Strafrecht

Einbringen von Sachen in die Justizvollzugsanstalt

Aktenzeichen  203 StObWs 20/20

Datum:
11.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 7674
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BayStVollzG Art. 6 Abs. 2, Art. 16 Abs. 1, Art. 88 Abs. 2 S. 1, Art. 90 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, Art. 110 Abs. 1 Nr. 1
StVollzG § 83
ME-StVollzG § 46 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Art. 90 Abs. 1 S. 1 BayStVollzG reglementiert nicht generell das Einbringen von Sachen in die Justizvollzugsanstalt, sondern nur deren Gewahrsam im Haftraum. Eine § 46 Abs. 1 s. 1 ME-StVollzG entsprechende, das Einbringen von Gegenständen bereits im Vorfeld regelnde Norm hat der bayerische Gesetzgeber nicht übernommen. (Rn. 10 und 12)

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde der Strafgefangenen wird der Beschluss der 2. auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg bei dem Amtsgericht Aichach vom 6. Dezember 2019 aufgehoben.
2. Die am 22. August 2019 gegen die Strafgefangene verhängte Disziplinarmaßnahme des Verweises wird aufgehoben.
3. Die Kosten und notwendigen Auslagen der Strafgefangenen trägt bezüglich beider Instanzen die Staatskasse.
4. Der Beschwerdewert wird auf 500,00 € festgesetzt

Gründe

I.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, da die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten ist (Art. 208 BayStVollzG i. V. m. § 116 Abs. 1 StVollzG).
II.
Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
Die von der Justizvollzugsanstalt A. am 22.08.2019 gegen die Strafgefangene verhängte Disziplinarmaßnahme des Verweises ist rechtswidrig.
1. Die Strafgefangene hatte am 21.08.2019 während eines ihr genehmigten Ausganges in der Praxis der Therapeutin, die sie aufsuchen durfte, die von ihr zulässigerweise getragene Privatkleidung ausgezogen und andere Privatkleidung, die ihr Sohn dort hinterlegt hatte, angezogen. Mit dieser anderen Privatkleidung ist sie in die Justizvollzugsanstalt zurückgekehrt. Dort hat sie die gewechselte Kleidung nach vollständiger Entkleidung in der Kleiderkammer abgegeben und ist wieder mit ihrer vor dem Ausgang in der Kleiderkammer abgegebenen Kleidung in den Sicherheitsbereich der Justizvollzugsanstalt und in ihren Haftraum zurückgekehrt.
Die Justizvollzugsanstalt A. ist der Auffassung, dass die Strafgefangene damit sowohl gegen Art. 90 Abs. 1 S. 1 BayStVollzG verstoßen als auch einen Weisungsverstoß gemäß Art. 16 Abs. 1, 88 Abs. 2 S.1 BayStVollzG begangen habe, und hat deshalb am 22.08.2019 gegen sie eine Disziplinarmaßnahme in Form eines Verweises gemäß Art. 110 Abs. 1 Nr. 1 BayStVollzG verhängt.
Beides trifft indes nicht zu.
2. Die Voraussetzungen von Art. 90 Art. 1 S. 1 BayStVollzG liegen nicht vor.
a) Art. 90 Abs. 1 S. 1 BayStVollzG bestimmt, dass die Gefangenen nur Sachen in Gewahrsam haben oder annehmen dürfen, die ihnen von der Anstalt oder mit ihrer Zustimmung überlassen werden.
In der Begründung zum Entwurf der vergleichbaren Vorschrift des StVollzG (§ 73 StVollzG-E; jetzt § 83 StVollzG) wird dazu ausgeführt (BT-Drucks. 7/918, S. 77): „Die Vorschrift nimmt vor allem auf die Bedürfnisse einer Anstalt hohen Sicherheitsgrades Rücksicht, in der jeder Missbrauch der persönlichen Habe im Haftraum ausgeschlossen werden muss, um das Sicherheitsrisiko zu vermindern. Die Vollzugsbehörde muss in diesen Anstalten sich die volle Kenntnis des persönlichen Besitzes jedes Gefangenen sichern können.“ (so auch Arloth/Krä, StVollzG, 4. Aufl. § 83 StVollzG Rn. 1; Knauer in Feest/Lesting/Lindemann, Strafvollzugsgesetze, 7. Aufl. § 46 LandesR Rn. 2).
Ziel der Regelung ist danach, im Haftraum den Besitz nicht genehmigter Gegenstände zu unterbinden, seien es Gegenstände, die der Strafgefangene schon in Gewahrsam hat, seien es solche, die er von anderen Strafgefangenen erst noch annimmt. Zweck ist es, insbesondere einem Tauschhandel unter Gefangenen, der zu die Sicherheit und Ordnung der Anstalt gefährdenden Abhängigkeiten und damit Subkultur führen kann, von vorneherein entgegenzuwirken (vgl. Arloth/Krä, StVollzG, 4. Aufl. § 83 StVollzG Rn. 2; Harrendorf/Ullenbruch in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetze, 7. Aufl. 11. Kap. Abschn. C Rn. 12).
Anders liegt der Fall jedoch hier: Die Strafgefangene hat die gewechselte Kleidung nicht in ihren Haftraum verbracht, sondern bei Rückkehr sogleich in der Kleiderkammer abgegeben. Die Vollzugsanstalt hatte damit volle Kenntnis von dieser Kleidung, der Strafgefangenen war deren weiterer Besitz zum Zwecke eines etwaigen missbräuchlichen Tauschhandels entzogen. Die Gefahr von Abhängigkeiten im oben genannten Sinne war vorliegend zudem deshalb ausgeschlossen, weil die Strafgefangene die Kleidung nicht von einem Mitgefangenen erworben (vgl. dazu Arloth/Krä, StVollzG, 4. Aufl. § 83 StVollzG Rn. 4), sondern von ihrem Sohn erhalten hatte.
b) Dieses Ergebnis wird durch einen Vergleich mit entsprechenden Vorschriften anderer Bundesländer bestätigt, die bereits im Vorfeld jegliches Einbringen von Gegenständen in die Anstalt durch oder für den Gefangenen reglementieren (vgl. Verrel in Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, Strafvollzugsgesetze, 12. Aufl. Abschn. M Rn. 18; Harrendorf/Ullenbruch in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetze, 7. Aufl. 11. Kap. Abschn. C Rn. 2; beispielhaft § 55 S. 1 BbgJVollzG: „Gegenstände dürfen durch oder für die Gefangenen nur mit Zustimmung der Anstalt eingebracht werden“; ebenso etwa § 46 Abs. 1 S. 1 StVollzG M-V, § 54 Abs. 1 S. 1 LJVolllzG RLP, § 46 Abs. 1 S. 1 SLStVollzG, § 46 Abs. 1 S. 1 SächsStVollzG). Die vorgenannten landesrechtlichen Bestimmungen beruhen auf dem Musterentwurf eines Landesstrafvollzugsgesetzes, der von zehn Bundesländern erarbeitet und – in überarbeiteter Form – zuletzt am 27.1.2012 veröffentlicht worden ist. § 46 Abs. 1 S. 1 ME-StVollzG enthält denselben generellen Zustimmungsvorbehalt für eingebrachte Sachen (Wortlaut bei Knauer in Feest/Lesting/Lindemann, Strafvollzugsgesetze, 7. Aufl. § 46 LandesR). Danach sollen (gefährliche) Gegenstände gar nicht erst in die Anstalt gelangen, um den Aufwand wegen deren späterer Aufbewahrung, Verwertung oder Vernichtung möglichst gering zu halten (Knauer in Feest/Lesting/Lindemann, Strafvollzugsgesetze, 7. Aufl. § 46 LandesR Rn. 2 unter Bezugnahme auf die ME-Begr.). Der bayerische Gesetzgeber hat eine solche Regelung nicht in das BayStVollzG übernommen und damit auf eine eigene umfassende Vorschrift zum Einbringen von Gegenständen verzichtet.
c) Vorliegend unterfällt das Einbringen der gewechselten Privatkleidung Art. 90 Abs. 2 S. 1 BayStVollzG. Diese Norm erfasst u.a. diejenigen Gegenstände, die Gefangene selbst in die Anstalt mitbringen und die ihnen gar nicht erst ausgehändigt werden (s. zutreffend Harrendorf/Ullenbruch in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetze, 7. Aufl. 11. Kap. Abschn. C Rn. 13). Danach ist die gewechselte Privatkleidung für die Strafgefangene aufzubewahren. Gesetzessystematisch rechtfertigt sich daraus der Rückschluss, dass für Gegenstände, die Strafgefangenen gar nicht erst zu anstaltsinternem Gewahrsam ausgehändigt werden, der Anwendungsbereich des Art. 90 Abs. 1 S. 1 BayStVollzG überhaupt nicht eröffnet ist.
Verbleibt die gewechselte Kleidung aber in der Kleiderkammer und wird sie nicht in den Sicherheitsbereich der Justizvollzugsanstalt eingebracht, ist entgegen den Ausführungen der Justizvollzugsanstalt nicht ersichtlich, inwiefern für die Justizvollzugsanstalt ein erhöhter Kontrollaufwand entsteht oder inwiefern Sicherheit und Ordnung der Anstalt gefährdet werden. Mit nicht in ihrem Gewahrsam befindlicher eigener Privatkleidung kann die Strafgefangene in den Hafträumen nämlich keinen unter Strafgefangenen zu unterbindenden Tauschhandel betreiben.
Ebenso geht der von der Justizvollzugsanstalt des weiteren herangezogene Vergleich mit mit Paketmarken an die Strafgefangenen versandter Ware fehl. Solche reglementierte Ware ist gerade dazu bestimmt, dass sie die Strafgefangenen zu Gewahrsam in ihrem Haftraum bekommen.
3. Auch ein Weisungsverstoß gemäß Art. 16 Abs. 1, 88 Abs. 2 S.1 BayStVollzG liegt nicht vor.
Ein wegen Art. 6 Abs. 2 BayStVollzG erforderliches ausdrückliches Verbot des Wechsels der Privatkleidung ergibt sich nämlich weder aus den der Strafgefangenen erteilten Auflagen in der Verfügung der Justizvollzugsanstalt A. vom 29.05./25.06.2019, mit der der Strafgefangenen Ausgänge zum Besuch einer Therapeutin genehmigt worden sind, noch aus den Regelungen des zugleich ausgehändigten Merkblattes „für Ausgang und Urlaub“. Insbesondere erfasst das Verbot der Nr. 6 dieses Merkblattes nur außerhalb der Justizvollzugsanstalt „erworbene“ Gegenstände, nicht jedoch bereits im Eigentum der Strafgefangenen stehende Sachen.
4. Schon unter diesen Vorgaben durfte das Verhalten der Strafgefangenen mangels Pflichtverstoß nicht disziplinarisch geahndet werden. Eine etwaige Verletzung des Vertrauensgrundsatzes (die Strafgefangene habe bereits bei früheren Ausgängen von der Justizvollzugsanstalt unbeanstandet ihre Privatkleidung gewechselt) und eine etwaige Verletzung des durch Art. 3 GG geschützten Gleichheitsgrundsatzes (bei anderen Strafgefangenen sei der Wechsel der Privatkleidung bei Ausgängen nicht beanstandet worden) sind deshalb nicht mehr entscheidungserheblich und nicht näher zu prüfen.
III.
1. Da die Sache spruchreif ist, hebt der Senat gem. § 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG den Beschluss der 2. auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg bei dem Amtsgericht Aichach vom 06.12.2019 sowie die von der Justizvollzugsanstalt A. am 22.08.2019 gegen die Strafgefangene verhängte Disziplinarmaßnahme des Verweises auf; letztere hat sich – im Gegensatz etwa zu einem bereits vollzogenen Disziplinararrest – noch nicht erledigt.
2. Eine Entfernung der Disziplinarmaßnahme aus der Vollzugsakte der Strafgefangenen ist wegen des Grundsatzes der Aktenvollständigkeit dagegen nicht möglich. Hiesiger Beschluss ist aber wegen des gleichen Grundsatzes ebenfalls zu den Akten zu nehmen, so dass sich die Rechtswidrigkeit der Disziplinarmaßnahme unmittelbar aus der Akte ergibt. Damit ist ausreichend deutlich sichergestellt, dass sich aus der Disziplinarmaßnahme keine für die Strafgefangene nachteiligen Folgen mehr ergeben dürfen.
3. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 121 Abs. 4 StVollzG und § 473 Abs. 3 StPO, die Festsetzung des Geschäftswerts auf §§ 65, 60, 52 GKG.


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