Strafrecht

Erlass einer einstweiligen Anordnung: Untersagung der im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens angeordneten Durchsuchung eines Notariats – drohender schwerwiegender Eingriff in Art 13 GG, Notar als Berufsgeheimnisträger gem § 53 Abs 1 S 1 Nr 3 StPO

Aktenzeichen  2 BvR 2100/11

Datum:
17.10.2011
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Einstweilige Anordnung
Normen:
Art 13 Abs 1 GG
Art 13 Abs 2 GG
§ 32 Abs 1 BVerfGG
§ 18 Abs 1 BNotO
§ 54 EStDV 2000
§ 53 Abs 1 S 1 Nr 3 StPO
§ 94 StPO
§ 97 StPO
§ 98 StPO
§ 103 StPO
§ 105 StPO
Spruchkörper:
2. Senat 3. Kammer

Verfahrensgang

vorgehend OLG München, 25. August 2011, Az: 2 Ws 772/11, Beschlussvorgehend OLG München, 27. Juli 2011, Az: 2 Ws 653/11, Beschlussvorgehend LG München II, 9. Juni 2011, Az: W5 KLs 62 Js 9868/10, Beschlussnachgehend BVerfG, 29. Februar 2012, Az: 2 BvR 2100/11, Nichtannahmebeschluss

Tenor

Die Beschlüsse des Landgerichts München II vom 9. Juni 2011 – W5 KLs 62 Js 9868/10 – und des Oberlandesgerichts München vom 27. Juli 2011 – 2 Ws 653/11 – werden bis zur Entscheidung in der Hauptsache ausgesetzt.

Gründe

I.
1
Die mit einem Eilantrag verbundene Verfassungsbeschwerde betrifft die Durchsuchung eines Notariats.

2
1. Die Beschwerdeführerin ist Notarin in Hamburg. Im Rahmen eines Strafverfahrens ersuchte das Landgericht München II die
Beschwerdeführerin um Auskunft darüber, ob in ihrem Notariat für den Zeitraum vom 1. Januar 1995 bis heute Urkunden über einen
Treuhandvertrag betreffend die Gesellschaftsanteile an einer – unterschiedlich firmierenden – GmbH unter Beteiligung mindestens
eines der beiden Angeklagten vorhanden seien. Gleichlautende Auskunftsersuchen sandte die Strafkammer an eine Vielzahl weiterer
Notare in Hamburg, Reinbek und Rosenheim.

3
2. Da die Beschwerdeführerin – wie auch andere Notare – die Auskunft unter Berufung auf ihre Verschwiegenheitspflicht verweigerten,
ordnete das Landgericht mit dem angegriffenen Beschluss vom 9. Juni 2011 die Durchsuchung der Geschäftsräume der Beschwerdeführerin
nach diesen Urkunden sowie die Beschlagnahme von Kopien im Falle nicht freiwilliger Herausgabe an (§§ 94, 98, 103, 105, 162
StPO). Die Urkunden seien als Beweismittel im anhängigen Strafverfahren von Bedeutung. Es bestünden konkrete Anhaltspunkte,
dass tatsächlich ein Treuhandvertrag abgeschlossen worden sei und dass die Urkunden bei der Beschwerdeführerin aufgefunden
würden. So habe unter anderem ein als Zeuge vernommener Rechtsanwalt bekundet, den Entwurf einer Treuhandvereinbarung vorbereitet
zu haben. Da die Angeklagten nach Aktenlage bei verschiedenen Notaren in Reinbek, Hamburg und Rosenheim Urkunden hätten erstellen
lassen, sei eine Konkretisierung auf einen Notar aus diesen Bezirken zu erwarten. Die Urkunden selbst unterlägen nicht dem
Beschlagnahmeverbot des § 97 StPO.

4
3. Mit ihrer hiergegen eingelegten Beschwerde machte die Beschwerdeführerin geltend, der angegriffene gerichtliche Beschluss
diene der Ausforschung und sei angesichts anderer Erkenntnisquellen auch nicht verhältnismäßig. So werde den Finanzämtern
von den Notaren aufgrund der Verpflichtung nach § 54 EStDV Abschriften aller notariellen Urkunden über Gesellschaftsgründungen,
Kapitalerhöhungen und treuhänderische Anteilsabtretungen übersandt.

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4. Die Beschwerde verwarf das Oberlandesgericht München mit angegriffenem Beschluss vom 27. Juli 2011 als unbegründet.

6
Gegen die beiden Angeklagten laufe gegenwärtig die Hauptverhandlung vor dem Landgericht München II. Sie würden der Steuerhinterziehung
(Körperschaftssteuer, Gewerbesteuer und Umsatzsteuer) beziehungsweise der Beihilfe zur Steuerhinterziehung in den Jahren 2003
bis 2008 beschuldigt.

7
Der Durchsuchungsbeschluss des Landgerichts genüge den Anforderungen nach §§ 103, 105 StPO. Insbesondere lägen bestimmte Tatsachen
vor, die vermuten ließen, dass die als Beweismittel dienenden Gegenstände bei den betroffenen Notariaten gefunden würden.
Es liege keine Ausforschung vor, da die Durchsuchung auf die Herausgabe einer Urkunde über ein konkret bezeichnetes Treuhandverhältnis
zwischen den Angeklagten ziele.

8
Die Maßnahme sei auch verhältnismäßig. Von beweiserheblicher Bedeutung sei, ob zwischen den Angeklagten ein Treuhandverhältnis
bestehe, so dass das wirtschaftliche Eigentum an den Gesellschaftsanteilen dem einen Angeklagten zuzurechnen sei, während
der andere Angeklagte hinsichtlich seiner eigenen Gesellschafter- und Geschäftsführerposition nur als “Strohmann” zu betrachten
sei. Die Durchsuchung und Beschlagnahme stelle (nach dem erfolglosen formlosen Herausgabeverlangen) eine geeignete, unter
den geschilderten Umständen erforderliche und unter Abwägung der Interessen der Beschwerdeführer und der den Angeklagten zur
Last gelegten massiven Steuerdelikte (Verkürzung von Steuern in Millionenhöhe) auch verhältnismäßige Maßnahme dar.

9
Eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit liege auch nicht darin, dass sich die Strafkammer zur Zweckerreichung
– zur Aufklärung über Existenz und Inhalt einer notariellen Urkunde über ein Treuhandverhältnis – nicht vorab an das Finanzamt
gewandt habe. Zwar hätten Notare den Abschluss eines Treuhandvertrages gemäß § 54 EStDV dem Finanzamt anzuzeigen. Das Landgericht
habe sich aber nicht vorab an das Finanzamt wenden müssen, zumal unter dem Gesichtspunkt des Steuergeheimnisses unsicher sein
könnte, ob Finanzämter auf eine Anfrage der Strafkammer tatsächlich unverzüglich Auskunft erteilen würden. Die Ermessenentscheidung
über die konkrete Auswahl zwischen zwei gleichrangigen Ermittlungsmaßnahmen obliege der Strafkammer. Ein Eingriff in dieses
richterliche Ermessen der erkennenden Strafkammer des Landgerichts sei dem Senat im Beschwerdeweg verwehrt, sofern kein Ermessensfehler
erkennbar sei. Ein derartiger Ermessensfehler liege hier nicht vor.

10
5. Mit ihrer am 18. August 2011 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung ihres Grundrechts
auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 und 2 GG.

11
Bei der Auslegung und Anwendung der Tatbestandsmerkmale der §§ 103, 105 StPO hätten die Gerichte Bedeutung und Tragweite des
Art. 13 Abs. 1 und 2 GG gerade mit Blick auf die Eigenschaft der Beschwerdeführerin als Berufsgeheimnisträger nicht hinreichend
Rechnung getragen und hätten eine Durchsuchung in ihren Geschäftsräumen angeordnet, die unverhältnismäßig in ihr Grundrecht
aus Art. 13 Abs. 1 und 2 GG eingreife und zudem nachhaltig ihre berufliche Tätigkeit und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
ihrer Mandanten beeinträchtigte.

12
Unter anderem sei die vom Landgericht getroffene und vom Oberlandesgericht bestätigte Maßnahme nicht erforderlich. Denn sie
sei nicht das mildeste Mittel unter im Wesentlichen gleich geeigneten Ermittlungsmaßnahmen. Weniger einschneidende Maßnahmen
wären beispielsweise die Vernehmung von Mitarbeitern der beiden Angeklagten gewesen sowie die Anfrage an das Finanzamt nach
dem Vorliegen einer Treuhandvereinbarung. Jede notariell beurkundete Treuhandvereinbarung über GmbH-Geschäftsanteile sei dem
Finanzamt gemäß § 54 EStDV anzuzeigen. Anhaltspunkte dafür, dass ein Notar dies nicht getan habe, hätten die Gerichte nicht
genannt. Gegenüber der Durchsuchung sei die Anfrage beim Finanzamt eine wesentlich mildere Maßnahme gewesen. Die Argumentation
des Oberlandesgerichts – der Beschluss des Landgerichts lasse hierzu jegliche Ausführungen vermissen -, unter dem Gesichtspunkt
des Steuergeheimnisses sei unsicher, ob die Finanzämter auf die Anfrage der Strafkammer tatsächlich unverzüglich Auskunft
erteilen würde, verfange nicht. Das Landgericht habe offenbar nicht einmal versucht, an die Finanzämter heranzutreten. Aus
welchen Gründen die Durchsuchung der Geschäftsräume des Notariats gegenüber Ermittlungen bei den Beschuldigten oder den Finanzämtern
vorrangig sein solle, hätten sowohl Landgericht als auch Oberlandesgericht unerörtert gelassen.

13
Ferner sei die vom Landgericht angeordnete Maßnahme auch nach den Ausführungen des Oberlandesgerichts zu weitgehend. Das Oberlandesgericht
gehe nämlich davon aus, dass nur ein Treuhandvertrag zwischen den beiden Angeklagten beweiserheblich sei. Dennoch beziehe
sich die richterliche Anordnung auf einen Treuhandvertrag “unter Beteiligung mindestens eines der Nachbenannten”, nämlich
der Angeklagten. Damit seien auch Fälle erfasst, in denen einer der Angeklagten einen Treuhandvertrag mit einem unbeteiligten
Dritten getroffen habe.

14
Schließlich sei die durch die Entscheidungen der Gerichte getroffene beziehungsweise bestätigte Maßnahme auch nicht angemessen.
Die Gerichte verkennten, dass die Durchsuchung von Geschäftsräumen eines Berufsgeheimnisträgers in Rede stehe. Insoweit sei
zu berücksichtigen, dass durch die Anordnung nicht nur der Berufsgeheimnisträger in seinem Recht aus Art. 13 GG betroffen
werde, sondern mittelbar auch seine berufliche Tätigkeit betroffen sei und seine weiteren, nicht beschuldigten Mandanten in
ihren Rechten aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG beeinträchtigt würden. Gerade der Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen
juristisch tätigem Berufsgeheimnisträger und Mandant liege auch im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und geordneten
Rechtspflege. Die Gerichte hätten es vollständig unterlassen, diese Belange in die Prüfung der Angemessenheit der angeordneten
Maßnahme einzustellen.

15
Die Beschwerdeführerin beantragt den Erlass einer einstweiligen Anordnung.

16
6. Die Gehörsrüge nach § 33a StPO, die die Beschwerdeführerin zur Erschöpfung des Rechtsweges und Wahrung des Subsidiaritätsgrundsatzes
vorsorglich erhoben hat, wies das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 25. August 2011 zurück.

II.
17
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, über den wegen Eilbedürftigkeit ohne Anhörung des Justizministeriums
entschieden werden kann, hat Erfolg.

18
a) Gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung regeln,
wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen
Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen
werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich als von vornherein unzulässig
oder offensichtlich unbegründet. Kann letzteres nicht festgestellt werden, muss der Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens
also als offen angesehen werden, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die
Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegen die Nachteile abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige
Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde der Erfolg aber zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 91, 70 ; 105, 365
; stRspr).

19
b) Danach ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung hier geboten.

20
Die erhobene Verfassungsbeschwerde erweist sich weder als offensichtlich unzulässig noch als offensichtlich unbegründet.

21
Die danach gebotene Folgenabwägung ergibt, dass die Nachteile, die der Beschwerdeführerin im Falle der Ablehnung des Erlasses
der einstweiligen Anordnung drohen, gewichtiger als die Nachteile sind, die im Falle der Stattgabe entstehen.

22
Erginge die beantragte einstweilige Anordnung nicht und erwiese sich die Verfassungsbeschwerde im Hauptsacheverfahren als
begründet, würde dies dazu führen, dass bei dann zu erwartender Durchsuchung der Geschäftsräume der Beschwerdeführerin schwerwiegend
in die Unverletzlichkeit der Wohnung eingegriffen würde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin – ebenso
wie auch die anderen Notariate in Hamburg, Reinbek und Rosenheim, denen wegen verweigerter Auskunftserteilung eine Durchsuchung
droht – nicht nur als Nichtbeschuldigte mit staatlichen Zwangsmaßnahmen überzogen würde, sondern auch in ihrer Eigenschaft
als Berufsgeheimnisträger (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO) betroffen wäre, in der ihnen ein besonderer Schutz zukommt (vgl.
BVerfGE 113, 29 ; BVerfGK 5, 289 ). Überdies bestünde – im Hinblick auf das beabsichtigte Auffinden auch solcher
Urkunden, an denen nur einer der Angeklagten beteiligt ist – die Gefahr, dass Daten von am Strafverfahren unbeteiligten Dritten
offenbart würden.

23
Demgegenüber führte der Erlass der einstweiligen Anordnung für den Fall, dass sich die Verfassungsbeschwerde im Hauptsacheverfahren
als unbegründet erweist, lediglich dazu, dass die für erforderlich gehaltene Durchsuchung später erfolgen würde. Es bestehen
keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass es bei der Beschwerdeführerin zu einem Verlust unentbehrlicher Beweismittel
kommen könnte.

24
Unter diesen Umständen überwiegen die grundrechtlichen Belange der Beschwerdeführerin, die für den Erlass der einstweiligen
Anordnung sprechen.

25
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 3 BVerfGG.

26
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.


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