Strafrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Konsums harter Drogen, Verwertbarkeit eines vorgelegten ärztlichen Gutachtens

Aktenzeichen  11 CS 22.1009

Datum:
28.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 15357
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 3, Abs. 5
StVG § 3 Abs. 1
FeV § 46 Abs. 1, 3
FeV Nr. 9.1, 9.5 Anlage 4 zur

 

Leitsatz

Verfahrensgang

RO 8 S 22.347 2022-03-15 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L.
Am 21. Juni 2021 wurde dem Landratsamt Neumarkt i.d.OPf. bekannt, dass die Polizei den Antragsteller am 16. Mai 2021 auf einem unbewohnten Bauernhof gegen 10:36 Uhr mit zwei weiteren Personen schlafend in seinem Pkw vorgefunden hatte, auf dessen Armaturenbrett sie Druckverschlusstüten mit Marihuana und weißen Tabletten (Xanax) feststellte. Nach dem Wecken zeigten sich beim Antragsteller erweiterte Pupillen und eine stark verlangsamte Reaktionsfähigkeit. Bei der Durchsuchung des Pkw und der Personen fand die Polizei weitere Tabletten (Ecstasy), drogentypische Werkzeuge und weiteres Marihuana. Sie ordnete dem Antragsteller 3 g Ecstasy in Tablettenform zu. Ein freiwilliger Urintest verlief positiv auf THC, Amphetamin und Metamphetamin. Eine Blutentnahme erfolgte nicht.
Mit Schreiben vom 23. Juni 2021 ordnete das Landratsamt die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens zur Frage eines die Fahreignung in Frage stellenden Betäubungsmittelkonsums und der Klärung des Konsummusters im Falle eines ausschließlichen Cannabiskonsums an.
Am 8. Oktober 2021 legte der Antragsteller ein ärztliches Gutachten (Absendedatum: 4.10.2021) vor, wonach er im Begutachtungsgespräch eingeräumt hatte, im Zeitraum von September 2019 bis ca. Juli/August 2021 Cannabis konsumiert und diesen Konsum ca. 20 Mal mit Alkohol kombiniert zu haben sowie im Zeitraum von Dezember 2020 bis Mai 2021 viermal Ecstasy konsumiert zu haben. Ein Urinscreening verlief positiv auf Cannabinoide. Eine am 16. September 2021 durchgeführte Haaranalyse erbrachte den Nachweis für die Einnahme von MDMA, MDA und THC. Die Angaben des Antragstellers erachtete der Gutachter als nicht verwertbar.
Nach Anhörung entzog das Landratsamt dem Antragsteller daraufhin mit Bescheid vom 30. Dezember 2021 gestützt auf § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 FeV, Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV die Fahrerlaubnis aller Klassen und verpflichtete ihn unter Androhung eines Zwangsgelds, seinen Führerschein innerhalb von fünf Tagen nach Zustellung des Bescheids abzugeben. Ferner ordnete es die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an.
Am 17. Februar 2022 ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg erheben und gleichzeitig die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragen, was das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 15. März 2022 ablehnte. Zur Begründung ist ausgeführt, dass an der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung keine Zweifel bestünden. Das Landratsamt habe die Anordnung in ausreichender Weise gemäß § 80 Abs. 3 VwGO begründet, nämlich darauf abgestellt, dass beim Konsum von Amphetamin nicht auszuschließen sei, dass psychische Veränderungen und Leistungsschwächen eingetreten seien, die ein verkehrssicheres Führen von Kraftfahrzeugen ausschließen würden. Betäubungsmittelkonsum führe zur Herabsetzung des psychophysischen Leistungsvermögens und der Reaktionsfähigkeit. Bei einem Zuwarten bis zur Unanfechtbarkeit des Bescheids wäre die Allgemeinheit nicht vor der von ungeeigneten Kraftfahrern ausgehenden Gefahr geschützt. Die Klage werde voraussichtlich keinen Erfolg haben, weil die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtmäßig sei. Die Voraussetzungen der § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV i.V.m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV seien gegeben. Im Fall der Einnahme von Betäubungsmitteln (ausgenommen Cannabis) fehle dem Fahrerlaubnisinhaber unabhängig von der nachgewiesenen Betäubungsmittelkonzentration und einer Straßenverkehrsteilnahme im berauschten Zustand sowie ungeachtet konkreter Ausfallerscheinungen die Fahreignung. Der Konsum harter Drogen sei bereits durch den Urintest vom 16. Mai 2021, der positiv auf Metamphetamin und Amphetamin verlaufen sei, nachgewiesen. Zudem habe der Antragsteller den Konsum im Untersuchungsgespräch eingeräumt. Auch die Analyse der am 31. August 2021 entnommenen Haarprobe habe belegt, dass er im Zeitraum der vorangegangenen drei Monate MDMA und MDA konsumiert habe, die zu den sog. harten Drogen zählten. Umstände, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigten, habe er nicht vorgetragen. Da bereits durch den eingeräumten Konsum vom 16. Mai 2021 der Konsum harter Drogen nachgewiesen sei, komme es nicht mehr darauf an, ob ein im Rahmen des Begutachtungsgesprächs eingeräumter Mischkonsum von Cannabis und Alkohol bzw. ein etwaiger regelmäßiger Cannabiskonsum ebenfalls die Fahreignung ausschließe. Aus diesem Grund komme es auch nicht darauf an, ob die Beibringungsanordnung vom 23. Juni 2021 rechtmäßig gewesen oder das vorgelegte Gutachten nachvollziehbar und schlüssig sei. Auf die Unschuldsvermutung könne sich der Antragsteller im Verwaltungsverfahren nicht berufen. Im Rahmen der Interessenabwägung habe das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hinter dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug zurückzustellen.
Mit seiner Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, macht der Antragsteller geltend, die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Begründung der Vollzugsanordnung ausreiche, überzeuge nicht. Das Gericht verkenne völlig, dass es allein auf die Frage ankomme, ob die Beibringungsanordnung rechtmäßig oder wie hier rechtswidrig sei. Entgegen der Auffassung des Landratsamts sei der Antragsteller nicht als fahrungeeignet anzusehen. Der von der Polizei mitgeteilte Sachverhalt rechtfertige keine Gutachtensanordnung nach § 14 Abs. 1 FeV. Nach § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 1 Satz 1 und 3 FeV hätten Tatsachen bekannt werden müssen, die Bedenken begründen, dass der Inhaber eine Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet sei. Solche Tatsachen seien hier nicht gegeben. Eine Untersuchungsanordnung ohne belegte Tatsachen aufgrund bloßen Verdachts sei rechtswidrig. Tatsachen seien sinnlich wahrnehmbare Vorgänge oder Zustände aus Gegenwart und Vergangenheit und von Tatsachenbehauptungen oder bloßen Meinungsäußerungen oder – wie hier – der mutmaßlichen Zuordnung einer Ecstasy-Tablette zu unterscheiden. Die rechtssichere Zuordnung der Ecstasy-Tablette zum Antragsteller sei abwegig, zumal sich mehrere Personen, insgesamt drei, in den Pkw befunden hätten. Dies habe das Landratsamt in der Beibringungsanordnung völlig unterschlagen. Auf den Inhalt des vorgelegten ärztlichen Gutachtens, welches das Landratsamt nicht zur Entziehung der Fahrerlaubnis berechtige, komme es daher nicht mehr an.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Aus den in den Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zu ändern oder aufzuheben wäre.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers hat die behördliche Begründung der Vollzugsanordnung nichts mit der Rechtmäßigkeit der Beibringungsanordnung vom 23. Juni 2021 zu tun. Die Begründung genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, nachdem das Landratsamt aufgrund des durch entsprechende Tests nachgewiesenen und vom Antragsteller eingeräumten Konsums sog. harter Drogen davon ausgegangen ist, dass ihm die Fahreignung fehlt. Daher durfte es im Interesse der Verkehrssicherheit bzw. des Schutzes anderer Verkehrsteilnehmer seinen sofortigen Ausschluss vom Straßenverkehr für erforderlich halten. Auf die inhaltliche Richtigkeit oder Tragfähigkeit der Begründung kommt es nicht an, da § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO eine formelle und keine materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung normiert (vgl. Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2021, § 80 Rn. 246; Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 54 f.).
Auch in materieller Hinsicht hängt der Erfolg der Klage nicht von der Rechtmäßigkeit der Beibringungsanordnung ab. Denn das Landratsamt hat dem Antragsteller die Fahrerlaubnis nicht nach § 11 Abs. 8 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses geändert durch Gesetz vom 16. April 2021 (BGBl I S. 822), zum Teil in Kraft getreten am 1. August 2021, sondern wegen erwiesenen Fehlens der Fahreignung entzogen.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), im maßgeblichen Zeitpunkt geändert durch Gesetz vom 16. April 2021 (BGBl I S. 822), und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Steht die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, unterbleibt gemäß § 11 Abs. 7 FeV die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens. Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV entfällt bei Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) die Fahreignung. Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 17.12.2021 – 11 CS 21.2179 – juris Rn. 15 m.w.N.). Dementsprechend ist die Entziehung der Fahrerlaubnis bereits dann gerechtfertigt, wenn einmalig sog. harte Drogen im Körper des Fahrerlaubnisinhabers und damit deren Einnahme nachgewiesen worden sind oder der Fahrerlaubnisinhaber die Einnahme solcher Substanzen eingeräumt hat (vgl. BayVGH, a.a.O. m.w.N.).
Die Fahreignung des Antragstellers ist folglich entfallen, weil aufgrund des durch die Polizei am 16. Mai 2021 durchgeführten Urintests feststand, dass er Amphetamin und Metamphetamin eingenommen hat, und durch die am 16. September 2021 durchgeführte Haaranalyse die Einnahme auch von MDMA und MDA erwiesen war. Bei diesen Stoffen handelt es sich um Betäubungsmittel nach den Anlagen I bis III zu § 1 Abs. 1 BtMG (vgl. Patzak in Patzak/Volkmer/Fabricius, BtmG, 10. Aufl. 2022, „Stoffe“ Rn. 282 ff., 296 ff., 331 f.).
Zudem hat der Antragsteller auch im Begutachtungsgespräch eingeräumt, mehrmals harte Drogen genommen zu haben. In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob das Landratsamt das ärztliche Gutachten zu Recht angeordnet hat und hierbei insbesondere auf die richtigen Tatsachen abgestellt hat. Legt der Betroffene das von ihm geforderte Gutachten vor, kann dieses unabhängig davon verwertet werden, ob die Anordnung gerechtfertigt war. Das Ergebnis des Gutachtens schafft eine neue Tatsache, die selbständige Bedeutung hat (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 28.6.2012 – 3 C 30.11 – NJW 2012, 3669 = juris Rn. 23; U.v. 28.4.2010 – 3 C 2.10 – BVerwGE 137, 10 = juris Rn. 19, 27 ff.; BayVGH, B.v. 18.1.2022 – 11 CS 21.1767 – juris Rn. 12 jeweils m.w.N.; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 11 FeV Rn. 26).
Das Verwaltungsgericht und der Antragsgegner haben auch zutreffend darauf hingewiesen, dass der Antragsteller, der dazu im Übrigen nichts vorgetragen hat, seine Fahreignung bis zum Erlass des Entziehungsbescheids aufgrund fehlenden Zeitablaufs auch nicht wiedererlangt haben konnte (vgl. Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV).
Unbeachtlich ist, dass das Landratsamt die Betäubungsmittel, deren Einnahme nachgewiesen war und damit zum Fehlen der Fahreignung geführt hat, in den Gründen des Bescheids nicht vollständig aufgezählt und daneben THC angeführt hat, dessen Einnahme nur unter bestimmten Voraussetzungen zum Wegfall der Fahreignung führt (vgl. Nr. 9.2.1, 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV). Bei der Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV handelt es sich um eine gebundene Entscheidung, die nur inhaltlich dem Gesetz ansprechen muss (vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 45 Rn. 46). Es besteht hier kein Anspruch auf eine materiell zutreffende Begründung. Gegenstand der gerichtlichen Kontrolle ist die Frage, ob ein (materiell-rechtlicher) Anspruch auf Aufhebung besteht, weil die verfügte Regelung rechtswidrig ist und den Betroffenen in seinen Rechten verletzt; es kommt also grundsätzlich nur auf die „Ergebnisrichtigkeit“ des Verwaltungsakts an (vgl. Riese in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2021, § 113 Rn. 34).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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