Strafrecht

Durchsuchungsanordnung zur Beschlagnahme von Patientenunterlagen – kein Beschlagnahmeverbot bei Entbindung des Arztes von der Schweigepflicht

Aktenzeichen  58 Gs 5786/21

Datum:
22.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30756
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 97, § 103, 160a
StGB § 279

 

Leitsatz

Durch die Vorlage eines ärztlichen Attests wird der ausstellende Arzt durch schlüssiges Verhalten von seiner Schweigepflicht entbunden. Die Entbindung eines Arztes von der Schweigepflicht gem. § 53 Abs. 2 S. 1 StPO lässt das Beschlagnahmeverbot entfallen. Auch greift § 160a Abs. 2 StPO in diesen Fällen nicht ein. (Rn. 9 – 10) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Nach § 103, § 105 Abs. 1, § 162 Abs. 1 StPO wird gemäß § 33 Abs. 4 StPO ohne vorherige Anhörung die Durchsuchung der Geschäftsräume mit Nebenräumen der Unverdächtigen, nach folgenden Gegenständen angeorndet:
Patientenunterlagen und Patientenakte zu dem Patienten .
Die Durchsuchung erstreckt sich auf vom Durchsuchungsobjekt räumlich getrennte Speichermedien, soweit auf sie von den durchsuchten Räumlichkeiten aus zugegriffen werden kann (§ 110 Abs. 3 StPO).

Gründe

Der Beschuldigte ist des folgenden Sachverhalts verdächtig:
Am 27.10.2020 gegen 19:15 Uhr legte der Beschuldigte in den Diensträumen der Polizeiinspektion eine angeblich von der Unverdächtigen,, stammende Bescheinigung vom 04.09.2020 mit dem folgenden Inhalt vor:
„Der Patient kann aus medizinischen Gründen keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen.“
Aufgrund der Formulierung der Bescheinigung „aus medizinischen Gründen“ sowie der räumlichen Distanz zwischen dem Wohnort des Beschuldigten und den Praxisräumen der Unverdächtigen besteht der Verdacht, dass es sich bei der Bescheinigung entweder um ein gefälschtes Gesundheitszeugnis oder um ein unrichtiges Gesundheitszeugnis handelt und der Beschuldigte die Bescheinigung in Kenntnis aller Umstände vorgelegt hat, um zu Unrecht seine Befreiung von der damals geltenden Maskenpflicht nachzuweisen.
Der Sachverhalt wäre strafbar als Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse gemäß § 279 StGB.
Der Tatverdacht ergibt sich aus der vorliegenden Kopie der oben genannten Bescheinigung sowie den Angaben der Polizeibeamtin gemäß ihrem Sachverhalt vom 04.02.2021 und ihrem Aktenvermerk vom 27.05.2021.
Die vorgenannten Gegenstände können als Beweismittel von Bedeutung sein, da nur Patientenunterlagen und Patientenakte Aufschluss über die Richtigkeit der Bescheinigung geben können.
Aufgrund des Umstandes, dass die Bescheinigung angeblich von der Unverdächtigen stammen soll, ist die Annahme gerechtfertigt, dass die Durchsuchung zum Auffinden der Gegenstände führen wird.
Die Beschlagnahme steht in angemessenem Verhältnis zur Schwere der Tat und zur Stärke des Tatverdachts und ist für die Ermittlungen notwendig.
§ 97 StPO steht der Durchsuchung nicht entgegen. Die Entbindung eines Arztes von der Schweigepflicht gemäß § 53 Abs. 2 Satz 1 StPO lässt das Beschlagnahmeverbot entfallen (Bundesgerichtshof, Urteil vom 03.12.1991, Aktenzeichen: 1 StR 120/90; Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 29.12.1961, Aktenzeichen: Ws 756/61; Oberlandesgericht Nürnberg, Beschluss vom 17.08.1956, Aktenzeichen: Ws 267/56). Durch die Vorlage eines ärztlichen Attests wird der ausstellende Arzt durch schlüssiges Verhalten von seiner Schweigepflicht entbunden (Oberlandesgericht Nürnberg, Beschluss vom 19.01.2009, Aktenzeichen: 2 St OLG Ss 259/08; Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 03.06.2008, Aktenzeichen: 5 Ss OWi 320/08).
§ 160a Absatz 2 StPO steht der Durchsuchung ebenfalls nicht entgegen. Zum einen greift § 160a Abs. 2 StPO nicht ein, wenn eine Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht vorliegt (Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung mit GVG und Nebengesetzen, 62. Auflage, § 160a StPO, Rn. 9). Zum anderen liegt angesichts der erheblichen gesundheitlichen Folgen einer Infektion mit dem Corona-Virus eine erhebliche Straftat im Sinne des § 160a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 StPO vor, die den Rechtsfrieden empfindlich stört und dazu geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen.


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