Strafrecht

Erkennungsdienstliche Maßnahmen zur Strafverfolgungsvorsorge

Aktenzeichen  10 CS 16.2069

Datum:
6.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 3
StPO StPO § 81b Alt. 2, § 153, § 170 Abs. 2
PAG Art. 14 Abs. 1

 

Leitsatz

1 § 81b Alt. 2 StPO ist die Rechtsgrundlage für erkennungsdienstliche Maßnahmen gegen den Beschuldigten in einem Ermittlungs- oder Strafverfahren, die ohne unmittelbaren Bezug zu dem konkreten Strafverfahren vorsorglich Hilfmittel für die künftige Erforschung und Aufklärung von Straftaten bereitstellen sollen. Präventiv-polizeiliche erkennungsdienstliche Maßnahmen gegen eine Person, die nicht die Stellung eines Beschuldigten im Sinne der Srafprozessordnung innehat, sind auf Art. 14 Abs. 1 PAG zu stützen (Parallelentscheidung zu VGH München BeckRS 2015, 44398). (redaktioneller Leitsatz)
2 Für die zur Anwendung des § 81b Alt. 2 StPO notwendige Prognose einer Wiederholungsgefahr kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an, insbesondere auf Art, Schwere und Begehungsweise der dem Beschuldigten im strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftaten, auf seine Persönlichkeit sowie sein bisheriges strafrechtliches Erscheinungsbild. Es bedarf nicht der rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung, um einen Sachverhalt der Gefahrenprognose zugrunde zu legen. Vielmehr reicht der Fortbestand eines Restverdachts aus.  (redaktioneller Leitsatz)
3 Bei Betäubungsmitteldelikten ist von einer erheblichen Rückfallgefahr auszugehen, so dass auch die erstmalige Verurteilung wegen einer entsprechenden Tat grundsätzlich die Annahme einer Wiederholungsgefahr begründet, wenn nicht besondere Umstände für eine einmalige Tat sprechen (Parallelentscheidung zu OVG Saarl BeckRS 2009, 32373). (redaktioneller Leitsatz)
4 Die der Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen zugrundeliegende Prognose einer Wiederholungsgefahr von Betäubungsmitteldelikten trägt die Begründung der sofortigen Vollziehbarkeit dieser Maßnahmen (§ 80 Abs. 3 VwGO) in sich. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 5 S 15.01463 2016-09-15 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 26. August 2015, mit dem die erkennungsdienstliche Behandlung des Antragstellers angeordnet und er zu ihrer Durchführung unter Fristsetzung vorgeladen wurde.
Seinen Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 15. September 2016 abgelehnt. Die Behörde habe das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung ihrer Anordnung in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO noch genügenden Weise begründet und in knapper Form dargelegt, dass der Sofortvollzug aufgrund der vorliegenden Gefahr einer Wiederholung strafbarer Handlungen in naher Zukunft erforderlich sei. Die der Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen zugrunde liegende Gefährdungsprognose trage bereits die Gründe für deren sofortige Vollziehbarkeit in sich. Die auf § 81b 2. Alt. StPO gestützte Anordnung erweise sich als rechtmäßig. Der Antragsteller sei zum maßgeblichen Zeitpunkt Beschuldigter in einem polizeilichen Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit Waffen und damit zulässiger Adressat dieser Anordnung gewesen. Die Anwendung der präventivpolizeilichen Ermächtigungsgrundlage sei nicht von einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Schuldfeststellung abhängig. Die erkennungsdienstliche Behandlung sei notwendig im Sinn von § 81b 2. Alt. StPO, weil der Antragsgegner davon ausgehen habe dürfen, dass beim Antragsteller weiterhin die Gefahr strafrechtlicher Handlungen bestehe. Der Antragsteller habe den Drogenkonsum auch eingestanden. Bei Betäubungsmitteldelikten bestehe eine statistisch signifikant erhöhte Rückfallgefahr, weshalb sogar bei einer erstmaligen Begehung einer solchen Tat eine Wiederholungsgefahr angenommen werden könne, solange nicht weitere Faktoren, die auf eine Einmaligkeit der Tat hindeuteten, vorlägen. Gegen den Antragsteller seien aber bereits im Jahr 2010 im Zusammenhang mit einem Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz Ermittlungen geführt worden, auch wenn das Verfahren damals nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei. Die polizeiliche Prognose einer Wiederholungsgefahr sei insbesondere vor dem Hintergrund nicht zu beanstanden, dass am 16. Oktober 2014 beim Antragsteller ca. 200 g Marihuana sichergestellt sowie eine Cannabis-Plantage mit 18 Pflanzen aufgefunden worden sei. Schließlich spreche der Umstand, dass in unmittelbarer Nähe einer Schreckschusspistole gefunden worden sei, für eine fortgesetzte Tatbegehung und damit für eine Wiederholungsgefahr.
Mit seiner Beschwerde macht der Antragsteller im Wesentlichen geltend, die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Begründung des Sofortvollzugs sei noch ausreichend, treffe nicht zu. Es handele sich vielmehr um eine formelhafte, den spezifischen Einzelfall nicht berücksichtigende Begründung; es werde nicht dargetan, wieso der Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung Anhaltspunkte für die Begehung erneuter Taten aus dem Betäubungsmittelbereich nahelege. Als Ermächtigungsgrundlage sei vorrangig Art. 14 PAG heranzuziehen, der hier aber nicht eingreifen könne, da der Antragsteller bereits am 4. Dezember 2006 als 19-jähriger erkennungsdienstlich behandelt worden sei. Im Übrigen bestehe keine Wiederholungsgefahr. Der Antragsteller sei durch Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 14. April 2016 (rechtskräftig seit 22.4.2016) wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit vorsätzlichem unerlaubten Anbau von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten auf Bewährung verurteilt worden; weder der Vorwurf des Handeltreibens noch der der Tatbegehung „mit einer Waffe“ sei auch nur zur Anklage gekommen, so dass der Tatbestand eines Verbrechens nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG nicht vorgelegen habe. Der vom Verwaltungsgericht erhobene Vorwurf eines unerlaubten Handeltreibens unter Mitführen von Waffen gehe damit ins Leere. Die Betäubungsmittel hätten ausschließlich zum Eigenbedarf verwendet werden sollen. Der Antragsteller sei auch nicht vorbestraft, denn das Ermittlungsverfahren, in dem es um den Fund einer geringen Menge von Marihuana in einem auch vom Antragsteller benutzten Fahrzeug gegangen sei, habe mangels Tatverdacht eingestellt werden müssen. Dem Antragsteller sei nicht bekannt, dass bereits eine erstmalige Begehung eines Betäubungsmitteldelikts eine erhöhte Rückfallgefahr begründe; hinzutreten müssten für die Annahme einer Wiederholungsgefahr vielmehr weitere Umstände in der Begehungsweise und der Täterpersönlichkeit, wie dies zum Beispiel der Kontakt zu Personen aus dem Drogenmilieu darstelle. Eine Haarprobe vom 1. Juni 2015 habe überdies ergeben, dass der Antragsteller mindest seit zwei Monaten vor der Untersuchung keine Drogen mehr konsumiert habe. Die Anordnung sei auch unverhältnismäßig, weil sich der Verdacht der Begehung eines Verbrechens wegen unerlaubten Handeltreibens in nicht geringer Menge mit Waffen als unbegründet erwiesen habe.
Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen. Die ursprünglich vom Antragsteller im Jahre 2006 gewonnenen erkennungsdienstlichen Unterlagen seien im Jahre 2014 als Folge einer fehlerhaften Einschätzung der Situation vernichtet worden. Die Notwendigkeit der neuerlichen erkennungsdienstlichen Behandlung ergebe sich aus der durch Art, Schwere und Begehungsweise der Straftat begründeten Wiederholungsgefahr. Hinsichtlich der Größe der aufgefundenen Menge an Marihuana, die für einen Eigenbedarf bei weitem zu groß sei, sowie der griffbereiten Schreckschusspistole verbleibe es bei einem polizeilichen Restverdacht. Die erkennungsdienstliche Behandlung wäre aber auch anzuordnen gewesen, wenn mit dem illegalen Anbau keine Absicht des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verbunden wäre. Die im Strafverfahren veranlasste Haaranalyse lasse im Übrigen nur einen begrenzten Rückschluss auf den Konsum des Antragstellers von Betäubungsmitteln zu; im Strafverfahren habe er jedenfalls selbst angegeben, über zwei Jahre hinweg regelmäßig Marihuana konsumiert zu haben. Der Antragsgegner habe den Sofortvollzug in ausreichender Form begründet.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Behördenakten sowie der Strafakte Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die in der Beschwerde dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen nicht die beantragte Abänderung des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts und Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage.
Nach der vom Verwaltungsgerichtshof im Beschwerdeverfahren vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt das öffentliche Interesse an der Vollziehung der verfügten erkennungsdienstlichen Behandlung das Aufschiebungsinteresse des Antragstellers, weil deren Anordnung im angefochtenen Bescheid vom 26. August 2015 nach der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage rechtmäßig ist und auch ein besonderes Vollzugsinteresse besteht.
1. Entgegen der Auffassung des Antragstellers hat der Antragsgegner die Anord-nung zu Recht auf § 81b 2. Alt. StPO gestützt. Diese Vorschrift ermächtigt zu präventivpolizeilichen Maßnahmen der Strafverfolgungsvorsorge und dient – ohne unmittelbaren Bezug zu einem konkreten Strafverfahren – der vorsorgenden Bereitstellung von Hilfsmitteln für die künftige Erforschung und Aufklärung von Straftaten (vgl. BVerwG, U. v. 23.11.2005 – 6 C 2.05 – juris Rn. 18). Die erkennungsdienstliche Behandlung nach § 81b 2. Alt. StPO setzt voraus, dass der betroffene Antragsteller zum Zeitpunkt der streitbefangenen Anordnung noch Beschuldigter in einem gegen ihn geführten Ermittlungs- oder Strafverfahren war; der spätere Wegfall der Beschuldigteneigenschaft infolge der Beendigung des Strafverfahrens durch Einstellung, Verurteilung oder Freispruch lässt die Rechtmäßigkeit der angeordneten Maßnahmen dagegen unberührt (vgl. BVerwG, U. v. 23.11.2005, a. a. O., juris Rn. 20; BayVGH, B. v. 2.4.2015 – 10 C 15.304 – juris Rn. 5). Präventivpolizeiliche (erkennungsdienstliche) Maßnahmen nach Art. 14 Abs. 1 PAG kann die Polizei demgegenüber nur an Personen vornehmen, die im maßgeblichen Zeitpunkt nicht die Stellung eines Beschuldigten im Sinn der Strafprozessordnung innehaben (BayVGH, a. a. O., Rn. 6; Berner/Köhler/Käß, Polizeiaufgabengesetz, 20. Aufl. 2010, Art. 14 Rn. 1, 2, 9).
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass der Antragsteller zum Zeit-punkt des Erlasses des streitbefangenen Bescheids am 26. August 2015 (noch) Beschuldigter in einem Strafverfahren (Az. 5024-0524/160/15) und damit zulässiger Adressat der angefochtenen Maßnahme war. Die objektiv feststehende Beschuldigteneigenschaft zum maßgeblichen Zeitpunkt wird vom Antragsteller auch nicht bestritten.
2. Nicht zu beanstanden ist auch die durch den Beklagten angestellte Prognose einer Wiederholungsgefahr dahingehend, dass der Antragsteller künftig in ähnlicher Weise im Betäubungsmittelbereich erneut straffällig werden könnte. Die Notwendigkeit der angeordneten erkennungsdienstlichen Maßnahmen beurteilt sich grundsätzlich danach, ob der Sachverhalt, der anlässlich eines gegen den Betroffenen gerichteten Strafverfahrens festgestellt wurde, nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalles Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene in den Kreis Verdächtiger einer noch aufzuklärenden anderen strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen fördern könnten (vgl. BVerwG, U. v. 23.11.2005, a. a. O.; U. v. 19.10.1982 – 1 C 29.79 – BVerwGE 66, 192/199). Die für diese Prognoseentscheidung maßgeblichen Umstände des Einzelfalls ergeben sich insbesondere aus Art, Schwere und Begehungsweise der dem Beschuldigten im strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftaten, aus seiner Persönlichkeit sowie seinem bisherigen strafrechtlichen Erscheinungsbild (st. Rspr. des Senats; vgl. BayVGH, B. v. 23.11.2009 – 10 CS 09.1854 – juris Rn. 12; B. v. 2.4.2015 – 10 C 15.304 – juris Rn. 8). Aufgrund des präventiven Charakters dieser Maßnahme kann bei der Prognose, ob eine Wiederholungsgefahr vorliegt, der in einem Ermittlungsverfahren erhobene Tatverdacht sogar dann berücksichtigt werden, wenn dieses Ermittlungsverfahren nach den §§ 153 ff. oder § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist (vgl. BVerwG, U. v. 23.11.2005, a. a. O.). Denn die Einschätzung der Strafverfolgungsbehörde, das Ermittlungsergebnis gebe nicht genügenden Anlass zur Anklage, steht einer Bewertung des zugrunde liegenden „Anfangsverdachts“ sowie des Ermittlungsergebnisses nach den Maßstäben kriminalistischer Erfahrung nicht entgegen, wenn trotz Einstellung des Strafverfahrens ein „Restverdacht“ verbleibt (vgl. BayVGH, B. v. 2.4.2015, a. a. O., Rn. 7; NdsOVG, B. v. 20.11.2008 – 11 ME 297/08 – juris Rn. 9 f.).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist die vom Verwaltungsgericht im angefoch-tenen Beschluss vom 15. September 2016 nachvollzogene Gefährdungsprognose, die in Unkenntnis der zu diesem Zeitpunkt bereits rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung vom 14. April 2006 durch das Amtsgericht Nürnberg getroffen wurde, nicht zu beanstanden. Der Antragsteller ist rechtskräftig zu einer immerhin neun-monatigen Freiheitsstrafe wegen des unerlaubten Besitzes von etwa 196 g Marihuana sowie des Anbaus von 18 Cannabispflanzen verurteilt worden; dabei ist das Strafgericht von einem vorangegangenen mehrjährigen Betäubungsmittelkonsum des Antragstellers ausgegangen, den er allerdings seit der polizeilichen Durchsuchung seiner Wohnung am 16. Oktober 2014 aufgegeben habe. Der Senat tritt gleichwohl der Beurteilung des Verwaltungsgerichts bei, dass bei Betäubungsmitteldelikten von einer erheblichen allgemeinen Rückfallgefahr ausgegangen werden muss, so dass auch eine erstmalige Verurteilung wegen einer entsprechenden Tat grundsätzlich die Annahme einer Wiederholungsgefahr begründen kann, wenn nicht besondere Tatumstände, die für eine einmalige Tat sprechen, vorliegen (vgl. a. OVG Saarl, B. v. 13.3.2009 – 3 B 34/09 – juris Rn. 35 f.); derartige Umstände sind aber im vorliegenden Fall nicht erkennbar. Im Gegenteil sprechen hier der langjährige Konsum von Marihuana – insbesondere auch vor dem Hintergrund des verbotenen Selbstanbaus durch den Antragsteller – sowie die (behauptete) Weitergabe an seinen Vater zum Zwecke der Schmerzlinderung für eine erhöhte Gefahr der erneuten Begehung gleichgerichteter Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz. Die demgegenüber im Strafurteil zugunsten des Antragstellers aufgeführten Umstände, die die Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ermöglicht haben, vermögen an der Annahme einer Wiederholungsgefahr nichts zu ändern; dies gilt insbesondere im Hinblick auf fehlende Vorstrafen, sein Schuldeingeständnis, die gezeigte Reue sowie die durch eine Haarprobe im Juni 2015 für einen Zeitraum von zwei Monaten belegte Betäubungsmittelfreiheit. Diese für die Frage der Strafzumessung zweifellos bedeutsamen Umstände haben im Hinblick auf die aus präventivpolizeilicher Sicht zu erstellende Gefahrenprognose nur eine untergeordnete Bedeutung (vgl. zur negativen Gefahrenprognose trotz Aussetzung der Strafe zur Bewährung BayVGH, B. v. 6.12.2011 – 10 ZB 11.365 – juris Rn. 5). Der Senat ist der Auffassung, dass sich bei Betäubungsmitteltätern die Gefahr erneuter Rechtsverstöße gerade nach längerem Drogenkonsum – wie im vorliegenden Fall – erst nach längerer Dauer der Drogenabstinenz verringert.
Soweit die Beschwerde beanstandet, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht im Rahmen seiner Gefahrenprognose auch die nach § 170 Abs. 2 StPO erfolgte Einstellung eines gegen den Kläger im Jahr 2010 geführten Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz in den Blick genommen, ist dem entgegenzuhalten, dass es nach den eingangs dargestellten Grundsätzen keiner rechtskräftigen strafrichterlichen Verurteilung bedarf, um bestimmte Sachverhalte gleichwohl der Gefahrenprognose zugrunde legen zu können. Vielmehr reicht der Fortbestand eines „Restverdachts“ aus; im vorliegenden Fall ergibt sich ein solcher aus den Umständen der damals geführten Ermittlungen, die deshalb eingestellt wurden, weil nicht nachweisbar war, wem die in dem PKW, in dem auch der Kläger saß, aufgefundenen Betäubungsmittel gehörten. Schließlich meint die Beschwerde, eine negative Gefahrenprognose müsse durch weitere Umstände in der Tatbegehung und der Täterpersönlichkeit gestützt werden, wie etwa durch nachgewiesene Kontakte zu Personen im Drogenmilieu. Einen derartigen Rechtssatz stellt der vom Kläger in Bezug genommene Beschluss des Senats vom 6. Dezember 2011 (a. a. O.) jedoch nicht auf, auch wenn der Klägerin des dortigen Verfahrens Kontakte ins Drogenmilieu nachgewiesen werden konnten. Im vorliegenden Fall ist im Übrigen das Fehlen dieses Umstandes schon deshalb ohne Bedeutung, weil der Antragsteller nicht wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt wurde.
Aus der Gesamtschau der dargestellten Aspekte ergeben sich damit hinreichend begründete Anhaltspunkte für die Vermutung, dass der Antragsteller auch zukünftig Anlass zu polizeilichen Ermittlungen im Zusammenhang mit entsprechenden Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz geben könnte. Mit den durch die erkennungsdienstliche Behandlung gewonnenen Unterlagen kann im Rahmen von Ermittlungen dieser Art der Antragsteller leichter als Täter überführt oder aber seine Täterschaft leichter ausgeschlossen werden (vgl. BayVGH, B. v. 23.11.2009 – 10 CS 09.1894 – juris Rn. 15).
3. Gegen die Rechtmäßigkeit der angeordneten erkennungsdienstlichen Maßnah-men ergeben sich auch im Übrigen, insbesondere im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, keine durchgreifenden Bedenken. Die Durchführung der angeordneten Maßnahmen stellt zwar einen schwerwiegenden Eingriff in die Persönlichkeitssphäre des Betroffenen dar (vgl. BayVGH, B. v. 19.5.2005 – 24 CS 05.368 – juris). Demgegenüber rechtfertigt jedoch die Schwere der Betäubungsmitteldelikte, wegen derer der Antragsteller zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe verurteilt wurde, und das damit verbundene Gewicht des mit der Maßnahme verfolgten öffentlichen Interesses (st. Rspr.; vgl. z. B. BayVGH, U. v. 12.11.2013 – 10 B 12.2078 – juris Rn. 26) die angefochtene Anordnung auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit. Hieran ändert auch die unzutreffende Annahme im Beschluss des Verwaltungsgerichts nichts, der Kläger stehe im Verdacht des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit Waffen, also eines Verbrechens mit einer Strafandrohung von mindestens fünf Jahren. Denn auch wenn das Tatgeschehen in dieser Form nicht zur Anklage gekommen ist, ergibt sich die Verhältnismäßigkeit der Anordnung aus dem tatsächlich festgestellten Sachverhalt, der zur Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe wegen des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit vorsätzlichem Anbau von Betäubungsmitteln geführt hat. Die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme erfordert nicht die Erfüllung des betäubungsmittelrechtlichen Tatbestands eines Verbrechens.
Schließlich stellt die angefochtene Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen auch nicht deswegen einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte des Klägers dar, weil er bereits einmal im Jahre 2006 als 19-jähriger junger Mann erkennungsdienstlich behandelt worden war. Die vom Verwaltungsgericht insoweit angestellten Erwägungen, vor dem Hintergrund des anzuerkennenden Bedürfnisses der Polizei, aktuelles erkennungsdienstliches Material vorrätig zu halten, bestünden gegen eine erneute erkennungsdienstliche Behandlung nach einem Zeitraum von mehr als fünf Jahren keine rechtlichen Bedenken, sind überholt, nachdem der Beklagte im Beschwerdeverfahren mitgeteilt hat, die im Rahmen der damaligen erkennungsdienstlichen Behandlung gewonnenen und gespeicherten Daten des Antragstellers seien vom Bayerischen Landeskriminalamt inzwischen gelöscht worden (vgl. Schr. v. 17.8.2015, Bl. 93 d. Strafakte: „…da eine weitere Speicherung für nicht erforderlich gehalten wird.“). Damit bedarf es auch keines Eingehens auf den Einwand des Antragstellers, die hier streitgegenständliche erkennungsdienstliche Behandlung komme wegen der bereits 2006 durchgeführten Maßnahme nicht mehr in Betracht. Die Annahme des Beklagten, eine weitere Speicherung der seit 2006 vorgehaltenen Daten zur Person des Klägers sei nicht mehr erforderlich, hat sich gerade als unzutreffend herausgestellt.
4. Schließlich hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf abgestellt, dass die im konkreten Fall der Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen zugrundeliegende Prognose der Wiederholungsgefahr von Betäubungsmitteldelikten auch die Begründung der sofortigen Vollziehbarkeit dieser Maßnahme in sich trägt. Danach überwiegt bereits für die u.U. längere Dauer eines Hauptsacheverfahrens das besondere öffentliche Interesse an der effektiven Aufklärung von Straftaten das gegensätzliche Interesse des Antragstellers, einstweilen von der angeordneten Maßnahme verschont zu bleiben (vgl. a. NdsOVG, B. v. 20.11.2008 – 11 ME 297/08 – Rn. 21). Die Anordnung des Sofortvollzugs im angefochtenen Bescheid (S. 5) trägt dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 VwGO in ausreichender Form Rechnung, weil sie die besonderen Verhältnisse des Einzelfalles, auf die sie verweist, in den Blick nimmt und zur Grundlage ihrer Entscheidung macht.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel


Nach oben