Strafrecht

Teilweise Einbehaltung von Dienstbezügen nach Begehung eines Dienstvergehens bei zu erwartender Entfernung aus dem Beamtenverhältnis

Aktenzeichen  16b DS 18.2579

Datum:
20.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 6044
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BBG § 60 Abs. 1 S. 3, § 61 Abs. 1, § 77 Abs. 1 S. 1, S. 2
BDG § 38 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, § 41 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1, Abs. 2
StGB § 52, § 266a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Begeht ein Beamter eine Straftat, für die das Strafgesetzbuch eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vorsieht, reicht der Orientierungsrahmen für die Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (stRspr BVerwG BeckRS 2016, 43599). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Einbehaltung von 50% der monatlichen Dienstbezüge ist rechtmäßig, da angesichts der Schwere und Vielzahl der in der Anklageschrift dokumentierten Pflichtenverstöße, der Höhe des hierdurch verursachten Gesamtschadens und der prognostizierten Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als vier Jahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zu erwarten ist. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 12a DS 18.854 2018-11-12 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1. Dem 1983 geborenen Antragsteller, einem Zolloberinspektor, wird vorgeworfen, ein einheitlich zur wertendes inner- und außerdienstliches Dienstvergehen im Sinne des § 77 Abs. 1 Satz 1 und 2 BBG begangen zu haben. Er habe seit der im September 2006 erfolgten Übernahme der Firma „…“ eine nicht genehmigungsfähige Nebentätigkeit als deren Inhaber und Geschäftsführer in Gestalt eines Zweitberufs teilweise auch während der Dienstzeit ausgeübt und zudem zumindest im Zeitraum von Januar 2011 bis März 2016 mehreren der von ihm sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmern Arbeitsentgelt vorenthalten und dadurch den Sozialversicherungen und Berufsgenossenschaften erheblichen Schaden zugefügt, strafbar als Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt im Sinne von § 266a Abs. 1, 2 Nr. 1, § 52 StGB.
Mit Verfügung der Generalzolldirektion vom 5. Juli 2016 war der Antragsteller vorläufig des Dienstes enthoben worden. Mit – der hier allein verfahrensgegenständlichen – Verfügung vom 29. März 2018 war die Einbehaltung der Hälfte seiner monatlichen Dienstbezüge angeordnet worden. Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag nach § 63 BDG die Einbehaltung der Bezüge auszusetzen, mit Beschluss vom 12. November 2018 ab. Auf die Gründe des Beschlusses wird Bezug genommen.
2. Die hiergegen erhobene Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, die allein Gegenstand der Prüfung durch den Senat sind (§ 67 Abs. 3 BDG, § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen die Abänderung des angefochtenen Beschlusses nicht. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers auf Aussetzung der Einbehaltung von 50% der monatlichen Dienstbezüge zu Recht abgelehnt.
a. Gemäß § 38 Abs. 2 Satz 1 BDG kann die Disziplinarbehörde gleichzeitig mit oder nach der vorläufigen Dienstenthebung anordnen, dass dem Beamten bis zu 50% der monatlichen Dienstbezüge einbehalten werden, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird; dies gilt erst recht, wenn voraussichtlich eine Beendigung des Beamtenverhältnisses gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG aufgrund einer Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr in Betracht kommt (Urban in Urban/Wittkowski, Bundesdiziplinargesetz, 2. Aufl. 2017, § 38 Rn. 18; zum bayerischen Landesrecht: BayVGH, B.v. 1.2.2018 – 16a DS 17.2401 – BA Rn. 3).
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung im Sinne des § 63 Abs. 2 BDG liegen vor, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass die Voraussetzungen der Anordnung nach § 38 Abs. 1 BDG erfüllt sind, (mindestens) ebenso groß ist, wie die Wahrscheinlichkeit, dass die Voraussetzungen nicht erfüllt sind (Weiß in GKÖD, Band II, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, Stand: Jan. 2019, § 63 Rn. 50 m.w.N.). Demnach sind ernstliche Zweifel im Sinne des § 63 Abs. 2 BDG bereits dann gegeben, wenn offen ist, ob die Anordnung nach § 38 Abs. 1 BDG rechtmäßig oder rechtswidrig ist (Herrmann in Herrmann/Sandkuhl, Beamtendisziplinarrecht, Beamtenstrafrecht, 1. Aufl. 2014, Rn. 981), wobei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich ist (vgl. BVerwG, B.v. 22.7.2002 – 2 WDB 1.02 – juris Rn. 5).
Hinsichtlich des dem Beamten zur Last gelegten Dienstvergehens genügt hierbei die Feststellung, dass er dieses mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit begangen hat; nicht erforderlich ist hingegen, dass es bereits in vollen Umfang nachgewiesen ist. Da im gerichtlichen Aussetzungsverfahren gemäß § 63 BDG für eigene Beweiserhebungen des Gerichts im Regelfall kein Raum ist, muss es anhand einer ihrer Natur nach lediglich summarisch möglichen Prüfung des Sachverhalts aufgrund der aktuellen Aktenlage entscheiden (Urban in Urban/Wittkowski, Bundesdisziplinargesetz, 2. Aufl. 2017, § 63 Rn. 15 m.w.N.). Eine solche Wahrscheinlichkeit ergibt sich regelmäßig aus der Erhebung der öffentlichen Klage (§ 170 Abs. 1 StPO) bzw. aus der Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 203 StPO), die einen hinreichenden Tatverdacht voraussetzen (BayVGH, B.v. 20.12.2018 – 16a DS 18.928 – BA Rn. 5; vgl. BVerwG, B.v. 22.7.2002 – 2 WDB 1.02 – juris Rn. 7; OVG SH, B.v. 29.1.2018 – 14 MB 3/17 – juris Rn. 4); entsprechendes gilt auch für den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls, mit dem gemäß § 407 Abs. 1 Satz 4 StPO die öffentliche Klage erhoben wird (vgl. OVG MV, B.v. 3.5.2004 – 10 L 130/02 – juris Rn. 6).
b. Vorliegend spricht die im sachgleichen Strafverfahren mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Ansbach vom 5. Dezember 2016 (Az. 1112 Js 5131/16) erfolgte Anklageerhebung, die Eröffnung des Hauptverfahrens und die noch andauernde Hauptverhandlung dafür, dass der ihm mit der Anklageschrift vorgeworfene Sachverhalt mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachweisbar ist; dies gilt auch für die subjektive Tatseite der ihm vorgeworfenen Straftatbestände. Die Staatsanwaltschaft legt dem Antragsteller, Inhaber und Geschäftsführer einer Gerüstbaufirma, darin das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 204 und Betrug in 88 Fällen zur Last. Zu den Einzelheiten wird auf die Anklageschrift (Bl. 167 ff. der Disziplinarakte) verwiesen.
Danach hat der Antragsteller voraussichtlich vorsätzlich-schuldhaft gegen seine aus § 60 Abs. 1 Satz 3, § 61 Abs. 1 BBG folgenden Dienstpflichten zur Wahrung der Gesetze und zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten in und außerhalb des Dienstes verstoßen und so ein schwerwiegendes außerdienstliches Dienstvergehen i.S.d. § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG begangen. Aufgrund der Schwere der gegen ihn erhobenen Vorwürfe kommt vorliegend ein Verlust der Beamtenrechte des Antragstellers durch rechtskräftiges Strafurteil gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG bzw. die Entfernung des Antragstellers aus dem Beamtenverhältnis durch Disziplinarurteil gemäß § 10 BDG in Betracht. Der Gegenstand des Strafverfahrens (= Vorwurf 2 des Disziplinarverfahrens) ist bereits für sich genommen geeignet, die Prognose des Verlustes der Beamtenrechte bzw. der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zu rechtfertigen.
Schwerwiegende Vorsatzstraftaten bewirken generell einen Vertrauensverlust, der unabhängig vom jeweiligen Amt zu einer Untragbarkeit der Weiterverwendung als Beamter führt (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 14). Zur Bestimmung des Ausmaßes des Vertrauensschadens, der durch eine vorsätzlich begangene Straftat hervorgerufen worden ist, ist bei außerdienstlich begangenen Straftaten auf den gesetzlich bestimmten Strafrahmen zurückzugreifen (BVerwG, U.v. 18.6.2015 – 2 C 9.14 – juris Rn. 31). Begeht ein Beamter eine Straftat, für die das Strafgesetzbuch eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vorsieht – hier sind es bis zu fünf Jahren -, reicht der Orientierungsrahmen für die Disziplinarmaßnahme daher bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (BVerwG, B.v. 10.12.2015 a.a.O. Rn. 20). Die Ausschöpfung des Orientierungsrahmens kommt hier aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls in Betracht. Angesichts der Schwere und Vielzahl der in der Anklageschrift dokumentierten Pflichtenverstöße und der Höhe des hierdurch verursachten Gesamtschadens (Die Gesamtsumme der durch den Antragteller vorenthaltenen Arbeitsentgelte beläuft sich auf 289.083,26 Euro. Der durch die Betrugsstraftaten verursachte Gesamtschaden beträgt 145.563,18 Euro.) ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit der Verlust der Beamtenrechte bzw. die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zu erwarten. Die Staatsanwaltschaft hat in ihrer Anklageschrift eine Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als vier Jahren prognostiziert.
c. Der mit der Beschwerde in erster Linie geltend gemachte Einwand, die Anklageschrift sei auf Sachverhalte gestützt, die nicht tragfähig seien (Der Zeuge K. sei ein „notorischer Lügner; der Hauptbelastungszeuge O. habe das Strafgericht „mit der Unwahrheit bedient“; die Anklageschrift stütze sich auf eine fast willkürlich anmutende „Hochrechnung“, die schlichtweg unhaltbar sei.) und die Hinweise, der Haftbefehl sei in der mündlichen Verhandlung am 10. August 2017 aufgehoben worden, es hätten bereits 40 Hauptverhandlungstage stattgefunden und die Richter der großen Strafkammer hätten eingeräumt, dass man in diesem Verfahren „rechtliches Neuland“ betrete, führen zu keiner anderen Beurteilung.
Soweit der Antragsteller mit unterschiedlichen Gründen behauptet, dass sich die gegen ihn erhobenen Vorwürfe strafrechtlich relevanten Verhaltens nicht (jedenfalls nicht in dem in der Anklageschrift formulierten Umfang) aufrechterhalten ließen, ist eine abschließende Prüfung dieser Fragen dem sachnäheren Strafverfahren vorbehalten. Dies beruht auf folgenden Erwägungen: Bei einem Zusammentreffen von Disziplinar- und Strafverfahren wegen sachgleicher strafrechtlich relevanter Vorwürfe gilt ein in § 22 Abs. 1 und § 23 Abs. 1 BDG gesetzlich zum Ausdruck kommender Vorrang des strafrechtlichen Verfahrens, der nicht nur auf rein verfahrensökonomischen Erwägungen beruht, sondern inhaltlich widersprechende straf- und disziplinarrechtliche Entscheidungen vermeiden, dem Schutz des Beamten vor der Notwendigkeit einer u.U. mehrfachen Verteidigung in unterschiedlich ausgestalteten Verfahren dienen und vor allem dem Umstand Rechnung tragen soll, dass die Aufklärung eines sowohl strafrechtlich als auch disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalts vom Gesetzgeber vorrangig den Strafgerichten übertragen wurde, deren Prozessordnung in besonderer Weise darauf angelegt ist, ein rechtsstaatlich ausgestaltetes und zugleich effektives Verfahren zu gewährleisten (vgl. SächsOVG, B.v. 26.9.2013 – D 6 B 151/11 – juris Rn. 19). Der Einwand, die Vorwürfe seien nicht tragfähig, kann daher im vorliegenden Verfahren keine Berücksichtigung finden. Im Übrigen sind die Einwände des Antragstellers sämtlich nicht geeignet, die Sachverhaltsfeststellungen der Anklageschrift in Frage zu stellen. Die Anklageschrift basiert nicht allein auf den Aussagen der vom Antragsteller genannten Zeugen, sondern weiteren Zeugen und insbesondere Urkundenbeweisen. Hinsichtlich der vom Antragsteller genannten „Hochrechnung“ fehlt jedweder substantiierte Vortrag. Nur mit dem Schlagwörtern „Willkür“ und „schlichtweg unhaltbar“ genügt der Antragsteller seiner Darlegungslast nicht.
Auch soweit der Antragsteller vorträgt, die Aufhebung des Haftbefehls vom 24. November 2016 in der Hauptverhandlung vom 10. August 2017 sei Indiz dafür, dass das Strafgericht selbst erhebliche Zweifel daran habe, dass sich der in der Anklageschrift formulierte Schuldvorwurf aufrechterhalten lasse, ist eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses nicht veranlasst. Die Gründe, welche im Einzelnen zur Aufhebung eines Haftbefehls führen können, sind vielfältig. Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 StPO ist der Haftbefehl aufzuheben, sobald die Voraussetzungen der Untersuchungshaft nicht mehr vorliegen oder sich ergibt, dass die weitere Untersuchungshaft zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis stehen würde. Der Haftbefehl könnte also aufgehoben worden sein, weil kein dringender Tatverdacht mehr bestand oder die Verdunkelungsgefahr entfallen ist. Die Aufhebung könnte auch dem Umstand geschuldet sein, dass der Vollzug der Untersuchungshaft nach § 121 Abs. 1 StPO grundsätzlich auf sechs Monate beschränkt und die durch die Rechtsprechung gebildete zeitliche Obergrenze zu beachten ist, wonach der Vollzug der Untersuchungshaft von mehr als einem Jahr Dauer bis zum Beginn der Hauptverhandlung oder dem Erlass des Urteils nur in ganz besonderen Ausnahmefällen gerechtfertigt werden kann (Böhm in Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2014, § 120 Rn. 12). Mit der Vorlage des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 10. August 2017, auf dem die Seite 3 nahezu gänzlich geweißt ist und sich bis auf die Worte „Der Vorsitzende verkündete sodann weiter folgende“ nur der Beschluss „Der Haftbefehl des Amtsgerichts Ansbach vom 24.11.2016 wird aufgehoben“ findet, hat der Antragsteller bewusst auf eine Offenlegung der Gründe für die Aufhebung des Haftbefehls verzichtet. Er hat nicht dargelegt, dass der Haftbefehl deshalb aufgehoben worden ist, weil kein dringender Tatverdacht mehr besteht, sondern dies lediglich behauptet. Mangels substantiierten Vortrags kann die Aufhebung des Haftbefehls damit nicht zu Gunsten des Antragstellers Berücksichtigung finden. Ohne jeden rechtlichen Belang ist schließlich, dass bereits 40 Hauptverhandlungstage stattgefunden haben und die Richter „rechtliches Neuland“ betreten sollen. Diese Umstände verhalten sich nicht zur Frage, ob der vorgeworfene Sachverhalt dem Antragsteller mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachweisbar ist.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 BDG, § 154 Abs. 2 VwGO.


Ähnliche Artikel


Nach oben