Strafrecht

Freiheitsstrafe, Haftbefehl, Untersuchungshaft, Fluchtgefahr, Beschwerde, Bescheid, Asyl, Software, Vereinigung, Haftgrund, Ermittlungsrichter, Angeklagte, Abschiebehaft, Staatsanwaltschaft, Bundesrepublik Deutschland, ne bis in idem, weitere Beschwerde

Aktenzeichen  1 Ws 283/21

Datum:
4.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44002
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

23 Qs 13/21 — LGBAMBERG LG Bamberg

Tenor

I. Dem Europäischen Gerichtshof werden gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Art. 55 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) insoweit mit Art. 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EUGrCh) vereinbar und noch gültig, als er vom Verbot der Doppelverfolgung die Ausnahme zulässt, dass eine Vertragspartei bei der Ratifikation, der Annahme oder der Genehmigung dieses Übereinkommens erklären kann, dass sie nicht durch Artikel 54 SDÜ gebunden ist, wenn die Tat, die dem ausländischen Urteil zugrunde lag, eine gegen die Sicherheit des Staates oder andere gleichermaßen wesentliche Interessen dieser Vertragspartei gerichtete Straftat darstellt? 2. Für den Fall, dass Frage 1 bejaht wird:
Stehen die Art. 54, 55 SDÜ, Art. 50, 52 EuGRCH einer Auslegung der von der Bundesrepublik Deutschland bei der Ratifikation des SDÜ in Bezug auf § 129 StGB abgegebenen Erklärung (Bundesgesetzblatt 1994 II, 631) durch die deutschen Gerichte dahingehend entgegen, dass von der Erklärung auch solche kriminellen Vereinigungen – wie die vorliegende – erfasst werden, die ausschließlich Vermögenskriminalität betreiben und darüber hinaus keine politischen, ideologischen, religiösen oder weltanschaulichen Ziele verfolgen und auch nicht mit unlauteren Mitteln Einfluss auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft gewinnen wollen?
II. Es wird beantragt, das Vorabentscheidungsersuchen dem Eilverfahren gemäß Art. 107, hilfsweise dem beschleunigten Verfahren nach Art. 105 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen.
III. Das Beschwerdeverfahren wird ausgesetzt bis zur Erledigung des Vorabentscheidungsersuchens.

Gründe

I. (Sachverhalt)
Die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg – Zentralstelle Cybercrime Bayern – führt gegen den Beschuldigten B. (und weitere Beschuldigte) ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung und Anlagebetrugs.
Unter dem 08.12.2020 hat das Amtsgericht – Ermittlungsrichter – Bamberg gegen den Beschuldigten B. die Untersuchungshaft angeordnet. Als Haftgrund wurde Fluchtgefahr angenommen.
Danach wird ein dringender Tatverdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung in Tatmehrheit mit gewerbs- und bandenmäßigen Betrug gemäß §§ 129 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1, Satz 2, 263 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, Abs. 5, 25 Abs. 2, 53 des deutschen Strafgesetzbuchs (nachfolgend: StGB) aufgrund folgenden Sachverhalts angenommen (hier verkürzt wiedergegeben, nämlich nur, soweit es unmittelbar um das Verhalten des Beschuldigten B. geht):
Die Beschuldigten B. und M. B. (bis Mitte 2019 A.; nachfolgend weiterhin A.), die sich mit den Beschuldigten K. L. und T. ZF. und weiteren Tätern zur gemeinschaftlichen fortdauernden Begehung von Betrugstaten in Form des sog. Cybertrading spätestens im Laufe des Jahres 2016 wissentlich und willentlich zusammengeschlossen hatten, gaben etwa im Zeitraum Mai 2018 bis Februar 2019 auf der – zwischenzeitlich nicht mehr abrufbaren – Domain ….com (später ….com), die sich in deutscher Sprache ausdrücklich auch an interessierte Personen in Deutschland wandte, vor, mit unterschiedlichen Finanzinstrumenten, insbesondere binären Optionen, CFD’s, Forex und Kryptowährungen, zu handeln, und ließen eine nicht näher bekannte Vielzahl von Personen aus Deutschland und zahlreichen weiteren europäischen Ländern, die sich auf der Homepage registriert hatten, über angebliche Vertriebsmitarbeiter (sog. Broker bzw. Agents) telefonisch kontaktieren. Die Broker überzeugten die interessierten Personen mit Versprechungen hoher Gewinne – an die die interessierten Personen den Erwartungen der Täter entsprechend glaubten -, Zahlungen auf diverse Konten zu leisten, mit denen dann der Handel mit den Finanzinstrumenten erfolgen sollte. Die Ersteinzahlung betrug regelmäßig 300,00 EUR.
Tatsächlich hatten die Beschuldigten allerdings gar nicht vor, die Gelder der so akquirierten Kunden in die von ihnen angebotenen Finanzinstrumente zu investieren. Vielmehr kam es ihnen allein darauf an, die auf die angegebenen Konten überwiesenen Geldbeträge – auf die sie unter keinem Gesichtspunkt einen Anspruch hatten – für sich zu vereinnahmen und sich so eine Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen.
Dabei wusste die Tätergruppierung, dass die von ihnen akquirierten Kunden die jeweiligen Geldbeträge nicht gezahlt hätten, wenn sie gewusst hätten, was tatsächlich mit ihren Geldern geschehen würde und dass die von ihnen geleisteten Gelder bereits mit Zahlung vollständig verloren waren.
Hatten die Kunden das Geld einmal überwiesen, so simulierten die zuständigen Broker gegenüber ihren Kunden den angeblichen Handel mit Finanzinstrumenten. Während die gutgläubigen Kunden davon ausgingen, nunmehr mit den angepriesenen Finanzinstrumenten zu handeln, kam es dem Plan der Täter entsprechend zu keinem tatsächlichen Handel am Markt. Eine Investition bzw. eine Platzierung von Optionen sowie ein Vorhalten von Anlegergeldern zur Rückzahlung bzw. Gewinnausschüttung fand nicht statt. Die sowohl in- als auch ausländischen Einzahlungskonten wurden vielmehr von Scheinfirmen, Finanzagenten oder Zahlungsdienstleistern zur Verfügung gestellt. Die mittels Banküberweisung, Kreditkartenabbuchung oder in Form von Kryptowährungen eingezahlten Gelder wurden im weiteren Verlauf in einem komplexen, europaweit installierten Geldwäschenetzwerk mit einer Vielzahl von Beteiligten, das plattformübergreifend zur Verfügung gestellt wurde, verteilt; am Ende dieses undurchsichtigen, auf Verschleierung des Zahlungsflusses angelegten Systems standen Gesellschaften, auf die das Management der Tätergruppierung, insbesondere B., M. A. und K. L., maßgeblichen Einfluss ausübten. Entsprechend konnten sie die inkriminierten Gelder letztlich für sich vereinnahmen.
[…]
Die Tätergruppierung betrieb bereits seit 2016 diverse weitere Trading-Plattformen (…, …, …, … und …), über die sie bei weitgehend identischem M. O. bei europaweit tausenden Kunden erhebliche Vermögensschäden verursachte. Zur Gewinnung von Kunden und zur Tatbegehung betrieben B. und M. A. in den vergangenen Jahren über die von ihnen kontrollierten … Gesellschaften X. und X. mit Hauptsitz in … (mindestens) vier Callcenter in B. (S.), S. (B.), B. und G. Das Call-Center in B. wurde (formal) im Jahr 2017 bis ca. März 2018 von der C. M. D. (formaler Inhaber: D. P.) betrieben. Nach einer kurzen Pause erfolgte ab Anfang Juni 2018 der Betrieb durch M. M. D. (Direktorin: K. K.). Beide Gesellschaften wurden über die X& X gegründet. Die Betriebs- und Personalkosten wurde über die Zentrale in … koordiniert und finanziert.
[…]
Die weitgehend identische Plattform „…“ war der Vorgänger von … und wurde seit ca. Februar 2018 von der Tätergruppierung mit gleichem Modus Operandi betrieben.
Sämtliche genannten Plattformen wurden unter Einsatz einer eigens zum Betrieb derartiger Plattformen programmierten Software betrieben. Die grafisch bewusst einen seriösen Anschein erweckende Software diente dazu, den Handelsverlauf zu simulieren und den Ausgang der Geschäftsabschlüsse auf börsenfestgestellte Entwicklungen des Basiswerts zurückführen zu können. Von entscheidender Bedeutung ist dabei, dass diese Simulation von Brokern bzw. Callcenter-Mitarbeitern so eingesetzt werden konnte, dass ein von vornherein geplanter Verlust der Investitionssumme als Spekulations- oder Zufallsverlust dargestellt wurde.
Es folgt im Haftbefehl sodann die Beschreibung der Arbeitsweise der mindestens vier Call-Center und der dort tätigen Personen, die in nach Muttersprache der Kunden getrennten Abteilungen (German Desk, English Desk usw.) organisiert waren, welche wiederum in zwei Unterabteilungen zur Akquirierung (“C. Agents“) und zur weiteren „Betreuung“ (“R. Agents“) der Kunden untergliedert waren und jeweils von einem Manager geleitet wurden.
Es folgen weiter die Aufstellungen von Geschädigten und Schadensbeträgen jeweils getrennt nach den einzelnen Trading-Plattformen, wobei dem Beschuldigten B. jeweils angelastet wird, vollständig Kenntnis von dem Agieren der für ihn und seine Mittäter tätigen Agenten und den zuvor beschriebenen Tatumständen gehabt zu haben.
Der Beschuldigte B. nahm in dem genannten Zeitraum innerhalb der Tätergruppierung die entscheidende Rolle ein. Er war der Kopf der Gruppierung und deren maßgeblicher „Drahtzieher“. Er war führend in die Organisation und Leitung der mit den Firmen X& X F. E. und E& G … E. verbundenen Callcenter eingebunden. Er war als Geschäftsführer bzw. CEO (Chief Executive Officer) führender Teil des Managements der X& X B. und leitete und betreute in dieser Funktion die Management-Ebene der X& X Firmen und der diversen Callcenter, insbesondere auch in S. und B. Er stand im regelmäßigen und engen Kontakt mit seiner rechten Hand, dem Beschuldigten K. L., der als COO (Chief Operating Officer) Teil des Managements der X& X B. das gesamte operative Geschäft der Callcenter in S. und B. leitete. Ebenso wie K. L. hatte auch B. unmittelbaren Einfluss auf die für den Betrieb der kriminellen Plattformen wichtigen Zahlungsdienstleister (P. Service P., …) und Software-Anbieter (…, … TS). Der Beschuldigte B. stand ferner im direkten Kontakt mit den Office Managern der Callcenter. Gemeinsam mit M. A. verantwortete er die entscheidenden finanziellen Entscheidungen.
Entsprechend seiner Stellung an der Spitze der Tätergruppierung war der Beschuldigte B. der Hauptprofiteur des massenhaften Betrugs. Der Beschuldigte B. agierte während des gesamten Zeitraums in voller Kenntnis der Tatumstände. Er wusste genau über den Modus O. Bescheid bzw. gab diesen vor. Er wusste genau, dass die Gelder der zahlreichen „beratenen“ Kunden unter keinen Umständen in die offerierten Finanzinstrumente investiert würden. Er selbst hatte – gemeinsam insbesondere mit M. A., K. L. und T. ZF. – den Retention Agents deren betrügerisches Vorgehen gegenüber den Kunden vorgegeben und sorgte durch seine eigenen Handlungen unmittelbar dafür, dass der organisatorische und strukturelle Rahmen für das betrügerische Agieren aufrechterhalten blieb. Er hatte sich mit den genannten Mitbeschuldigten und anderen Personen aus der Management-Ebene – ebenso wie mit den zahlreichen Retention Agents – zusammengeschlossen, um auf unabsehbare Dauer eine unabsehbare Vielzahl von Betrugstaten zur fortdauernden Erzielung maximaler Einnahmen zu begehen.
Unter dem 11.12.2020 hat das Amtsgericht – Ermittlungsrichter – Bamberg einen auf dem vorbeschriebenen Haftbefehl beruhenden Europäischen Haftbefehl erlassen.
Der Beschuldigte ist bereits zuvor durch rechtskräftiges Urteil des Landesgerichts Wien vom 01.09.2020 wegen gewerbsmäßigen schweren Betrugs und wegen Geldwäscherei rechtskräftig zur Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden.
Im Urteil des Landesgerichts Wien vom 01.09.2020 ist hinsichtlich der Verurteilung wegen gewerbsmäßigen schweren Betrugs folgendes Verhalten des Beschuldigten B. festgestellt worden:
Der Angeklagte war – über zwischengeschaltete Unternehmen, welche in seinem (jedenfalls Mit-)Eigentum standen und welche er (zumindest führend) beherrschte – im Tatzeitraum jedenfalls Mit-)Eigentumer und (zumindest Mit-) Betreiber mehrerer Call-Center außerhalb von Österreich insbesondere in … (S.) und … (B.), über welche die anklagegegenständlichen, ebenso dem Angeklagten – über zwischengeschaltete Betreibergesellschaften – (mit-)gehörigen und von ihm (mit-)beherrschten Online-Trading-Plattformen („…“) …/O. …, X. (vormals) C., S. und G. betrieben wurden. Über diese „B.“ wurde (vorgeblich) der Handel mit derivativen Anlageprodukten, insbesondere binären Optionen, einschließlich eines Telefon- und Email-Supports für die Geschäftsabwicklung angeboten.
Die genannten „B.“ richteten sich dabei – durch Verwendung der deutschen Sprache, vor allem aber auch durch gezielte Verwendung aggressiver Werbung auf Internetwerbeflächen und in sozialen Medien – auch an in Österreich, aufhältige Investoren, welche nach einer Erstregistrierung im Internet von den in den Call-Centern tätigen Agents kontaktiert und – soweit sie dies noch nicht selbständig getan hatten – zu einer Ersteinzahlung iHv (zumeist) € 250,- aufgefordert wurden. Daneben war Aufgabe dieser Agents, registrierte Investoren (primär telefonisch) zu kontaktieren, in diesen (primär telefonischen) Kontaktaufnahmen Informationen über die persönliche und finanzielle Situation der Investoren zu erlangen sowie über Ausnützung dieser Informationen die Investoren zu (weiteren) Einzahlungen und bestimmten „Investitionen“ zu bewegen und von einer Rückführung von Restguthaben oder im System gutgeschriebenen (vermeintlichen) Gewinnen abzuhalten.
Insgesamt wurde den Investoren dabei – durch die Online-Darstellung aber auch durch die Ausführungen der Agents und mit Hilfe der im Call-Center für den Betrieb dieser „B.“ verwendeten Software, die bis September 2018 von der … Solutions ltd. und danach von der … T. bezogen wurde – vorgetäuscht, dass im Rahmen der verfahrensgegenständlichen „B.“ tatsächlich Anlageprodukte im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben vertrieben wurden, dass die Investoren tatsächlich adäquate Gewinn bzw. Ertragschancen hatten, dass keine Beeinflussung der Gewinn- bzw. Ertragschancen der Getäuschten durch die Agents oder andere im Rahmen der oder für die „B.“ Tätige bestand, dass die den Investoren von den Agents erteilten Investitionsratschläge die Interessen des jeweiligen Investors berücksichtigen und nicht nur darauf abzielten, diese zu (weiteren) Einzahlungen zu bewegen, dass Auszahlungen von Restguthaben oder im System gutgeschriebenen Gewinnen vorgesehen und tatsächlich (und nicht bloß zur Verhinderung nachteiliger Folgen für den „B.“ selbst) uneingeschränkt möglich war. Tatsächlich war das Gegenteil der Fall, es wurden nämlich im Rahmen der verfahrensgegenständlichen „B.“ tatsächlich keine Anlageprodukte im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben vertrieben, sondern es wurde lediglich eine „Fassade“ geschaffen um die Getäuschten zur Einzahlung von Geldern zu bewegen. Die Investoren hatten tatsächlich keine adäquaten Gewinn- bzw. Ertragschancen, es bestand tatsächlich die Möglichkeit der Beeinflussung der Gewinn- bzw. Ertragschancen der Getäuschten durch die unmittelbaren Täter oder durch andere im Rahmen der oder für die „B.“ Tätige, die den Investoren von den Agents erteilten Investitionsratschläge berücksichtigten tatsächlich nicht die Interessen der Investoren sondern zielten tatsächlich lediglich darauf ab, die Investoren zu (weiteren) Einzahlungen zu bewegen. Auch war eine Auszahlung von Restguthaben oder im System gutgeschriebenen Gewinnen tatsächlich e. ante grundsätzlich nicht vorgesehen und fand tatsächlich nur statt, um den jeweiligen „B.“ insbesondere durch Beschwerden, Klagen oder negative Bewertungen in einschlägigen Foren nicht vorzeitig zu „ruinieren“.
Durch die angeführten Täuschungen wurden die Investoren zu Einzahlungen verleitet, welche sie bei Kenntnis der Tatsachen nicht getätigt hätten und welche sie großteils in einem € 5.000,- und insgesamt € 300.000,- übersteigenden Betrag am Vermögen schädigten.
Der Angeklagte organisierte dabei den Betrieb der Call-Center und der „B.“ direkt oder auch indirekt im Wege weiterer Mittäter. Insbesondere organisierte er solcherart – also selbst oder im Wege weiterer Mittäter, die gemäß seinen Anweisungen handelten – den Einsatz der manipulierbaren Software, die Einstellung der Agents und gab diesen – persönlich oder im Wege weiterer Mittäter, die gemäß seinen Anweisungen handelten – die Anweisungen zu ihren oben beschriebenen Handlungen. Solcherart bewirkte er den Handlungsentschluss der Agents.
Der Angeklagte handelte dabei bewusst und gewollt, nahm dies alles billigend in Kauf und wollte dadurch sich sowie andere unrechtmäßig bereichern. Er wollte auch, dass die Agents gemäß seinen – ihnen direkt oder im Wege weiterer Mittäter, die gemäß seinen Anweisungen handelten – gegebenen Anweisungen handeln, und dass durch Internetauftritt und Agents der zuvor beschriebene tatsachenwidrige Eindruck bei Investoren generiert wird. Der Angeklagte nahm auch billigend in Kauf, dass Investoren bei Kenntnis der Tatsachen keine Investitionen tätigen würden. Er nahm ebenso billigend in Kauf, dass Investoren um jeweils € 5.000,- übersteigende Beträge und insgesamt um € 300.000,- deutlich übersteigende Beträge geschädigt werden. Der Angeklagte handelte aber auch, um sich selbst (auch nach Abzug der Kosten der Unternehmung, also insbesondere Bezahlung der laufenden Kosten sowie Aus- bzw. Bezahlung der Mittäter) durch die wiederkehrende Verleitung von Investoren zu € 5.000,- überschreitenden Einzahlungen über mehrere Jahre hinweg ein monatlich jedenfalls € 400,- überschreitendes Einkommen zu verschaffen.
Gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts – Ermittlungsrichter – Bamberg vom 08.12.2020 sowie gegen dessen Europäischen Haftbefehl vom 11.12.2020 hat der Beschuldigte Beschwerde eingelegt.
Die 2. Strafkammer des Landgerichts Bamberg hat mit Beschluss vom 08.03.2021 die Beschwerden des Beschuldigten gegen die beiden vorgenannten Haftbefehle als unbegründet verworfen u. a. mit der Begründung, dass die Aburteilung des Beschuldigten durch das Landesgericht Wien vom 01.09.2020 nur wegen der Betrugsstraftaten zum Nachteil der Geschädigten in Österreich erfolgt sei, während der Beschuldigte hier wegen der Betrugsstraftaten zum Nachteil der Geschädigten in Deutschland verfolgt werde und wegen der Verschiedenheit der Geschädigten nicht dieselbe Straftat i. S. v. Art. 54 SDÜ, Art. 50 EuGrCh gegeben sei. Hilfsweise hat die Strafkammer auf Art. 55 Abs. 1 lit. b) SDÜ verwiesen, wonach der Beschuldigte wegen einer Straftat nach § 129 StGB verfolgt werde und die Bundesrepublik Deutschland insoweit einen entsprechenden Vorbehalt bei Ratifikation des SDÜ erklärt habe.
Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde des Beschuldigten, mit der das vorlegende Oberlandesgericht Bamberg befasst ist.
Der Beschuldigte hat die durch Urteil des Landesgerichts Wien vom 01.09.2020 verhängte Freiheitsstrafe von vier Jahren inzwischen teilweise verbüßt. Der Rest der Freiheitsstrafe wurde mit Wirkung zum 29.01.2021 zur Bewährung ausgesetzt.
II. Der Beschuldigte wurde jedoch zugleich mit Beschluss des Landesgerichts Wien vom 29.01.2021 in österreichische Übergabehaft genommen aufgrund des vorgenannten Europäischen Haftbefehls des Amtsgerichts – Ermittlungsrichter – Bamberg. Die Übergabehaft endete am 18.05.2021. Seitdem (Stand: 31.05.2021) soll sich der Beschuldigte allerdings für das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in Abschiebehaft (Ziel: Israel) befinden oder befunden haben. Nach inoffiziellen Informationen soll er bereits in Israel angekommen sein (Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen).
Der Senat hält die Beantwortung der Vorlagefragen für den Erlass seiner Entscheidung über die weitere Beschwerde gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Bamberg vom 08.12.2020 für erforderlich. Sie sind entscheidungserheblich, ohne dass einschlägige oder übertragbare Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ersichtlich oder die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig wäre, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bliebe (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 22.09.2011 – 2 BvR 947/11 StraFo 2011, 498 Rdn. 14, und vom 28.01.2013 – 2 BvR 1561 – 1564/12, Rdn. 178 nach juris). Der Senat legt sie deshalb dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. a, Abs. 3 und 4 AEUV zur Vorabentscheidung vor.
Der Senat geht hierbei von Folgendem aus:
Die weitere Beschwerde des Beschuldigten gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts – Ermittlungsrichter – Bamberg vom 08.12.2020 sowie gegen dessen Europäischen Haftbefehl vom 11.12.2020 ist zulässig. Der Senat hat daher in der Sache zu überprüfen, ob der Haftbefehl des Amtsgerichts Bamberg vom 08.12.2020 in der Gestalt, die er durch den Beschluss des Landgerichts Bamberg vom 08.03.2021 gefunden hat, aufrechtzuerhalten ist. Gleiches gilt für den Europäischen Haftbefehl, der auf dem nationalen Haftbefehl beruht und bei dessen Aufhebung ohne weiteres ebenfalls aufzuheben wäre. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich daher ausschließlich auf den nationalen Haftbefehl.
Hinsichtlich des im Haftbefehl geschilderten Sachverhalts besteht dringender Tatverdacht, dass sich der Beschuldigte nach den im Haftbefehl genannten deutschen Strafvorschriften strafbar gemacht hat, aufgrund der im Haftbefehl bzw. in der Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Bamberg vom 08.03.2021 genannten Beweismittel. Gegen den Beschuldigten besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr ebenfalls aus den im Haftbefehl bzw. in der Beschwerdeentscheidung genannten tatsächlichen Umständen. Die Anordnung der Untersuchungshaft verstößt ersichtlich auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Der nationale Haftbefehl wäre jedoch dann aufzuheben, wenn wegen des ihm zugrundeliegenden Tatvorwurfs ein Verfolgungshindernis bestünde. Dies wäre dann der Fall, wenn die rechtskräftige Verurteilung des Beschuldigten durch das Landesgericht Wien und die in Österreich erfolgte (teilweise) Vollstreckung die Strafverfolgung hindern würden.
Hier kommt es, da aus nationalem Recht ein Verfolgungshindernis nicht besteht, somit allein darauf an, ob ein Verfahrenshindernis aufgrund des in Art. 54 SDÜ sowie Art. 50 GrCh geregelten Verbots der Doppelverfolgung besteht. Für die Entscheidung dieser Frage sind die Vorlagefragen entscheidungserheblich.
Das Landgericht Bamberg hat die Voraussetzungen des Art. 54 SDÜ bejaht mit Ausnahme der Sachverhaltsidentität („wegen derselben Tat“) und ist (u. a.) wegen der Verschiedenheit der Geschädigten und Schäden (hier Geschädigte in Deutschland, dort Geschädigte in Österreich) von unterschiedlichen Taten ausgegangen. Diese letztere Ansicht wird vom Senat nicht geteilt.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 18. Juli 2007 – C-367/05 – Rn. 36, juris) ist das maßgebende Kriterium für die Anwendung des Art. 54 SDÜ das der Identität der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines Komplexes unlösbar miteinander verbundener Tatsachen, unabhängig von der rechtlichen Qualifizierung dieser Tatsachen oder von dem geschützten rechtlichen Interesse. Dabei ist es Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob der Grad der Identität und des Zusammenhangs aller zu vergleichenden tatsächlichen Umstände in Anbetracht des vorerwähnten maßgebenden Kriteriums den Schluss zulässt, dass es sich um „dieselbe Tat“ im Sinne von Art. 54 SDÜ handelt.
Nach der für die nationalen Gerichte verbindlichen Auslegung des Art. 54 SDÜ durch den Europäischen Gerichtshof gilt im Rahmen dieser Vorschrift ein im Verhältnis zu den nationalen Rechtsordnungen eigenständiger, autonom nach unionsrechtlichen Maßstäben auszulegender Tatbegriff. Auf materiellrechtliche Bewertungen in einem Vertragsstaat, etwa dahin, ob die verschiedenen begangenen Delikte nach deutschem Recht sachlichrechtlich im Verhältnis von Tateinheit oder Tatmehrheit stehen, kommt es nicht an (BGH, in std. Rspr., zuletzt Beschluss vom 02. Februar 2021 – 2 StR 302/19 -, Rn. 4, juris m. w. N. zur Rspr. d. EuGH)
Die nähere Auslegung dieses Tatbegriffs im Sinne des Art. 54 SDÜ hat sich in erster Linie am Zweck dieser Norm auszurichten, der darin besteht, die ungehinderte Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit der Unionsbürger zu sichern. Wer wegen eines Tatsachenkomplexes bereits in einem Vertragsstaat abgeurteilt ist, soll sich ungeachtet unterschiedlicher rechtlicher Maßstäbe in den einzelnen Staaten darauf verlassen können, dass er nicht – auch nicht unter einem anderen rechtlichen Aspekt – ein zweites Mal wegen derselben Tatsachen strafrechtlich verfolgt wird. Demgegenüber ist die Einordnung der Tatsachen nach den Strafrechtsordnungen der Vertragsstaaten unbeachtlich. Die Qualifizierung eines Tatsachenkomplexes als eine Tat im Sinne des Art. 54 SDÜ ist darüber hinaus von dem jeweils rechtlich geschützten Interesse unabhängig; denn dieses kann wegen der fehlenden Harmonisierung der nationalen Strafvorschriften von einem Vertragsstaat zum anderen unterschiedlich sein. Allein aus dem Umstand, dass die Taten durch einen einheitlichen Vorsatz auf subjektiver Ebene verbunden sind, lässt sich die Identität der Sachverhalte nicht herleiten; erforderlich ist vielmehr eine objektive Verbindung der zu beurteilenden Handlungen (BGH, Beschluss vom 09. Juni 2017 – 1 StR 39/17 -, Rn. 12, juris m. w. N.).
Zusammenfassend wird dem Beschuldigten in dem verfahrensgegenständlichen Haftbefehl – sachlich übereinstimmend mit den Feststellungen im Urteil des Landesgerichts Wien – zur Last gelegt, zusammen mit weiteren Mittätern einen Komplex von so genannten Cybertrading-Unternehmen geschaffen und aufrechterhalten zu haben, in welchem die dort angestellten so genannten Agenten dem Tatplan entsprechend aus Call-Centern aus dem Ausland, etwa B., heraus gutgläubigen Anlegern in mehreren europäischen Ländern, darunter Deutschland und Österreich, gewinnversprechende Geldanlagen offerierten und sie so zu Einzahlungen veranlassten, die unmittelbar als Tatbeute vereinnahmt wurden, während man den Anlegern unter Einsatz einer speziellen Software einen Anlageverlust vorgaukelte. Der erstrebte Gewinn aus der Tatbeute floss – nach Abzug der Sach- und Personalkosten für die Callcenter und die dort tätigen Personen – über Umwege, die der Verschleierung der Geldflüsse dienten – letztlich an den Beschuldigten und seine Mittäter. Die Rolle des Beschuldigten wird ebenso sachlich übereinstimmend dahingehend beschrieben, dass dieser und seine Mittäter währenddessen den Betrieb organisierten, der Voraussetzung für die einzelnen Betrugshandlungen der Agenten zum Nachteil der jeweils Geschädigten war, er also ausschließlich Management-Funktionen wahrnahm, während die Agenten, die je nach Muttersprache der Geschädigten abteilungsmäßig zusammengefasst (für Deutschland und Österreich im so genannten „G. Desk“) tätig wurden, von Abteilungsleitern geführt wurden. Anhaltspunkte dafür, dass der Beschuldigte über sein mit dem Urteil des Landesgerichts Wien abgeurteiltes Verhalten hinaus mit eigenen Handlungen, sei es auch im Zusammenwirken mit den Agenten, Anleger unmittelbar getäuscht und zu Vermögensverfügungen veranlasst hat, sind für den Senat derzeit nicht ersichtlich.
Damit lassen sich die Handlungen, die dem Beschuldigten zur Last gelegt werden, in objektiver Hinsicht weder ausschließlich den unmittelbar durch die Agenten verübten Betrugshandlungen zum Nachteil in Deutschland wohnender Geschädigter und deren Schäden und daraus gezogenen Gewinnen noch ausschließlich denen zum Nachteil Geschädigter in anderen Ländern und deren Schäden und daraus gezogenen Gewinnen zuordnen. Die Handlungen des Beschuldigten sind vielmehr mit den durch die Agenten verübten Betrugshandlungen gleichermaßen objektiv unauflösbar verbunden.
Der Beschuldigte hat zusammen mit seinen Mittätern Strukturen geschaffen und weiterhin aktiv unterhalten, die ermöglichten und auch darauf angelegt waren, eine Vielzahl von Personen in einer Mehrzahl von Ländern mittels gleichartiger Begehungsweise zu schädigen. Es war den Handlungen des Verfolgten von vornherein objektiv immanent, dass die Folgehandlungen der von ihm beschäftigten und unmittelbar oder mittelbar angeleiteten Personen zu Schädigungen in verschiedenen Ländern führen werden. Es ist nicht ersichtlich, dass der Verfolgte hierbei in unterschiedlicher Weise vorging, um einerseits Personen in Deutschland und andererseits Personen in Österreich schädigen zu können. (vgl. OLG München, Beschluss vom 04. Dezember 2006 – OLG Ausl 262/06 (92/06) -, Rn. 10, juris) oder dass – jedenfalls in Bezug auf deutschsprachige Geschädigte – der Beschuldigte insoweit formalrechtlich oder jedenfalls organisatorisch getrennte Unternehmungen zwar im gleichen Zeitraum, jedoch mit voneinander abgrenzbaren Aktivitäten führte.
Art. 54 SDÜ wäre jedoch wegen Art. 55 Abs. 1 und 2 SDÜ i. V. m. der Erklärung der Bundesrepublik Deutschland bei der Ratifikation des SDÜ (BGBl. 1994 II, 631) hier unbeachtlich, weil die Staatsanwaltschaft den Beschuldigten zu Recht auch wegen des Vorwurfs der Bildung einer kriminellen Vereinigung verfolgt.
Das dem Beschuldigten angelastete Verhalten erfüllt den Tatbestand der Bildung einer kriminellen Vereinigung gemäß § 129 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1, Satz 2 StGB. Der Beschuldigte ist dringend verdächtig, eine solche gegründet und sich als Rädelsführer hieran beteiligt zu haben.
Die Vorschrift hat, soweit hier von Bedeutung, in der seit 24.08.2017 geltenden Fassung folgenden Wortlaut:
§ 129 Bildung krimineller Vereinigungen
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind. Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine solche Vereinigung unterstützt oder für sie um Mitglieder oder Unterstützer wirbt.
(2) Eine Vereinigung ist ein auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses.
(…)
(5) In besonders schweren Fällen des Absatzes 1 Satz 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern der Vereinigung gehört (…).
Der Zusammenschluss des Beschuldigten mit den im Haftbefehl genannten Mittätern und ggf. weiteren Tätern stellt eine kriminelle Vereinigung i. S. v. § 129 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StGB dar.
Nachdem gezielt u. a. auch deutschsprachige Anleger geschädigt werden sollten, die auch in Deutschland wohnten, ist die Tat auch dann nach deutschem Recht strafbar, wenn die Vereinigung ihren Sitz im Ausland hatte (§ 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB).
Nach Art. 55 Abs. 1 lit. b, Abs. 2 SDÜ kann eine Vertragspartei bei der Ratifikation, der Annahme oder der Genehmigung dieses Übereinkommens erklären, dass sie nicht durch Artikel 54 SDÜ gebunden ist, wenn die Tat, die dem ausländischen Urteil zugrunde lag, eine gegen die Sicherheit des Staates oder andere gleichermaßen wesentliche Interessen dieser Vertragspartei gerichtete Straftat darstellt. Sie hat in der Erklärung die Arten von Straftaten, auf die solche Ausnahmen Anwendung finden können, zu bezeichnen.
Die Bundesrepublik Deutschland hat bei der Ratifikation des SDÜ erklärt (BGBl. 1994 II, 631), dass sie durch Art. 54 SDÜ (u. a. dann) nicht gebunden ist, wenn die Tat, die dem ausländischen Urteil zugrunde lag, den Straftatbestand nach § 129 StGB erfüllt hat, wobei als Tat in Anwendung des Artikels 54 SDÜ seitens der Bundesrepublik Deutschland derjenige geschichtliche Vorgang verstanden wird, wie er in dem anzuerkennenden Urteil aufgeführt ist (SLGH/Schomburg/Wahl, 6. Aufl. 2020, SDÜ Art. 55 Rn. 3).
Der geschichtliche Vorgang, wie er sich aus den Feststellungen im Urteil des Landesgerichts Wien vom 01.09.2020 zum Verhalten des Beschuldigten ergibt, lässt sich unter den Tatbestand des § 129 StGB einordnen.
Bei Straftaten nach § 129 StGB handelt es sich nach Ansicht des Senats grundsätzlich um Straftaten, die gegen wesentliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gerichtet sind, sodass die Erklärung der Bundesrepublik Deutschland von der Ermächtigungsgrundlage des Art. 55 SDÜ gedeckt erscheint.
Durch § 129 StGB geschützt wird der hier nach Zweck und Tätigkeit der Vereinigung ausschließlich unter strafrechtlichen Vorzeichen stehende und deshalb auf seinen Kernbereich beschränkte, die öffentliche Sicherheit und Ordnung insoweit mitumfassende öffentliche Frieden, für den bereits die bloße Existenz krimineller Vereinigungen und die diesen innewohnende Eigendynamik ein Gefahrenpotential darstellt. Neben der erhöhten Gefährdung konkreter Rechtsgüter bereits im Vorbereitungsstadium ist wegen der massierten Bedrohung der Allgemeinheit speziell durch die organisierte Kriminalität auch die in der bloßen Existenz krimineller Vereinigungen liegende Beeinträchtigung des allgemeinen Sicherheitsgefühls und damit des öffentlichen Friedens von anderer Qualität als bei deliktischen Einzelaktionen (vgl. Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schittenhelm, 30. Aufl. 2019 Rn. 1, StGB § 129 Rn. 1 m. w. N.).
Deswegen ist es auch im Rahmen von Art. 55 SDÜ nach Ansicht des Senats unerheblich, ob eine kriminelle Vereinigung im konkreten Falle allein für sich und unmittelbar die Sicherheit des Staates oder andere gleichermaßen wesentliche Interessen gefährdet, weil sie ausschließlich Vermögenskriminalität betreibt und darüber hinaus keine politischen, ideologischen, religiösen oder weltanschaulichen Ziele verfolgt oder mit unlauteren Mitteln Einfluss auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft gewinnen will. Nach Ansicht des Senats räumt Art. 55 SDÜ den Mitgliedsstaaten im Rahmen der Vergleichbarkeit mit einer Gefährdung der Sicherheit des Staates einen Spielraum ein, innerhalb dessen sie autonom festlegen können sollen, worin ihre wesentlichen Interessen liegen, die sie mit den Mitteln der Strafverfolgung schützen wollen. Dieser Gestaltungsspielraum erscheint vorliegend mit der allgemeinen Verweisung ohne weitere Differenzierungen auf die Vorschrift des § 129 StGB nicht überschritten, weil eine effektive Bekämpfung der organisierten Kriminalität als gleichwertiges wesentliches Interesse der Bundesrepublik Deutschland nur auf breiter Front und von Anfang an stattfinden kann.
Die Entscheidung, ob die Erklärung, die die Bundesrepublik Deutschland anlässlich der Ratifikation des Schengener Durchführungsübereinkommens in Bezug auf § 129 StGB abgegeben hat, mit Art. 55 Abs. 1 lit b SDÜ in diesem Umfange vereinbar ist, obliegt jedoch dem Europäischen Gerichtshof als dem zur Auslegung des Unionsrechts berufenen Gericht und ist deshalb Gegenstand der Vorlagefrage 2.
Unerheblich ist weiter, dass die Vorschrift des § 129b StGB, die sich auf kriminelle Vereinigung im Ausland bezieht, erst durch Gesetz vom 22.08.2002 (BGBl. I S. 3390) mit Wirkung vom 30.08.2002, und somit lange Zeit nach Abgabe der Erklärung der Bundesrepublik Deutschland bei Ratifikation des SDÜ eingeführt worden ist.
Diese Vorschrift hat folgenden Wortlaut:
§ 129b Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland; Einziehung
(1) Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet. In den Fällen des Satzes 2 wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz verfolgt. Die Ermächtigung kann für den Einzelfall oder allgemein auch für die Verfolgung künftiger Taten erteilt werden, die sich auf eine bestimmte Vereinigung beziehen. Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen.
(2) In den Fällen der §§ 129 und 129a, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 1, ist § 74a anzuwenden.
Es handelt sich um eine Norm, die allein die Verfolgbarkeit des Straftatbestandes regelt und die Strafbarkeit des in § 129 Abs. 1 StGB beschriebenen Tatbestands und auch den Geltungsbereich des deutschen Strafrechts nach den §§ 3, 9 StGB, wie er auch schon im Zeitpunkt der Erklärung der Bundesrepublik Deutschland bei Ratifikation des SDÜ bestand, unverändert lässt (vgl. Fischer, StGB, 68. Aufl., § 129b Rn. 4 m. w. N.) und damit den sachlichen Gehalt der Erklärung der Bundesrepublik Deutschland bei Ratifikation des SDÜ nicht nachträglich verändert, was nach Art. 55 Abs. 1 SDÜ nicht möglich wäre.
Der Anwendbarkeit von Art. 55 Abs. 1 b) SDÜ könnte jedoch Art. 50 EuGrCH entgegenstehen.
Danach darf niemand wegen einer Straftat, derentwegen er bereits in der Union nach dem Gesetz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden.
Die Charta findet im vorliegenden Fall Anwendung (vgl. hierzu BVerfG NJW 2012, 1202 Rdn. 40 nach juris). Mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon am 01.12.2009 gilt gemäß Art. 6 Abs. 1 des EU-Vertrages die Grundrechtecharta als bindendes Recht. Gemäß Art. 51 EUGrCh ist auch deren Anwendungsbereich eröffnet. Die Grundrechtecharta bindet in erster Linie die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union (Art. 51 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 EUGrCh). Eine Bindung der Mitgliedstaaten sieht die Grundrechtecharta „ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union“ vor (Art. 51 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 EUGrCh).
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union finden die in der Unionsrechtsordnung garantierten Grundrechte in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben Anwendung. Diese Definition des Anwendungsbereichs der Grundrechte der Union wird durch die Erläuterungen zu Art. 51 GrCh bestätigt, die gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV und Art. 52 Abs. 7 GrCh für deren Auslegung zu berücksichtigen sind (vgl. EuGH Urteil vom 22.12.2010 – Rs. C-279/09, DEB, Slg 2010, I-13849 = ZIP 2011, 143, Rdn. 32). Gemäß diesen Erläuterungen gilt die Verpflichtung zur Einhaltung der im Rahmen der Union definierten Grundrechte für die Mitgliedstaaten dann, wenn sie im Anwendungsbereich des Unionsrechts handeln. Die Anwendbarkeit des Unionsrechts umfasst somit die Anwendbarkeit der durch die Charta garantierten Grundrechte (EuGH Urteil vom 26.02.2013 – Rs. C-617/10, Frannson, NJW 2013, 1415 Rdn. 19-21).
Die für die Anwendung der Charta erforderliche „Durchführung des Rechts der Union“ liegt darin, dass die mitgliedstaatlichen Gerichte die Bestimmungen des Schengener Durchführungsübereinkommens, hier Art. 54 SDÜ, prüfen müssen. Denn dieses entfaltet seit seiner Einbeziehung durch das so genannte Schengen-Protokoll (Protokoll zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union, BGBl. 1998 II S. 429 ff.) zum Amsterdamer Vertrag vom 02.10.1997 (Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, ABl. EU Nr. C 340 vom 10.11.1997; BGBl. 1998 II S. 387 ff.) in den institutionellen Rahmen der Europäischen Union dieselben Rechtswirkungen wie sekundäres Unionsrecht (BVerfG NJW 2012, 1202 Rdn. 40 nach juris m. w. N.).
Streitig ist, ob die in Art. 55 Abs. 1 SDÜ vorgesehenen Vorbehalte erstens infolge der Einbeziehung des Schengen-Besitzstandes in das Unionsrecht und/oder zweitens nach Verbindlich-Werdung von Art. 50 EUGrCh im Zuge des Vertrages von Lissabon noch gültig sind. Es wird dazu die Ansicht vertreten, dass sich aus den einschlägigen Vorschriften zur Einbeziehung des SDÜ in den Rahmen der früheren Dritten Säule ein Wegfall der Vorbehalte ergebe. Rekurriert man auf Art. 50 EUGrCh dürfte es entscheidend darauf ankommen, wie man das Verhältnis zwischen den Gewährleistungen des Art. 54 SDÜ (und damit auch der Art. 55-58 SDÜ) einerseits und des Art. 55 SDÜ andererseits allgemein sieht, denn die Erläuterungen zur Charta hins. Art. 50 EUGrCh zählen nicht nur Art. 54, sondern auch Art. 55 bis Art. 58 SDÜ ausdrücklich auf (vgl. SLGH/Schomburg/Wahl, 6. Aufl. 2020, SDÜ Art. 55 Rn. 9 m.w. N.).
Diese Frage ist noch nicht abschließend geklärt. Der Europäische Gerichtshof hat sich in der Rechtssache K. (C-…/14) noch nicht damit befasst, inwieweit Art. 55 SDÜ zulässige Einschränkungen des Grundrechts aus Art. 50 EUGrCH enthält. In seinen Schlussanträgen v. 15.12.2015 zu diesem Fall (EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts/der Generalanwältin vom 15.12.2015, C-486/14, Celex-Nr. 62014CC0486; juris) hat jedoch der Generalanwalt B. die Auffassung vertreten, dass der in Art. 55 Abs. 1 lit. a) SDÜ vorgesehene Vorbehalt den Wesensgehalt des in Art. 50 EUGrCh genannten Grundsatzes ne bis in idem verletze und daher für ungültig zu erklären sei. Der Generalanwalt betonte vor allem das besondere Gewicht, welches dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung durch den EUGH in seiner mittlerweile ergangenen Rechtsprechung zum transnationalhorizontalen ne bis in idem-Prinzip beigemessen wird. Die Rechtsprechung des EUGH zu Art. 54 SDÜ erlaube es bereits, der substanziellen Unterschiedlichkeit von Straftaten Rechnung zu tragen; eine zusätzliche Anwendung des Territorialitätsvorbehalts würde das durch den EUGH geschaffene ne bis in idem-System aushöhlen.
Auch der hier in Rede stehende Vorbehalt der Bundesrepublik Deutschland stellt einen Territorialitätsvorbehalt dar, sodass die vorstehende Argumentation grundsätzlich auch auf Art. 55 Abs. 1 lit. b) SDÜ zuträfe.
SLGH/Schomburg/Wahl (a.a.O., Rn. 11) vertreten dazu die Auffassung, dass die Einschränkungen des Grundsatzes ne bis in idem in Art. 54 und 55 SDÜ durch die mittlerweile erfolgte Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts und des Ausbaus strafrechtlichen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten ihre Berechtigung verloren hätten und daher der Freiheit des Individuums der Vorzug zu geben sei.
Wenn Art. 55 Abs. 1 lit. b) SDÜ jedoch nach wie vor grundsätzlich Gültigkeit beansprucht, müssen sich diese Regelungen dann jedenfalls an Art. 52 EUGrCh messen lassen.
Nach Art. 52 Abs. 1 EUGRCh muss jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.
Der Senat neigt im Hinblick auf Art. 55 Abs. 1 lit. b) SDÜ i. V. m. der Erklärung der Bundesrepublik Deutschland bei der Ratifikation des SDÜ (BGBl. 1994 II, 631) zu der Auffassung, dass der hierdurch bewirkte Vorbehalt im Hinblick auf Straftaten nach § 129 StGB grundsätzlich eine solche gesetzlich vorgesehene Einschränkung i.S.v. Art. 52 Abs. 1 Satz 1 EUGrCh darstellt. Art. 52 Abs. 1 Satz 1 EUGrCh verlangt nicht, dass die Einschränkung nur unmittelbar durch eine Gesetzesnorm herbeigeführt werden darf; dem Wortlaut nach genügt es jedenfalls in formeller Hinsicht, dass sie auf einer gesetzlichen Grundlage – hier Art. 55 Abs. 1 lit. b) SDÜ – beruht. Wie bereits vorstehend ausgeführt ist nach Ansicht des Senats die Erklärung der Bundesrepublik Deutschland bei der Ratifikation des SDÜ im Hinblick auf § 129 StGB von dieser Ermächtigungsnorm gedeckt.
Die Verfolgung von Straftaten nach § 129 StGB dient, wie vorstehend bereits ausgeführt, dem Schutz des öffentlichen Friedens in der Bundesrepublik Deutschland und damit jedenfalls den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer.
Nach Art. 52 Abs. 7 EUGrCh sind die Erläuterungen, die als Anleitung für die Auslegung dieser Charta verfasst wurden, von den Gerichten der Union und der Mitgliedstaaten gebührend zu berücksichtigen.
In der Erläuterung zu Artikel 50 – Recht, wegen derselben Straftat nicht zweimal strafrechtlich verfolgt oder bestraft zu werden – ist unter Hinweis auf Art. 4 des Protokolls Nr. 7 zur EMRK, wonach der Grundsatz „ne bis in idem“ die Strafverfolgung durch einen weiteren Staat nicht ausschließt, falls neue oder neu bekannt gewordene Tatsachen vorliegen, u. a. ausgeführt, dass die Regel „ne bis in idem“ nicht nur innerhalb der Gerichtsbarkeit eines Staates, sondern auch zwischen den Gerichtsbarkeiten mehrerer Mitgliedstaaten Anwendung findet und dass dies dem Rechtsbesitzstand der Union entspricht. Weiter ist dort ausgeführt, dass die klar eingegrenzten Ausnahmen, in denen die Mitgliedstaaten nach den dort ausdrücklich genannten Übereinkommen, darunter auch das Schengener Durchführungsübereinkommen, von der Regel „ne bis in idem“ abweichen können, von der horizontalen Klausel des Artikels 52 Abs. 1 über die Einschränkungen abgedeckt sind. Im Zusammenhang mit dem Schengener Durchführungsübereinkommen wird dabei auf die gesamten Vorschriften der Art. 54 bis 58 SDÜ verwiesen, die bei Schaffung der EUGrCh bekannt waren und deren Weitergeltung – so die Auffassung des Senats – somit nicht angetastet werden sollte, auch wenn sich das Gemeinschaftsrecht und die strafrechtliche Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten des Schengener Durchführungsübereinkommens seit dessen In-Kraft-Treten bis dahin bereits erheblich fortentwickelt hatte.
III. Der Senat hält daher Art. 55 Abs. 1 lit. b) SDÜ i. V. m. der Erklärung der Bundesrepublik Deutschland bei der Ratifikation des SDÜ für eine weiterhin erforderliche und auch verhältnismäßige Einschränkung des durch Art. 50 EUGrCh garantierten Grundsatzes „ne bis in idem“ und neigt der Auffassung zu, dass die Vorlagefrage 1 zu bejahen und die Vorlagefrage 2 zu verneinen wäre (Eilentscheidung, hilfsweise beschleunigtes Verfahren).
Der Antrag, das Vorabentscheidungsersuchen dem Eilverfahren gemäß Art. 107 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen, wird wie folgt begründet:
Die Auslegungsfragen beziehen sich auf die Vorschriften zum „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ in Art. 67 ff. AEUV (vgl. Nr. 39 der Hinweise zur Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen durch die nationalen Gerichte, ABl. C 160 vom 28.05.2011, S. 5). Zu diesen gehört der auf Grundlage von Art. 31 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 34 Abs. 2 lit. d EU alter Fassung (= Art. 82 Abs. 1 AEUV) erlassene Art. 55 SDÜ ebenso wie Art. 50 EUGrCh.
Der Beschuldigte befindet sich jetzt zwar nicht mehr in österreichischer Übergabehaft, deren Grund in dem deutschen Auslieferungsersuchen auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls des Amtsgerichts – Ermittlungsrichter – Bamberg vom 11.12.2020 i. V. m. dem nationalen Haftbefehl des nämlichen Gerichts vom 08.12.2020 lag, die beide Gegenstand des Beschwerdeverfahrens vor dem Senat sind.
Es liegt somit zwar nicht mehr der in Art. 267 Abs. 4 AEUV genannte Fall des aktuellen Freiheitsentzugs in dem Verfahren vor dem Senat vor.
Jedoch droht dem Beschuldigten, auch wenn er Österreich mutmaßlich bereits verlassen hat und nach Israel zurückgekehrt ist, aufgrund der hier verfahrensgegenständlichen Haftbefehle jederzeit eine Verhaftung und Freiheitsentziehung, sobald er in den Schengen-Raum zurückkehren sollte. Seine Bewegungsfreiheit im Schengen-Raum ist daher bis auf weiteres konkret eingeschränkt.
Die Berechtigung zur Inhaftierung des Beschuldigten hängt von der Entscheidung der Vorlagefragen ab.
Würde entgegen der Auffassung des vorlegenden Senats vom Gerichtshof die Vorlagefrage 1 verneint oder würden vom Gerichtshof beide Vorlagefragen bejaht, so würde ein Verfolgungshindernis bestehen, sodass der Beschuldigte bei einer erneuten Einreise in den Schengen-Raum zu Unrecht in anderweitige Auslieferungshaft und anschließend in deutsche Untersuchungshaft genommen würde. Im Hinblick darauf ist nach Ansicht des Senats auch trotz Beendigung der österreichischen Übergabehaft eine besondere Dringlichkeit gegeben, die die Anwendung des Eilvorlageverfahrens gemäß Art. 107 Abs. 1, Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs rechtfertigt. Dieses bietet die Aussicht, mit entscheidungserheblichen Fragen des Europarechts verbundene Strafsachen zu einem zügigen Abschluss zu bringen Hilfsweise wird aufgrund der nämlichen Umstände auf die Durchführung des beschleunigten Verfahrens nach Art. 105 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs angetragen.


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