Strafrecht

Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten für eine Klage gegen die Entziehung einer Fahrerlaubnis

Aktenzeichen  11 C 17.326

Datum:
3.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
FeV FeV § 14 Abs. 2 Nr. 2, § 20, § 46 Abs. 1 S. 1
StGB StGB § 64 S. 1, § 69

 

Leitsatz

Die bloße Angabe in einem strafrechtlichen Gerichtsurteil, der Angeklagte sei drogenabhängig, genügt zwar für eine Diagnose regelmäßig nicht; anderes gilt aber, wenn sich dies aus einem im Strafverfahren eingeholten Gerichtsgutachten ergibt. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 10 K 16.559 2017-01-19 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten für eine Klage gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis.
Mit Urteil vom 3. März 2015, rechtskräftig seit 4. September 2015, verurteilte ihn das Landgericht Nürnberg-Fürth wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten. Zugleich ordnete es die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB an. In den Feststellungen zur Person des Angeklagten führt das Landgericht aus, der Kläger konsumiere seit mehreren Jahren nahezu täglich verschiedene aufputschende Substanzen (Kokain, Amphetamin und Metamphetamin). Er habe zudem Ecstasy, Heroin und Benzodiazepine in Verbindung mit Alkohol probiert. Seit seiner Inhaftierung lebe er bis auf zwei Rückfälle mit „Spice“ abstinent. Hinsichtlich der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wird ausgeführt, die Sachverständige Dr. W …- … sei in ihrem Gutachten zu dem Schluss gekommen, dass bei dem Angeklagten auch tatzeitbezogen eine manifeste Cannabis-, Amphetamin- und Kokainabhängigkeit nach den ICD-10 Kriterien vorliege. Es handele sich um eine langjährige Suchtproblematik.
Nach Anhörung entzog die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 3. März 2016 die Fahrerlaubnis aller Klassen und ordnete die unverzügliche Vorlage des Führerscheins an. Die Fahrerlaubnis sei nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV zu entziehen, da der Kläger ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei. Er sei gemäß Nr. 9.3 der Anlage 4 zur FeV abhängig von Betäubungsmitteln.
Mit Beschluss vom 19. Januar 2017 lehnte das Verwaltungsgericht Ansbach den Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung für die am 4. April 2016 gegen den Bescheid vom 3. März 2016 erhobene Klage ab. Die Klage habe keine hinreichenden Erfolgsaussichten. Der Kläger habe seine Fahreignung durch die Betäubungsmittelabhängigkeit verloren. Für eine Wiedergewinnung sei schon kein ausreichend langer Abstinenzzeitraum verstrichen.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde, der die Beklagte entgegentritt. Er macht geltend, er sei im Straßenverkehr wegen Drogenkonsums noch nie auffällig geworden. Die Angaben im Strafverfahren seien übertrieben gewesen, um in den Genuss des § 64 StGB zu kommen. Er befinde sich seit fünf Jahren ununterbrochen in Strafhaft und könne dort keine Drogen zu sich nehmen. Seit Juli 2016 befinde er sich im Rahmen des § 64 StGB im Bezirksklinikum Erlangen, ohne dass es zu irgendwelchen Auffälligkeiten gekommen sei. Er dürfe im Rahmen der Therapie bald außerhalb des Klinikums eine Arbeit aufnehmen und benötige dafür eine Fahrerlaubnis.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Rechtssache keine hinreichenden Erfolgsaussichten nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO bietet und hat den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Prozessbevollmächtigten zu Recht abgelehnt.
Die Beklagte hat dem Kläger die Fahrerlaubnis mit Bescheid vom 3. März 2016 nach § 3 Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. Juni 2015 (BGBl I S. 904), i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Oktober 2015 (BGBl I S. 1674), zu Recht entzogen. Nach Nr. 9.3 der Anlage 4 zur FeV ist bei Abhängigkeit von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes keine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen gegeben. Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV ist auch ungeeignet, wer Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) einnimmt. Nach Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV ist Fahreignung bei Drogenabhängigkeit erst wieder gegeben, wenn eine Entgiftung und Entwöhnung stattgefunden hat sowie eine einjährige Abstinenz nachgewiesen wird. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass der Kläger die Fahreignung wegen Drogenabhängigkeit verloren und zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses auch nicht wiedergewonnen hat. Aufklärungsmaßnahmen nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV waren ebenfalls nicht veranlasst, da keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass die Fahreignung wieder hergestellt war.
Die Beklagte durfte auch davon ausgehen, dass der Kläger drogenabhängig ist, da durch das vom Landgericht Nürnberg-Fürth im Strafverfahren eingeholte Sachverständigengutachten der Dr. W …- … nach den Kriterien des ICD-10 eine Abhängigkeit von Cannabis, Amphetamin und Kokain festgestellt worden ist. Es kann daher offen bleiben, ob die Verwaltungsbehörde an die Feststellungen des Strafgerichts zum Drogenkonsum gebunden ist und ob diese so zutreffen oder der Kläger bewusst übertrieben hat. Nach § 3 Abs. 4 StVG darf die Behörde in einem Entziehungsverfahren von einem Urteil des Strafgerichts nicht zum Nachteil des Betroffenen abweichen, soweit es sich auf die Feststellung des Sachverhalts oder die Beurteilung der Schuldfrage oder der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bezieht. Dabei muss es sich jedoch um eine Straftat gehandelt haben, bei der eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB in Betracht gekommen ist (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 3 StVG Rn. 51 m.w.N.). Die bloße Angabe in einem Gerichtsurteil, der Angeklagte sei drogenabhängig, genügt zwar für eine Diagnose regelmäßig nicht (vgl. Kap. 6 Hypothese D1 der Beurteilungskriterien, Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung, Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie/Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin, 3. Aufl. 2013, mit Schreiben des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur vom 27.1.2014 [VkBl 2014, 132] als aktueller Stand der Wissenschaft eingeführt, S. 169), sondern kann nur Anlass für weitere Aufklärungsmaßnahmen sein. Hier liegt aber eine sachverständige Begutachtung vor, die Drogenabhängigkeit diagnostiziert und die auch verwertet werden kann (vgl. Beurteilungskriterien a.a.O. Hypothese D1, Kriterium D 1.1.N, S. 169 f.).
Soweit der Kläger mit seiner Beschwerde vorträgt, er sei im Straßenverkehr noch nie wegen Drogenkonsums aufgefallen und er könne zwischen dem Drogenkonsum und der Teilnahme am Straßenverkehr trennen, kann dies bei einer vorliegenden Drogenabhängigkeit nicht berücksichtigt werden. Wer von Drogen abhängig ist, ist nach Nr. 9.3 der Anlage 4 zur FeV unabhängig davon, ob er im Straßenverkehr auffällig geworden ist, ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen.
Dass der Kläger nunmehr nach seinen eigenen Einlassungen seit mehreren Jahren keine Drogen mehr konsumiert, da er sich seit dem Jahr 2012 in Strafhaft befunden und seitdem „nur“ zwei Rückfälle erlitten hat, kann seiner Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Der Kläger hat bis zum Erlass des Bescheids am 3. März 2016 unstreitig die nach Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV erforderliche Entwöhnungstherapie nicht erfolgreich abgeschlossen, sondern befindet sich erst seit Juli 2016 im Rahmen einer Maßnahme nach § 64 Satz 1 StGB im Bezirksklinikum Erlangen. Weitere Aufklärungsmaßnahmen waren daher nicht erforderlich. In welchem Umfang eine nachgewiesene drogenabstinente Zeit vor der durchgeführten Therapie oder während der Therapie oder Langzeitmaßnahme zu berücksichtigen sein könnte (vgl. Beurteilungskriterien, Nr. 4 bis 7 des Kap. 6 Hypothese D1, Kriterium D 1.3 N, S. 173 f.), braucht hier nicht entschieden zu werden, da zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses eine Therapie nicht abgeschlossen war.
Der Kläger kann aber nach erfolgreichem Abschluss seiner Langzeitmaßnahme und ausreichend langen Abstinenzzeiten (vgl. insbesondere Beurteilungskriterien, Kap. 6 Nr. 7 Hypothese D1, Kriterium D 1.3 N, S. 174) im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung jederzeit nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV nachweisen, dass Betäubungsmittelabhängigkeit nicht mehr besteht und kann dann nach § 20 FeV unter erleichterten Bedingungen die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis beantragen.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Anders als das Prozesskostenhilfeverfahren erster Instanz ist das Beschwerdeverfahren in Prozesskostenhilfesachen kostenpflichtig. Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich, weil für die Zurückweisung der Beschwerde nach dem hierfür maßgeblichen Kostenverzeichnis eine Festgebühr anfällt (§ 3 Abs. 2 GKG i.V.m. Anlage 1 Nr. 5502).
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel


Nach oben