Strafrecht

Erkennungsdienstliche Behandlung, Wiederholungsgefahr, Verwaltungsgerichte, Erkennungsdienstliche Maßnahme, Erkennungsdienstliche Unterlagen, Beschuldigteneigenschaft, Strafrechtliches Ermittlungsverfahren, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Kostenentscheidung, Rechtsmittelbelehrung, Prozeßbevollmächtigter, Bundsverwaltungsgericht, Betäubungsmitteln, Waffenrechtliche Unzuverlässigkeit, Klageabweisung, Postfachanschrift, Erkennungsdienstliches Material, Maßgeblicher Zeitpunkt, Klageerhebung, Befähigung zum Richteramt

Aktenzeichen  B 1 K 18.867

Datum:
30.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 30378
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 81b 2. Alt.

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Die zulässige Anfechtungsklage hat in der Sache keinen Erfolg. Der angefochtene Bescheid der KPI B* … vom 10. Juli 2015 erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, so dass die Klage abzuweisen ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 81b Alt. 2 StPO dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit es für Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. Die Vorschrift dient der vorsorgenden Bereitstellung von sächlichen Hilfsmitteln für die künftige Erforschung und Aufklärung von Straftaten. Voraussetzung ist, dass der von der erkennungsdienstlichen Behandlung Betroffene im Zeitpunkt der Behördenentscheidung, vorliegend also im Zeitpunkt des Bescheidserlasses am 10. Juli 2015 Beschuldigter eines strafrechtlichen Verfahrens war (hierzu a.), die Maßnahme notwendig war und nach wie vor ist (hierzu b.) und die Behörde das Ermessen in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt hat (hierzu c.).
a. Der Kläger war bei Erlass der Anordnung Beschuldigter i.S.d. § 81b StPO. Dabei wird nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der weite Beschuldigtenbegriff zugrunde gelegt, der die verschiedenen Phasen des Ermittlungs- und Strafverfahrens umfasst (vgl. BVerwG, U.v. 19.10.1982 – 1 C 29.79; U.v. 27.06.2018 – 6 C 39/16).
Ein unmittelbarer Zweckzusammenhang zwischen der Beschuldigteneigenschaft des Betroffenen und den gesetzlichen Zielen der erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 81b 2. Alt. StPO muss nicht bestehen. Dass eine erkennungsdienstliche Behandlung nach dieser Vorschrift nur gegen einen Beschuldigten angeordnet werden darf, besagt lediglich, dass die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht an beliebige Tatsachen anknüpfen und zu einem beliebigen Zeitpunkt ergehen kann, sondern dass sie aus einem konkret gegen den Betroffenen als Beschuldigten geführten Strafverfahren hervorgehen und sich jedenfalls auch aus den Ergebnissen dieses Verfahrens die gesetzlich geforderte Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung herleiten muss. Der spätere Wegfall der Beschuldigteneigenschaft infolge der Beendigung des Strafverfahrens durch Einstellung, Verurteilung oder Freispruch lässt daher die Rechtmäßigkeit der angeordneten Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt der notwendigen Beschuldigteneigenschaft unberührt.
Vorliegend war die Beschuldigteneigenschaft des Klägers im maßgeblichen Zeitpunkt der Anordnung unzweifelhaft gegeben. Gegen ihn wurde seit geraumer Zeit wegen des Betäubungsmitteldelikts vom Dezember 2010 ermittelt.
b. Die Anordnung der erkennungsdienstlichen Maßnahme ist auch notwendig. Dies bemisst sich danach, ob der anlässlich des gegen den Betroffenen gerichteten Ermittlungs- oder Strafverfahrens festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalls – insbesondere unter Berücksichtigung der Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen zur Last gelegten Straftaten, seiner Persönlichkeit sowie des Zeitraums, während dessen er strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist – Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene künftig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen fördern könnten, indem sie den Betroffenen überführen oder entlasten. Ferner muss sich die Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung jedenfalls auch aus den Ergebnissen dieses Verfahrens herleiten. Maßgeblich ist demnach, ob der Kläger vorliegend mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an noch aufzuklärenden Handlungen dieser oder ähnlicher Art einzubeziehen ist.
Hinsichtlich der Frage der Notwendigkeit ist wegen des Übermaßverbots nicht (nur) auf den Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung, sondern auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Vornahme der Maßnahmen abzustellen. Bei einer noch nicht vollzogenen Anordnung kommt es deshalb für die Notwendigkeit erkennungsdienstlicher Maßnahmen auf die Sachlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an. Damit kann in zeitlicher Hinsicht dem Übermaßverbot mit Blick auf mögliche, dem Betroffenen günstige Änderungen der Sachlage hinreichend Rechnung getragen werden. Eine Strafaussetzung zur Bewährung lässt die Notwendigkeit nicht von vorneherein entfallen.
Der unbestimmte Rechtsbegriff der „Notwendigkeit“ unterliegt der vollen gerichtlichen Überprüfung; hinsichtlich der von der Behörde getroffenen Prognose ist namentlich darauf abzustellen, ob sie auf zutreffender Tatsachengrundlage beruht und ob sie nach gegebenem Erkenntnisstand unter Einbeziehung des kriminalistischen Erfahrungswissens sachgerecht und vertretbar ist (vgl. z.B. VGH BW, U.v. 27.09.1999 – 1 S 1781/98; Krause in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2017, Rn. 11 zu § 81b).
Unter Anlegung dieser Maßstäbe ist die erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers nach wie vor notwendig.
Soweit der Kläger darauf hinweist, dass er in der Vergangenheit noch nie wegen Drogendelikten auffällig gewesen sei, vermag dies die notwendige Wiederholungsgefahr nicht zu entkräften. Er ist seit 1997 in mehr oder weniger größeren Zeiträumen immer wieder strafrechtlich in Erscheinung getreten. Der Kläger wurde vorliegend wegen einer nicht unerheblichen Straftat verurteilt. Der Beklagte hat in nachvollziehbarer und überzeugender Weise dargelegt, weshalb von einer Wiederholungsgefahr ausgegangen werden kann. Die Menge des vom Kläger im Dezember 2010 in Besitz befundenen Rauschgifts und die Art und Weise der Tatbegehung zeigen, dass es sich bei der der Verurteilung zugrunde liegenden Tat nicht um ein einmaliges Ereignis gehandelt hat, sondern dass sich der Kläger vielmehr im Drogenmilieu bewegt hat und daher daraus geschlossen werden kann, dass er Drogen an andere Personen – nicht nur einmalig – abgegeben hat. Daraus kann ohne weiteres eine Wiederholungsgefahr geschlossen werden. In den Blick zu nehmen ist weiterhin das Milieu, in dem sich der Kläger im Zusammenhang mit dieser Tat bewegt hat bzw. er sich immer noch bewegt. Er ist nach wie vor ein führendes Mitglied (* …*) beim Rockerclub der … Nach den allgemeinen polizeilichen Erkenntnissen, gegen die nichts zu erinnern ist, besteht bei Gruppierungen wie den … ein strenger Ehrenkodex, ein starkes Maß an innerer Verbundenheit sowie ein hoher Loyalitätsdruck, der es für die Polizeibehörden schwierig macht, innerhalb dieser Gruppierungen Ermittlungen zu führen.
b. Soweit der Kläger vorträgt, die strafrechtliche Verurteilung könne deshalb nicht als Grundlage für die erkennungsdienstliche Behandlung herangezogen werden, weil sie auf den falschen Aussagen des Zeugen K. beruhe, der selbst erheblich straffällig geworden und zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden sei, kann dem nicht gefolgt werden.
Eine Erhebung von erkennungsdienstlichen Daten wäre nur dann nicht mehr notwendig, wenn im strafrechtlichen Verfahren sämtliche Verdachtsmomente gegen den Beschuldigten restlos ausgeräumt worden sind (vgl. BayVGH, B.v. 05.01.2017 – 10 ZB 14.2603). Vorliegend wurde der Kläger aber zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. Die Strafgerichte haben sich ausführlich in zwei Tatsacheninstanzen und der Revisionsinstanz mit dem der Verurteilung zugrundeliegenden Sachverhalt und der Glaubwürdigkeit des Zeugen K. auseinandergesetzt (vgl. insbesondere die Ausführungen im Urteil des AG Bamberg vom 11. Februar 2016, S. 4 und im Urteil des LG Bamberg vom 16. Februar 2018, S. 4 ff., S. 20 ff.). Im vorliegenden Verfahren besteht keine Veranlassung, den damaligen Zeugen K. zu hören, zumal sich nicht erschließt, welcher Erkenntnisgewinn für das Verwaltungsgericht aus dieser „Momentaufnahme“ zu ziehen sein sollte. Das Verwaltungsgericht ist auch nicht gehalten, das strafrechtliche Verfahren in allen seinen Einzelheiten nachzuvollziehen oder gar erneut aufzurollen, denn es muss den Strafgerichten vorbehalten bleiben zu klären, ob sich ein Betroffener strafbar gemacht hat oder nicht (BayVGH, B.v. 05.01.2017 – 10 ZB 14.2603; VG München, U.v. 14.08.2013 – M 7 K 12.3618).
c. Auch der Zeitablauf seit der Tatbegehung lässt vorliegend die Notwendigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung nicht entfallen. Zwar ist der Kläger seit der Tat vom 17. Dezember 2010 nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten. Für die Frage, wann einem Betroffenen der zur erkennungsdienstlichen Behandlung führende Sachverhalt nicht mehr vorgehalten werden kann, dürfte als absolute Obergrenze die Tilgungsfrist des BZRG anzunehmen sein (so OVG Magdeburg, B.v. 08.03.2019 – 3 L 238/17). Diese beträgt vorliegend nach § 46 Nr. 2b BZRG zehn Jahre ab dem Tag des ersten Urteils (§ 36 BZRG) und ist damit noch nicht abgelaufen. Auch ein Anknüpfen an den Ablauf der Bewährungszeit führt zu keinem anderen Ergebnis (vgl. hierzu BVerwG, U.v.19.10.1982 – 1 C 29/79).
d. Die Ermessensentscheidung ist hinsichtlich der konkret angeordneten Maßnahmen nicht zu beanstanden (§ 114 Satz 1 VwGO). Das Entschließungsermessen wurde ordnungsgemäß ausgeübt. Der Notwendigkeit der erneuten erkennungsdienstlichen Behandlung steht nicht entgegen, dass der Kläger bereits 1997 und 2008 erkennungsdienstlich behandelt wurde. Die früheren Erkenntnisse liegen im Zeitpunkt des Bescheidserlasses sieben Jahre und im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sogar zwölf Jahre zurück. Der Beklagte hat im Bescheid dargelegt, weshalb eine erneute erkennungsdienstliche Behandlung notwendig ist, dies in der mündlichen Verhandlung nochmals erläutert und darauf verwiesen, dass die polizeiinternen Richtlinien grundsätzlich von einem Zeitraum von fünf Jahren ausgehen, nach dem eine erneute Erfassung zulässig sei, um die Daten auf einem aktuellen Stand zu halten. Wenn die zuletzt erfolgte erkennungsdienstliche Behandlung – wie hier – schon längere Zeit zurückliegt, steht der mit der Aktualisierung der vorhandenen Daten einhergehende Grundrechtseingriff nicht außer Verhältnis zu dem mit der Maßnahme verfolgten gewichtigen öffentlichen Interesse an der Aufklärung künftiger Straftaten. Datenmaterial, das möglicherweise nicht mehr hinreichend aktuell ist, ist für eine wirksame Ermittlungstätigkeit der Polizeibehörden ungeeignet. Hierbei ist auch mit in den Blick zu nehmen, dass die Anordnung nur dann rechtlich zulässig ist, wenn der Betroffene im Zeitpunkt der Anordnung Beschuldigter war und die Prognose vorliegt, er könne auch künftig strafrechtlich in Erscheinung treten (vgl. hierzu OVG Lüneburg, U.v. 21.02.2008 – 11 LB 417/07 -, das unter dem Gesichtspunkt einer notwendigen Aktualisierung und unter Bezugnahme auf die Richtlinien des Bundeskriminalamtes einen Zeitraum von fünf Jahren für angemessen und verhältnismäßig ansieht).
Sonstige Gesichtspunkte, die zur Rechtswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme führen würden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
2. Die Klage ist daher abzuweisen. Der Kläger trägt als unterliegende Partei nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens.
3. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung basiert auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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