Strafrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis – Verstoß gegen das Trennungsgebot

Aktenzeichen  11 CS 17.1850

Datum:
8.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
LSK – 2017, 133221
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 2b Abs. 2 Satz 2, § 3 Abs. 1 Satz 1
FeV § 11 Abs. 7, § 14 Abs. 1 Satz 3, § 35, § 36, § 46 Abs. 1 Satz 1, Anlage 4 Nr. 9.2.2

 

Leitsatz

1 Wer mit einer THC-Konzentration von 6,20 ng/ml im Blut am Straßenverkehr teilgenommen hat, bei dem ist eine hierdurch bedingte Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit nicht auszuschließen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2 Im Verwaltungsverfahren über die Entziehung der Fahrerlaubnis muss der Fahrzeugführer die Feststellungen im Bußgeldverfahren gegen sich gelten lassen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3 Mit dem ersten Verstoß gegen das Trennungsgebot steht die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht iSd § 11 Abs. 7 FeV fest. Die Behörde hat zuerst von den Aufklärungsmöglichkeiten des nach § 46 Abs. 3 FeV im Entziehungsverfahren entsprechend anzuwendenden § 14 FeV Gebrauch zu machen und im Ermessenswege darüber zu entscheiden, ob sie nach § 14 Abs. 1 S. 3 FeV eine medizinisch-psychologische Untersuchung anordnet. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 7 S 17.839 2017-08-24 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 24. August 2017 wird in Ziffer I aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Nummer 1 und 2 des Bescheids des Landratsamts Aichach-Friedberg vom 27. April 2017 wird unter folgender Auflage wiederhergestellt:
Der Antragsteller nimmt bis 22. Dezember 2017 an einem besonderen Aufbauseminar nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 2b Abs. 2 Satz 2 StVG i.V.m. §§ 35, 36 FeV für Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe, die unter dem Einfluss von Alkohol oder anderer berauschender Mittel am Verkehr teilgenommen haben, teil und legt dem Landratsamt Aichach-Friedberg bis 31. Dezember 2017 die entsprechende Teilnahmebescheinigung (§ 37 FeV) vor.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Unter Abänderung der Ziffer II des Beschlusses des Verwaltungsgerichts trägt der Antragsgegner zwei Drittel und der Antragsteller ein Drittel der Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der im Jahr 1997 geborene Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klasse B (mit Unterklassen).
Gemäß Bußgeldbescheid des Bayerischen Polizeiverwaltungsamts vom 1. Februar 2017, rechtskräftig seit 18. Februar 2017, hat der Antragsteller am 27. Dezember 2016 ein Kraftfahrzeug unter der Wirkung von Cannabis geführt. In seinem Blut ist eine Konzentration von 6,20 ng/ml Tetrahydrocannabinol (THC) gefunden worden. Das Polizeiverwaltungsamt verhängte eine Geldbuße von 500 Euro und einen Monat Fahrverbot.
Mit Schreiben vom 7. März 2017 teilte das Kraftfahrt-Bundesamt dem Landratsamt Aichach-Friedberg (im Folgenden: Landratsamt) mit, der Antragsteller habe innerhalb der bis 29. Januar 2017 laufenden Probezeit eine schwerwiegende Zuwiderhandlung nach Abschnitt A der Anlage 12 zu § 34 FeV begangen.
Mit Bescheid vom 27. April 2017 entzog das Landratsamt dem Antragsteller nach Anhörung die Fahrerlaubnis, ordnete unter Androhung eines Zwangsgelds die Vorlage des Führerscheins innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids sowie die sofortige Vollziehbarkeit an. Der Antragsteller sei nach § 11 Abs. 7 FeV i.V.m. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, da er unter dem Einfluss von Cannabis ein Kraftfahrzeug geführt habe. Am 8. Mai 2017 gab der Antragsteller seinen Führerschein beim Landratsamt ab.
Über die Klage gegen den Bescheid vom 27. April 2017 hat das Verwaltungsgericht Augsburg noch nicht entschieden (Au 7 K 17.838). Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 24. August 2017 abgelehnt. Der Bescheid sei rechtmäßig, der Antragsteller sei ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen.
Mit der dagegen erhobenen Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, macht der Antragsteller geltend, § 11 Abs. 7 FeV sei nicht anwendbar. Es dürfe nur eine medizinisch-psychologische Untersuchung im Ermessenswege angeordnet werden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in beiden Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist teilweise begründet und die aufschiebende Wirkung der Klage unter Auflagen (§ 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO) wiederherzustellen.
1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. März 2017 (BGBl I S. 399), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 21. Dezember 2016 (BGBl I S. 3083), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV).
Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 liegt Kraftfahreignung bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis vor, wenn der Konsum und das Fahren getrennt werden können, kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen besteht und keine Störung der Persönlichkeit oder Kontrollverlust vorliegt. Nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV kann die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet werden, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung begründen. Steht die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, unterbleibt nach § 11 Abs. 7 FeV die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens.
2. Der Antragsteller hat in seiner Beschwerdebegründung selbst zugestanden, gelegentlicher Cannabiskonsument i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV i.V.m. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 gewesen zu sein.
Er hat auch gegen das Trennungsgebot der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 verstoßen, da er mit einer THC-Konzentration von 6,20 ng/ml im Blut am Straßenverkehr teilgenommen hat, bei der eine hierdurch bedingte Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit nicht auszuschließen ist (vgl. BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3.13 – NJW 2015, 2439 Rn. 28 ff.). Dieser Sachverhalt steht aufgrund der rechtskräftigen Bußgeldentscheidung vom 1. Februar 2017 fest und der Antragsteller muss die Feststellungen im Bußgeldverfahren gegen sich gelten lassen (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 3 StVG Rn. 56).
Es steht mit diesem ersten Verstoß gegen das Trennungsgebot jedoch nicht i.S.d. § 11 Abs. 7 FeV fest, dass der Antragsteller ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist. Das Landratsamt war nicht berechtigt, dem Antragsteller nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen die Fahrerlaubnis zu entziehen. Es hätte zuerst von den Aufklärungsmöglichkeiten des nach § 46 Abs. 3 FeV im Entziehungsverfahren entsprechend anzuwendenden § 14 FeV Gebrauch machen und im Ermessenswege darüber entscheiden müssen, ob es nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV eine medizinisch-psychologische Untersuchung anordnet (vgl. BayVGH, U.v. 25.4.2017 – 11 BV 17.33). Aufgrund des hohen THC-Gehalts im Blut spricht indes vieles dafür, dass der Ermessensspielraum insoweit reduziert ist (vgl. BayVGH a.a.O. Rn. 40; B.v. 18.5.2017 – 11 CS 17.682 – juris Rn. 13).
3. Nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 2b Abs. 2 Satz 2 StVG i.V.m. § 36 FeV ist die Teilnahme an einem „Besonderen Aufbauseminar“ anzuordnen und hierfür eine Frist zu setzen, wenn der Inhaber einer Fahrerlaubnis innerhalb der Probezeit unter dem Einfluss von Alkohol oder anderer berauschender Mittel am Verkehr teilgenommen hat. Dies ist hier der Fall. Bei einem Verstoß gegen § 24a StVG handelt es sich nach Nr. 2.3 des Abschnitts A der Anlage 12 zur FeV auch um eine schwerwiegende Zuwiderhandlung. Dem Antragsteller kann die weitere Teilnahme am Straßenverkehr daher nur gestattet werden, wenn er umgehend an einem „Besonderen Aufbauseminar“ teilnimmt. Er wird darauf hingewiesen, dass sich seine Probezeit dadurch nach § 2a Abs. 2a Satz 1 StVG um zwei Jahre verlängert.
Der Antragsteller wird des Weiteren darauf hingewiesen, dass das Gericht der Hauptsache die Entscheidung bei einer nicht hinreichenden Mitwirkung, insbesondere bei nicht rechtzeitiger Vorlage der Teilnahmebescheinigung (§ 37 FeV), oder bei sonstigen neuen Erkenntnissen jederzeit ändern oder aufheben kann (§ 80 Abs. 7 VwGO).
4. Der Beschwerde war mit der Kostenfolge des § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO teilweise stattzugeben.
5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, Anh. § 164 Rn. 14).
6. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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