Strafrecht

Notwendigkeit zeitlicher Konkretisierung von Drogenscreening-Weisungen

Aktenzeichen  202 StRR 124/21

Datum:
27.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 42822
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StGB § 145a

 

Leitsatz

1. Die zeitliche Konkretisierung der einem Verurteilten im Rahmen der Führungsaufsicht erteilten, strafbewehrten Weisung, an einem Drogenscreening „nach näherer Weisung der Bewährungshilfe bis zu viermal im Quartal“, und zwar „nach jeweiliger Aufforderung der Bewährungshilfe“, mitzuwirken, ist Aufgabe der Bewährungshilfe. (Rn. 4)
2. Die Bewährungshilfe ist deshalb nicht befugt, die Terminauswahl generell der ausführenden Stelle zu übertragen. Erforderlich ist zumindest, dass die Bewährungshilfe ein Zeitfenster von einigen Tagen für eine anstehende Kontrolle vorgibt, innerhalb der die ausführende Stelle den konkreten Termin festlegen und auch den Probanden hierzu laden kann. (Rn. 4)

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts vom 30.06.2021 mit den Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten am 04.08.2020 wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht unter Einbeziehung einer aus einer nicht erledigten, seit dem 04.02.2020 rechtskräftigen Verurteilung vom selben Tag zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu jeweils 35 Euro im Wege der nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, wobei es hinsichtlich des Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht als Einsatzstrafe eine Einzelfreiheitsstrafe von elf Monaten und zwei Wochen festgesetzt hat. Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht mit Urteil vom 30.06.2021 als unbegründet verworfen. Nach den zugrunde liegenden Feststellungen ist der Angeklagte seiner Verpflichtung aufgrund der nach dem Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 22.11.2017, rechtskräftig seit 30.11.2017, zur Ausgestaltung der Führungsaufsicht unter anderem erteilten Weisung, sich nach näherer Weisung der Bewährungshilfe bis zu viermal im Quartal nach jeweiliger Aufforderung der Bewährungshilfe bei einer näher bestimmten Stellen Urinproben abnehmen zu lassen und deren Untersuchung auf illegale Drogen zu dulden, am 28.11.2019 nicht nachgekommen und hat auch einem Ersatztermin für den Folgetag nicht wahrgenommen. Mit seiner gegen das Berufungsurteil form- und fristgerecht eingelegten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Mit Zuleitungsschrift vom 28.09.2021 hat die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, auf die Revision des Angeklagten das angefochtene Berufungsurteil durch Beschluss gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.
II.
Die statthafte (§ 333 StPO) und auch im Übrigen zulässige (§ 341 Abs. 1, §§ 344, 345 StPO) Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils (§ 349 Abs. 4 StPO) und zur Zurückverweisung der Sache.
Das Berufungsurteil hält der sachlich-rechtlichen Nachprüfung nicht stand, weil die getroffenen Feststellungen zu einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt lückenhaft sind. Es kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden, ob die im Führungsaufsichtsbeschluss geregelte Aufforderung zur Abstinenzkontrolle durch die Bewährungshilfe erfolgt war, sodass der Senat nicht beurteilen kann, ob der Schuldspruch wegen Verstoßes gegen eine Weisung während der Führungsaufsicht gemäß § 145a StGB zu Recht erfolgt ist.
1. Nach dem Beschluss zur Ausgestaltung der Führungsaufsicht unter Nummer 4.e) hat die Abstinenzkontrolle „nach näherer Weisung der Bewährungshilfe bis zu viermal im Quartal“, und zwar „nach jeweiliger Aufforderung der Bewährungshilfe“ zu erfolgen. Damit ist im Bewährungsbeschluss eindeutig bestimmt, dass die jeweiligen Kontrollen im Einzelfall durch die Bewährungshilfe angeordnet werden müssen. Die Bewährungshilfe ist deshalb nicht befugt, die Terminauswahl generell der ausführenden Stelle zu übertragen. Eine derartige Handhabung würde nicht nur dem Wortlaut der Weisung widersprechen, sondern auch dem Zweck der Maßregel zuwiderlaufen. Da die Bewährungshilfe die Überwachung und Aufsicht führt, kann sie die Erforderlichkeit einer Abstinenzkontrolle in zeitlicher Hinsicht schon deswegen wesentlich besser einschätzen als die ausführende Stelle, die regelmäßig keine Erkenntnisse über den Probanden hat. Dies bedeutet freilich nicht, dass die Bewährungshilfe auch den konkreten Tag oder gar die konkrete Uhrzeit der Abstinenzkontrolle festlegen müsste. Denn ein derartiges Vorgehen wäre mit einer effizienten Verfahrenserledigung schon deswegen nicht in Einklang zu bringen, weil die Bewährungshilfe in aller Regel die Auslastung der Gesundheitsbehörde nicht abschätzen kann. Allerdings muss aufgrund der genannten Erwägungen die Bewährungshilfe der ausführenden Stelle in jedem Einzelfall zumindest ein Zeitfenster von einigen Tagen für eine anstehende Kontrolle vorgeben, innerhalb der diese dann den konkreten Termin festlegen und auch den Probanden hierzu laden kann.
2. Gemessen hieran reichen die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsurteils nicht aus, um von einer rechtswirksamen Festlegung des Termins vom 28.11.2019 ausgehen zu können. Bei der Tatschilderung wählt die Berufungskammer die Passivform, indem sie lediglich darstellt, dass für den 28.11.2019, 16:00 Uhr, ein Screening-Termin „vorgesehen war“. Dazu, wie es zu der Terminierung kam, verhält sich das Urteil nicht. Die Ausführungen im Rahmen der Beweiswürdigung sprechen eher dafür, dass die Terminbestimmung durch das Landratsamt erfolgt ist. Ob diesem nach den oben genannten Darlegungen für sich genommen noch nicht unzulässigen Vorgehen eine konkrete Anweisung durch die Bewährungshilfe vorausgegangen war, ergibt sich aber auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht.
III.
Aufgrund des aufgezeigten Sachmangels ist das angefochtene Urteil auf die Revision des Angeklagten mitsamt den Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO) und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere (kleine) Strafkammer des Landgerichts zurückzuverwiesen.
IV.
Die Entscheidung ergeht durch einstimmigen Beschluss gemäß § 349 Abs. 4 StPO.


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