Strafrecht

Gerichtsbesetzung bei Haftentscheidungen

Aktenzeichen  2 Ws 185/18

Datum:
27.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 2549
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GVG § 30, § 76 Abs. 1

 

Leitsatz

Die Gerichtsbesetzung bei Haftentscheidungen bestimmt sich danach, ob die Entscheidung innerhalb oder außerhalb der Hauptverhandlung getroffen wird. Die Feststellung der nach § 76 Abs. 1, § 30 GVG zutreffenden Gerichtsbesetzung ist danach zu treffen, wann das Gericht zum ehestmöglichen Zeitpunkt eine sachgerechte Entscheidung treffen kann. Es entscheidet in der Zusammensetzung der Hauptverhandlung, wenn während der Hauptverhandlung am zügigsten eine sachgerechte Entscheidung getroffen werden kann, im Übrigen in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung. (red. LS Alexander Kalomiris)

Tenor

I. Die Beschwerde des Angeklagten K. gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 26.01.2018 wird als unbegründet verworfen.
II. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.
Gegen den Angeklagten findet seit 08.01.2018 vor der x. Strafkammer des Landgerichts München I als Hilfsschwurgerichtskammer die Hauptverhandlung wegen des Verdachts des versuchten Totschlags statt. Die Verhandlung wird fortgesetzt am 02.03.2018.
Im Fortsetzungstermin vom 26.01.2018 beantragte der Verteidiger die Aufhebung des Haftbefehls, hilfsweise die Außervollzugsetzung des Haftbefehls unter Auflagen.
Nach Stellungnahmen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage wurde die Sitzung um 16.30 Uhr unterbrochen und am selben Tag um 16.41 Uhr fortgesetzt. Sodann verkündete der Vorsitzende den Beschluss, mit dem der Antrag auf Aufhebung, hilfsweise Außervollzugsetzung des Haftbefehls abgelehnt wurde.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 01.02.2018 legte der Angeklagte gegen den Beschluss vom 26.01.2018 Beschwerde ein. Die Beschwerde wurde damit begründet, dass die Entscheidung in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung und damit ohne Mitwirkung der Schöffen hätte erfolgen müssen.
Das Landgericht München I hat mit Beschluss vom 05.02.2018 der Beschwerde nicht abgeholfen.
Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat Bezug auf den Auszug aus dem Protokoll vom Fortsetzungstermin am 26.01.2018 und die genannten Schriftsätze und Entscheidungen.
II.
Die Beschwerde des Angeklagten ist zulässig (§§ 304, 305 S. 2, 306 StPO), hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung entspricht im Ergebnis der Sach- und Rechtslage.
1. Die Kammer hat in der zutreffenden Besetzung, wie sie für in der Hauptverhandlungen getroffene Entscheidungen gilt, entschieden, § 76 Abs. 1 S. 1 GVG.
Über die richtige Besetzung der Kammer bei Haftentscheidungen während laufender Hauptverhandlungen besteht Streit. Nach einer Meinung ist stets in der Besetzung innerhalb der Hauptverhandlung – also mit ein bis drei Berufsrichtern und zwei Schöffen – zu entscheiden (dazu nachfolgend Ziff. 1.1), nach anderer Ansicht stets in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung durch drei Berufsrichter (dazu nachfolgend Ziff. 1.2). Nach einer vermittelnden Ansicht kommt es für die Besetzung auf den Zeitpunkt der Entscheidung an (dazu nachfolgend Ziff. 1.3; zum Streitstand vgl. Schultheis im Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Aufl. 2013, § 126 StPO, Rn 10).
Der Streit wurde maßgeblich durch die gesetzliche Änderung der Unterbrechungsfristen (§ 229 StPO) beflügelt. Während nach einem ursprünglichen Verständnis „während einer Hauptverhandlung“ alles erfasste, was in dem Zeitraum zwischen Beginn und Ende einer Hauptverhandlung geschah, waren Entscheidungen „außerhalb der Hauptverhandlung“ nur solche, die vor Beginn und nach Ende der Hauptverhandlung zu treffen waren. Dies war auch praktikabel, weil eine unterbrochene Hauptverhandlung nach früherer Rechtslage (§ 228 StPO idF. v. 01.02.1877, RGBl. 253) ohne jede Ausnahme spätestens am vierten Tag, später am 11. Tag (§ 229 StPO idF. v. 12.09.1950, BGBl. 455) fortzusetzen war (vgl. zum Ganzen und mwN: Gittermann in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, § 30 GVG, Rn. 13 ff., 14).
Nach nunmehr einhelliger Ansicht wird der Begriff „außerhalb“ als Gegensatz zur Hauptverhandlung verstanden. Einigkeit besteht auch darin, dass dem Begriff „Hauptverhandlung“ in §§ 30, 76 GVG die gleiche Bedeutung zukommt wie in den §§ 226 ff. StPO. Dort wiederum wird sie als die umfassende mündliche Verhandlung des Gegenstands der Anklage vor dem erkennenden Gericht definiert mit dem Ziel festzustellen, ob der angeklagte Sachverhalt sich so zugetragen hat. Bereits jede – beliebige – Unterbrechung führt danach zu einem Verfahrensstadium „außerhalb der Hauptverhandlung“ (Gittermann in Löwe-Rosenberg, aaO, Rn. 15).
1.1 Anders als die Kammer in ihrer Nichtabhilfeentscheidung vom 05.02.2018 annimmt, ist der Ansicht des Kammergerichts Berlin (B. v. 18.04.2016 – 4 Ws 40/16 – 141 AR 165/16, BeckRS 2016, 09295; anders dagegen noch KG B. v. 27.01.2015 – 3 Ws 656/14 – 141 AR 662/14, BeckRS 2015, 03311; ebenso auch OLG Koblenz, B. v. 20.01.2009 – 2 Ws 2/09, BeckRS 2010, 00266; OLG Köln B. v. 13.02.1998 – 2 Ws 93/98, NStZ 1998, 419), wonach Haftentscheidungen während einer laufenden – auch unterbrochenen – Hauptverhandlung stets unter Mitwirkung der an der Hautverhandlung beteiligten Richter einschließlich der Schöffen zu treffen sind, nicht zu folgen. Diese Ansicht ist mit der klaren Wertung des Gesetzes zur Gerichtsbesetzung (§§ 76 Abs. 1, 30 GVG) nicht vereinbar und im Hinblick auf das in Haftsachen geltende Beschleunigungsgebot kaum praktikabel, worauf das OLG Köln mit Beschluss vom 07.01.2009 (2 Ws 640-641/08, NStZ 2009, 589; unter Aufgabe seiner früheren Ansicht im B. v. 13.02.1998 -2 Ws 93/98, NStZ 1998, 419) zutreffend hinweist. Der Bundesgerichtshof hat diese Frage nur für die Gerichtsbesetzung bei erstinstanzlichen Verhandlungen vor Oberlandesgerichten in diesem Sinne entschieden, wobei hier die Besonderheit des § 122 Abs. 2 S. 1 GVG inmitten stand, und die Entscheidung für die Gerichtsbesetzung bei Schöffenbeteiligung ausdrücklich keine Gültigkeit für sich in Anspruch nimmt (BGH B. v. 30.04.1997 – StB 4/97, NJW 1997, 2531f.).
Aus dem verfassungsrechtlich verankerten Beschleunigungsgebot in Haftsachen ist eine jederzeitige Entscheidung des gem. § 126 Abs. 2 StPO zuständigen Haftgerichts auch außerhalb der Hauptverhandlung sicherzustellen, notfalls unter Hinzuziehung der geschäftsplanmäßigen Vertreter. Die im Gesetz dem Vorsitzenden eingeräumten Eilbefugnisse (§§ 125 Abs. 2 S. 2, 126 Abs. 2 S. 4 StPO) betreffen nicht den Fall einer regelmäßig während einer längeren Unterbrechung der Hauptverhandlung (§ 229 StPO) eintretenden Nichterreichbarkeit der daran beteiligten Richter und Schöffen (vgl. OLG Hamm B. v. 22.04.1998 – 3 Ws 182/98, StV 1998, 388).
Das einzig für diese Ansicht streitende Argument, dass die an der Hauptverhandlung beteiligten Richter und Schöffen gegenüber den nicht beteiligten weiteren Kammermitgliedern und ggf. den geschäftsplanmäßigen Vertretern einen persönlichen Eindruck aus der Hauptverhandlung gewinnen konnten und ihnen daher eine größere Kenntnis und erhöhte Entscheidungskompetenz zukommt, kann nicht durchgehend überzeugen. Denn je nach dem Stand der Hauptverhandlung im Zeitpunkt der Haftentscheidung kann die Kenntnis vom Prozessstoff der nicht beteiligten Berufsrichter aus dem Studium des in den Akten befindlichen Ermittlungsergebnisses größer sein, als die der Schöffen am ersten Verhandlungstag. Selbst wenn den Schöffen nach nunmehr vordringender Ansicht ein jedenfalls beschränktes Recht auf Akteneinsicht eingeräumt würde (BeckOK StPO/Goers GVG § 30 Rn. 3, beck-online; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl. 2017, § 30 GVG, Rn 2), könnte diese in Verhandlungsund Beratungspausen gewonnene Aktenkenntnis nicht den Stand der Aktenkenntnis der Berufsrichter erreichen (vgl. auch OLG Schleswig, B. v. 22.12.1989 – 2 Ws 675/89, BeckRS 9998, 34370).
Damit trägt die vom Kammergericht in dem Beschluss vom 18.04.2016 gegebenen Begründung nicht die dort vollzogene Kehrtwende in der eigenen Rechtsprechung (von „stets außerhalb“ im Beschluss vom 27.01.2015 zu „stets innerhalb“). Diese dürfte vielmehr dem Umstand geschuldet gewesen sein, dass im dort zu entscheidenden Ausnahmefall zufälligerweise keiner der entscheidenden Richter an der bereits laufenden Hauptverhandlung beteiligt war. Diese sich daraus ergebenden Fragen sind jedoch solche der Begründungstiefe (z.B. zu den Erkenntnisquellen hinsichtlich des dringenden Tatverdachts), nicht jedoch der Gerichtsbesetzung.
1.2 Der Gegenansicht, nach der die Strafkammer Haftentscheidungen während laufender Hauptverhandlung stets in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung zu treffen hat, (OLG Hamburg B. v. 02.10.1997 – 2 Ws 220-97, NJW 1998, 2988; verfassungsrechtlich gebilligt BVerfG B.v. 28.03.1998 – 2 BvR 2037-97, NJW 1998, 2962; BGH B.v. 11.01.2011 – 1 StR 648/10, BeckRS 2011, 03085), und der sich der Senat bislang grundsätzlich angeschlossen hat (OLG München B. 21.06.2010 – 2 Ws 503/10, BeckRS 2010, 16217; B. v.18.04.2007 – 2 Ws 347, 348/07, BeckRS 2007, 07922), kann nicht uneingeschränkt gefolgt werden. Zutreffend ist allerdings, dass in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung zu befinden ist, wenn die Entscheidung auch dort getroffen wird. Denn hier sieht das Gesetz eine Gerichtsbesetzung ohne Beteiligung der Schöffen vor, §§ 76 Abs. 1 S. 2, 30 Abs. 2 GVG.
Das Haftprüfungsverfahren ist nach der gesetzlichen Wertung in §§ 117, 118 StPO ein Verfahren neben der Hauptverhandlung. Demnach stehen Haftentscheidungen auch in keinem untrennbaren Zusammenhang zur Hauptverhandlung; insbesondere sind sie keine das Urteil unmittelbar vorbereitenden Entscheidungen und damit auch gesondert anfechtbar, § 305 S. 2 StPO. Auch aus § 118 Abs. 4 StPO ergibt sich insoweit nichts anderes. Vielmehr erkennt das Gesetz hier lediglich an, dass das Gericht in der Regel aus der laufenden Hauptverhandlung einen genügenden persönlichen Eindruck gewonnen hat; sollte dies im Einzelfall anders sein, ist das Gericht nicht gehindert, eine mündliche Haftprüfung durchzuführen (Graf in KK-StPO, 7. Aufl. 2013, § 118, Rn 4). Insofern wäre eine in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung getroffene Entscheidung – etwa durch die Berufsrichter des Schwurgerichts – als eine solche „anlässlich“ der Hauptverhandlung interpretierbar und wäre daher mit § 76 Abs. 1 GVG in Einklang zu bringen.
Allerdings erschwert diese Ansicht eine gebotene, unverzügliche Haftentscheidung innerhalb der Hauptverhandlung, wenn die Kammer in der Besetzung mit zwei Berufsrichtern oder als kleine Strafkammer tagt und die Besetzung der Kammer außerhalb der (Berufungs-)Hauptverhandlung nicht unverzüglich erreicht werden kann. Sie begibt sich auch ohne Not der Mitwirkung der die Endentscheidung mitverantwortenden Schöffen, deren Zuständigkeit für diese Entscheidungen nach §§ 76 Abs. 1 S. 1, 30 Abs. 1 GVG außer Frage steht. Eine Notzuständigkeit nach §§ 125 Abs. 2 S. 2, 126 Abs. 2 S. 4 StPO, könnte nach dieser Ansicht auch nur angenommen werden, wenn das Gericht ausreichende Versuche unternommen hat, in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung zusammenzutreten, um dem Prinzip des gesetzlichen Richters Genüge zu tun.
1.3 Die vorstehenden Ausführungen zeigen erhebliche Schwächen der um eine stets gleiche Besetzung der Kammer bei Haftentscheidungen bemühten Ansichten auf. Der Senat schließt sich in Fortentwickelung seiner bisherigen Rechtsprechung der bereits früher vielfach vertretenen, vermittelnden Auffassung (OLG Düsseldorf, B.v. 28.11.1983 – 2 Ws 643/83, MDR 1984, 424f.; Gittermann in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, § 30 GVG, Rn. 22-26; vgl. auch BGH zur Rechtsprechungspraxis der Oberlandesgerichte im B.v. 30.04.1997 – StB 4/97, NJW 1997, 2531) an, dass sich die Gerichtsbesetzung in Anwendung der Bestimmungen des GVG richtigerweise danach bestimmt, ob die Entscheidung innerhalb (§§ 76 Abs. 1 S. 1, 30 Abs. 1 GVG) oder außerhalb (§§ 76 Abs. 1 S. 2, 30 Abs. 2 GVG) der Hauptverhandlung getroffen wird. Dabei ergibt sich aus § 30 Abs. 1 GVG, dessen Rechtsgedanke auch auf die Strafkammer-Besetzung entsprechend anzuwenden ist, dass die Schöffen in der Hauptverhandlung auch an Entscheidungen mitwirken, die in keiner Beziehung zur Urteilsfällung stehen, wie es Haftentscheidungen sind. Diese Ansicht dürfte auch der überwiegenden Entscheidungspraxis der Amts- und Landgerichte entsprechen (vgl. Gittermann in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, § 30 GVG, Rn. 22).
Die unterschiedliche Zusammensetzung des zur Entscheidung berufenen Gerichts ist dabei ausdrücklich im Gesetz so vorgesehen. Die im Gesetz so angelegte – jedenfalls theoretische -Gefahr divergierender Entscheidungen unterschiedlich besetzter Spruchgremien ist hinzunehmen. Denn diese Gefahr besteht nicht nur auch bei der o. unter Ziff. 1.2 dargestellten Lösung (vgl. OLG Hamburg, B.v. 02.10.1997 – 2 Ws 220-97, NJW 1998, 2988), wenn (stets) in Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung entschieden wird, im Fall des § 268b StPO aber von Gesetzes wegen zwingend unter Beteiligung der Schöffen, sondern ebenfalls bei allen (Haft-)Entscheidungen vor Beginn und nach Ende der Hauptverhandlung, an denen die Schöffen – unstreitig – niemals mitwirken, so dass auch in diesem Fall die unterschiedliche Besetzung zu einem anderen Ergebnis z.B. bzgl. der nach § 268b StPO getroffenen Entscheidung führen kann.
Anders als etwa im Fall der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens gem. § 199 StPO, die bis auf den Ausnahmefall des § 266 StPO vor der Hauptverhandlung und damit außerhalb derselben zu erfolgen hat (vgl. BGH B.v. 15.08.2017 – 4 StR 250/17, BeckRS 2017, 130280), wird die Frage, wann eine Haftentscheidung innerhalb oder außerhalb der Hauptverhandlung zu treffen ist, im Gesetz nicht näher beantwortet. Auch aus der Zuständigkeitszuweisung für die Haftkontrolle in § 126 Abs. 2 StPO ergibt sich hierzu nichts. Den deswegen gegen die hier vertretene Auffassung angemeldeten Bedenken im Hinblick auf den gesetzlichen Richter und die dabei eröffneten Manipulationsmöglichkeiten (OLG Hamburg B.v. 02.10.1997 – 2 Ws 220-97, NJW 1998, 2988; BGH B.v. 11.01.2011 – 1 StR 648/10, BeckRS 2011, 03085; vgl. auch Gittermann in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, § 30 GVG, Rn. 17) ist jedoch das aus dem Grundrecht der Freiheit der Person in Art. 2 Abs. 2 GG folgende Beschleunigungsgebot in Haftentscheidungen entgegenzuhalten. Beide Verfassungsprinzipien haben großes Gewicht und sind zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen (Gittermann in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, § 30 GVG, Rn. 22). Soweit das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 28.03.1998 (2 BvR 2037-97, NJW 1998, 2962) die vom OLG Hamburg im B. v. 02.10.1997 vertretene Ansicht verfassungsrechtlich nicht beanstandet hat, hat es zugleich ausgeführt, dass die Auslegung unklarer, daher auslegungsbedürftiger Regelungen über den gesetzlichen Richter durch die Spruchkörper vom Verfassungsgericht hingenommen werden muss.
Die Feststellung der nach §§ 76 Abs. 1, 30 GVG zutreffenden Gerichtsbesetzung ist daher unter Anwendung des bei Haftsachen geltenden Beschleunigungsgebots danach zu treffen, wann das Gericht zum ehestmöglichen Zeitpunkt eine sachgerechte Entscheidung treffen kann. Es entscheidet über einen innerhalb oder außerhalb der Hauptverhandlung gestellten Haftprüfungsantrag (vgl. BGH B.v. 30.04.1997, NJW 1997, 2531f., 2532), ebenso über einen Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Haftbefehls oder von Amts wegen gem. § 120 Abs. 1 S. 1 StPO in der Zusammensetzung der Hauptverhandlung, wenn während der Hauptverhandlung am zügigsten eine sachgerechte Entscheidung getroffen werden kann, im Übrigen in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung.
Danach sind etwa in der Hauptverhandlung gestellte Haftprüfungsanträge in derselben zu entscheiden, wenn sich die für die Haftentscheidung wesentlichen Informationen aus dem Ergebnis dieser Verhandlung ergeben und keine zusätzlichen Ermittlungen von Amts wegen (z.B. zu den Voraussetzungen einer Außervollzugsetzung) erforderlich werden oder die Frage keiner weiteren – etwa rechtlichen – Prüfung bedarf. Dies wird häufig bei den dringenden Tatverdacht betreffenden Erwägungen der Fall sein, oder, betreffend den Erlass eines Haftbefehls, wenn durch eine Zeugenvernehmung der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr im Raum steht und eine sofortige Entscheidung erfordert.
Der Grund für die Annahme seiner Zuständigkeit für die Entscheidung innerhalb oder außerhalb der Hauptverhandlung hat das Gericht in der Entscheidungsbegründung – spätestens auf entsprechende Rüge in der Abhilfeentscheidung – darzulegen, um den Anschein einer Manipulation auszuschließen. Dabei spricht eine Vermutung dafür, dass das Gericht in der Besetzung innerhalb der Hauptverhandlung zur Entscheidung in der Lage und damit berufen war, wenn der Antrag in der Hauptverhandlung gestellt wurde und das Gericht über diesen Antrag in der Hauptverhandlung in zeitlicher Nähe entschieden hat, wie dies vorliegend der Fall ist. Ebenso wird eine nähere Begründung entbehrlich sein, wenn ein während einer längeren Unterbrechung gestellter Antrag in dieser Zeit durch die Kammer in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung entschieden wird. Eine nähere Begründung wäre in Fällen erforderlich, in denen sich die zutreffende Gerichtsbesetzung nicht derart offensichtlich erschließt.
Nach Ansicht des Senats ist durch das Begründungserfordernis – und der damit jederzeit möglichen Überprüfung – der Vorwurf einer willkürlichen Gerichtsbesetzung auszuschließen. Sollte die hier nach den Regelungen des Gerichtsverfassungsgesetzes vertretene Ansicht verfassungsrechtliche Bedenken hervorrufen, wovon der Senat jedoch – wie dargestellt – nicht ausgeht, so wäre der Gesetzgeber berufen, eine eindeutige gesetzliche Regelung zu finden.
2. In der Sache ist die Entscheidung nicht zu beanstanden und wird in der Beschwerdebegründung auch nicht angegriffen, auch wenn sich die Verteidigung „für den Fall einer neuerlich zu ergehenden Entscheidung die Abgabe einer ausführlichen schriftlichen Begründung zum dringenden Tatverdacht“ vorbehalten hat.
Die Kammer hat ihre im Fortsetzungstermin vom 26.01.2018 getroffene Entscheidung dahingehend begründet, dass nach vorläufiger Würdigung der Einlassung des Angeklagten und der Beweisaufnahme nach wie vor der dringende Verdacht eines versuchten Totschlags, einer gefährlichen Körperverletzung und einer vorsätzlichen Körperverletzung bestehe. Damit hat die Kammer zum Ausdruck gebracht, dass das bisherige Ergebnis der Beweisaufnahme nicht von dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen, wie es in der Anklageschrift vom 20.10.2017 zusammengefasst und vom Senat in seiner Haftfortdauerentscheidung vom 23.11.2017 (Gz. 2 Ws 1471/17 H) gewürdigt worden ist, derart abweicht, dass eine andere Entscheidung veranlasst wäre.
Es gilt der Grundsatz, dass das Beschwerdegericht die vorläufige Bewertung des bisherigen Ergebnisses der Beweisaufnahme durch das Tatgericht nicht auf ihre Richtigkeit überprüfen (vgl. BVerfG Beschluss vom 23.1.2008 – 2 BvR 2652/07, BeckRS 2008, 31928; BGH B.v. 08.10.2012 -StB 9/12, NStZ-RR 2013, 16; KG StV 2001, 689) und folgerichtig in die – auf dieser Grundlage vorgenommene – Beurteilung des dringenden Tatverdachts durch das Tatgericht nur dann eingreifen und diese durch eine abweichende eigene Entscheidung ersetzen kann, wenn der Inhalt der angefochtenen Haftentscheidung offensichtlich fehlerhaft ist, weil der dringende Tatverdacht aus tatsächlich oder rechtlich nicht vertretbaren Gründen bejaht oder verneint wird (KG Beschluss vom 01.03.2016 – 4 Ws 6/16, BeckRS 2016, 09292, beck-online).
Dies entbindet das Tatgericht jedoch nicht davon, seine Haftfortdauerentscheidung zu begründen und auf konkrete Einwendungen einer Beschwerde spätestens in der Abhilfeentscheidung substantiiert einzugehen, um so dem Beschwerdegericht eine ausreichende Grundlage für die Überprüfung der angegriffenen Entscheidung zu geben (vgl. BGH NStZ-RR 2013, 16ff., 17).
Nachdem die Beschwerde keine näheren Einwendungen erhoben hat, war die Begründung der angegriffenen Entscheidung ausreichend und die Einschätzung zur Beweislage vom Beschwerdegericht nicht in Zweifel zu ziehen.
3. Es bestand keine Veranlassung, dem Angeklagten erneut rechtliches Gehör zu gewähren, weil sein Verteidiger offensichtlich – zu Unrecht – der Entscheidung aus formellen Gründen bereits keinen Bestand eingeräumt hat.
Im Beschwerdeverfahren sind vielmehr alle Gesichtspunkte vorzutragen, die den Bestand der Entscheidung berühren können. Beschränkt sich der Beschwerdeführer auf wenige Gesichtspunkte, so kann er nicht damit gehört werden, dass diese anders beurteilt werden als von ihm gedacht und er sonst weitere Gründe nachgeschoben hätte.
Letztlich entstehen dem Angeklagten dadurch auch keine Nachteile, weil er mit einem erneuten Haftprüfungsantrag nicht ausgeschlossen wäre und ein Anspruch auf mündlichen Verhandlung gem. § 118 Abs. 4 StPO ohnehin nicht besteht. Zudem wäre dem erkennenden Gericht der neue Vortrag – gerade soweit er den dringenden Tatverdacht berühren sollte – erneut mit der Gelegenheit zur Abhilfe und erforderlichenfalls Ergänzung seiner Begründung zuzuleiten, so dass eine Beschleunigung der Entscheidung durch die nachträgliche Gewährung rechtlichen Gehörs nicht zu erwarten ist.
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.

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