Strafrecht

Schuldspruch, Meinungsfreiheit, Rechtsfolgenausspruch, Berufung, Staatsanwaltschaft, Generalstaatsanwaltschaft, Angeklagte, Sprungrevision, Verletzung, Zustellung, Einstellung, Verfahren, Beleidigung, Verbreitung, Wahrnehmung berechtigter Interessen, Einstellung des Verfahrens

Aktenzeichen  204 StRR 20/22

Datum:
3.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 10408
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

3 Ds 1031 Js 2825/21 2021-07-21 Urt AGWEISSENBURGBAY AG Weißenburg

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten M… M… gegen das Urteil des Amtsgerichts Weißenburg vom 21. Juli 2021 wird
1. das Verfahren bezüglich Fall 11.1. der Urteilsgründe (Brief vom 20. März 2021) eingestellt; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;
2. das vorgenannte Urteil im Tenor dahingehend neu gefasst, dass der Angeklagte wegen Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt wird.
II. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
III. Der Angeklagte hat die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.
Das Amtsgericht Weißenburg hat den Angeklagten im beschleunigten Verfahren mit Urteil vom 21.07.2021 wegen Beleidigung in zwei Fällen zum Nachteil des dort tätigen Richters am Amtsgericht E… (Fall 1: Brief vom 20.03.2021; Fall 2: Schreiben vom 31.05.2021) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Monaten (Einzelfreiheitsstrafe in Fall 1: 3 Monate, in Fall 2: 4 Monate) ohne Bewährung verurteilt.
Gegen dieses in seiner Anwesenheit verkündete Urteil hat der Angeklagte am 21.07.2021 zur Niederschrift der Urkundsbeamtin des Amtsgerichts Weißenburg Sprungrevision eingelegt und diese mit der Verletzung seiner Meinungsfreiheit begründet. Seine Sprungrevision hat er nach Zustellung des schriftlichen Urteils am 04.08.2021 mit privatschriftlichen Schreiben vom 05. und 12.08.2021 weiter begründet. Die Staatsanwaltschaft Ansbach hat ihre mit Telefaxschreiben vom 23.07.2021 eingelegte und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung mit Schreiben vom 20.09.2021, beim Amtsgericht Weißenburg eingegangen am 24.09.2021, zurückgenommen.
Die Generalstaatsanwaltschaft München hat zunächst mit Antragsschrift vom 10.12.2021 beantragt, die Revision als unbegründet kostenpflichtig zu verwerfen. Hierzu hat der Angeklagte mit Schreiben vom 19.01.2022 eine Gegenerklärung abgegeben.
Mit Schreiben vom 02.02.2022 hat die Generalstaatsanwaltschaft München bezüglich Fall 11.1 der Urteilsgründe (Brief vom 20.03.2021) die Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 2 StPO beantragt.
II.
Die Sprungrevision ist gemäß §§ 335 Abs. 1, 341 Abs. 1, 344, 345 StPO zulässig.
Das Fehlen der Revisionsanträge ist unschädlich. Unabhängig von der Formunwirksamkeit der privatschriftlichen Revisionsbegründungen vom 05. und 12.08.2021 (§§ 335 Abs. 3 S. 2, 345 Abs. 2, 346 Abs. 1 StPO) geht das Ziel der Sprungrevision, nämlich die Aufhebung des angefochtenen Urteils und Freispruch aus sachlich-rechtlichen Gründen, jedenfalls aus dem Inhalt der form- und fristgerechten Niederschrift vom 21.07.2021 eindeutig hervor (Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Auflage 2021, § 344 Rn. 2).
III.
Die auf die Rüge des sachlichen Rechts gestützte Revision erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft stellt der Senat in Fall 11.1 der Urteilsgründe das Verfahren aus prozessökonomischen Gründen gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein. Dies bedingt eine Neufassung des Tenors (§ 354 Abs. 1 StPO analog).
2. Im Übrigen hat die auf die Sachrüge gebotene umfassende Nachprüfung des angefochtenen Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
a) Der Schuldspruch wegen Beleidigung in Fall 11.2 der Urteilsgründe (Schreiben vom 31.05.2021) ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, weil der Ehrangriff auf den Richter nicht durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt war, § 193 StGB. Der Angeklagte hat hier die seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG durch § 185 StGB gesetzte Grenze überschritten, Art. 5 Abs. 2 GG.
(1) Bei der Bezeichnung des Amtsrichters als „Menschlichen Abschaum“ handelt es sich um eine Formalbeleidigung. Der Angeklagte hat damit mit Vorbedacht und nicht nur in der Hitze einer Auseinandersetzung ein nach allgemeiner Auffassung besonders krasses, aus sich heraus herabwürdigendes Schimpfwort verwendet, das eine kontextunabhängig gesellschaftlich absolut missbilligte und tabuisierte Begrifflichkeit darstellt. Die Bezeichnung des Richters mit einem solchen eindeutigen, nicht auslegungsfähigen Begriff bedient sich gerade seiner allein auf die Verächtlichmachung zielenden Funktion, um einen anderen Menschen unabhängig von einem etwaigen sachlichen Anliegen herabzusetzen. Die verwendete Beschimpfung verlässt das absolute Mindestmaß menschlichen Respekts und kann unabhängig von den Umständen grundsätzlich nicht mit der Meinungsfreiheit vereinbar sein. Ein Kontext, in dem die Bezeichnung eines Menschen als unwerter menschlicher Abschaum, gesellschaftlich billigenswert erscheinen könnte, ist schlechterdings nicht denkbar (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19, juris Rn. 21, 23; BayObLG, Beschluss vom 07.09.2020 – 206 StRR 220/20, juris Rn. 13, 14).
Bei einer solchen Formalbeleidigung tritt ohne weitere Gewichtung und kontextspezifische Einzelfallabwägung die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG hinter den Ehrenschutz zurück (BVerfG, a.a.O., juris Rn. 15; BayObLG, a.a.O., juris Rn. 12, 23).
Im Übrigen liegt es hier nahe, bereits von einer ebenfalls ohne eine Einzelfallabwägung relevanten Verletzung der Menschenwürde des Richters auszugehen, weil ihm mit dem Unwerturteil der seine menschliche Würde ausmachende Kern der Persönlichkeit abgesprochen wird (BVerfG, a.a.O., juris Rn. 22).
(2) Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass eine – hilfsweise – vorgenommene Abwägung der widerstreitenden Interessen (Ehrenschutz/Meinungsfreiheit, vgl. insoweit BVerfG, a.a.O., juris Rn. 25; BayObLG, a.a.O., juris Rn. 15) auf der Grundlage der im Urteil noch ausreichend festgestellten Umstände des Einzelfalls zu keinem anderen Ergebnis führen könnte.
Das Recht des Bürgers, gerichtliche Entscheidungen ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen zu kritisieren, gehört zum Kernbereich des Rechts auf freie Meinungsäußerung, weshalb deren Gewicht in diesen Fällen besonders hoch zu veranschlagen ist. Dabei fallen grundsätzlich auch scharfe und übersteigerte Äußerungen in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Befindet sich jemand im sogenannten „Kampf ums Recht“, ist es ihm zur plastischen Darstellung seiner Position grundsätzlich auch erlaubt, starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, ohne jedes Wort auf die Waagschale legen zu müssen. Allerdings bleiben auch die Gesichtspunkte der Machtkritik und des „Kampfs ums Recht“ in eine Abwägung eingebunden und erlauben nicht jede ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgern (BayObLG, a.a.O., juris Rn. 18).
Der betroffene Richter bedarf als Träger einer hervorgehobenen staatlichen Funktion im Interesse einer wirkungsvollen Erfüllung öffentlicher Aufgaben des besonderen staatlichen Schutzes. Das bei der Abwägung anzusetzende Gewicht der den Richter kritisierenden Meinungsäußerung ist umso geringer, je mehr es – wie hier – lediglich um die emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen eine einzelne Person geht (BVerfG, a.a.O., juris Rn. 28). Im konkreten Fall fällt deshalb als Abwägungsgesichtspunkt zugunsten des Ehrenschutzes und des sozialen Geltungsanspruches des Richters bereits der als besonders grob herabwürdigend einzuordnende Inhalt der Äußerung beträchtlich ins Gewicht. Der abschätzige Begriff „menschlicher Abschaum“ weist inhaltlich keinen erkennbaren Bezug zu dem vom Angeklagten mit seinem Schreiben vom 31.05.2021 kritisierten Prozesskostenhilfe-Beschluss auf, sondern trifft ausschließlich die Person des Richters als ganze, nicht nur einzelne seiner Tätigkeiten und Verhaltensweisen (vgl. BVerfG, a.a.O., juris Rn. 28; BayObLG, a.a.O., juris Rn. 16). Die Herabsetzung des Richters wird verstärkt durch den gehässigen Vorwurf, er habe bei seiner Entscheidung aus rassistischen Motiven zur „tiefen dreckigen Befriedigung der Arisierung“ gehandelt.
Selbst wenn es gerade im Kontext rechtlicher Auseinandersetzungen grundsätzlich erlaubt ist, auch besonders starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, um Rechtspositionen und Anliegen zu unterstreichen, kann wie hier bei schriftlichen Äußerungen im Allgemeinen ein höheres Maß an Bedacht und Zurückhaltung erwartet werden als bei mündlichen Äußerungen (BVerfG, a.a.O., juris Rn. 33). Durch die strafrechtliche Sanktion wird trotz der beschränkten Ausdrucksfähigkeit des Angeklagten nicht ansatzweise seine Freiheit berührt, bestimmte Inhalte und Wertungen in Bezug auf den kritisierten Beschluss überhaupt zum Ausdruck zu bringen. Es verbleiben ihm immer noch ausreichend alternative Äußerungsmöglichkeiten, um seine Einwendungen auch mit deutlichen Worten vorzubringen (vgl. BVerfG, a.a.O., juris Rn. 28). Das Schreiben vom 31.05.2021 ist zudem Aktenbestandteil geworden, sodass die verfahrensgegenständliche Äußerung nicht nur für den betroffenen Richter wahrnehmbar ist.
Die Äußerung „menschlicher Abschaum“ erschöpft sich in der Diffamierung und persönlichen Verächtlichmachung des Richters und stellt seine berufliche Integrität grundsätzlich infrage. Mit ihrem ins Persönliche gehenden verunglimpfenden Inhalt greift sie den allen Menschen gleichermaßen zukommenden sozialen Achtungsanspruch an. Sie ist losgelöst von jedem Tatsachenbezug und bewegt sich aus verwerflichen Motiven (Hass-/Wutgefühle) damit so weit von dem Sachanliegen des Angeklagten weg, dass die Herabwürdigung der Person bei der Gesamtabwägung in den Vordergrund tritt (vgl. BayObLG, a.a.O., juris Rn. 18).
Die Würdigung der verfahrensgegenständlichen Äußerung des Angeklagten in Fall II.2 als gemäß § 185 StGB strafbare Beleidigung weist damit im Ergebnis keinen Rechtsfehler auf. Der Angeklagte hat hier das Maß und die Form durch die Meinungsfreiheit gedeckter Kritik und Empörung eindeutig verlassen.
b) Die Nachprüfung des Rechtsfolgenausspruchs zu Fall 11.2 der Urteilsgründe hält ebenfalls rechtlicher Prüfung stand.
(1) Das Amtsgericht durfte bei der Strafzumessung ausnahmsweise zuungunsten des Angeklagten fehlende Reue und Schuldeinsicht als belastendes Nachtatverhalten berücksichtigen. Denn die festgestellte Aufrechterhaltung der beleidigenden Äußerung aus dem Schreiben vom 31.05.2021 in der Hauptverhandlung und das Beharren des die Tathandlung nicht leugnenden Angeklagten auf dieser Äußerung weist trotz der ihm zustehenden Verteidigungsfreiheit auf eine rechtsfeindliche Einstellung und die Gefahr künftiger gleichartiger Rechtsbrüche hin (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 08.06.1955 – 3 StR 86/55, juris Ls, NJW 1955, 1158; Beschluss vom 13.07.1977 – 3 StR 226/77, juris Rn. 6; Beschluss vom 12.12.1980 – 3 StR 458/80, juris Rn. 2; Urteil vom 25.03.1981 – 3 StR 61/81, juris Rn. 9 m.w.N.; Fischer, StGB, 69. Auflage 2022, § 46 Rn. 51).
(2) Im Übrigen wird auf die zutreffenden und nicht ergänzungsbedürftigen Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft München in ihrer Antragsschrift vom 10.12.2021 Bezug genommen.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 467 Abs. 1, 473 Abs. 1 S. 1 StPO.


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