Strafrecht

Fahrerlaubnisentzug wegen Cannabiskonsums

Aktenzeichen  Au 7 S 16.809

Datum:
2.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV Anlage 4 Nr. 9.2.2
FeV FeV § 46
StVG StVG § 3
VwGO VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Gelegentlicher Cannabis-Konsum kann zu bejahen sein, wenn der Fahrerlaubnisinhaber einen “Letztkonsum” vor mehr als 48 Stunden vor Fahrtantritt behauptet, aber ein THC-Wert von 2,1 ng/ml nachgewiesen ist. Dieser lässt sich nur durch einen weiteren Konsumakt erklären (Anschluss BayVGH BeckRS 2016, 40022).  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III.
Der Streitwert wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der 1986 geborene Antragsteller ist seit 17. Dezember 2004 Inhaber der Fahrerlaubnis der Klassen B, M, L und S. Am 18. April 2008 wurde ihm nach Verlust des ursprünglichen Führerscheins unter der Führerscheinnummer … ein Ersatzführerschein ausgestellt.
Am 9. Juni 2009 wurde der Antragsgegner von der Polizeiinspektion … davon in Kenntnis gesetzt, dass im Rahmen einer Verkehrskontrolle am 14. März 2009 festgestellt wurde, dass der Antragsteller unter dem Einfluss von Cannabis am Straßenverkehr teilgenommen hat.
In dem von Seiten des Antragsgegners angeforderten ärztlichen Gutachten vom 1. Oktober 2009 wurde festgestellt, dass das aktuelle, aktenkundige Konsumverhalten des Antragstellers als einmalige Einnahme von Betäubungsmitteln (Cannabis) zu bezeichnen sei. Es bestehe keine Betäubungsmittelabhängigkeit und aufgrund der Befunde sei kein fortgesetzter bzw. aktueller Drogenkonsum gegeben.
Abstinenznachweise würden keine vorliegen. Es fänden sich auch keine Hinweise auf die aktuelle Einnahme anderer illegaler Drogen oder den Missbrauch legaler Drogen (Alkohol, Medikamente).
Mit Schreiben vom 24. März 2016 teilte die Polizeiinspektion … dem Antragsgegner mit, dass bei einer allgemeinen Verkehrskontrolle festgestellt worden sei, dass der Antragsteller am 5. Februar 2016 gegen 0.00 Uhr ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr unter Drogeneinfluss geführt habe. Nach dem Gutachten des … vom 9. März 2016 war die beim Antragsteller am 5. Februar 2016 um 00.30 Uhr entnommene Blutprobe positiv im Hinblick auf Cannabinoide.
Aus den zur Verfügung stehenden Unterlagen habe sich ergeben, dass der Antragsteller eigenen Angaben zufolge am 4. Februar 2016 ein kleines Bier getrunken habe. Im polizeilichen Bericht sei u. a. dokumentiert worden: Gleichgewichtsprobleme, nervös, unruhig, vergisst ständig etwas, Konzentrationsmangel, Anordnungen müssen mehrfach wiederholt werden, reagiert mit Verzögerung, zitternd, Finger-Finger-Test unsicher, zittrig, suchend, Stehen auf einem Bein unsicher, mit Fallneigung, Absetzen nach 3 Sekunden, Augen glasig, gerötet, Pupillenlichtreaktion träge, verlangsamt, Pupillen vergrößert.
Die chemischtoxikologischen Untersuchungen ergaben folgende Werte:
THC 2,1 mg/l
THC-COOH 102,2 mg/l
11-OH-THC in Spuren
Weiter wurde ausgeführt, dass durch die vorgenommenen chemischtoxikologischen Untersuchungen nachgewiesen worden sei, dass der Antragsteller neben Alkohol Cannabisprodukte konsumiert habe. In der Serumprobe sei THC in einer Konzentration aufgefunden worden, die dafür spreche, dass der Antragsteller im Zeitpunkt der Blutentnahme unter der Wirkung dieses berauschenden Mittels gestanden sei. Zum Vorfallzeitpunkt sei zumindest eine Wirkung im Sinne des § 24 a StVG vorgelegen, wobei die im polizeilichen Bericht angegebenen Auffälligkeiten auch auf eine relative Fahrunsicherheit hindeuten könnten.
Die Blutuntersuchung ergab im Hinblick auf Alkoholkonsum eine Blutalkoholkonzentration von 0,16 Promille.
Es sei von einer Cannabis Aufnahme auszugehen. Mit THC sei eine Substanz der Anlage zum § 24 a StVG nachgewiesen worden.
Mit Schreiben vom 5. April 2016, zugestellt laut Postzustellungsurkunde am 6. April 2016, hörte der Antragsgegner den Antragsteller zu der beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis an. Aufgrund des festgestellten hohen THC-Wertes könne beim Antragsteller von einem gelegentlichen Konsum von Cannabisprodukten mit fehlendem Trennvermögen zwischen Konsum und Fahren ausgegangen werden. Bei fehlendem Trennvermögen sei eine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr gegeben.
Dem Antragsteller wurde Gelegenheit zur Äußerung bis 19. April 2016 eingeräumt, die auf Antrag des Bevollmächtigten des Antragstellers verlängert wurde.
Mit Bescheid vom 13. Mai 2016, zugestellt laut Postzustellungsurkunde dem Antragsteller am 19. Mai 2016, laut Empfangsbestätigung dem damaligen Bevollmächtigten am 18. Mai 2016, entzog der Antragsgegner dem Antragsteller die Fahrerlaubnis aller Klassen (Ziffer 1. des Bescheids). Weiter wurde der Antragsteller aufgefordert, den Führerschein unverzüglich, spätestens eine Woche nach Zustellung dieses Bescheids beim Antragsgegner vorzulegen (Ziffer 2. des Bescheids). Sollte der Antragsteller der Aufforderung zur Vorlage des Führerscheins nicht fristgemäß nachkommen, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500 EUR angedroht (Ziffer 3. des Bescheids). Die sofortige Vollziehung der Nummern 1 und 2 des Bescheids wurde in Ziffer 4. angeordnet.
Mit dem am 31. Mai 2016 eingegangenen Schreiben ließ der Antragsteller durch seinen nunmehrigen Bevollmächtigten Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erheben mit dem Antrag, den Bescheid des Antragsgegners vom 13. Mai 2016 aufzuheben.
Mit weiterem Schreiben, ebenfalls eingegangen bei Gericht am 31. Mai 2016, wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung gegen die Sofortvollziehung der Nummern 1 und 2 des Bescheids vom 13. Mai 2016 anzuordnen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass ein atypischer Fall vorliege, insbesondere zwischen dem Letztkonsum und Fahren habe ein Zeitraum von über 48 Stunden gelegen, der für ausreichendes Trennvermögen spreche. Zudem gehe die Grenzwertkommission inzwischen von einem THC-Konzentrationswert von 3,0 ng/ml aus, bei dem eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit nicht mehr ausgeschlossen werden könne. Ein Gutachten der …, wie in dem Bescheid angeführt, gebe es nicht. Es könnten Zeugen benannt werde, welche belegen würden, dass Konsum beim Antragseller, wenn überhaupt, dann nur ausreichend mit einer Karenz von mindestens 48 Stunden zum nächsten Autofahren erfolge. Da es sich vorliegend um ein einstweiliges Anordnungsverfahren handle, gleichzeitig aber ein atypischer Fall vorliege, sei in der Gesamtabwägung zugunsten des Antragstellers zu entscheiden, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass seine Einlassungen auch im Hinblick auf den grenzwertigen THC-Gehalt zutreffend seien und damit Trennungsvermögen sehr wohl vorliege.
Der Antragsgegner beantragte demgegenüber 10. Juni 2016 u. a.,
den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist nach § 122 Abs. 1, § 88 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) dahingehend auszulegen, dass die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ziffern 1 und 2 des Bescheids vom 13. Mai 2016 nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 5 Satz 1 2. Alternative VwGO wiederherzustellen ist, da die Fahrerlaubnisbehörde die sofortige Vollziehung der in Ziffern 1 und 2 getroffenen Verfügungen in Ziffer 4 des Bescheids angeordnet hat. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hält an seiner bisherigen Auffassung, dass die Pflicht zur Abgabe des Führerscheins nach § 47 Abs. 1 Satz 1 und 2 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO durch Bundesgesetz vorgeschrieben ist und deshalb die Anordnung des Sofortvollzugs diesbezüglich ins Leere geht, nicht weiter fest, da es sich bei der Fahrerlaubnis-Verordnung nicht um ein formelles Gesetz i. S. d. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO handelt (vgl. BayVGH, B. v. 22.9.2015 – 11 CS 15.1447 – juris Rn. 23 m. w. N.).
Der Antrag ist in dieser Form zulässig, führt aber in der Sache nicht zum Erfolg.
1. Die Begründung für die Anordnung des Sofortvollzugs (unter II.c. der Gründe des Bescheids vom 13.5.2016) entspricht den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3 VwGO. Nach dieser Vorschrift hat die Behörde unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls darzulegen, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung, die Widerspruch und Klage grundsätzlich zukommen, die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts angeordnet hat (vgl. BayVGH, B. v. 27.3.2012 – 11 CS 12.201 – juris Rn. 22). Dabei sind allerdings an den Inhalt der Begründung keine zu hohen Anforderungen zu stellen (Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 43). Insbesondere bei Kraftfahrern, denen die erforderliche Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs fehlt, ist das Erlassinteresse regelmäßig mit dem Vollzugsinteresse identisch (Schmidt, a. a. O. § 80 Rn. 36). Ein solcher Fall lag hier aus Sicht des Antragsgegners vor. Er hat vor diesem Hintergrund unter II.c. des Bescheids vom 13. Mai 2016 das besondere Interesse am sofortigen Vollzug unter Bezug auf den Einzelfall hinreichend begründet. Im gerichtlichen Verfahren erfolgt keine materielle Überprüfung der Begründung der Behörde nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, sondern es wird eine eigenständige Interessenabwägung durchgeführt (st. Rspr., vgl. BayVGH, B. v. 16.12.2015 – 11 CS 15.2377 – juris Rn. 10; B. v. 24.8.2010 – 11 CS 10.1139 – juris Rn. 29; B. v. 10.3.2008 – 11 CS 07.3453 – juris Rn. 16).
2. Bei der Entscheidung über den Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen, hat das Gericht – wie bereits oben ausgeführt – eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen. Im Rahmen dieser Entscheidung ist das Interesse des Antragstellers, zumindest vorläufig weiter von seiner Fahrerlaubnis Gebrauch machen zu können, gegen das Interesse der Allgemeinheit daran, dass dies unverzüglich unterbunden wird, abzuwägen. Ausschlaggebend im Rahmen dieser Abwägungsentscheidung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels, dessen aufschiebende Wirkung wiederhergestellt werden soll, hier also der Klage vom 31. Mai 2016. Lässt sich schon bei summarischer Prüfung eindeutig feststellen, dass der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist und den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, so dass die Klage mit Sicherheit Erfolg haben wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), kann kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung dieses Verwaltungsakts bestehen. Andererseits ist für eine Interessenabwägung, die zugunsten des Antragstellers ausgeht, im Regelfall kein Raum, wenn keine Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen.
3. Aufgrund der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Überprüfung ist davon auszugehen, dass die Klage des Antragstellers mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben wird, weil der streitgegenständliche Bescheid vom 13. Mai 2016 rechtmäßig ist und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt.
Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Fahrerlaubnisentziehung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (st. Rspr., vgl. zuletzt BVerwG, U. v. 23.10.2014 – 3 C 3/13 – DAR 2014, 711, juris). Damit ist hier auf den Zugang des Bescheids vom 13. Mai 2016 – dies war der 18./19. Mai 2016 – abzustellen.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 2. März 2015 (BGBl S. 186) und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 18. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 16. Dezember 2014 (BGBl S. 2213), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis – ohne Ermessensspielraum – zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel u. a. nach der Anlage 4 zur FeV vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i. V. m. Ziffer 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV entfällt die Fahreignung bei gelegentlichem Cannabiskonsum und fehlendem Trennungsvermögen zwischen Drogenkonsum und Teilnahme am Straßenverkehr. Die Behörde ist hier zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller gelegentlich Cannabis konsumiert (nachfolgend unter a)) und gegen das Trennungsgebot verstoßen hat (nachfolgend unter b)), so dass die Fahreignung nicht vorliegt.
a) Gelegentlicher Cannabis-Konsum liegt nach ständiger Rechtsprechung bereits dann vor, wenn der Betroffene in zumindest zwei selbstständigen Konsumvorgängen Cannabis zu sich genommen hat und diese Konsumvorgänge einen gewissen, auch zeitlichen Zusammenhang aufweisen (BVerwG, U. v. 23.10.2014 – 3 C 3/13 – juris, Rn. 16 ff.; siehe auch BayVGH, B. v. 21.7.2014 – 11 CS 14.988; B. v. 13.12.2010 – 11 CS 10.2873, beide juris).
Mit dem Vortrag der Antragstellerseite, dass zwischen dem „Letztkonsum“ und dem Fahren ein Zeitraum von über 48 Stunden gelegen habe, bzw. durch Zeugen belegt werden könne, dass ein Konsum des Antragstellers, wenn überhaupt, dann nur ausreichend mit einer Karenz von mindestens 48 Stunden zum nächsten Autofahren erfolge, steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Antragsteller gelegentlicher Cannabiskonsument im oben dargelegten Sinne ist. Der 48 Stunden vor der Verkehrskontrolle eingeräumte Cannabiskonsum kann jedoch für den in der Blutprobe vom 5. Februar 2016 – Abnahmezeitpunkt: 00:30 Uhr – gemessenen THC-Wert von 2,1 ng/ml wegen des wissenschaftlich belegten raschen Abbauverhaltens von THC bei einmaligem oder seltenem Konsum nicht ursächlich gewesen sein. THC ist nach Einzelkonsum nur vier bis sechs Stunden nachweisbar, lediglich bei regelmäßigem oder wiederholtem Konsum für längere Zeit (vgl. nur Schubert/Mattern, Urteilsbildung in der medizinischpsychologischen Fahreignungsdiagnostik, 2. Aufl., S. 178). Unschädlich dabei ist, dass in der Begründung des Bescheids fälschlicherweise das zugrundeliegende Gutachten der … zugeschrieben wurde, das jedoch ausweislich der Behördenakten von dem … erstellt wurde und sich exakt auf die Untersuchung der beim Antragsteller am 5. Februar 2016 entnommenen Blutprobe bezieht.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof führt zu den Abbauwerten von THC in seinem Beschluss vom 16. Dezember 2015 (Az. 11 CS 15.2377, juris Rn. 14, 15) unter Bezugnahme auf wissenschaftliche Studien, wie folgt, aus:
„Der Senat hat bereits entschieden, dass aus einem THC-Wert, der in einer Blutprobe festgestellt wurde, im Wege der Rückrechnung nicht mit jener Genauigkeit ermittelt werden kann, wie hoch der THC-Spiegel zu einem bestimmten, vor der Blutentnahme liegenden Zeitpunkt war, wie das z. B. beim Rauschmittel “Alkohol” möglich ist (vgl. B. v. 27.9.2010 – 11 CS 10.2007 – juris Rn. 10). Auf die Erkenntnisse über das Abbauverhalten von THC darf aber insoweit zurückgegriffen werden, als sich aus ihnen – gleichsam im Wege des Ausschlussverfahrens – “negative” Aussagen dergestalt herleiten lassen, dass ein für einen bestimmten Zeitpunkt eingeräumter oder sonst feststehender Konsum von Cannabis keinesfalls (alleine) für die Konzentrationen ursächlich gewesen sein kann, die in einer später gewonnenen Blutprobe vorhanden waren.
Der psychoaktive Wirkstoff THC wird bei inhalativem Konsum von Cannabis sehr schnell vom Blut resorbiert und ist nach einem Einzelkonsum sechs bis zwölf Stunden im Blut nachweisbar (Beurteilungskriterien – Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung – Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie/Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin, 3. Aufl. 2013, S. 247). Im Rahmen der Maastricht-Studie wurde ebenfalls festgestellt, dass bei der überwiegenden Zahl der Cannabiskonsumenten THC im Blut relativ schnell abgebaut wird und bereits nach sechs Stunden nur noch THC-Werte zwischen 1 und 2 ng/ml festgestellt werden konnten (vgl. BayVGH, B. v. 13.5.2013 – 11 ZB 13.523 – NJW 2014, 407 Rn. 19 ff. m. w. N.).“
Deshalb kommt als naheliegende Erklärung für den in der Blutprobe des Antragstellers gemessenen Wert von 2,1 ng/ml THC vor allem in Betracht, dass der Antragsteller nicht nur, wie von ihm angegeben, fast 48 Stunden vor der Verkehrskontrolle Cannabis konsumiert hat, sondern offensichtlich – ein weiteres Mal – auch noch im Laufe des 4. Februar 2016 Cannabis zu sich genommen hat.
Selbst wenn, entsprechend des Vortrags der Antragstellerseite ein Konsum des Antragstellers, wenn überhaupt, dann nur ausreichend mit einer Karenz von mindestens 48 Stunden zum nächsten Autofahren erfolgt wäre, müsste es zuvor zu einer erheblichen Akkumulation von Cannabinoiden im Körper des Antragstellers gekommen sein. Auch dies belegt aber einen mehr als einmaligen und damit gelegentlichen Cannabiskonsum und schließt einen erstmaligen Cannabiskonsum im Sinne eines Probierkonsums aus. Ein solcher wird im Übrigen vom Antragsteller nicht geltend gemacht.
Entsprechend den obigen Ausführungen steht damit nach Auffassung des Gerichts fest, dass der Antragsteller im Zeitpunkt der Drogenfahrt am 5. Februar 2016 ein gelegentlicher Konsument von Cannabis war.
b) Der Antragsteller hat auch nicht im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeugs getrennt.
Da der Antragsteller nach dem Ergebnis der Blutuntersuchung am 5. Februar 2016 ein Kraftfahrzeug mit einer THC-Konzentration von mehr als 1,0 ng/ml, nämlich mit 2,1 ng/ml, geführt hat, ist er nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U. v. 23.10.2014 – 3 C 3.13 – juris Rn. 33) fahrungeeignet. Danach ist die Grenze eines hinnehmbaren Cannabiskonsums nicht erst dann überschritten, wenn mit Gewissheit eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit anzunehmen ist, sondern bereits dann, wenn die Möglichkeit einer cannabisbedingten Beeinträchtigung der Fahrsicherheit besteht. Den insoweit maßgeblichen Risikogrenzwert mit der ganz überwiegenden oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung (OVG NW, U. v. 1.8.2014 – 16 A 2806/13 – juris Rn. 31 m. w. N.; OVG Weimar, B. v. 6.9.2012 – 2 EO 37/11 – NZV 2013, 413; OVG Bremen, B. v. 20.7.2012 – 2 B 341/11 – NZV 2013, 99; OVG Berlin-Bbg, B. v. 16.6.2009 – 1 S 17/09 – NZV 2010, 531; OVG Schleswig, U. v. 17.2.2009 – 4 LB 61/08 – juris Rn. 35) bei einem im Blutserum festgestellten THC-Wert von 1,0 ng/ml anzusiedeln, hat das Bundesverwaltungsgericht nicht beanstandet. Auch die Grenzwertkommission hat in ihrer Stellungnahme vom September 2015 (veröffentlicht in Blutalkohol 52 (2015), 322) nicht in Zweifel gezogen, dass ab einem THC-Wert von 1,0 ng/ml eine cannabisbedingte Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit möglich ist. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (vgl. BayVGH, B. v. 10.3.2015 – 11 CS 14.2200 – juris; B. v. 25.1.2016 – 11 CS 15.2480 – juris).
Da der Antragsteller als gelegentlicher Konsument von Cannabis unter Wirkung dieser Droge am Straßenverkehr teilgenommen hat, hat er sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen, mit der Folge, dass ihm die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen war (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1, § 11 Abs. 7 FeV sowie Anlage 4 Nr. 9.2.2 zur FeV). Ein Ermessen stand dem Antragsgegner bei dieser Entscheidung nicht zu.
c) Der Antragsteller hat seit der Drogenfahrt vom 5. Februar 2016 seine Fahreignung nicht wiedererlangt. Im maßgeblichen Zeitpunkt der Zustellung des Entziehungsbescheids am 18./19.Mai 2016 war die „verfahrensrechtliche“ Jahresfrist noch nicht abgelaufen (vgl. BayVGH, B. v. 9.5.2005 – 11 CS 04.2526 – BayVBl. 2006, 18, juris).
d) Die normative Wertung der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV entfaltet Bindungswirkung, solange keine Umstände des Einzelfalls vorliegen, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen. Durch die entsprechende Regelung in der Vorbemerkung Nr. 3 zur Anlage 4 der FeV, wonach die Bewertungen nur für den Regelfall gelten, wird dem in Art. 20 Abs. 3 des GG verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit durch den Verordnungsgeber Genüge getan. Ausnahmen von den Regelvermutungen der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung sind gemäß der Vorbemerkung Nr. 3 dann anzuerkennen, wenn in der Person des Betäubungsmittelkonsumenten Besonderheiten bestehen, die darauf schließen lassen, dass seine Fähigkeit, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr sicher, umsichtig und verkehrsgerecht zu führen, sowie sein Vermögen, zwischen dem Konsum von Betäubungsmitteln und der Teilnahme am Straßenverkehr zuverlässig zu trennen, nicht erheblich herabgesetzt sind. Beispielhaft sind in Satz 2 der Vorbemerkung 3 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung besondere menschliche Veranlagung, Gewöhnung, besondere Einstellung oder besondere Verhaltenssteuerungen und -umstellungen genannt, durch die z. B. eine Kompensation drogenbedingter Einschränkungen erfolgen kann. Der Wortlaut der Vorbemerkung 3 der Anlage 4 zeigt, dass an Besonderheiten angeknüpft wird, die ihren Ursprung in der Person des Betroffenen selbst haben und bewirken, dass er aufgrund seiner besonderen Steuerungs- oder Kompensationsfähigkeit trotz gelegentlichen Cannabiskonsums fahrgeeignet ist. Es obliegt insoweit dem Betroffenen, durch schlüssigen Vortrag die besonderen Umstände darzulegen und nachzuweisen, die ein Abweichen von der Regelvermutung rechtfertigen sollen.
Im vorliegenden Fall sind jedoch Ausnahmen von diesen Regelvermutungen nicht ersichtlich.
e) Die von den Erfolgsaussichten der Hauptsache unabhängige umfassende Abwägung der widerstreitenden Interessen führt hier zu dem Ergebnis, dass dem öffentlichen Interesse daran, die Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr weiterhin zu unterbinden, ein größeres Gewicht einzuräumen ist, als dem Interesse des Antragstellers, einstweilen weiter am Straßenverkehr teilnehmen zu dürfen. Es entspricht der Pflicht des Staates zum Schutz der Allgemeinheit vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben im Straßenverkehr (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), nur solche Fahrzeugführer am Straßenverkehr teilnehmen zu lassen, deren Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen gewährleistet ist (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 4 StVG, § 11 Abs. 1, § 46 Abs. 1 FeV). Dass die Fahrerlaubnisentziehung die persönliche Lebensführung und damit die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten des Erlaubnisinhabers gravierend beeinflussen kann und die Folgen der Fahrerlaubnisentziehung im Einzelfall bis zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage reichen können, heben die Notwendigkeit, den nach wie vor als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehenden Antragsteller zum Schutz anderer Verkehrsteilnehmer mit sofortiger Wirkung von der weiteren Teilnahme am Straßenverkehr auszuschließen, nicht auf.
4. Die Verpflichtung des Antragstellers zur Ablieferung des Führerscheines beruht auf § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV und ist rechtlich nicht zu beanstanden.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
6. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG sowie den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedr. in Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, Anhang zu § 164 Rn. 14). Der sich aufgrund der Fahrerlaubnisklasse B ergebende Streitwert von 5.000,- EUR ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu halbieren.


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