Strafrecht

Mord: Vorliegen einer “anderen” Straftat als Voraussetzung eines Verdeckungsmordes

Aktenzeichen  6 StR 134/20

Datum:
22.9.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2020:220920B6STR134.20.0
Normen:
§ 211 Abs 2 StGB
Spruchkörper:
6. Strafsenat

Verfahrensgang

vorgehend LG Neubrandenburg, 9. Januar 2020, Az: 21 Ks 5/19

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 9. Januar 2020 aufgehoben
a) im Fall II.B.3 der Urteilsgründe; jedoch haben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen Bestand;
b) im Gesamtstrafenausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen “Mordes durch Unterlassen“ in Tateinheit mit Körperverletzung mit Todesfolge und schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen (Fall II.B.3) sowie wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in zwei Fällen zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Die gegen das Urteil gerichtete, auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
Die Verurteilung wegen Verdeckungsmordes (§ 211 Abs. 2 StGB) hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
1. Das Landgericht hatte auf der Grundlage der zu Fall 3 getroffenen Feststellungen keine Zweifel, dass dem Angeklagten gerade wegen der massiven Gewalteinwirkung gegen den Kopf seiner Stieftochter die hiermit verbundene konkrete Gefahr des Todeseintritts bewusst war. „Inwieweit er zu diesem Zeitpunkt allerdings schon ihren Tod billigend in Kauf genommen hat, konnte die Kammer nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit feststellen“ (UA S. 59). Aufgrund der massiven Kopfverletzungen geriet das Kind in den nächsten Stunden in einen immer lebensbedrohlicheren Zustand. Der Angeklagte erkannte dies, unterließ es jedoch, notärztliche Hilfe anzufordern, um die vorausgegangene massive Misshandlung zu verdecken.
4
2. Die oben zitierte Wendung lässt besorgen, dass das Landgericht gegen den Zweifelsgrundsatz verstoßen hat. Nach ständiger Rechtsprechung fehlt es an einer für das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht erforderlichen „anderen” Straftat, wenn der Täter das Tatopfer zunächst mit (bedingtem) Tötungsvorsatz misshandelt und es anschließend unterlässt, zur Verdeckung dieses Geschehens Maßnahmen zur Rettung des überlebenden Opfers einzuleiten, selbst wenn zwischen dem Handlungs- und Unterlassensteil eine zeitliche Zäsur liegt (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 2009 – 1 StR 73/09, NStZ-RR 2009, 239; Urteil vom 14. Dezember 2006 – 4 StR 419/06, StraFo 2007, 123, 124; Urteil vom 12. Dezember 2002 – 4 StR 297/02, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Verdeckung 15). Danach schiede eine Verurteilung wegen Verdeckungsmordes aus, wenn der Angeklagte bereits die Vortat mit Tötungsvorsatz begangen hätte. Diese Möglichkeit hat das Landgericht nicht ausgeschlossen.
5
3. Die Aufhebung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung der hierfür verhängten Einzelstrafe und der Gesamtstrafe nach sich. Die von dem Rechtsfehler nicht berührten, rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können aufrechterhalten bleiben; das neue Tatgericht kann ergänzende, zu ihnen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen treffen.
6
4. Das neue Tatgericht wird für den Fall, dass Tötungsvorsatz schon im Zeitpunkt der Schläge festgestellt wird, das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe in den Blick zu nehmen haben.
Sander     
        
König     
        
Feilcke
        
von Schmettau     
        
Fritsche     
        


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