Strafrecht

Ermessensentscheidung, Ermessen, Arbeit, Antragsteller, Rechtsgrundlage, Arbeitsplatz, Resozialisierung, Freistellung, Eilrechtsschutz, Aussetzung, Gefahr, Rechtsbehelf, Befund, Rechtsschutz, gerichtliche Entscheidung, aufschiebende Wirkung, Antrag auf gerichtliche Entscheidung

Aktenzeichen  SR StVK 90/22

Datum:
2.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 1116
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Anordnung vom 31.01.2022, dass der Antragsteller bis zur Vorlage eines negativen, unter Aufsicht durchgeführten Selbsttest, vorübergehend nicht zur Arbeit gehen darf, wird einstweilen bis zur Entscheidung in der Hauptsache außer Vollzug gesetzt.
2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Antragstellers im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz trägt die Staatskasse.
3. Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 150 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller befindet sich in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt
Mit Schreiben vom 31.01.2022, ergänzt mit Schreiben vom 01.02.2022, hat der Antragsteller eine gerichtliche Entscheidung nach § 114 StVollzG beantragt. Konkret wendet sich der Antragsteller im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes dagegen, dass er aufgrund eines verweigerten Schnelltests nicht mehr zur Arbeit dürfe. Er möchte erreichen, dass er sofort wieder an seinen Arbeitsplatz darf und es ihm freistehe, sich testen zu lassen oder nicht. Der Antragsteller trägt zur Begründung u.a. vor, er sei dreifach geimpft und auch die Infektionsschutzmaßnahmenverordnung in Bayern sehe Schnelltests nicht vor. Es liege ein Verstoß gegen sein Recht auf Resozialisierung vor.
Die JVA … nahm mit Schreiben vom 01.02.2022 Stellung und führte aus, dass der Eilantrag unbegründet sei. Zum Sachverhalt legte die Anstalt dar, dass am 31.01.2022 in der Druckerei ein Bediensteter positiv auf Covid – 19 getestet worden sei. Es sei daher bei den in der Druckerei beschäftigten Bediensteten und Gefangenen am selben Tag die Durchführung eines Schnelltests angeordnet worden. Diesen Test habe der Antragsteller verweigert und sei daraufhin aus dem Betrieb zurück auf die Abteilung gebracht worden. Ein erneutes Ausrücken zur Arbeit erfolge erst nach Durchführung eines Schnelltests, der ein negatives Ergebnis aufweise. Der Antragsteller sei nicht von der Arbeit abgelöst worden, sondern es habe lediglich eine Aussetzung des Arbeitseinsatzes bis zum Vorliegen eines negativen Schnelltestergebnisses stattgefunden. Die Anordnung der Schnelltests sei erfolgt, um eine Verbreitung des Coronavirus zu verhindern sowie um mögliche weitere Infektionsquellen zu ermitteln. Die Anordnung gelte unabhängig vom Impfstatus, da eine Impfung eine Infizierung und Übertragung des Coronavirus nicht ausschließe. Die Mitwirkungspflicht der Gefangenen ergebe sich aus Art. 58 Abs. 2 BayStVollzG. Auch sei gemäß Art. 58 Abs. 1 S. 1 BayStVollzG für die körperliche und geistige Gesundheit der Gefangenen zu sorgen. Aus Gründen des Infektionsschutzes könnten aufgrund der Generalklausel etwaige Einschränkungen zum Schutz von Sicherheit und Ordnung der Anstalt angeordnet werden. Bei der JVA … handele es sich um eine Massenunterkunft. Die neue Omikron Variante breite sich derzeit in Deutschland sehr schnell.
Im Übrigen erscheine es rechtsmissbräuchlich, die Freistellung von der Schnelltestung zu beantragen, wenn der Antragsteller angebe, sich täglich selbst zu testen und somit davon ausgehe, dass er trotz dreifacher Impfung nicht vollständig geschützt sei.
Der Antragsteller erhielt Gelegenheit zur Äußerung und hielt mit Schreiben vom 02.02.2022 seinen Antrag aufrecht.
Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die vorgenannten Schriftstücke verwiesen und Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist zulässig und begründet.
Entgegen der Ausführungen der JVA liegt ein Rechtsschutzinteresse für einen Eilantrag vor und das Vorgehen des Antragstellers erweist sich nicht rechtsmissbräuchlich. Selbst wenn der Antragsteller sich täglich selbst ohne Aufsicht testet, ist dies nicht identisch mit der Sachlage der Testung unter Aufsicht. Auf einfacherem Wege als mit einem Vorgehen nach § 114 StVollzG kann der Antragsteller sein Rechtsschutzziel, der sofortigen Aufnahme seiner Arbeitstätigkeit, nicht erreichen.
Gemäß § 114 Abs. 1 StVollzG hat ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung keine aufschiebende Wirkung. Nach § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG kann das Gericht den Vollzug einer angefochtenen Maßnahme aussetzen, wenn die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird und ein höher zu bewertendes Interesse an dem sofortigen Vollzug nicht entgegensteht.
Erforderlich ist eine Abwägung zwischen dem im Strafvollzugsgesetz zum Ausdruck gekommenen öffentlichen Interesse am wirksamen und deshalb in der Regel sofortigen Vollzug von Anstaltsmaßnahmen einerseits und dem Interesse des Antragstellers andererseits, einstweilen von belastenden Maßnahmen verschont zu bleiben, die letztlich möglicherweise nicht aufrechterhalten bleiben (Callies/Müller-Dietz, Kommentar zum StVollzG, 6. Aufl. 2008, § 114 Rdnr. 3 m.w.N.). Entgegenstehende höherrangige Interessen des Staates können namentlich bei Maßnahmen der Gefahrenabwehr vorliegen, die aus Sicherheitsgründen erforderlich sind oder dem Schutz elementarer Ordnungsfunktionen (Sicherheit und Ordnung der Anstalt) dienen (Calliess/Müller-Dietz, Kommentar zum StVollzG, 6. Aufl. 2008, § 114 Rdnr. 2).
Auch kann eine Rolle spielen, ob nach einer summarischen Prüfung der Antragsteller mit seinem Rechtsbehelf voraussichtlich Erfolg haben wird (vgl. BVerfG, NJW 2004, 223/225).
Eine summarische Prüfung in der gebotenen Eile ist im Hinblick auf die Komplexität der Sach- und Rechtslage nicht in der Form möglich, dass die Erfolgsaussichten des Antrags sich hinreichend sicher in die eine oder andere Richtung prognostizieren lassen (LG Hamburg, Beschluss vom 21. Oktober 2020 – 605 Vollz 385/20 -, Rn. 30, juris). Es liegt lediglich derzeit nur eine Tendenz vor, dass sich das Vorgehen der Anstalt als rechtswidrig erweist, ohne dass dies jedoch einer summarischen Prüfung im gebotenen Maße gerecht wird.
Die Anstalt lässt in der Stellungnahme nicht durchblicken, auf welche Rechtsgrundlage sie überhaupt ihr Vorgehen stützt. Genannt werden drei Rechtsgrundlagen. Auf welcher Rechtsgrundlage die Anstalt tatsächlich gehandelt hat, gibt diese nicht an. Die Anstalt nennt mithin lediglich drei Rechtsgrundlagen, die nach Ansicht der Anstalt vorliegend als taugliche Rechtsgrundlage herhalten könnten. Die Anstalt nennt dabei auch die Generalklausel des Art. 6 Abs. 2 S. 2 BayStVollzG. Mithin wäre im Rahmen der rechtlichen Würdigung zunächst sorgfältig zu prüfen, inwieweit welche Rechtsgrundlage herangezogen werden kann und ob die Anstalt, da sie nicht durchblicken lässt auf welcher Rechtsgrundlage sie nun handelt, überhaupt im Falle einer Ermessensentscheidung dieses Ermessen sorgfältig ausgeübt hat.
Auch wäre im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung zu ermitteln, wie der derzeitige Impfstatus in der Anstalt ist bzw. bei den Bediensteten genau ist, insbesondere auch im Bereich der Druckerei und ob beim Antragsteller konkrete Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass er ohne Aufsicht den Schnelltest manipulieren würde.
Es ist vorliegend mithin eine reine Interessenabwägung als Maßstab für die Entscheidung im Eilrechtsschutz vorzunehmen.
Daran gemessen überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers gegenüber dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin.
Auf Seiten des Interesses der Anstalt, die vorübergehende Aussetzung des Arbeitseinsatzes aufrechtzuerhalten, ist zu sehen, dass es unstreitig zu einem positiven Covid – 19 Befund eines Bediensteten in der Druckerei kam und mithin zum Schutz der Gesundheit der Gefangenen und zum Schutz der Sicherheit und Ordnung der Anstalt ein Ausbreiten des Corona-Virus in der Anstalt verhindert werden soll. Allerdings ist zu sehen, dass der Antragsteller bereit ist einen Selbsttest zu machen, nur nicht unter Aufsicht. Auch ist zu sehen, dass es um den Jahreswechsel zum einem Corona – Ausbruch in der Anstalt kam, wobei allgemeinkundig aus Zeitungsquellen keine schlimmen Krankheitsverläufe sich zeigten und die Impfquote nicht erheblich nach unten gegenüber der allgemeinen Impfquote abweicht. Mithin sind eher milde Krankheitsverläufe zu prognostizieren und mithin der Gesundheitsschutz in einem schwächeren Lichte zu sehen. Soweit sich einzelne Gefangene oder Bedienstete nicht impfen lassen wollen, hat die Anstalt für diesen Personenkreis keinen Gesundheitsschutz dahin zu betreiben, dass dies zu Lasten der Gefangenen geht, die aktiv am Gesundheitsschutz mitwirken. Allgemeinkundig sind Selbsttests nicht 100 % zuverlässig und somit in der Schlussfolgerung nicht sehr effizient, um tatsächlich einen Ausbruch des Coronavirus in der Anstalt zu verhindern. Insbesondere sieht die Anstalt nur vor, dass einmal ein Selbsttest durchgeführt wird und mithin ein einmaliger Test eine wenig valide Aussagekraft hat. Auch ist aufgrund der Tatsache, dass die Maßnahme keine zeitliche Befristung vorsieht, innerhalb derer ein Schnelltest durchzuführen ist, zweifelhaft, ob z.B. etwa auch noch drei Wochen nach dem 31.01.2022 ein Schnelltest noch effektiv ist zur Verfolgung der seitens der Anstalt genannten Ziele.
Auf Seiten des Antragstellers ist sein Interesse an der Arbeitstätigkeit im Sinne der Resozialisierung als Ziel des Strafvollzugs zu sehen. Auch ist in den Blick zu nehmen, dass der Antragsteller, wie die Anstalt selbst vorträgt, aufgrund der Betriebsschließung nach dem letzten Ausbruchsgeschehen schon hinsichtlich der Resozialisierung durch die fehlende Arbeitsmöglichkeit beschränkt war. Zwar wird vom Antragsteller zur Wiederherstellung der Arbeitsmöglichkeit nur eine ihn gering belastende Gegenleistung erwartet. In Freiheit brauchen allerdings dreifach geimpfte Personen selbst im Falle der Stellung als enge Kontaktperson sich keinem Test und auch keiner Quarantäne unterziehen. Zu sehen ist, dass, sofern keine vorläufige Aussetzung der angegriffenen Maßnahme erfolgt, der Antragsteller ggf. über mehrere Wochen bei fortbestehender Verweigerung des Tests unter Aufsicht nicht zur Arbeit gehen könnte, da die Anstalt keine Befristung ihrer Maßnahme auf ein konkretes Datum vorgesehen hat.
Vorliegend überwiegt mithin das Aussetzungsinteresse des Antragstellers.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Absatz 4 StVollzG, § 467 Abs. 1 StVollzG. Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf den §§ 60, 52 Absatz 1, 2 GKG.
III.
Gegen die vorliegende Entscheidung ist ein Rechtsmittel entgegen § 114 Absatz 2 Satz 3, 1. Halbsatz StVollzG gegeben, da die Hauptsache faktisch vorweggenommen wird.


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