Strafrecht

Neuerliche Strafaussetzung aufgrund behandlungsbedingt eingetretener Stabilisierung der Täterpersönlichkeit

Aktenzeichen  3 OLG 8 Ss 58/16

Datum:
23.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StGB StGB § 56 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Werden Straftaten während einer Bewährungszeit begangen, ist zwar eine erneute Strafaussetzung zur Bewährung nicht von vornherein ausgeschlossen. Allerdings muss es sich bei den Umständen, die der Tatrichter zum Beleg seiner Erwartung einer straffreien Lebensführung des Angeklagten trotz des Bewährungsversagens heranzieht, um solche handeln, die zeitlich der Tatbegehung nachfolgten. (amtlicher Leitsatz)
2. Stützt der Tatrichter eine positive Sozialprognose auf eine “Stabilisierung der allgemeinen psychische Situation” des unter Bewährung stehenden Angeklagten infolge einer psychiatrischen und medikamentösen Behandlung, ist dies nur dann rechtsfehlerfrei, wenn hinreichende tatsächliche Feststellungen zu Art und Ausmaß der psychischen Situation getroffen sind und überdies ein Zusammenhang mit der Delinquenz des Angeklagten erwiesen ist. (amtlicher Leitsatz)
3. Das Revisionsgericht kann die Entscheidung des Tatgerichts nur auf Ermessensfehler und Rechtsirrtümer überprüfen. (redaktioneller Leitsatz)

Gründe

Zum Sachverhalt:
Das AG verurteilte den Angekl. wegen Diebstahls in 3 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten. Auf seine wirksam auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkte Berufung hat das LG die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: „Der Angekl. geht in dem von ihm ausgeübten Beruf vollständig auf; der Verlust seines Arbeitsplatzes würde mehr als bei anderen Personen zum Verlust der psychischen Stabilität führen. Der Angekl. hat es erst in letzter Zeit geschafft, sich […] vom Einflussbereich seines Elternhauses abzugrenzen […], um so an Selbstvertrauen zu gewinnen, so dass der auf ihm […] lastende seelische Druck nachlässt und nicht mehr zu erwarten ist, dass er in konflikthaften Situationen irrational mit neuen Straftaten reagiert. Hierzu hat auch das sich nunmehr gut entwickelte und vertiefte Verhältnis zum Bewährungshelfer beigetragen sowie der Umstand, dass die psychische Situation des Angekl. durch die begleitende psychiatrische und insbesondere medikamentöse Behandlung stabilisiert werden konnte. […] In Anbetracht seiner außergewöhnlichen, nahezu kindhaften Persönlichkeitsstruktur haben die Angst um den Verlust seines geliebten Arbeitsplatzes und das neuerliche Gerichtsverfahren nach Überzeugung der Kammer auf den Angekl. nunmehr einen derartigen Eindruck gemacht, dass auch die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der erkannten Freiheitsstrafe nicht gebietet.“ Die gegen die Berufungsentscheidung zu Ungunsten des Angeklagten geführte, mit der Sachrüge begründete Revision der StA führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache.
Aus den Gründen:
Die zulässige Revision ist erfolgreich, weil die Ausführungen der Berufungskammer zur günstigen Legalprognose nach § 56 I StGB rechtsfehlerhaft sind.
1. Wie die Strafzumessung ist auch die Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung grundsätzlich Sache des Tatrichters. Ihm steht bei der Beantwortung der Frage, ob die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen ist, weil zu erwarten ist, dass der Angekl. sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (§ 56 I StGB), ein weiter Bewertungsspielraum zu, in dessen Rahmen das Revisionsgericht eine rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung hinzunehmen hat. Das Revisionsgericht kann die Entscheidung deshalb grundsätzlich nur auf Ermessensfehler und Rechtsirrtümer überprüfen (vgl. nur BGH, Urt. v. 22.07.2010 – 5 StR 204/10 = NStZ-RR 2010, 306 sowie Senatsurteile v. 24.01.2012 – 3 Ss 126/11 [bei juris], 12.11.2013 – 3 Ss 106/13 = OLGSt StGB § 56 Nr. 23 und v. 28.01.2014 – – 3 Ss 118/13 [unveröffentlicht]), was dann der Fall ist, wenn unzutreffende Maßstäbe angewandt, nahe liegende Umstände übersehen oder festgestellte Umstände fehlerhaft gewichtet wurden (vgl. Fischer StGB 63. Aufl. § 56 Rn. 11 m. w. N.).
2. Die Begründung des LG für seine Erwartung, der Angekl. werde sich schon allein die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen (§ 56 I 1 StGB), hält angesichts dieses Maßstabs einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Für eine günstige Täterprognose nach § 56 I StGB kommt es auf die im Zeitpunkt der tatrichterlichen Verhandlung zu bejahende Erwartung künftiger straffreier Lebensführung an, wobei für diese Erwartung eine durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit sprechen muss. Hierzu hat der Tatrichter eine erschöpfende individuelle Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen, welche Rückschlüsse auf das künftige Verhalten des Täters zulassen. Bei einem Angekl., der trotz bewilligter Strafaussetzung zur Bewährung erneut straffällig geworden ist, kann vor allem dann, wenn er – wie hier – zeitnah nach solchen Entscheidungen und während offener Bewährung weitere Straftaten begeht, in der Regel nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit erwartet werden, dass er sich anders als in der Vergangenheit verhalten wird (vgl. BGHR StGB § 56 I Sozialprognose 9). Straftaten während der Bewährungszeit belegen vielmehr, dass die frühere Prognose falsch war, weshalb eine erneute günstige Prognose nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Gesichtspunkte infrage kommen kann (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung 5. Aufl. Rn. 212). Zwar ist in diesen Fällen eine erneute Bewährung nicht von vornherein ausgeschlossen (BGH NStZ-RR 2005, 38; BGHR StGB § 56 I Sozialprognose 15 und BGH NStZ-RR 2010, 306; KG VRS 114, 23 [2008], OLG Bamberg a. a. O.). Indes muss es sich bei den Umständen, die der Tatrichter zum Beleg seiner Erwartung einer straffreien Lebensführung des Angekl. in Zukunft heranzieht, um solche handeln, die zeitlich der Tatbegehung nachfolgten. Lagen die Gesichtspunkte, die an sich bei isolierter Betrachtung für eine günstige Sozialprognose sprechen können, dagegen schon im Zeitpunkt der Tatbegehung vor, sind diese grundsätzlich nicht geeignet, die durch das Bewährungsversagen indizierte negative Kriminalprognose zu entkräften. Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als die verfahrensgegenständlichen Taten nur wenige Monate nach dem Eintritt der Rechtskraft der Vorverurteilung, aufgrund der der Angekl. unter Bewährung stand, begangen wurden.
b) Derartige nachträgliche Umstände, die trotz des Bewährungsversagens gleichwohl die Erwartung rechtfertigen könnten, dass sich der Angekl. nunmehr die jetzige Verurteilung zur Warnung dienen lässt und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten begehen wird, zeigt das angefochtene Urteil indes nicht in rechtsfehlerfreier Weise auf.
aa) Soweit das LG die Strafaussetzung zur Bewährung auf den vom Angekl. ausgeübten Beruf stützt, stellt dies bereits keinen neuen Umstand im genannten Sinne dar. Denn ausweislich der Urteilsfeststellungen besteht das Arbeitsverhältnis seit dem Jahr 2005. Es war damit weder geeignet, den Angekl. von der Begehung der verfahrensgegenständlichen Taten noch derjenigen Taten abzuhalten, die der Vorverurteilung zugrunde lagen. Aus welchen Gründen die Angst vor einem Arbeitsplatzverlust nunmehr eine Läuterung des Angekl. herbeigeführt haben soll, wird durch die Berufungskammer nicht belegt.
bb) Auch die Erwägungen, mit denen das LG die von ihm angenommene positive Sozialprognose auf ein Nachlassen des „vom Angekl. gefühlten Drucks“ stützt, der von seinen Eltern ausgegangen sei, sind nicht tragfähig. Diesem Umstand käme allenfalls dann bei der Beurteilung der Kriminalprognose Bedeutung zu, wenn belegt wäre, dass der ursprünglich von ihm „gefühlte Druck“ (mit-)auslösend für die Straffälligkeit des Angekl. in der Vergangenheit war. Das LG belegt aber schon nicht hinreichend mit Tatsachen, was darunter zu verstehen sein soll, dass der Angekl. einen von seinen Eltern ausgehenden „psychischen Druck“ empfunden habe. Aufgrund dieser lückenhaften Darstellung ist es dem Senat von vornherein nicht ermöglicht, eine etwaige Kausalität zwischen der nur diffus angesprochenen psychischen Drucksituation und seiner Delinquenz zu überprüfen. Nur wenn eine solche aber gegeben gewesen wäre, könnte einer (ebenfalls nicht näher erläuterten) Änderung dieser Situation die gebotene Relevanz in Bezug auf die Sozialprognose möglicherweise zukommen.
cc) Soweit das Berufungsgericht ein Indiz für eine positive Sozialprognose in dem Umstand sieht, dass die „allgemeine psychische Situation“ des Angekl. durch begleitende „psychiatrische und medikamentöse Behandlung“ stabilisiert werden konnte, gilt ähnliches. Auch insoweit fehlt es bereits an der Darstellung der nur pauschal erwähnten, aber nicht mit Fakten untermauerten „psychischen Situation“ und deren Auswirkungen auf die Delinquenz des Angekl. Ferner hätte die Frage, ob eine psychiatrische sowie medikamentöse Behandlung erforderlich ist und welche Auswirkungen diese auf das Sozialverhalten des Angekl. im Allgemeinen und seine straffreie Lebensführung im Besonderen hat, näher geklärt werden müssen. Im Falle eines nach den bisherigen Feststellungen nicht belegten kausalen Zusammenhangs zwischen der psychischen Disposition des Angekl. und der von ihm begangenen Taten könnte zwar die Verbesserung seines psychischen Zustands gegebenenfalls eine abweichende Einschätzung der Legalprognose im Sinne des § 56 I StGB rechtfertigen. Dies würde aber zusätzlich voraussetzen, dass auch die bisher erreichten „Behandlungserfolge“ vom Tatrichter konkret ermittelt und im Urteil näher dargestellt werden. […]


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