Strafrecht

Einbehaltung eines Wasserkochers in einer Justizvollzugsanstalt

Aktenzeichen  203 StObWs 13/20

Datum:
10.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 7673
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BayStVollzG Art. 21 Abs. 2, Art. 88 Abs. 4, Art. 120 Abs. 2
BayVwVfG § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3
GKG § 34 Abs. 1, § 52, § 60, § 63 Abs. 3 Nr. 2, § 65
StVollzG § 115 Abs. 1 S. 2, § 118 Abs. 2, § 120 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Zur Einbehaltung eines Wasserkochers, in dem sich „Angesetzter“ befand (zur Anzeigepflicht von „Angesetztem“ nach Art. 88 Abs. 4 BayStVollzG s. Senatsbeschluss vom 6. Februar 2020 (Az. 203 StObWs 2294/19). (Rn. 15 – 17)
1. Nach § 115 Abs. 1 S. 2 StVollzG stellt der Beschluss im Verfahren nach § 109 StVollzG den Sach- und Streitstand gedrängt zusammen. Die Strafvollstreckungskammer ist nicht verpflichtet, in ihrem Beschluss den gesamten Akteninhalt wiederzugeben. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Etwaige Fehler bei der Rechtsanwwendung begründen allein nicht die Besorgnis der Befangenheit. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Wasserkocher, in dem sich verbotener Weise ein „Angesetzter“ befindet, ist ein Gegenstand iSv Art. 21 Abs. 2 BaystVollzG, der die Sicherheit und Ordnung der Anstalt gefährdet. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Rechtsbeschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der Kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Amberg vom 22. November 2019 wird als unbegründet verworfen.
II. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
III. Der Gegenstandswert des erstinstanzlichen Verfahrens wird von Amts wegen abgeändert und ebenso wie der Beschwerdewert auf 500,00 Euro festgesetzt (§§ 63 Abs. 3 Nr. 2, 65, 60, 52, 34 Abs. 1 GKG).
IV. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt A. G., P. straße 75, 8… M., für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird zurückgewiesen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 120 Abs. 2 BayStVollzG, § 114 Abs. 1 ZPO).

Gründe

Zur Begründung nimmt der Senat zunächst Bezug auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer vom 24.10.2019 und vom 22.11.2019 sowie des Vorlageschreibens der Generalstaatsanwaltschaft München vom 10.1.2019. Danach ist die Rechtsbeschwerde des Verurteilten jedenfalls unbegründet.
Ferner nimmt der Senat Bezug auf die Gründe des Senatsbeschlusses vom 6.2.2020 im Verfahren 203 StObWs 2294/19. Dort hat der Senat die am 6.8.2019 gegen den Verurteilten verhängte Disziplinarstrafe wegen Verstoßes gegen die Meldepflicht nach Art. 88 Abs. 4 BayStVollzG für rechtmäßig erklärt. Gegenstand dieses Verfahrens war, dass der Verurteilte einen in seinem Wasserkocher („Tatobjekt“ des vorliegenden Verfahrens) zubereiteten „Angesetzten“ der Justizvollzugsanstalt A. nicht angezeigt hatte.
Im Hinblick auf das Rechtsbeschwerdevorbringen ist insbesondere hervorzuheben:
1. Die Strafvollstreckungskammer hat auf einer ausreichend tragfähigen Tatsachengrundlage entschieden. Die vom Verurteilten erhobene Aufklärungs- bzw. Darstellungsrüge geht fehl.
Die Strafvollstreckungskammer hat zwar im angefochtenen Beschluss aus der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt A. vom 10.9.2019 nicht wiedergegeben, dass die weiteren im Haftraum des Verurteilten untergebrachten Gefangenen am 1.8.2019 angehört wurden und den Wasserkocher auch selbst in Augenschein nehmen konnten.
Die Strafvollstreckungskammer ist aber nicht verpflichtet, in ihrem Beschluss den gesamten Akteninhalt wiederzugeben. Nach § 115 Abs. 1 Satz 2 StVollzG stellt der Beschluss nämlich den Sach- und Streitstand gedrängt zusammen. Dabei hat die Strafvollstreckungskammer bereits in den Blick zu nehmen, was letztendlich entscheidungserheblich ist und was nicht. Für die Strafvollstreckungskammer war vorliegend nicht entscheidend, wann die anderen Strafgefangenen im Rahmen des gegen den Verurteilten geführten Disziplinarverfahrens angehört wurden und wann sie den Wasserkocher selbst in Augenschein nehmen konnten, sondern vielmehr der Zeitpunkt des endgültigen Abschlusses des Disziplinarverfahrens durch die Justizvollzugsanstalt A.. Auf letztgenannten Zeitpunkt hat die Strafvollstreckungskammer im angefochtenen Beschluss ausdrücklich als den maßgeblichen abgestellt. Dass dies auch zutreffend ist, wird unter Ziffer 3 dargestellt werden.
Den Ablehnungsantrag des Verurteilten betreffend den erkennenden Richter musste die Strafvollstreckungskammer im angefochtenen Beschluss überhaupt nicht erwähnen. Über diesen war nämlich bereits mit Beschluss vom 24.10.2019 entschieden worden.
2. Die Zurückweisung des Ablehnungsantrages mit Beschluss vom 24.10.2019 ist aus den im Beschluss genannten Gründen zu Recht erfolgt.
Insofern hat der Verurteilte zwar eine den strengen Anforderungen des § 118 Abs. 2 StVollzG genügende Verfahrensrüge erhoben. Diese ist aber nicht begründet.
Hinsichtlich des abgelehnten Richters liegt vom Standpunkt eines vernünftigen Antragstellers aus kein Grund zur Besorgnis der Befangenheit gemäß § 24 Abs. 2 StPO i.V.m. § 120 Abs. 1 S. 2 StVollzG vor. Weder einzelne gerügte Vorgänge noch das Vorbringen des Verurteilten in seiner Gesamtheit vermögen eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen.
Hierfür genügen insbesondere etwaige Fehler bei der Rechtsanwendung alleine nicht. Der abgelehnte Richter war und ist mit einer Vielzahl von Anträgen des Verurteilten befasst und hat daneben noch weitere umfangreiche Geschäftsaufgaben zu erledigen. Für jegliche mit einer Vielzahl von Verfahren befasste Spruchkörper ist es schwierig, völlig fehlerfrei zu arbeiten. Unerheblich ist auch, ob vom abgelehnten Richter getroffene Entscheidungen in der Beschwerdeinstanz gehalten oder aufgehoben werden. Es ist nämlich einem Rechtsmittelsystem immanent, dass innerhalb des Instanzenzuges abweichende Entscheidungen ergehen können, die auf unterschiedlicher Bewertung von Sachverhalten sowie unterschiedlicher rechtlicher Würdigung und auch auf Rechtsfehlern beruhen können, wobei es im Einzelfall eine große Bandbreite an Entscheidungsmöglichkeiten geben kann, die als vertretbar anzusehen sind. Schon in Anbetracht dieser Umstände ist eine Voreingenommenheit des abgelehnten Richters nicht ersichtlich.
Die vom Verurteilten insbesondere im eingangs genannten Verfahren 203 StObWs 2294/19 als unmittelbarer Anlass für den Ablehnungsantrag genannte Abweichung des abgelehnten Richters von der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts München hat der Senat als vollkommen richtig bestätigt. Der Senat hat den Beschluss der Strafvollstreckungskammer auch im Übrigen bestätigt und eine rechtswidrige Entscheidung des abgelehnten Richters nicht feststellen können.
Soweit der Verurteilte den vom abgelehnten Richter verwendeten Begriff „Kampagne“ rügt, ist zu konstatieren, dass dieser Begriff eine eher zurückhaltende Formulierung für das vom Verurteilten selbst bekundete eigene Verhalten darstellt, er habe der Justizvollzugsanstalt A. den Krieg erklärt und wolle u.a. Vergeltung üben. Die Ausführungen des Verurteilten lassen deutlich erkennen, dass er an jeder einzelnen von ihm begehrten gerichtlichen Entscheidung ein im besonderen Maße großes Interesse hat – ein Gesichtspunkt, der bei der Festsetzung des Gegenstandswertes berücksichtigt werden darf. Dass der Senat gleichwohl den Gegenstandswert im Interesse der Strafgefangenen niedriger bemisst, bedeutet nicht im Umkehrschluss, dass der ursprünglich angesetzte Wert rechtswidrig gewesen wäre.
3. Auch der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 1.8.2019 in der Fassung vom 14.9.2019 wurde zu Recht zurückgewiesen.
Die vorübergehende Einbehaltung des Wasserkochers findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 21 Abs. 2 BayStVollzG i.V.m. Art. 115a BayStVollzG, Art. 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BayVwVfG. Nach Art. 21 Abs. 2 BayStVollzG können Gegenstände vom persönlichen Besitz in den Hafträumen ausgenommen werden, wenn diese die Sicherheit und Ordnung der Anstalt gefährden. Soll ein bereits gewährtes Besitzrecht (vorübergehend) aufgehoben werden, bedarf es eines Widerrufs dieser Erlaubnis („Maßnahme“) gemäß Art. 115a BayStVollzG i.V.m. Art. 49 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 BayVwVfG. Alle anderen vom Verurteilten angeführten Rechtsnormen sind von ihrem jeweiligen Anwendungsbereich her von vorneherein nicht einschlägig.
Der Senat hat im Beschluss vom 6.2.2020 im Verfahren 203 StObWs 2294/19 festgestellt, dass der Verurteilte Umstände, die eine Gefahr für das Leben oder eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit einer Person bedeuten, entgegen Art. 88 Abs. 4 BayStVollzG nicht unverzüglich angezeigt hatte. „Tatobjekt“ in vorgenanntem Verfahren war der hier verfahrensgegenständliche Wasserkocher, in dem sich verbotener Weise ein „Angesetzter“ befand. Damit war der Wasserkocher ein Gegenstand im Sinne von Art. 21 Abs. 2 BaystVollzG, der die Sicherheit und Ordnung der Anstalt gefährdet.
Da der Sachverhalt im Rahmen des Disziplinarverfahrens einschließlich Inaugenscheinnahme des Wasserkochers möglichst umfänglich aufzuklären war (Art. 113 BayStVollzG), durfte der Wasserkocher bis zu dessen Abschluss am 6.8.2019 einbehalten werden. Erst dann stand nämlich endgültig fest, ob der Verurteilte den „Angesetzten“ selbst angesetzt hatte oder den „Angesetzten“ nur nicht angezeigt hatte. An dieses Ergebnis anknüpfend musste die Justizvollzugsanstalt anschließend entscheiden, ob von dem Wasserkocher immer noch eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung der Anstalt ausgeht und dann gegebenenfalls sogar auf Dauer einbehalten werden kann. Das wäre zu bejahen gewesen, wenn der Verurteilte den „Angesetzten“ selbst angesetzt hätte – ein sicheres Indiz für eine Wiederholungsgefahr. Da dem Verurteilten jedoch lediglich eine Verletzung der Anzeigepflicht nach Art. 88 Abs. 4 BayStVollzG zur Last gelegt werden konnte und er zwischenzeitlich in einen Einzelhaftraum verlegt worden ist, in dem andere Strafgefangene den Wasserkocher des Verurteilten nicht mehr für einen „Angesetzten“ missbrauchen können, liegt eine Wiederholungsgefahr jetzt fern. Auch die weitere Einbehaltungszeit bis zum 8.8.2019 war somit angesichts der erforderlichen Prüfung, ob der Wasserkocher wieder zurückgegeben werden konnte, sowie angesichts dessen erforderlicher Weiterleitung an die neue Abteilung, in die der Verurteilte zwischenzeitlich verlegt worden war, nicht unverhältnismäßig.


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