Strafrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen des Konsums harter Drogen

Aktenzeichen  11 CS 19.669

Datum:
4.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 13762
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 7, § 46 Abs. 1 S. 1, Abs. 3
Anlage 4 zur FeV Nr. 9.1, Nr. 9.5

 

Leitsatz

Die Entscheidung, dass erstmals im Straßenverkehr in Erscheinung getretenen gelegentlichen Cannabiskonsumenten in der Regel nicht unmittelbar ohne weitere Aufklärung die Fahrerlaubnis entzogen werden darf, beinhaltet keine „Tendenz“ für die vom Gesetzgeber ausdrücklich abweichend geregelte Behandlung von Konsumenten sog. harter Drogen (§ 14 FeV, Nr. 9.1 und Nr. 9.2 der Anlage 4 zur FeV). Diese abweichende Behandlung ist daher verbindlich. (Rn. 12 – 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 6 S 19.173 2019-03-05 Ent VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Fahrerlaubnisklasse AM, B und L.
Durch Mitteilung des Polizeipräsidiums Südosten Hessen vom 19. Oktober 2018 wurde der Fahrerlaubnisbehörde des Landratsamts Miltenberg bekannt, dass der Antragsteller am 3. September 2018 ein Fahrzeug unter dem Einfluss eines Kokainprodukts geführt hatte. Nach einem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Frankfurt a.M. vom 27. September 2018 enthielt seine Blutprobe 0,18 mg/l Benzoylecgonin, eine mittlere Konzentration eines Abbauprodukts von Kokain oder Crack. Ärztlicherseits sei eine Drogenbeeinflussung äußerlich leicht merkbar gewesen. Zum Zeitpunkt der Blutentnahme sei davon auszugehen, dass der Antragsteller nicht mehr direkt unter dem Einfluss von Kokain gestanden habe.
Am 8. Februar 2019 teilte die Staatsanwaltschaft Darmstadt mit, dass das Strafverfahren (Az. 950 J als 50351/18) gegen den Antragsteller nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt und der Vorgang zur Ahndung als Verkehrsordnungswidrigkeit an das Regierungspräsidium Kassel abgegeben worden sei.
Nach Anhörung entzog das Landratsamt dem Antragsteller gestützt auf § 46 Abs. 1 FeV i.V.m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV mit Bescheid vom 12. Februar 2019 die Fahrerlaubnis und forderte ihn auf, seinen Führerschein unverzüglich, spätestens innerhalb von fünf Tagen nach Zustellung des Bescheids zurückzugeben. Ferner ordnete es die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an und drohte bezüglich der Ablieferungspflicht unmittelbaren Zwang an.
Hiergegen ließ der Antragsteller am 19. Februar 2019 Widerspruch erheben, über den noch nicht entschieden ist, und beim Verwaltungsgericht Würzburg beantragen, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs hinsichtlich der Nummern 1 und 2 des angefochtenen Bescheids anzuordnen. Er macht geltend, dass der einmalige Konsum einer äußerst geringen Menge, die keinen Einfluss auf die Fahrtüchtigkeit gehabt habe, nicht zur Entziehung der Fahrerlaubnis führen könne. Zum Nachweis der Drogenfreiheit werde sich der Antragsteller freiwillig einer ständigen fachärztlichen Untersuchung unterziehen. Der Sofortvollzug bedeute für den Antragsteller, der ein duales Studium absolviere, eine erhebliche Härte. Zudem sei zu berücksichtigen, dass er seit mehr als fünf Monaten am Straßenverkehr teilgenommen habe.
Das Verwaltungsgericht lehnte mit Beschluss vom 5. März 2019 den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit der Begründung ab, die Entziehung der Fahrerlaubnis sei beim Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen zwingend. Eine Ausnahme von der Regelvermutung der Nummer 9.1 der Anlage 4 zur FeV komme nur dann in Betracht, wenn eine Kompensation durch besondere menschliche Veranlagung, Gewöhnung, besondere Einstellung oder Verhaltensteuerung und -umstellung möglich erscheine, was hier nicht der Fall sei. Die pauschale Behauptung, keine Drogen konsumiert zu haben und künftig zu nehmen, sei nicht geeignet, diese Vermutung zu erschüttern. Da seit der erwiesenen Betäubungsmitteleinnahme am 3. September 2018 noch kein Jahr vergangen sei, könne der Antragsteller auch seine Fahreignung zwischenzeitlich nicht wiedererlangt haben. Im Übrigen wäre die Anordnung der sofortigen Vollziehung auch im überwiegenden öffentlichen Interesse gerechtfertigt.
Mit seiner Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, wiederholt der Antragsteller seinen Sachantrag und sein Vorbringen aus erster Instanz und macht darüber hinaus geltend, die Entscheidungen des Antragsgegners und des Verwaltungsgerichts würden zumindest nur unzulänglich die zuletzt in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. April 2019 aufgezeigte Tendenz berücksichtigen. Der erstmalige Verstoß gegen die gebotene Trennung von Konsum und Fahren rechtfertige nicht generell die Annahme fehlender Fahreignung. Die Verwaltungsbehörde sei im Wege der Abwägung verpflichtet, eine Prognose zu erstellen, ob der Fahrzeugführer künftig zwischen dem Betäubungsmittelkonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs trennen werde, wozu es eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bedürfe. Vorliegend sei nicht nachgewiesen, dass der Betäubungsmittelkonsum zur Fahruntüchtigkeit geführt habe. Darüber hinaus sei die konkrete persönliche Situation des Antragstellers zumindest nicht hinlänglich berücksichtigt worden.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. April 2019 (BGBl I S. 430), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 11. März 2019 (BGBl I S. 218), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Steht die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, unterbleibt gemäß § 11 Abs. 7 FeV die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens. Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV entfällt bei Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) die Fahreignung. Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 5.2.2018 – 11 ZB 17.2069 – juris Rn 10 m.w.N.) und ist somit nicht das Ergebnis einer Abwägung. Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist bereits dann gerechtfertigt, wenn einmalig harte Drogen, wie hier Kokain oder Crack (vgl. Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG), im Körper des Fahrerlaubnisinhabers und damit deren Einnahme nachgewiesen worden sind oder wenn der Fahrerlaubnisinhaber die Einnahme solcher Substanzen eingeräumt hat (vgl. BayVGH, B.v. 26.3.2019 – 11 CS 18.2333 – juris Rn. 11 m.w.N.). Eines Nachweises, dass der Betäubungsmittelkonsum zur Fahruntüchtigkeit geführt hat, bedarf es folglich nicht.
An dieser ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung haben die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. April 2019 (3 C 13.17, 3 C 14.17, 3 C 7.18, 3 C 2.18, 3 C 8.18, 3 C 9.18 – vgl. Pressemitteilung in juris; Urteilsgründe liegen noch nicht vor) nichts geändert, da sie Fälle gelegentlicher Cannabiskonsumenten betrafen, die erstmals unter der Wirkung von Cannabis ein Kraftfahrzeug geführt hatten, und der Konsum von Cannabis und harten Drogen rechtlich unterschiedlich behandelt wird (vgl. § 14 FeV, Nr. 9.1 und Nr. 9.2 der Anlage 4 zur FeV). Die Entscheidung, dass erstmals im Straßenverkehr in Erscheinung getretenen gelegentlichen Cannabiskonsumenten in der Regel nicht unmittelbar ohne weitere Aufklärung die Fahrerlaubnis entzogen werden darf, beinhaltet daher keine „Tendenz“ für die vom Gesetzgeber ausdrücklich abweichend geregelte Behandlung von Konsumenten sog. harter Drogen.
Bei den in Anlage 4 zur FeV aufgeführten Regelfällen handelt es sich um verbindliche Wertungen (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 11 FeV Rn 19), von denen nur in Ausnahmefällen abgewichen werden kann, nämlich wenn in der Person des Betäubungsmittelkonsumenten Besonderheiten bestehen, die darauf schließen lassen, dass seine Fähigkeit, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr sicher, umsichtig und verkehrsgerecht zu führen, sowie sein Vermögen, zwischen dem Konsum von Betäubungsmitteln und der Teilnahme am Straßenverkehr zuverlässig zu trennen, nicht erheblich herabgesetzt sind. Beispielhaft sind in Satz 2 der Vorbemerkung 3 der Anlage 4 zur FeV besondere menschliche Veranlagung, Gewöhnung, besondere Einstellung oder besondere Verhaltenssteuerungen und -umstellungen genannt, durch die z.B. die Kompensation drogenbedingter Einschränkungen erfolgen kann (BayVGH, B.v. 30.4.2019 – 11 CS 19.415 – juris Rn. 15; B.v. 10.6.2014 a.a.O. Rn. 9; B.v. 7.8.2012 – 11 ZB 12.1404 – DAR 2012, 660 = juris Rn. 8). Es obliegt jedoch insoweit dem Betroffenen, durch schlüssigen Vortrag die besonderen Umstände darzulegen und nachzuweisen, die ein Abweichen von der Regelvermutung rechtfertigen sollen (BayVGH, a.a.O.). Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller einen derartigen Ausnahmefall nicht vorgetragen, geschweige denn nachgewiesen hat. Weder genügt die bloße Beteuerung, es habe sich um einen einmaligen und erstmaligen Verstoß gehandelt, noch der Hinweis auf die Folgen für die Lebensführung des Antragstellers, da beides keine Gesichtspunkte für die Beurteilung der maßgeblichen Fragen sind. Abgesehen davon ist die ärztliche Bescheinigung vom 12. April 2019 wegen des nur wenige Tage möglichen Nachweises von Kokain oder Crack im Urin (vgl. Hettenbach/Kalus/Möller/Pießkalla/Uhle, Drogen und Straßenverkehr, 3. Aufl., § 3 Rn. 168, 170) auch nicht geeignet nachzuweisen, dass der Antragsteller vor der Fahrt am 3. September 2018 keine Drogen konsumiert hat.
Die zutreffende gerichtliche Annahme, dass er seine Fahreignung auch nicht wiedererlangt habe, weil die sog. verfahrensrechtliche Einjahresfrist, welche frühestens am 3. September 2018 begonnen haben kann (Abstinenznachweise liegen erst für die Zeit seit Februar 2019 vor), noch nicht abgelaufen ist (Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV; Nr. 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung vom 27. Januar 2014 [VkBl. S. 110; Stand: 24.5.2018]), hat der Antragsteller nicht angegriffen. Er hat nicht behauptet, eine verloren gegangene Fahreignung während des Entziehungsverfahrens wiedererlangt zu haben, sondern, die Fahreignung nie verloren zu haben.
Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) wird dadurch Rechnung getragen, dass die Vermutung fehlender Fahreignung nur für den Regelfall gilt (vgl. BayVGH, B.v. 10.6.2014 – 11 CS 14.347 – juris Rn. 8). Die Folgen, die der Verlust der Fahrerlaubnis für die Lebensführung des Antragstellers, insbesondere seine Ausbildung, mit sich bringt, sind im Hinblick auf den hohen Rang von Leben und Gesundheit der anderen Verkehrsteilnehmer, deren Schutz die beim Konsum harter Drogen erforderliche Entziehung der Fahrerlaubnis dient, als angemessen anzusehen.
Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 und Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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