Strafrecht

Kein missbräuchlicher Gebrauch von medizinisch verordnetem Cannabis

Aktenzeichen  RN 8 S 19.657

Datum:
17.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 37226
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 11 Abs. 7
VwGO § 67 Abs.1, § 80 Abs. 5, § 88, § 113 Abs. 1 S. 1
StVG § 3 Abs. 1
GKG § 52, § 53 Abs. 2 Nr. 2
RDGEG § 3, § 5
FeV Nr. 9.6.2 Anl. 4

 

Leitsatz

1. Nach § 11 Abs. 7 FeV i.V.m. Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV ist derjenige nicht fahrgeeignet, der psychoaktiv wirkende Arzneimittel und andere psychoaktiv wirkende Stoffe (mithin auch medizinisch verordnetes Cannabis) missbräuchlich einnimmt (regelmäßiger übermäßiger Gebrauch). (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Abhängigkeit, die durch einen bestimmungsgemäßen (Dauer-)Gebrauch von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln entstanden ist, ist unter Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV „Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen unter das erforderliche Maß bei Dauerbehandlung mit Arzneimitteln“ zu subsumieren (vgl. BayVGH, B. v. 5.7.2019 – 11 CS 19.1210, BeckRS 2019, 14390). (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 1 des Bescheides des Landratsamtes D. vom 26. März 2019 wird
wiederhergestellt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtschutzes gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis durch das Landratsamt (LRA) D.
Der am … 1987 geborene Antragsteller war zuletzt Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen von Fahrzeugen der Klassen B, M, L und S. Mit Schreiben vom 6. Februar 2018 legte die Kriminalpolizeiinspektion D. – K 4 dem LRA D. unter anderem einen Ermittlungsbericht vor, wonach gegen den Antragsteller wegen illegalen Handels von Cannabis einschließlich Zubereitungen in nicht geringer Menge u. a. ermittelt werde. Er stehe im Verdacht, drei Postsendungen mit insgesamt 300 g Marihuana an eine andere Person versandt zu haben. Anlässlich einer Wohnungsdurchsuchung seien beim Antragsteller zudem 464,6 Gramm geerntetes Marihuana aus einem illegalen Anbau in dessen Wohnung sowie drei zur Trocknung aufgehängte Cannabispflanzen sichergestellt worden. Der Antragsteller sei außerdem im Besitz eines Betäubungsmittelrezeptes (Zweitschrift, datierend vom 2. Juni 2017) zum Erwerb von Cannabisblüten (Cannabisblüten mit einem THC-Gehalt von 14% zum täglichen therapeutischen Konsum von 100 mg mittels Verdampfen und Inhalieren) gewesen. Hierzu hat der Antragsteller bei seiner Beschuldigtenvernehmung erklärt, dass er medizinischer Cannabispatient sei. Er leide an einer psychischen Erkrankung und werde von seinem Hausarzt, Dr. St…, therapiert.
Auf Bitte des LRA D., bei der Führerscheinstelle vorzusprechen, wurden dem LRA am 16. März 2018 ein ärztliches Attest von Dr. med. St… vom 14. März 2019, ein Cannabinoidausweis, ausgestellt auf den Antragsteller, sowie ein Betäubungsmittelrezept über 5 Gramm Cannabisblüten, ausgestellt am 14. März 2018, vorgelegt. Mit Urteil des Amtsgerichts Deggendorf vom 10. Juli 2018 wurde der Antragsteller unter anderem wegen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Mit Schreiben des LRA D. vom 15. Oktober 2018 wurde der Antragsteller aufgefordert, zur Ausräumung der aufgetretenen Zweifel an seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bis zum 15.11.2017 ein ärztliches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zu folgender Fragestellung vorzulegen:
„Liegt bei Herrn S… eine Erkrankung vor, die nach Nr. 7 zur Anlage FeV die Fahreignung in Frage stellt?
Wenn ja: ist Herr S… (wieder) trotz der Einnahme der vorgenannten Betäubungsmittel / Medikamente in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der o.g. Klassen vollständig gerecht zu werden?
Handelt es sich um eine drogeninduzierte Erkrankung?
Liegen körperliche und / oder geistige Beeinträchtigungen vor, die mit der Einnahme von Betäubungsmitteln bzw. fahreignungsrelevanten Arzneimitteln in Zusammenhang gebracht werden können?
Liegt ein (missbräuchlicher) Beigebrauch von psychoaktiven Stoffen vor?
Liegt eine ausreichende Adhärenz (Compliance; z.B. Krankheitseinsichtigkeit, regelmäßige/überwachte Medikamenteneinnahme [Hinweise auf – ggf. selbstinduzierte – Unter- oder Überdosierung] usw.) vor?
Sind Beschränkungen und/oder Auflagen erforderlich, um den Anforderungen an das Führen eines Kraftfahrzeuges (je Fahrerlaubnisklassengruppe) weiterhin gerecht zu werden?
Ist bzw. sind insbesondere (eine) fachlich einzelfallbegründete Auflage(n) nach Anlage 4 (z.B. ärztliche Kontrollen, Nachuntersuchung) erforderlich? In welchem zeitlichen Abstand und wie lange? Was soll regelmäßig kontrolliert und attestiert werden? Sind die Ergebnisse der Fahrerlaubnisbehörde vorzulegen; wenn ja, warum?
Ist eine fachlich einzelfallbegründete (je Fahrerlaubnisklassengruppe) Nachuntersuchung i.S. einer erneuten (Nach-)Begutachtung erforderlich? Wenn ja, in welchem zeitlichen Abstand?
Liegt – vor dem Hintergrund einer möglichen Wahrnehmungsbeeinträchtigung / der Dauerbehandlung mit Betäubungsmitteln / Arzneimitteln (Cannabis) – die erforderliche Leistungsfähigkeit (Belastbarkeit, Orientierungsleistung, Konzentrationsleistung, Aufmerksamkeitsleistung und Reaktionsfähigkeit) zum sicheren Führen eines Kraftfahrzeuges je Fahrerlaubnisklassengruppe vor?
Ist andernfalls eine Kompensation zu prüfen oder wird die Möglichkeit einer Kompensation (z.B. wegen Kumulation von Mängeln) ausgeschlossen?
Ist unter Berücksichtigung besonderer Umstände (z.B. grenzwertige Prozentränge, gesundheitliche Risikofaktoren, altersbedingter Leistungsabbau) eine fachlich einzelfallbegründete Nachuntersuchung der Leistungsfähigkeit (je Fahrerlaubnisklassengruppe) notwendig? Wenn ja, in welchem zeitlichen Abstand?
Die Gutachtensanordnung wurde auf § 11 Abs. 2 FeV i.V.m. Anlage 4 Nr. 7 und 9.6.2 FeV gestützt.
In dem daraufhin vorgelegten ärztlichen Gutachten der TÜV S. L2. Service GmbH, Service Center D., das vom 10. Januar 2019 datiert (Untersuchung am 7. Dezember 2018) wird zum ärztlichen Untersuchungsgespräch u.a. ausgeführt (Gutachten S. 8 f.): Der Antragsteller habe angegeben, dass er wegen seiner psychischen Erkrankung in ärztlicher Behandlung sei und medizinisches Cannabis als Medikament einnehme. Die Symptome Kraftlosigkeit, Schwindel, Magenprobleme und Schlafstörungen habe er „schon immer“ gehabt. 2013 sei er für mehrere Wochen teilstationär behandelt worden. Er habe wegen der diagnostizierten Depression und wegen eines burn outs Citalopram erhalten, das er aber nicht vertragen habe. Eine angefangene Gesprächstherapie habe er nach wenigen Terminen aufgehört, da ihm das nicht gepasst habe. Weiter habe er verschiedene Medikamente ausprobiert, die aber nichts geholfen hätten. Ende 2015 habe er Cannabis ausprobiert, Cannabis-Blüten hätten eine gute Wirkung gehabt und seine überreizten Nerven geglättet. Wegen des fehlenden Geldes habe er beschlossen, das Cannabis selber anzubauen. Auf das Cannabis als Medikament sei er über einen Spezialisten in Nordrhein-Westfalen gekommen. Er konsumiere das Cannabis über einen Verdampfer, manchmal esse er die Blüten auch. Das Cannabis glätte seine Nerven, eine Rauschwirkung spüre er nicht. Lediglich in den ersten Monaten der Einnahme sei er vorsichtig gewesen. Ob er Autofahren könne, entscheide er nach Wohlbefinden. Die Analyse der von Herrn S… abgegebenen Urinprobe ergab keinen Nachweis von Drogen oder Medikamenten, insbesondere konnten keine Cannabinoide festgestellt werden. Die Gutachterin erläuterte hierzu (Gutachten S. 14): „Völlig unklar ist der negative Befund für Cannabinoide im Urinscreening. Bei der angegebenen regelmäßigen Einnahme der Cannabisblüten nach ärztlicher Vorschrift und der Angabe der Einnahme am Abend zuvor, kann der Urin hier nicht unauffällig sein. Möglicherweise hat Herr S… das Cannabis im Vorfeld doch abgesetzt, um zum Beispiel gute Voraussetzungen für die Leistungstestung zu schaffen.“ Daneben stellt die Gutachterin fest, dass der Antragsteller die Cannabiswirkung völlig unkritisch einschätze. Es bleibe somit offen, ob er in der Lage sei, jederzeit kritisch zu überprüfen, ob er trotz des täglichen Cannabiskonsums zu jeder Zeit fahrgeeignet sei. Zusammenfassend beantwortete die Gutachterin die Fragestellung wie folgt:
„Bei Herrn S… liegt keine Erkrankung vor, die nach Nr. 7 der Anlage 4 FeV die Fahreignung in Frage stellt.
Herr S… ist wegen der Einnahme von Betäubungsmitteln/Medikamenten (Cannabisblüten) nicht in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 (…) vollständig gerecht zu werden.
Es handelt sich nicht um eine drogeninduzierte Erkrankung.
Körperliche und/oder geistige Beeinträchtigungen liegen nicht vor, die mit der Einnahme von Betäubungsmitteln bzw. fahreignungsrelevanten Arzneimitteln in Zusammenhang gebracht werden können. Allerdings ist die Leistungstestung vom Begutachtungstag nicht aussagekräftig, da sie nicht unter Cannabismedikation durchgeführt wurde.
(…)
Es liegt keine ausreichende Adhärenz (Compliance; z.B. Krankheitseinsicht, regelmäßige / überwachte Medikamenteneinnahme [Hinweise auf – gegebenenfalls selbstinduzierte – Unter- oder Überdosierung] usw.) vor.
Liegt – vor dem Hintergrund einer möglichen Wahrnehmungsbeeinträchtigung / der Dauerbehandlung mit Arzneimitteln – die erforderliche Leistungsfähigkeit (Belastbarkeit, Orientierungsleistung, Konzentrationsleistung, Aufmerksamkeitsleistung und Reaktionsfähigkeit) zum sicheren Führen eines Kraftfahrzeugs je Fahrerlaubnisklassengruppe vor? – Diese Frage kann nicht beantwortet werden, da Herr S… in der Zeit vor der Begutachtung kein Cannabis eingenommen hat.“
Im Rahmen des Anhörungsverfahrens ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten erklären, dass er seinen Führerschein erst einmal fristgerecht abgebe und auf die Fahrerlaubnis freiwillig verzichte, dies aber nur befristet für die nächsten drei Monate. Nachdem das LRA D. dem Bevollmächtigten des Antragstellers mehrfach mitgeteilt hatte, dass ein befristeter Verzicht nicht möglich sei, entzog es dem Antragsteller mit Bescheid vom 26. März 2019 die Fahrerlaubnis aller Klassen (Ziffer 1). Die sofortige Vollziehung von Ziffer 1 wurde angeordnet (Ziffer 2). Zur Begründung wird u.a. ausgeführt, dass durch die Begutachtung die Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers nicht hätten ausgeräumt werden können. Es liege nach dem Gutachten zwar keine Erkrankung nach Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV vor, der Antragsteller sei aber wegen der Einnahme von Betäubungsmitteln / Medikamenten (Cannabisblüten) nicht in der Lage, den Anforderungen zum Führen eines Kraftfahrzeugs gerecht zu werden. Es liege ein missbräuchlicher regelmäßiger Cannabiskonsum vor, weshalb die Fahrerlaubnis ohne weitere Aufklärung zu entziehen gewesen sei.
Mit dem am 11. April 2019 beim Verwaltungsgericht Regensburg eingegangenen Schriftsatz seines Bevollmächtigten hat der Antragsteller gegen den Bescheid des LRA D. Klage erheben (Az. RN 8 K 19.658) und außerdem um vorläufigen Rechtsschutz nachsuchen lassen. Zur Begründung wird insbesondere vorgebracht: Der Antragsteller nehme zur Behandlung seiner seit Kindheit vorliegenden psychischen Erkrankung Cannabis ausschließlich aus medizinischen Gründen ein. Er sei noch nie im Straßenverkehrt unter Cannabis auffällig geworden. Die Gutachterin beim TÜV Bayern habe keinerlei Erfahrungen mit dem medizinischen Einsatz von Cannabis und sei daher nicht zu einem eindeutigen Ergebnis gekommen. Dieses Gutachten habe dem Antragsgegner aber ausgereicht, um die Fahrerlaubnis zu entziehen. Der Antragsteller würde in eine Existenzgefährdung geraten, sollte er im Eilverfahren keinen Erfolg haben.
Es wird beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen Zif. 2 des Bescheids des LRA D. vom 26. März 2019 anzuordnen.
Für den Antragsgegner beantragt das LRA D., den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen das zur Begründung des Bescheids vom 26. März 2019 Ausgeführte wiederholt und vertieft. Ergänzend wird u.a. noch ausgeführt: Beim Antragsteller sei wegen der regelmäßigen Einnahme von Cannabis die Fahreignung nicht gegeben. Zwar sei bei einer ärztlich verordneten Therapie mit Cannabis eine einzelfallorientierte Beurteilung der Fahreignung unter Würdigung der individuellen Aspekte erforderlich, nach der begründeten Aussage des Gutachters könne der Antragsteller aber den Anforderungen des Straßenverkehrs nicht vollständig gerecht werden.
Zur Ergänzung der Sachverhaltswiedergabe wird auf den weiteren Inhalt der gewechselten Schriftsätze und des vorgelegten Behördenakts Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig und begründet.
Der Antrag wird nach dem eindeutig aus Antrags- und Klagebegründung erkennbaren Rechtsschutzziel dahingehend ausgelegt (§ 88 VwGO), dass die aufschiebende Wirkung gegen Ziffer 1 (nicht Ziffer 2) des Bescheids des LRA D. wiederhergestellt werden soll.
Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen belastenden Verwaltungsakt grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung, wenn die sofortige Vollziehung durch die den Verwaltungsakt erlassende Behörde besonders angeordnet wird. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann dann das Gericht der Hauptsache in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz. 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen.
1. Zwar hat das LRA A…, das die sofortige Vollziehung von Ziffer 1 des Bescheids vom 26. März 2019 angeordnet hat, das besondere Interesse an der Anordnung des Sofortvollzugs hinreichend begründet.
Gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen, in denen die Behörde nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO den Sofortvollzug anordnet, das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Die schriftliche Begründung soll den Betroffenen in die Lage versetzen, seine Rechte wirksam wahrnehmen und die Erfolgsaussichten seines Rechtsmittels abschätzen zu können. Außerdem soll die Begründungspflicht der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollzugsanordnung vor Augen führen und sie veranlassen, zu prüfen, ob tatsächlich ein überwiegendes Vollzugsinteresse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfordert. Daraus folgt, dass die Begründung nicht lediglich formelhaft sein darf, sondern die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen darlegen muss, die die Annahme eines besonderen öffentlichen Vollzugsinteresses tragen.
Davon ist im vorliegenden Fall auszugehen. Das LRA D. hat in hinreichendem Umfang dargelegt, warum es aus seiner Sicht erforderlich war, die in Ziffer 1 des Bescheids vom 26. März 2019 verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis für sofort vollziehbar zu erklären. Würde auf die Anordnung der sofortigen Vollziehung verzichtet, könnte der Antragsteller bei Ausschöpfung des Rechtsweges noch über längere Zeit Kraftfahrzeuge führen, obwohl er hierfür die erforderliche Eignung nicht besitze. Er würde damit ein hohes Sicherheitsrisiko für alle anderen Verkehrsteilnehmer darstellen. Die Anordnung des Sofortvollzugs sei damit auch Ausdruck der staatlichen Pflicht zum Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes. Im Übrigen sind die Umstände, aus denen sich die Fahrungeeignetheit des Fahrerlaubnisinhabers ergeben, regelmäßig auch geeignet, gleichzeitig das besondere öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug der angeordneten Fahrerlaubnisentziehung zu begründen (vgl. BayVGH, B.v. 27.10.2005 – 11 CS 05.1967; BayVGH, B.v. 14.12.1994 – 11 AS 94.3847 – BayVBl 1995, 248). Ist ein Fahrerlaubnisinhaber ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, liegt es auf der Hand, dass ihm im Hinblick auf die Gefährlichkeit seiner Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr und der zu schützenden Rechtsgüter wie Leben und körperliche Unversehrtheit der anderen Verkehrsteilnehmer grundsätzlich sofort das Führen von Kraftfahrzeugen untersagt werden muss. Im Bereich des Sicherheitsrechts, zu dem das Fahrerlaubnisrecht gehört, kann sich die Behörde zur Rechtfertigung der sofortigen Vollziehung darauf beschränken, die für diese Fallgruppen typische Interessenlage aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass diese Interessenlage auch im konkreten Fall vorliegt; allein der Umstand, dass die im streitgegenständlichen Bescheid angesprochenen Gesichtspunkte auch in einer Vielzahl von anderen Fällen zur Rechtfertigung der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit verwendet werden können, führt deshalb nicht dazu, dass ein Verstoß gegen § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO vorliegt (vgl. BayVGH, B.v. 24.8.2010 – 11 CS 10.1139; BayVGH, B.v. 10.3.2008 – 11 CS 07.3453).
2. Die vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung ergibt aber, dass das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs das öffentliche Interesse am Sofortvollzug überwiegt.
Für diese Interessenabwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten in der Hauptsache maßgeblich. Führt eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache dazu, dass der Rechtsbehelf offensichtlich Erfolg haben wird, so kann kein Interesse der Öffentlichkeit oder anderer Beteiligter daran bestehen, dass der mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrige Verwaltungsakt sofort vollzogen wird. Wird der Hauptsacherechtsbehelf umgekehrt aller Voraussicht nach erfolglos bleiben, weil nach der im vorläufigen Rechtschutzverfahren gebotenen summarischer Prüfung keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen, kann der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abgelehnt werden, ohne dass es einer zusätzlichen Interessenabwägung bedarf. Denn der Bürger hat grundsätzlich kein schutzwürdiges privates Interesse daran, von der Vollziehung eines offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben, ohne dass es darauf ankommt, ob der Vollzug dringlich ist oder nicht (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 11 CS 08.3273, m.w.N.).
Im vorliegenden Fall spricht nach summarischer Prüfung alles dafür, dass die Klage gegen Ziffer 1 des Bescheids vom 26. März 2019 erfolgreich sein wird (vgl. unter a. und b.). Es sind auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass gleichwohl ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit am Sofortvollzug des Bescheids bestehen würde (vgl. unter c.):
a. Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 FeV. Danach ist (kein Ermessensspielraum) die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies ist nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann der Fall, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegt und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist.
Das LRA D. ist davon ausgegangen, dass der Antragsteller nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i.V.m. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, weil er regelmäßig missbräuchlich Cannabis konsumiert. Gemäß Nr. 9.2.1 fehlt bei der regelmäßigen Einnahme von Cannabis die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Durch die Begutachtung vom 7. Dezember 2018 hätten nach Ansicht des LRA D. die zuvor bestehenden Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers nicht ausgeräumt werden können. Für die Annahme von regelmäßigem Cannabiskonsum seien die vom Antragsteller gemachten Angaben bei der Untersuchung ausreichend (…Er konsumiere Cannabis über einen Verdampfer, manchmal esse er die Blüten auch. Er nehme sie täglich abends in der Menge von 100 mg ein… Sein letzter Konsum sei gestern Abend [Anm: 6.12.2018] gewesen.). Auch bei seiner Beschuldigtenvernehmung vom 7. November 2017 bei der Kriminalpolizei D. habe der Antragsteller angegeben, dass er seit etwa zwei Jahren Cannabisprodukte konsumiere. Es erscheine auch nicht möglich, dass der Antragsteller nach dem feststehenden Verlust der Fahreignung wieder fahrgeeignet geworden sei. Denn der entsprechend der Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV in der Regel zurückzulegende Zeitraum einer einjährigen Abstinenz sei noch nicht abgelaufen.
Die (zutreffenden) Feststellungen des LRA D. zu den eigenen Angaben des Antragstellers bezüglich seines Konsumverhaltens lassen sich allerdings nicht in Einklang bringen mit den toxikologischen Befunden bei der ärztlichen Untersuchung. Hierbei wurde der Urin des Antragstellers (Urinabgabe erfolgte unter Sichtkontrolle) auf Drogen und Benzodiazepine untersucht. Die Analyse erbrachte keinen Nachweis einer der untersuchten Substanzen, insbesondere konnten keine Cannabinoide (=THC-Abbauprodukte) festgestellt werden. THC-Abbauprodukte sind im Urin gewöhnlich noch nach Tagen, mitunter sogar einige Wochen nachweisbar. Abhängig ist dies von Art und Dosis der eingenommenen Substanz, von der Regelmäßigkeit und Dauer des Konsums und von individuellen Faktoren wie Alter, Gewicht, Allgemeinzustand und genetischer Veranlagung (vgl. etwa: Labor Staber, abzurufen unter www.l…de/pat-d…php). Wissenschaftliche Versuche zeigten, dass chronische Konsumenten bei streng kontrollierter Abstinenz bis zu 46 Tage in Folge positiv auf Cannabinoide im Urin untersucht wurden (Internationale Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin, abzurufen unter: www.c..s-med.org/index.php?tpl=faq& red=faqlist& id=103& lng=de). Bei dem vom Antragsteller angegebenen regelmäßigen Konsum über mehrere Jahre hinweg ist demnach nicht nachvollziehbar, wie es zu einem negativen Befund für Cannabinoide kommen kann. Wie die Gutachterin selbst angibt, können damit die Leistungstests am Untersuchungstag auch keine Aussage über die Leistungsfähigkeit des Antragstellers für den Fall treffen, dass der Antragsteller unter dem Einfluss von Cannabis ein Fahrzeug führt.
Es hätte damit weiterer Nachforschungen hinsichtlich des Konsumverhaltens des Antragstellers, gegebenenfalls durch Analyse einer Haarprobe, bedurft, um nachzuweisen, dass der Antragsteller tatsächlich regelmäßig – oder z.B. entgegen seiner eigenen Einlassung nur gelegentlich – Cannabis konsumiert. In Haaren lässt sich die Einnahme von Drogen oder Medikamenten auch noch nach Monaten nachweisen. Mit Hilfe der (ggf.) gefundenen Substanzkonzentration kann festgestellt werden, in welchem Maß in der Vergangenheit Drogen aufgenommen wurden und wie das Konsumverhalten (häufig, regelmäßig, täglich) ausgesehen haben muss. Lediglich einmalige Drogenaufnahmen können bei einer Haaranalyse unter Umständen unentdeckt bleiben (vgl. Labor Staber, a.a.O.).
b. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller seine Fahreignung nach § 11 Abs. 7 FeV i.V.m. Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV bzw. § 11 Abs. 7 FeV i.V.m. Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV verloren hat.
Zwar hat das LRA D. die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht auf § 11 Abs. 7 FeV i.V.m. Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV oder auf § 11 Abs. 7 FeV i.V.m. Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV gestützt. Die Frage, ob ein angefochtener Bescheid rechtmäßig ist, richtet sich aber, sofern höherrangiges oder spezielleres Recht nichts Abweichendes vorgibt, nach dem Recht, das geeignet ist, seinen Spruch zu tragen. Erweist sich dieser aus anderen als den im Bescheid angegebenen Rechtsgründen als rechtmäßig, ohne dass diese anderen Rechtsgründe wesentliche Änderungen des Spruchs erfordern würden, dann ist der Verwaltungsakt nicht im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO rechtswidrig (vgl. BayVGH, B. v. 29.4.2019 – 11 B 18.2482 – juris).
Die Voraussetzungen des § 11 Abs. 7 FeV i.V.m. Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV liegen nicht vor. Denn nach diesen Vorschriften ist derjenige nicht fahrgeeignet, der psychoaktiv wirkende Arzneimittel und andere psychoaktiv wirkende Stoffe (mithin auch medizinisch verordnetes Cannabis) missbräuchlich einnimmt (regelmäßiger übermäßiger Gebrauch). Aus den oben dargelegten Gründen steht aber gerade nicht fest, dass der Antragsteller das ihm verordnete Cannabis missbräuchlich eingenommen hätte.
Ebenso wenig kann die Entziehung der Fahrerlaubnis auf § 11 Abs. 7 FeV i.V.m. Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV gestützt werden. Zwar ist eine Abhängigkeit, die durch einen bestimmungsgemäßen (Dauer-)Gebrauch von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln entstanden ist, ist unter Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV „Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen unter das erforderliche Maß bei Dauerbehandlung mit Arzneimitteln“ zu subsumieren (vgl. BayVGH, B. v. 5.7.2019 – 11 CS 19.1210, Rndr. 13). Für eine solche Abhängigkeit ergeben sich aber weder aus dem vorgelegten Gutachten der TÜV S. L2. Service GmbH, noch aus anderen Unterlagen, die der Fahrerlaubnisbehörde vorlagen, entsprechende Anhaltspunkte.
c. Nach summarischer Prüfung spricht damit alles dafür, dass die Klage gegen Ziffer 1 des Bescheids vom 26. März 2019 erfolgreich sein wird. Dass es gleichwohl überwiegende öffentliche Interessen gibt, die für eine Beibehaltung der sofortigen Vollziehung des Bescheids streiten, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich. Insbesondere ist der Antragsteller nach Aktenlage zu keinem Zeitpunkt wegen Drogenkonsums im Straßenverkehr auffällig geworden. Zudem wiesen die Leistungstests im Rahmen der ärztlichen Begutachtung durchgehend positive Ergebnisse auf.
Nach allem war dem Antrag daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 GKG.


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