Strafrecht

Nichtbeibringung eines psychologischen Gutachtens – MPU

Aktenzeichen  Au 7 K 16.265

Datum:
19.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV FeV § 11 Abs. 3 Nr. 4, 5, 5, 7, Abs. 8, § 46 Abs. 1, Abs. 3
StVG StVG § 3 Abs. 1
VwGO VwGO § 166
ZPO ZPO § 114 S. 1

 

Leitsatz

Der Schluss von der nicht fristgerechten Beibringung des von der Fahrerlaubnisbehörde geforderten Gutachtens auf die Nichteignung des Betroffenen gemäß § 11 Abs. 8 S. 1 FeV ist nur dann zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (Fortführung BVerwG BeckRS 2005, 28693). (redaktioneller Leitsatz)
Für die Beurteilung des Rechtmäßigkeit einer Gutachtensbeibringungsanordnung kommt es auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Anordnung an (Fortführung VGH München BeckRS 2015, 47050). (redaktioneller Leitsatz)
In das Fahreignungsregister einzutragende Taten sind verwertbar und dürfen dem Betroffenen vorgehalten werden, solange sie dort eingetragen sind (Fortführung BVerwG BeckRS 2005, 29713). (redaktioneller Leitsatz)
Eine Bedrohung iSd § 241 StGB, eine Beteiligung an einer Schlägerei, ein Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz, Beleidigungen und Körperverletzungen und ein Hausfriedensbruch können geeignet sein, ein aggressives, sozial grob inadäquates Verhalten des Betroffenen zu zeigen und damit gemäß § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 und 7 FeV Fahreignungszweifel zu begründen bzw. zu bestärken. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt … wird abgelehnt.

Gründe

I.
Nach einem Entzug der Fahrerlaubnis durch das Amtsgericht … wurde dem Kläger die Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, L, M und S durch die Fahrerlaubnisbehörde des Beklagten am 4. Mai 2006 neu erteilt.
Im Rahmen diverser Strafverfahren gegen den Kläger wurde der Fahrerlaubnisbehörde bekannt, dass der Kläger an einer psychischen Erkrankung leidet. Der gerichtlich bestellte Betreuer des Klägers übermittelte dem Beklagten mit Schreiben vom 3. Juni 2015 das ärztliche Attest des BKH … vom 28. Mai 2015. Darin wird u. a. ausgeführt, dass sich der Kläger dort seit 18. Juni 2013 in ambulantpsychiatrischer Behandlung befinde. Diagnostisch handle es sich um eine F33.2 depressive Episode schwer, mit psychotischen Anteilen, gegenwärtig remittiert.
Mit Schreiben des Beklagten vom 16. Juni 2015 wurde der Kläger aufgefordert, ein fachärztliches Gutachten eines Arztes in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung einzureichen, welches die Frage klären soll, ob er trotz des Vorliegens einer Erkrankung, welche nach Anlage 4 FeV die Fahreignung in Frage stellt, (wieder) in der Lage sei, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen gerecht zu werden. Das am 4. September 2015 beim Beklagten eingegangene Gutachten der … GmbH vom 28. August 2015 führt unter „IV. Bewertung der Befunde“ u. a. aus, nach dem ärztlichen Bericht des BKH … vom 28. Mai 2015 sei weder eine sehr intensive Therapie, wie sie bei einer schwerwiegenden depressiven Episode mit psychotischer Symptomatik üblicherweise erforderlich sei, noch ein mehrfach rezidivierendes Auftreten der depressiven Symptomatik zu entnehmen. Angesichts des aktuellen Befundes, der verordneten Medikamente und der anamnestischen Angaben des Klägers kämen Zweifel auf bezüglich der Schwere der depressiven Erkrankung. Insbesondere auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Behörde im Rahmen von Strafverfahren auf die Erkrankung aufmerksam geworden sei, liege die Vermutung nahe, dass möglicherweise die Schwere der Erkrankung aggraviert worden sei, in der Annahme, sich hierdurch eventuelle Vorteile im Rahmen der Strafverfolgung zu verschaffen. Dies sei jedoch letztlich spekulativ und aus den vorliegenden Berichten nicht mit Sicherheit zu beweisen. Die Fragestellung (V. des Gutachtens) wurde dahingehend beantwortet, dass der Kläger trotz des Vorliegens einer Erkrankung (depressive Episode mit psychotischen Anteilen) wieder in der Lage sei, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 gerecht zu werden. Als Auflage müsse entsprechend der FeV empfohlen werden, dass der Kläger bis zu einer verkehrsmedizinischen Kontrolluntersuchung in den nächsten drei Jahren in halbjährlichen Abständen Bescheinigungen vorzulegen habe, die bestätigen dass er in fachärztlicher psychiatrischer Behandlung stehe, frei von depressiven Symptomen sei und sich regelmäßigen ärztlichen Kontrollen der einzunehmenden Medikamente unterziehe.
Mit Schreiben vom 24. September 2015 forderte die Fahrerlaubnisbehörde den Kläger unter Berufung auf § 11 Abs. 3 Nr. 4 bis 7 FeV auf, bis zum 25. November 2015 ein psychologisches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung über seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen (Psychologischer Teil der MPU) beizubringen. Die Zweifel an der Fahreignung wurden damit begründet, dass der Kläger sowohl im Straßenverkehr als auch außerhalb davon regelmäßig seine Gleichgültigkeit hinsichtlich der Gesundheit und des Eigentums anderer Personen sowie der Einhaltung von Regeln gezeigt habe. Dies ergebe sich aus den angedrohten und teilweise auch durchgeführten teils schweren Körperverletzungen sowie der Unfallflucht. Auch gegen die Grundregel jedes Autofahrers, dass nur Personen mit einer gültigen Fahrerlaubnis aktiv am Straßenverkehr teilnehmen dürften, habe er regelmäßig und vorsätzlich verstoßen. Hierzu wurden etliche aktenkundig gewordene Vorfälle und Verurteilungen aus dem Zeitraum 22. März 2004 bis 8. Juni 2015 geschildert. Zudem wurde auf einen aktuellen Auszug aus dem Fahreignungsregister vom 9. September 2015 verwiesen, aus dem sich ergibt, dass (seit der Neuerteilung der Fahrerlaubnis am 4.5.2006) neben 36 Punkten wegen des Führens eines Kraftfahrzeugs trotz Beschlagnahme des Führerscheins in sechs Fällen (Strafbefehl des Amtsgerichts … vom 16.9.2013, rechtskräftig seit 9.10.2013) noch sechs Verkehrsordnungswidrigkeiten, begangen im Zeitraum Februar 2011 bis Februar 2015, mit je einem Punkt eingetragen sind. Dabei handelt es sich in fünf Fällen jeweils um Geschwindigkeitsüberschreitungen außerhalb geschlossener Ortschaften.
Das Gutachten solle folgende Frage klären:
„Ist trotz der aktenkundigen (erheblichen) Straftaten (Nötigung in zwei tatmehrheitlichen Fällen, einmal in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung in Tatmehrheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort /Bedrohung /gefährliche Körperverletzung in Tatmehrheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr in Tatmehrheit mit falscher Verdächtigung /mehrmaliges vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis teilweise in Tateinheit mit vorsätzlichem Gebrauch eines Kraftfahrzeugs ohne Haftpflichtversicherung /Vorsätzliches Fahren trotz Beschlagnahme des Führerscheins in sechs Fällen /mehrmals Hausfriedensbruch, Bedrohung, Beleidigung /Beleidigung und Körperverletzung) sowie der regelmäßigen Verkehrszuwiderhandlungen im Ordnungswidrigkeitenbereich (aktuell im FAER erfasst: fünf Geschwindigkeitsüberschreitungen, einmal Fahren ohne Winterreifen) zu erwarten, dass Herr … die geistigen Anforderungen an das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs der Gruppe 1 (FE-Klasse B) im Verkehr erfüllt und dass er nicht erheblich gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen wird?“
Der Kläger wurde u. a. darauf hingewiesen, dass von seiner Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgegangen werden müsse, wenn er sich weigere, sich der geforderten Begutachtung zu unterziehen. Dies hätte zur Folge, dass die Feststellung seiner Nichteignung dann zur Entziehung der Fahrerlaubnis führe.
Diese Anordnung wurde dem Betreuer und Bevollmächtigten des Klägers laut Empfangsbestätigung am 29. September 2015 zugestellt.
Mit Schreiben vom 9. Oktober 2015 (unterschrieben vom Kläger und seinem Betreuer/Bevollmächtigten) erklärte sich der Kläger mit der Durchführung der geforderten Begutachtung einverstanden und benannte den … GmbH in … als Gutachter. Mit Schreiben vom 20. November 2015 teilte der Klägerbevollmächtigte mit, dass der Kläger den Termin zur Fahreignungsbegutachtung am 1. Dezember 2015 wahrnehmen werde. Die Begutachtungsstelle sandte mit Schreiben vom 21. Dezember 2015 die Fahrerlaubnisunterlagen zurück. Der Beklagte forderte den Klägerbevollmächtigten mit Schreiben vom 22. Dezember 2015 dazu auf, das Gutachten vorzulegen. Mit weiterem Schreiben des Beklagten vom 11. Januar 2016 wurde um Vorlage des Gutachtens bis zum 19. Januar 2016 gebeten und u. a. mitgeteilt, dass bei Nichtvorlage des Gutachtens auf die Nichteignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen werde. Im Aktenvermerk vom 18. Januar 2016 ist festgehalten, dass der Kläger telefonisch mitgeteilt habe, dass das Gutachten negativ sei und er es nicht abgebe. Er wolle eine Vorbereitung und dann nochmals eine MPU machen. Am 19. Januar werde er zwecks Verzichtes zur Fahrerlaubnisbehörde kommen.
Mit Bescheid vom 22. Januar 2016 entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Kläger die Fahrerlaubnis aller Klassen (Ziffer 1 des Bescheidtenors) und ordnete unter Androhung eines Zwangsgelds die Ablieferung des Führerscheins spätestens fünf Tage nach Zustellung des Bescheids (Ziffer 2 und 3 des Bescheidtenors) sowie die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 des Bescheids an (Ziffer 4).
Der Bescheid wurde dem Bevollmächtigten des Klägers laut Empfangsbekenntnis am 26. Januar 2016 zugestellt.
Am 2. Februar 2016 ging der Führerschein des Klägers beim Beklagten ein.
Mit Fax-Schreiben vom 22. Februar 2016 ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage zum bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erheben und beantragen:
Der Bescheid des Landratsamtes … vom 22. Januar 2016 wird aufgehoben.
Gleichzeitig wurde beantragt,
dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten zu bewilligen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die psychische Erkrankung stehe der Teilnahme des Klägers am Straßenverkehr nicht entgegen. Nach Auffassung des Klägers bilde seine stationäre Behandlung im BKH … im Zeitraum 31. Juli 2013 bis 9. August 2013 eine Zäsur. Ab diesem Zeitpunkt zeige sich der Kläger krankheitseinsichtig und erst seit dieser Behandlung erfolge eine medikamentöse Einstellung. Die vom Beklagten herangezogenen Vorfälle aus dem Zeitraum 2008 bis August 2013 seien aufgrund Zeitablaufs, insbesondere aber im Hinblick auf die vorstehend dargelegte Zäsurwirkung der psychiatrischen Behandlung nicht relevant. Damit sei der Beklagte nicht berechtigt gewesen, vom Kläger die Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens zu fordern. Der Beklagte könne daher die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht auf die nicht erfolgte Vorlage einer für den Kläger positiven medizinischpsychologischen Untersuchung stützen.
Der Beklagte beantragte mit Schreiben vom 7. März 2016,
die Klage abzuweisen.
Die Auffassung der Klägerseite, dass durch den BKH-Aufenthalt im Jahr 2013 eine Zäsur sämtlicher zuvor begangener Taten erfolgt sei, werde nicht gefolgt. Es gelten hier die Tilgungs- bzw. Verwertungsfristen des Fahreignungs-Registers. Hiernach seien neben den sechs Ordnungswidrigkeiten noch aktuell auch vier Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr erfasst und somit verwertbar. Gleiches gelte für die Eintragungen im Führungszeugnis nach § 31 BZRG, welches am 17. Juni 2014 insgesamt sechs Eintragungen enthalten habe. Hinzu kämen weitere Straftaten, von deren Verfolgung nur deshalb abgesehen worden sei, weil die Verurteilungen im Verhältnis zu einer anderen zu erwartenden Verurteilung nicht mehr erheblich ins Gewicht gefallen seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 166 VwGO i. V. m. § 114 S. 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Ausreichend ist hierfür eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolgs, ansonsten wäre die verfassungsrechtlich garantierte Chancengleichheit von Bemittelten und Unbemittelten bei der Rechtsverfolgung nicht hergestellt (vgl. BayVGH vom 21.11.2007, Az 24 C 07. 2525).
Ausgehend hiervon liegen im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht vor. Es spricht nichts für einen Erfolg der Klage.
Der Bescheid vom 22. Januar 2016, mit welchem dem Kläger die Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, L, M und S entzogen wurde, ist rechtmäßig und kann ihn demnach nicht in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet oder bedingt geeignet ist, so finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung.
Unter anderem kann die Fahrerlaubnisbehörde nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 bis 7 FeV bei einem erheblichen Verstoß oder wiederholten Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften (§ 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV), bei einer erheblichen Straftat, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht oder bei Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen (§ 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV), bei einer erheblichen Straftat, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung steht, insbesondere wenn Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotential bestehen oder die erhebliche Straftat unter Nutzung eines Fahrzeugs begangen wurde (§ 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV) oder bei Straftaten, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stehen, insbesondere wenn Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotential bestehen (§ 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV), die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zur Klärung von Eignungszweifeln anordnen.
Der Schluss auf die Nichteignung ist jedoch nur zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2001 – 3 C 13.01 – NJW 2002, 78; vom 9.6.2005 – 3 C 25.04 – NJW 2005, 3081).
Die Gutachtensanordnung vom 24. September 2015 erweist sich nach summarischer Prüfung als rechtmäßig.
a) Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Gutachtensbeibringungsanordnung kommt es auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Anordnung an (BayVGH, B.v. 27.5.2015 – 11 CS 15.645 – juris m. w. N.).
b) Am 24. September 2015 bestand in mehrfacher Hinsicht dringender Grund zu der Annahme, dass der Kläger aufgrund seiner im Zeitraum März 2004 bis Juni 2015 begangenen Straftaten und verkehrsrechtlichen Ordnungswidrigkeiten zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet sein könnte.
Bereits die Verurteilung des Klägers durch Strafbefehl des Amtsgerichts … vom 16. September 2013 (Az: …, rechtskräftig seit 9. Oktober 2013, Bl. 316/317 der Behördenakte) wegen des Führens eines Kraftfahrzeugs trotz Beschlagnahme des Führerscheins in sechs Fällen begründet Zweifel an seiner Fahreignung gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV, da es sich hierbei zweifellos um Straftaten – und zwar in erheblicher Anzahl (sechs Fälle) – handelt, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen.
Der Beklagte ist bei der Gutachtensanordnung auch zutreffend davon ausgegangen, dass die mit Strafbefehl des Amtsgerichts … vom 4. Januar 2005 (Bl. 11-14 der Behördenakte) geahndeten Straftaten vom 22. März 2004 und 3. Oktober 2004 (Nötigung in zwei tatmehrheitlichen Fällen, einmal in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr in Tatmehrheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung in Tatmehrheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort), die u. a. zum Entzug der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) führten, Fahreignungszweifel (s. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 und 7 FeV) begründen und auch noch berücksichtigungsfähig sind.
Denn die Eintragung der Taten vom 22. März 2004 und 3. Oktober 2004 ist noch nicht tilgungsreif. Sie unterliegt nach der Übergangsvorschrift des § 65 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 StVG bis 30. April 2019 weiterhin den Tilgungsvorschriften des § 29 StVG in der bis zum Ablauf des 30. April 2014 anwendbaren Fassung (StVG a. F.). Nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVG a. F. betragen die Tilgungsfristen bei Straftaten mit Entziehung der Fahrerlaubnis zehn Jahre. Die Tilgungsfrist beginnt gemäß § 29 Abs. 4 Nr. 1 StVG a. F. mit dem Tag der Unterzeichnung des Strafbefehls durch den Richter. Nach § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG a. F. beginnt die Tilgungsfrist bei der Versagung oder Entziehung der Fahrerlaubnis wegen mangelnder Eignung, der Anordnung einer Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuchs (StGB) – wie hier geschehen – aber erst mit der Erteilung oder Neuerteilung der Fahrerlaubnis, spätestens jedoch fünf Jahre nach der beschwerenden Entscheidung oder dem Tag des Zugangs der Verzichtserklärung bei der zuständigen Behörde (sog. Anlaufhemmung). Die 10-jährige Tilgungsfrist begann im Falle des Klägers daher erst am 4. Mai 2006 (Zeitpunkt der Neuerteilung der Fahrerlaubnis) zu laufen und ist somit bis 4. Mai 2016 verwertbar. Gemäß der Gesetzesbegründung soll dadurch berücksichtigt werden, dass während der Zeit der Entziehung eine Bewährung durch Teilnahme am Straßenverkehr nicht stattfinden kann. Außerdem soll sichergestellt werden, dass bei erneuter Antragstellung die Behörde Kenntnis der Mängel erhält, die zu den Entscheidungen geführt haben (Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 29 StVG Rn. 2). Der Gesetzgeber hat auch bei der Rechtsänderung zum 1. Mai 2014 an der Anlaufhemmung festgehalten und diese in § 29 Abs. 5 StVG n. F. beibehalten. Deshalb wäre die Tilgungsfrist hinsichtlich der Straftaten vom 22. März 2004 und 3. Oktober 2004 auch bei Anwendung der Tilgungsbestimmungen der neuen Fassung des Straßenverkehrsgesetzes ebenfalls noch nicht abgelaufen.
Der Beklagte ist bei der Gutachtensanordnung weiterhin zu Recht davon ausgegangen, dass unter anderem die mit rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts … vom 22. August 2008 (Bl. 69-71 der Behördenakte) geahndete Straftat vom 7. Juni 2008 (Bedrohung, § 241 StGB), die Beteiligung des Klägers an der Schlägerei vom 24. Mai 2012 (Bl. 78-233 der Behördenakte), der Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz (rechtskräftiger Strafbefehl des Amtsgerichts … vom 14.11.2013, Bl. 333/Rückseite der Behördenakte), die mit seit 19. August 2015 rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts … geahndeten Straftaten der Beleidigung und Körperverletzung sowie die in der Gutachtensanordnung ausführlich dargestellten weiteren Vorfälle (u. a. Hausfriedensbruch vom 24.2.2014) ein aggressives, sozial grob inadäquates Verhalten zeigen und damit ebenfalls Fahreignungszweifel begründen bzw. bestärken (s. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 und 7 FeV). Denn motorisierte Teilnehmer am Straßenverkehr sehen sich häufig damit konfrontiert, dass Dritte ihren Rechtskreis beeinträchtigen. Fahrgeeignet ist daher nur, wer in solchen Situationen rechtskonform zu reagieren vermag, insbesondere von der Begehung von Straftaten oder sonstigen Rechtsverletzungen Abstand nimmt. Das ist bei dem Kläger – wie oben dargestellt – nicht gesichert und sollte zu Recht durch das angeordnete Gutachten geklärt werden.
Der Beklagte ist in der Anordnung vom 24. September 2015 auch zu Recht davon ausgegangen, dass die noch im Fahreignungsregister eingetragenen sechs Ordnungswidrigkeiten (5 betreffen Geschwindigkeitsüberschreitungen), gerade auch in der Zusammenschau mit den o. g. Straftaten, als wiederholte Verstöße gegen verkehrsrechtliche Vorschriften (§ 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV) Fahreignungszweifel begründen bzw. die vorhandenen Fahreignungszweifel verstärken.
Die Auffassung des Klägers, dass sein 10-tägiger stationärer Aufenthalt im BKH … (31.7.2013-9.8.2013) eine Zäsur bildet, so dass die vor diesem Aufenthalt liegenden Vorfälle bzw. begangenen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten nicht relevant seien, geht fehl. Zum einen entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass Taten verwertbar sind und dem Betroffenen vorgehalten werden dürfen, solange sie im Fahreignungsregister eingetragen sind (vgl. BVerwG, U.v. 9.6.2005 – 3 C 21/04 – NJW 2005, 3440, juris Rn. 26; BayVGH, B.v. 12.8.2015 – 11 CS 15.1499 – juris; B.v. 31.10.2014 – 11 CS 14.1627 – juris; B.v. 6.5.2008 – 11 CS 08.551 – juris). Zum anderen ist auch nicht ersichtlich, dass der BKH-Aufenthalt tatsächlich eine Zäsur bewirkt hat, da der Kläger auch nach diesem Aufenthalt Straftaten (z. B. Hausfriedensbruch am 24.2.2014 und Beleidigung/Körperverletzung am 8.6.2015) sowie verkehrsrechtliche Ordnungswidrigkeiten (Geschwindigkeitsüberschreitungen vom 2.7.2014 und 3.2.2015 sowie Fahren ohne M/S-Reifen am 16.2.2015) begangen hat.
Damit hat der Beklagte in der Gutachtensanordnung vom 24. September 2015 zutreffend die für die Zweifel an der Fahreignung des Klägers relevanten Tatsachen berücksichtigt und benannt.
c) Die Anordnung war auch im Übrigen formell und materiell rechtmäßig.
Das in § 11 Abs. 3 FeV der Fahrerlaubnisbehörde eingeräumte Ermessen hat der Beklagte erkannt und rechtsfehlerfrei ausgeübt. Der Beklagte hat in der Gutachtensanordnung auch begründet, warum nur der psychologische Teil der MPU beizubringen ist. Die Gutachtensanordnung enthält eine zulässige Fragestellung, die mit dem dargestellten Sachverhalt korrespondiert. Ein hinreichender Grund zur Nichtvorlage des angeordneten Gutachtens bestand nicht. Die Frist zur Vorlage war ausreichend lang bemessen. Die Gutachtensanordnung enthielt auch den erforderlichen Hinweis nach § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV.
Da der Kläger das Gutachten nicht beigebracht hat, konnte der Beklagte somit nach § 11 Abs. 8 FeV auf seine Fahrungeeignetheit schließen, so dass sich der angefochtene Bescheid als rechtmäßig erweist.
Mangels Bejahung der Erfolgsaussichten des Antrags war daher der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abzulehnen (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO).


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