am selben Tag verfügte der Kommandeur Division Schnelle Kräfte am 4. Februar 2021 die Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens gemäß §§ 93 Absatz1, 94 Abs. 1 Nr. 2 Wehrdisziplinarordnung (WDO), die dem Soldaten am 15. Februar 2021 zugestellt wurde. Der Tatvorwurf lautete:
„Sie tätigten während der Feier anlässlich des Abschlusses eines Fallschirmsprungvorhabens sowie Ihrer Ausbildung zum Ausbildungsleiter zu einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt, vermutlich zwischen 21:00 Uhr und 23:00 Uhr, am Abend des 5. oder 6. Juni 2018 in der Poolanlage des X Hotels in X/USA in Anwesenheit weiterer Gäste auch niedrigeren Dienstgrades den sogenannten „Hitlergruß“.“
Darüber hinaus enthielt die Einleitungsverfügung folgende Nebenentscheidung:
„Wegen Eigenart und Schwere des Dienstvergehens enthebe ich Sie nach § 126 Abs. 1 WDO vorläufig des Dienstes und verbiete Ihnen, Uniform zu tragen. (…)“.
Zur Begründung wurde ausgeführt:
„Gemäß § 126 Abs. 1 WDO kann die Einleitungsbehörde mit der Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens einen Soldaten vorläufig des Dienstes entheben und ein Verbot, Uniform zu tragen, aussprechen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann dies insbesondere dann geboten sein, wenn ohne eine solche Anordnung der Dienstbetrieb durch den vom gerichtlichen Disziplinarverfahren betroffenen Soldaten empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet würde. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn durch das in Rede stehende Fehlverhalten das Ansehen der Bundeswehr so sehr beeinträchtigt worden ist oder wird, dass bei einem Verbleiben im Dienst ein schwerer, nicht wiedergutzumachender Schaden eintreten könnte (vgl. zum Beispiel BVerwG 2 WDB 2.92 mit weiteren Nachweisen). Für die Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung und eines Uniformtrageverbotes nach § 126 Abs. 1 WDO genügt es, wenn voraussichtlich die Dienstgradherabsetzung als zweitschwerste Disziplinarmaßnahme den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet (BVerwG, Beschluss vom 9.10.2019 – 2 WDB 3.19).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Sie stehen im Verdacht ein schwerwiegendes Dienstvergehen begangen zu haben. Mit dem Zeigen des Hitlergrußes haben Sie gegen Ihre Dienstpflicht aus § 8 SG verstoßen, wonach ein Soldat die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes anerkennen und durch sein gesamtes Verhalten für Ihre Einhaltung eintreten muss. Beim Zeigen des Hitlergrußes handelt es sich um das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nach § 86a Strafgesetzbuch (StGB) und somit um eine Straftat, durch deren Begehung Sie zugleich gegen Ihre Pflicht verstoßen haben, dass Ihr Verhalten der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden muss, die Ihr Dienst als Soldat erfordert, § 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG.
Ihr Verhalten stellt ein derart schwerwiegendes Dienstvergehen dar, dass Sie derzeit in keiner Funktion mehr in der Bundeswehr dienstlich einsetzbar sind. Sie haben die für Ihren Dienst notwendige Achtung von gleichgestellten und das Vertrauen Ihrer Vorgesetzten durch Ihr Verhalten verloren, wodurch die vorläufige Dienstenthebung Ihnen gegenüber dringend geboten ist. Ihr Verbleiben im Dienst würde die militärische Ordnung und den Dienstbetrieb in Ihrer Einheit, aber auch den Dienstbetrieb in der Bundeswehr empfindlich stören und die Disziplin und Ordnung sowie den militärischen Zusammenhalt und die Bereitschaft zum gegenseitigen Einstehen in der Truppe in besonderem Maße gefährden.
Es kann weder Ihrem Vorgesetzten, noch Ihren Kameraden zugemutet werden, darauf zu vertrauen, dass Sie jederzeit Ihren Dienstpflichten nachkommen und sich für Ihren Dienst, Ihre Vorgesetzten und Ihre Kameraden jederzeit gemäß Ihren soldatischen Pflichten treu einsetzen, wenn Sie gleichzeitig den Verdacht begründen, eine verfassungsfeindliche Einstellung zu haben und mit verfassungsfeindlichen Organisationen zu sympathisieren sowie gegen Strafvorschriften verstoßen. Vorgesetzte und Kameraden sind jedoch darauf angewiesen, dass Sie sich jederzeit uneingeschränkt auf Sie verlassen können. Dieses gegenseitige Vertrauen stellt einen elementaren Grundpfeiler des Dienstes in der Bundeswehr dar. Es ist schlicht nicht vorstellbar, dass die Bundeswehr ihrem verfassungsrechtlichen Auftrag nachkommen könnte, wenn sich die Soldaten nicht jederzeit aufeinander verlassen können.
Durch ihr vorläufiges Verbleiben in den Streitkräften oder in einer anderen Verwendung in der Bundeswehr würde auch das Ansehen der Bundeswehr so sehr beeinträchtigt, dass ein schwerer, nicht wiedergutzumachender Schaden eintreten könnte. Denn es könnte in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, dass die Bundeswehr es dulden würde, wenn ihre Soldaten verfassungsfeindlichen Bestrebungen anhängen und diese Überzeugung durch das Verwenden von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen auch zum Ausdruck bringen. Die Bevölkerung geht zu Recht davon aus, dass die Bundeswehr und jeder einzelne Soldat in seiner Dienstausübung sich an deutsches Recht und Gesetz halten. Zweifel daran würden dem Ansehen der Bundeswehr schaden und dadurch zu einem Vertrauensverlust in der Öffentlichkeit gegenüber der Institution Bundeswehr führen, wodurch die Erfüllung des verfassungsrechtlichen Auftrags der Streitkräfte gefährdet werden würde. Um einer solchen Ansehensschädigung entgegenzutreten, ist die vorläufige Dienstenthebung dringend geboten.
Andere, weniger belastende Maßnahmen als die getroffenen sind nicht erfolgversprechend und auch nicht gleich geeignet, um das Ansehen der Bundeswehr zu wahren und einen störungsfreien Ablauf des Dienstbetriebes zu gewährleisten. Denn insoweit kann es keinen Unterschied machen, in welcher Funktion oder in welcher Einheit Sie tätig sind. Die Ihnen vorzuwerfende Pflichtverletzung berührt das soldatische Grundverhältnis im Kernbereich und kann daher nicht beeinflusst werden durch andere Verwendungen in inhaltlicher oder örtlicher Hinsicht.
Nach sorgsamer Abwägung der Interessen in Ihrem Fall überwiegt daher das Interesse des Dienstherrn an Ihrer vorläufigen Dienstenthebung. Dabei wurden die Nachteile beachtet, die Ihnen durch diese Verfügung entstehen. Eine andere, für Sie mildere Entscheidung in der Sache wäre dennoch nicht interessengerecht (…).“
Der Bevollmächtigte des Antragstellers beantragte mit Schriftsatz vom 25. Februar 2021 die Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung sowie das Verbot des Tragens der Uniform aufzuheben. Der in der Einleitungsverfügung erhobene Vorwurf treffe nicht zu. Er beruhe auf der Aussage eines einzigen Zeugen, der mehr als zwei Jahre gebraucht habe, um den Vorfall zu melden. Die Aussage des Zeugen sei dürftig, detailarm und von Belastungseifer gekennzeichnet. Der Antragsteller habe am 7. Mai 2020 eine förmliche Anerkennung wegen vorbildlicher Pflichterfüllung erhalten, was gegen die behauptete Störung des Dienstbetriebes durch den Antragsteller spreche.
In seiner Verfügung vom 15. März 2021 lehnte der Kommandeur Division Schnelle Kräfte den Antrag auf Aufhebung der vorläufigen Dienstenthebung und des Uniformtrageverbotes ab. Der Belastungszeuge sei glaubwürdig. Die Erteilung einer förmlichen Anerkennung am 7. Mai 2020 hindere die Annahme einer Störung des Dienstbetriebes durch den Antragsteller nicht. Ein milderes Mittel als die Dienstenthebung stehe nicht zur Verfügung. Dieser Bescheid wurde dem Antragsteller am 24. März 2021 gegen Empfangsbekenntnis ausgehändigt.
Die Staatsanwaltschaft Tübingen stellte das Ermittlungsverfahren, das gegen den Antragsteller wegen des Verdachts der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB) geführt worden war (Az 14 Js 32230/20) mit Verfügung vom 25. März 2021 gemäß § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung ein. Die Einstellung erfolgte aus tatsächlichen Gründen, weil dem Antragsteller die öffentliche Verwendung eines verfassungswidrigen Kennzeichens nicht nachgewiesen werden könne. Bei der internen Abschlussfeier, an der Lehrgangsteilnehmer und Ausbilder teilnahmen, fehle es an der Wahrnehmbarkeit der in Rede stehenden Handlung für einen größeren, durch persönliche Beziehungen nicht verbundenen Personenkreis und damit an der Öffentlichkeit.
Mit Schriftsatz vom 12. April 2021 beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers die gerichtliche Entscheidung gemäß § 126 Abs. 5 WDO. Der Antrag ging am 13. April 2021 beim Truppendienstgericht Süd ein und war auf die Aufhebung der vorläufigen Dienstenthebung und des Uniformtrageverbots gerichtet. Zur Begründung wurde erneut ausgeführt, dass der Belastungszeuge unglaubwürdig sei. Auch sei der Anordnung nicht zu entnehmen, worin die konkrete Störung des Dienstbetriebes durch die vorgeworfene Handlung bestehe.
In seiner Stellungnahme vom 20. Juli 2021 beantragte der Kommandeur Division Schnelle Kräfte, die auf die Aufhebung der vorläufigen Dienstenthebung und des Uniformtrageverbots gerichteten Anträge abzulehnen. Zur Begründung verwies er im Wesentlichen auf seine vorangegangenen Ausführungen sowie auf die nunmehr vorliegende Auswertung der am 18. November 2020 sichergestellten technischen Asservate: Mehrere Äußerungen des Antragstellers über den Messengerdienst WhatsApp weckten erhebliche Zweifel an einer verfassungskonformen Einstellung des Antragstellers. So habe er am 12. September 2014 einem Kameraden geschrieben: „GruSS aus der 3.“, wobei er die in rechtsextremen Kreisen beliebte Schreibweise unter Verwendung der groß geschriebenen Buchstaben „SS“ in Anlehnung an die „Schutzstaffel“ verwendet habe. Am 26. September 2014 habe er dem gleichen Kameraden ein Bild der Zeichentrickfigur „Bob der Baumeister“ geschickt, die in brauner Uniform mit Schirmmütze und stilisiertem Reichsadler sowie Hakenkreuzarmbinde unter der Bezeichnung „Bob der Gauleiter“ dargestellt gewesen sei. Einem anderen Kameraden habe er am 13. Januar 2016 auf dessen Mitteilung, dass seine Zimmerpflanze über den Urlaub braun geworden sei, geantwortet: „Braun wie unsere Gesinnung“. Einem weiteren Chatpartner habe er am 13. April 2017 als Reaktion auf ein Video, das die Festnahme unbekannter Personen durch eine Spezialeinheit der Polizei zeige, geantwortet: „Nicht windelweich kloppen! Nein!“, „Nachts in ihre Scheiß kanacken [sic] Köpfe schießen!“, „Und ab in dein [sic] See“. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft sieht hierin ein „langjähriges Muster“, in das sich das Verhalten des Antragstellers einreihe. Es sei bei dem konkreten Vorwurf und den sich daraus ergebenden Auswirkungen auf den Dienstbetrieb derzeit keinem Kameraden zumutbar, mit dem Antragsteller zusammenzuarbeiten. Darüber hinaus stelle er ein konkretes Sicherheitsrisiko dar. Seine Äußerung „Braun wie unsere Gesinnung“ stärke den Verdacht, dass hinter dem in der Einleitungsverfügung vorgeworfenen Verhalten eine entsprechende Gesinnung stehe.
In seiner Erwiderung vom 19. Oktober 2021 führt der Bevollmächtigte des Antragstellers aus, dass die neuen Vorwürfe zur „Begründung der Suspendierung unzulässig“ seien. Denn es sei zwingend erforderlich, dass die Vorhaltungen aus der „Anschuldigungsschrift“ sachgleich mit dem Verhalten seien, das zur Begründung der vorläufigen Dienstenthebung herangezogen werde.
Zu den Einzelheiten wird auf die Verfahrensakte sowie auf die Ermittlungsakte der Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich der Division Schnelle Kräfte (Aktenzeichen 25-01-30 D 03/21) verwiesen, die der Kammer zur Entscheidung vorgelegen haben.
II.
Der Antrag auf Entscheidung des Truppendienstgerichts erweist sich bei der im vorläufigen Verfahren gemäß § 126 Abs. 5 Satz 3 WDO vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sachlage als zulässig, aber unbegründet. Die Anordnungen der vorläufigen Dienstenthebung sowie des Uniformtrageverbots vom 4. Februar 2021 sind gemäß § 126 Abs. 1 WDO formell ordnungsgemäß ergangen. Sie beruhen auf einer rechtswirksamen Einleitungsverfügung und einem nachvollziehbaren rechtfertigenden Grund. Sie sind auch ermessensfehlerfrei.
Die Anordnungen beruhen auf der Ermächtigungsgrundlage des § 126 Abs. 1 WDO und sind ausreichend begründet (vgl. § 39 Verwaltungsverfahrensgesetz). Die Ausführungen in den Nebenentscheidungen der Einleitungsverfügung werden ergänzt durch die Begründung des Bescheids vom 15. März 2021 und den Vortrag der Einleitungsbehörde in ihrer Stellungnahme vom 20. Juli 2021. Diese ergänzenden Erwägungen sind nach dem Rechtsgedanken des § 114 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung im Verfahren zu berücksichtigen.
Das gerichtliche Disziplinarverfahren ist mit Verfügung vom 4. Februar 2021 nach Anhörung der Vertrauensperson am 13. Januar 2021 und Anhörung des Soldaten am selben Tag mit Zustellung der Einleitungsverfügung am 15. Februar 2021 an den Antragsteller rechtswirksam eingeleitet worden.
Für die Anordnungen der vorläufigen Dienstenthebung und des Uniformtrageverbots bedarf es eines besonderen rechtlichen Grundes. Dieser liegt hier vor. Die angeordneten Maßnahmen kommen dann in Betracht, wenn das dem Soldaten vorgeworfene Dienstvergehen im Ausgangspunkt der Maßnahmebemessung nach der Rechtsprechung der Wehrdienstgerichte eine Dienstgradherabsetzung erwarten lässt und der Dienstbetrieb bei einem Verbleib des Soldaten im Dienst empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet würde (BVerwG, Beschluss vom 31. März 2020 – 2 WDB 2/20, juris Rn. 15). Dabei ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgebend (BVerwG a.a.O. Rn. 16).
Danach ist der Antragsteller in tatsächlicher Hinsicht bei summarischer Prüfung hinreichend verdächtig, die ihm in der Einleitungsverfügung vorgeworfene Tat begangen zu haben.
Der Verdacht stützt sich hauptsächlich auf die Vernehmung des Zeugen Oberleutnant S. vom 29. September 2020.
Der Zeuge bekundete, bei der Abschlussfeier des Ausbildungsvorhabens im 2. Durchgang 2018 in X im Juni 2018 in der Poolanlage des X Hotels in X (USA) anwesend gewesen zu sein. Im Verlaufe des Abends (zwischen 21:00 und 23:00 Uhr) habe er sich zusammen mit dem Antragsteller und dem Hauptfeldwebel W. im Whirlpool der Anlage aufgehalten. Der Antragsteller habe sich weniger als 2 m vor ihm im Pool befunden. Es seien außer den Lehrgangsteilnehmern und den Ausbildern keine externen Gäste oder Zivilisten anwesend gewesen. Der Antragsteller sei alkoholisiert gewesen und habe sich laut mit einer oder mehreren Personen, die sich im Rücken des Zeugen am Rande des Pools befunden hätten, unterhalten. Plötzlich sei der Antragsteller aufgestanden, habe sich auf eine Stufe im Pool gestellt und habe in Richtung der Personen hinter dem Zeugen den „Hitlergruß“ gezeigt. Dies sei mit ausgestrecktem Arm und ausgestreckter Hand geschehen und damit eindeutig gewesen. Man habe – so der Zeuge wörtlich – daran nichts falsch interpretieren können. Der Zeuge sei aufgrund dieser Beobachtung „perplex“ gewesen und habe sich umgedreht, aber niemanden erkennen können, der den Gruß erwidert hätte. Der ebenfalls anwesende Hauptfeldwebel W. habe dem Antragsteller in dem Augenblick, in dem dieser den „Hitlergruß“ erwiesen habe, den Rücken zugekehrt. Dem Zeugen sei der Antragsteller weder vorher noch nachher als rechtsextrem aufgefallen. Er könne sich nicht erklären, warum der Antragsteller dies gemacht habe.
Bei summarischer Prüfung erweist sich die Aussage des Zeugen S. als glaubhaft. Sie weist genügend Realitätskriterien auf, um die Lügenhypothese zu widerlegen. Für eine erlebnisbasierte und nicht frei erfundene Aussage sprechen die relativ genauen Angaben zu Zeit, Ort und Umständen des Tatgeschehens. Noch detailliertere Angaben sind bei einem zeitlich kurzen und einfach strukturierten Kerngeschehen wie dem einmaligen Erweisen eines „Hitlergrußes“ kaum zu erwarten. Da der Zeuge den Antragsteller und die übrigen Anwesenden persönlich kannte, dürfte ein Irrtum hinsichtlich der Identität der Personen nahezu ausgeschlossen sein. Belastungstendenzen sind aus der Aussage des Zeugen nicht zu entnehmen. Er betonte vielmehr, dass er ein ähnliches Verhalten des Antragstellers weder vorher noch nachher wahrgenommen habe und er sich dieses Verhalten auch nicht erklären könne. Dass der Zeuge seine Angaben erstmals mehr als zwei Jahre nach der mutmaßlichen Tat im Rahmen eines anderen Ermittlungsverfahrens gemacht hat, spricht nicht per se gegen die Glaubhaftigkeit seiner Aussage. Denn der Zeuge hat seine Angaben nicht aus eigenem Antrieb gemacht, sondern – wie aus dem Vernehmungsprotokoll ersichtlich – weil er im Rahmen eines anderen Ermittlungsverfahrens nach seinen Wahrnehmungen gefragt worden ist.
Im Rahmen der summarischen gerichtlichen Überprüfung nach § 126 Abs. 1 WDO erscheint die Beweislage hinreichend belastbar, um den Verdacht eines Dienstvergehens zu begründen.
Der Kommandeur Division Schnelle Kräfte verwies in seiner Stellungnahme vom 20. Juli 2021 auf die Aussage eines weiteren Zeugen, nämlich die des Hauptfeldwebels W., der am 8. Juni 2021 im Zuge der Ermittlungen gegen den Antragsteller von der Wehrdisziplinaranwaltschaft vernommen worden ist. Dieser Zeuge hat zwar keine eigenen Beobachtungen zum eigentlichen Kerngeschehen – dem Erweisen des „Hitlergrußes“ – gemacht. Jedoch bekundete er glaubhafte Wahrnehmungen zum sonstigen Verhalten des Antragstellers auf der in Rede stehenden Party. Dieser habe – so die Aussage des Zeugen – Angehörige der damaligen 2./Kommando X im Laufe des Abends sinngemäß mit den Worten „Ihr seid doch die von der Schweinekopf-Party“ gestichelt. Das sei eine Anspielung auf die öffentlich bekannt gewordene Abschiedsfeier des damaligen Kompaniechefs der 2./Kommando X im Jahre 2017 gewesen, bei der Schweineköpfe geworfen worden sein sollen. Die so angesprochenen ehemaligen Angehörigen dieser Kompanie hätten sich nach Wahrnehmung des Zeugen über diese Provokation des Antragstellers „aufgeregt“. Auch die Aussage dieses Zeugen ist nicht von Belastungseifer gekennzeichnet. Vielmehr betonte auch er, dass er keine rechtsextremen Tendenzen beim Antragsteller wahrgenommen habe. Da auf der „Schweinekopf-Party“ mutmaßlich ebenfalls der „Hitlergruß“ gezeigt worden sein soll, ist es nicht fernliegend, dass das Motiv des Antragstellers für das Zeigen des „Hitlergrußes“ auf der Pool Party eine gezielte Provokation der damaligen Angehörigen der 2./Kommando X gewesen sein könnte. Dies wäre von der Wehrdisziplinaranwaltschaft im Zuge der weiteren Ermittlungen zu klären.
Jedenfalls besteht auf der Grundlage der Aussage des Zeugen Oberleutnant S. zum Kerngeschehen des Tatvorwurfes eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller ein Dienstvergehen im Sinne des § 23 Abs. 1 SG begangen hat. Im Falle der Erweislichkeit der Tat dürfte der Soldat vorsätzlich gegen seine Pflicht verstoßen haben, durch sein gesamtes Verhalten für die Erhaltung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten, § 8 Alt. 2 SG. Diese Pflicht wird bereits verletzt, wenn ein Soldat sich nicht eindeutig von Bestrebungen distanziert, die diesen Staat und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren. Wer – wie mutmaßlich der Antragsteller – auf einer Feier mit Bundeswehrkameraden den Hitlergruß ausführt, verherrlicht aus Sicht eines neutralen Betrachters die Gewalt- und Willkürherrschaft des Naziregimes, begründet objektiv den Anschein, er stehe nicht mehr hinter dem Staat des Grundgesetzes, und verletzt damit die Pflicht, sich von derartigen Bestrebungen zu distanzieren (BVerwG, Urteil vom 14. Januar 2021 – 2 WD 7.20 -, juris Rn. 28).
In rechtlicher Hinsicht ist die dem Antragsteller vorgeworfene Tat geeignet, eine vorläufige Enthebung des Dienstes und ein Uniformtrageverbot zu rechtfertigen: Erweist ein Soldat den „Hitlergruß“, ohne dass damit eine entsprechende Gesinnung einhergeht, hält das Bundesverwaltungsgericht regelmäßig eine Dienstgradherabsetzung für geboten (BVerwG, Urteil vom 14. Januar 2021 – 2 WD 7.20, juris Rn. 35). Denn ein derartiges Verhalten vermittele den Eindruck einer hohen Identifikation mit dem Nationalsozialismus und erscheine Außenstehenden gegenüber als Ausdruck der Verehrung des Führers des nationalsozialistischen Unrechtsregimes (BVerwG a.a.O.).
Die Einstellung des Strafverfahrens, das gegen den Antragsteller wegen des Verdachts auf Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB) geführt worden war, steht einer disziplinaren Ahndung seines Verhaltens nicht entgegen. Ein „Hitlergruß“, der nicht in der Öffentlichkeit, aber im Kameradenkreis gezeigt wird, stellt zwar keine Straftat dar, ist jedoch in dienstrechtlicher Hinsicht mindestens ein Verstoß gegen die Eintretepflicht aus § 8 Alt. 2 SG.
Ein solcher Verstoß wird regelmäßig mit einer Dienstgradherabsetzung geahndet und rechtfertigt Maßnahmen nach § 126 Abs. 1 WDO, wenn der Dienstbetrieb bei einem Verbleib des Soldaten im Dienst empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet würde (BVerwG, Beschluss vom 31. März 2020 – 2 WDB 2/20, juris Rn. 15). Dies ist hier der Fall:
Denn auch nur der Anschein, der Soldat bekenne sich nicht zu einer für das Soldatenverhältnis geradezu fundamentalen Verpflichtung, schadet zum einen dem Ansehen der Bundeswehr, die sich in der letzten Zeit des Vorwurfs erwehren muss, rechtsradikalen Umtrieben nicht energisch genug entgegenzutreten; zum anderen bewirkt er nach innen eine Gefährdung bzw. Störung des Dienstbetriebes, weil dadurch der Eindruck einer Bagatellisierung entsteht (BVerwG, Beschluss vom 31. März 2020 – 2 WDB 2/20 -, juris Rn. 38). Dass das in Rede stehende Verhalten des Antragstellers geeignet ist, selbst im engeren Kameradenkreis Irritationen auszulösen, wird bereits dadurch deutlich, dass der Zeuge Oberleutnant S. nach eigenem Bekunden „perplex“ auf den von ihm beobachteten „Hitlergruß“ reagiert habe.
An der dargelegten Einschätzung ändert auch der Zeitablauf nichts. Zwar liegen zwischen dem mutmaßlichen Dienstvergehen im Juni 2018 und der Anordnung der Dienstenthebung und des Uniformtrageverbotes im Februar 2021 mehr als zweieinhalb Jahre. In dieser Zeit hat der Antragsteller nach Aktenlage gute dienstliche Leistungen erbracht, die durch eine förmliche Anerkennung vom 7. Mai 2020 belegt sind. Diese wurde jedoch vor Bekanntwerden der verfahrensgegenständlichen Vorwürfe erteilt. Außerdem weist die Einleitungsbehörde in ihrer Stellungnahme vom 20. Juli 2021 zutreffend darauf hin, dass die Auswertung des Mobiltelefons des Antragstellers Hinweise auf eine bereits verfestigte rechtsextreme Gesinnung zu Tage gefördert hat. Die an Kameraden gerichteten WhatsApp-Nachrichten vom 12. September 2014 („GruSS aus der 3.“), vom 26. September 2014 („Bob der Gauleiter“), vom 13. Januar 2016 („Braun wie unsere Gesinnung“) und vom 13. April 2017 („Nicht windelweich kloppen! Nein!“, „Nachts in ihre Scheiß kanacken Köpfe schießen!“, „Und ab in dein See“) lassen den mutmaßlich vom Antragsteller gezeigten „Hitlergruß“ nicht als eine einmalige, situationsbedingte und damit persönlichkeitsfremde Verfehlung eines ansonsten tadelfreien Soldaten erscheinen, sondern als Ausdruck einer bereits über Jahre hinweg verfestigten rechtsextremen Überzeugung. Bei dieser Sachlage ist die Entscheidung der Einleitungsbehörde nicht zu beanstanden, den Soldaten bis auf weiteres auf keinem Dienstposten zu verwenden.
III.
Einer Entscheidung über die Kosten des Verfahrens bedurfte es nicht. Diese werden von der zur Hauptsache ergehenden Kostenentscheidung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens miterfasst (BVerwG, Beschluss vom 31. März 2020 – 2 WDB 2/20 -, juris Rn. 40).


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