Strafrecht

Einstweiliger Rechtsschutz – Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Betäubungsmittelkonsums

Aktenzeichen  11 CS 18.2351

Datum:
5.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 32450
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 7, § 46 Abs. 1 S. 1, Abs. 3
Anlage 4 zur FeV Nr. 9.1

 

Leitsatz

1. Die verfahrensrechtliche Einjahresfrist für Aufklärungsmaßnahmen bzgl. der Wiedererlangung der Fahreignung nach einem Betäubungsmittelkonsum beginnt grundsätzlich mit dem Tag, den der Betroffene als Beginn der Betäubungsmittelabstinenz angegeben hat oder von dem an, unabhängig von einem solchen Vorbringen, ausreichende Anhaltspunkte für eine derartige Entwicklung vorliegen; allerdings genügt die bloße Behauptung der Drogenabstinenz regelmäßig nicht, es müssen vielmehr Umstände hinzutreten, die diese Behauptung glaubhaft und nachvollziehbar erscheinen lassen (stRspr, vgl. nur BayVGH BeckRS 2018, 30648 Rn. 15 mwN). (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei fahrerlaubnisrechtlichen Maßnahme geht es nicht um eine repressive Ahndung des vorangegangenen Verhaltens, sondern um den Schutz von Verkehrsteilnehmern, so dass im Rahmen der Interessenabwägung Unfallfolgen für einen Antragsteller nicht berücksichtigt werden und auch seine persönlichen und beruflichen Gründe nicht dazu führen können, ihn derzeit weiterhin am Straßenverkehr teilnehmen zu lassen, solange keine Belege für eine behauptete Drogenabstinenz und deren Stabilität vorlegt. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 8 S 18.1295 2018-10-09 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Anordnung des Sofortvollzugs hinsichtlich der Entziehung ihrer Fahrerlaubnis und der Verpflichtung zur Abgabe ihres Führerscheins.
Am 29. August 2017 erlitt die Antragstellerin mit einem Motorrad einen Verkehrsunfall. Die ca. neun Stunden nach dem Unfall entnommene Blutprobe ergab, dass die bei dem Unfall schwer verletzte Antragstellerin unter anderem unter der Wirkung von Metamphetamin (107 ng/ml) und Amphetamin (29,6 ng/ml) stand. Gegen sie erging deshalb ein rechtskräftig gewordener Strafbefehl des Amtsgerichts Passau vom 25. Mai 2018 wegen einer Straftat des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln und einer Ordnungswidrigkeit des fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr unter der Wirkung berauschender Mittel.
Nach Anhörung entzog das Landratsamt Passau (im Folgenden: Landratsamt) der Antragstellerin mit Bescheid vom 12. Juni 2018 unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis (Klassen A, A1, A2, AM, B und L) und verpflichtete sie zur unverzüglichen Abgabe des Führerscheins.
Über den hiergegen mit Schreiben vom 16. Juli 2018 eingelegten Widerspruch hat die Widerspruchsbehörde nach Aktenlage noch nicht entschieden. Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs hat das Verwaltungsgericht Regensburg mit Beschluss vom 9. Oktober 2018 abgelehnt. Das Landratsamt habe das besondere Interesse an der Anordnung des Sofortvollzugs hinreichend begründet. Nach summarischer Prüfung sei die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtmäßig. Durch den Konsum von Amphetamin und Metamphetamin habe die Antragstellerin ihrer Fahreignung verloren. Es sei auch trotz des Zeitablaufs seit der Fahrt nicht davon auszugehen, dass sie die Fahreignung wieder erlangt habe. Die Fahrerlaubnisbehörde müsse dieser Frage nur nachgehen, wenn der Betreffende einen einschlägigen Verhaltenswandel behaupte oder hinreichend gewichtige Anhaltspunkte für einen solchen Wandel vorlägen. Dies sei hier nicht der Fall.
Zur Begründung der gegen diesen Beschluss eingereichten Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, lässt die Antragstellerin im Wesentlichen ausführen, die Behörde hätte aufgrund der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zur sogenannten verfahrensrechtlichen Einjahresfrist nicht ohne weitere Prüfung davon ausgehen dürfen, dass die Antragstellerin weiterhin ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei. Ihrem Vorbringen lasse sich durchaus die Behauptung entnehmen, seit über einem Jahr keine Betäubungsmittel mehr konsumiert zu haben. Sie habe angegeben, der dem Unfall vorausgegangene Konsum sei ein einmaliges Ereignis im Rahmen eines Musikfestivals gewesen. Abstinenznachweise müsse sie hierzu nicht erbringen oder anbieten. Sie sei beruflich auf die Fahrerlaubnis angewiesen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig wäre.
1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. August 2017 (BGBl I S. 3202), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 3. Mai 2018 (BGBl I S.566), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Gemäß § 11 Abs. 7 FeV unterbleibt die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens, wenn die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde feststeht (BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3.13 – NJW 2015, 2439 Rn. 36).
Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung entfällt bei Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) die Fahreignung. Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen. Dementsprechend ist die Entziehung der Fahrerlaubnis bereits dann gerechtfertigt, wenn der Fahrerlaubnisinhaber mindestens einmal sogenannte harte Drogen wie Amphetamin oder Metamphetamin konsumiert hat (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 5.2.2018 – 11 ZB 17.2069 – juris Rn. 10 m.w.N.).
Gemessen daran ist das Landratsamt bei Erlass des Bescheids zu Recht von feststehender Ungeeignetheit der Antragstellerin zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgegangen. Sie hat mindestens einmal Amphetamin und Metamphetamin konsumiert und – ohne dass es fahrerlaubnisrechtlich darauf ankäme – unter der Wirkung dieser Betäubungsmittel am Straßenverkehr teilgenommen. Durch den Konsum hat sie ihrer Fahreignung verloren.
Auch wenn seit der Fahrt am 29. August 2017 mittlerweile mehr als ein Jahr vergangen ist, ist die Widerspruchsbehörde nicht gehalten, der Frage nachzugehen, ob die Antragstellerin ihre Fahreignung wieder erlangt hat. Die hierzu nach der Rechtsprechung des Senats zugrunde zu legende verfahrensrechtliche Einjahresfrist beginnt grundsätzlich mit dem Tag, den der Betroffene als Beginn der Betäubungsmittelabstinenz angegeben hat oder von dem an, unabhängig von einem solchen Vorbringen, ausreichende Anhaltspunkte für eine derartige Entwicklung vorliegen (BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 11 CS 15.1447 – ZfSch 2015, 717 Rn. 18 m.w.N.). Allerdings genügt, worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hinweist, die bloße Behauptung der Drogenabstinenz regelmäßig nicht. Vielmehr müssen Umstände hinzutreten, die diese Behauptung glaubhaft und nachvollziehbar erscheinen lassen (stRspr, vgl. nur BayVGH, B.v. 29.11.2018 – 11 CS 18.2228 – juris Rn. 15; B.v. 3.4.2018 – 11 CS 18.460 – juris Rn. 15).
An solchen Umständen fehlt es hier. Für die behauptete Abstinenz hat die Antragstellerin keinerlei Belege vorgelegt. Es bestehen auch erhebliche Zweifel hinsichtlich des behaupteten lediglich einmaligen Konsums auf einem Musikfestival. Es fehlen jegliche Angaben dazu, wann und wo dieses Festival stattgefunden haben und wie es zu dem einmaligen Konsum gekommen sein soll. Wenn die Antragstellerin, wie behauptet, bezogen auf den Unfall „einige Tage zuvor“ (Widerspruchsbegründung vom 13.8.2018) auf dem Festival gewesen sein will, sind die bei der entnommenen Blutprobe festgestellten Werte aufgrund des Abbauverhaltens der konsumierten Betäubungsmittel nicht erklärlich.
2. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin fällt auch die Interessenabwägung zu ihren Lasten aus. Dies gilt auch im Hinblick auf die bei dem Unfall erlittenen schweren Verletzungen. Bei der fahrerlaubnisrechtlichen Maßnahme geht es nicht um eine repressive Ahndung des vorangegangenen Verhaltens, sondern um den Schutz von Verkehrsteilnehmern. Hierbei können die Unfallfolgen für die Antragstellerin nicht berücksichtigt werden. Angesichts der Gefahren für Leben, körperliche Unversehrtheit und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer durch fahrungeeignete Personen können auch persönliche und berufliche Gründe der Antragstellerin nicht dazu führen, sie derzeit weiterhin am Straßenverkehr teilnehmen zu lassen, solange sie keinen Belege für ihre behauptete Drogenabstinenz und für deren Stabilität vorlegt.
3. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1, 46.1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 24. Auflage 2018, Anh. § 164 Rn. 14).
4. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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