Strafrecht

THC, Drogenabhängigkeit, Cannabis, Afghanistan

Aktenzeichen  1015 Ds 468 Js 132256/19 jug

Datum:
3.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 52189
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StGB § 323a
JGG § 1, § 105

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Angeklagte M2. M. ist schuldig des fahrlässigen Vollrauschs.
2. Der Angeklagte wird angewiesen, mit 24 Stunden bis spätestens 01.06.2021 a Leseprojekt KonTEXT Stufe III teilzunehmen, an 5 Drogen-Beratungsgesprächen bei Caritas-Fachambulanz für junge Suchtkranke bis spätestens 15.07.2021 teilzunehmen und für die Dauer von 12 Monaten ab Rechtskraft des Urteils jeglichen Konsum illegaler Drogen zu unterlassen und Orte, an denen illegale Drogen konsumiert werden, sofort zu verlassen, sich in diesem Zeitraum dem Drogenpräventionsprogramm der FTC GmbH zum Nachweis der Drogenabstinenz zu unterziehen und zu diesem Zweck sich dort unverzüglich telefonisch anzumelden, sich jederzeit für dieses Institut erreichbar zu halten und insgesamt 8 Mal nach entsprechender Aufforderung unverzüglich unter Sicht eine Urinprobe abzugeben und diese auf Gerichtskosten auf folgende Stoffe untersuchen zu lassen: Cannabis, Amphetamine und Ecstasy.
3. Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Die eigenen notwendigen Auslagen trägt der Angeklagte selbst.
4. Der Angeklagte trägt ferner die notwendigen Auslagen des Nebenklägers.
Angewandte Vorschriften: §§ 323a StGB, §§ 1, 105 JGG

Gründe

I.
Der 20-jährige Angeklagte ist afghanischer Staatsangehöriger, ledig und kinderlos.
Er wurde in Afghanistan geboren und ist mit seinen Eltern, als er noch ein Säugling war in den Iran umgezogen. Er ist das 1. Kind seine Eltern und hat einen jüngeren Bruder im Alter von 15 Jahren sowie eine jüngere Schwester im Alter von etwas über einem Jahr.
Er sei vorwiegend bei seiner allein erziehenden Mutter aufgewachsen, der Vater sei Koch gewesen, drogenabhängig und nur selten im Haushalt anwesend. In den kurzen Zeiten, in denen er anwesend gewesen sei, sei er gewalttätig aufgetreten, habe der Mutter die spärlichen finanziellen Mittel weggenommen und diese für Drogen eingesetzt.
Seine Eltern würden sich zwischenzeitlich in Griechenland aufhalten, er sei 2015 allein aus dem Iran nach Deutschland geflohen.
Nach der Aufnahme in der Bayernkaserne sei er zu einer Pflegefamilie im Schongau gewechselt. Nach 3 Tagen sei er nach München zurückgekehrt, da er es in der Pflegefamilie nicht ausgehalten habe. Den geplanten Wechsel nach Nürnberg habe er abgelehnt, er habe Suizidgedanken entwickelt und sei vom 4. August bis 17.08.2015 und vom 08. 09. bis 18. 9. 2015 in der Heckscher Klinik in München stationär untergebracht gewesen. Auch am 29.02.2016 und am 07.12..2017, sei er jeweils kurzfristig in der Heckscher Klinik aufhältig gewesen.
Nach dem 1. Aufenthalt in der Klinik sei er in einer Jugendhilfeeinrichtung aufgenommen worden, dort jedoch nach 7 Monaten aufgrund eines Regelverstoßes disziplinarische entlassen worden. Anschließend befand er sich in der ISE 24, eine intensive sozialpädagogische vollstationären Einzelbetreuung, mit einem sozial familiären Setting eine 1:1 Betreuung.
Ab Juni 2020 ist der in einen einzelbetreute Wohnform gewechselt, um seine Selbstständigkeit zu fördern.
Der Angeklagte besuchte im Iran die Gesamtschule bis zur 5. Klasse. Seit seinem Aufenthalt in Deutschland besuchte er die Mittelschule und erreichte 2018 den qualifizierten Mittelschulabschluss. Die 10. Klasse, die er versuchte abzuschließen, brach er vorzeitig ab. Ab September 2018 begann er eine Ausbildung als Kinderpfleger. Diese brach er ebenfalls ab.
Der Angeklagte befindet sich derzeit in einer Ausbildung als Einzelhandelskaufmann bei der firma Hirmer.
Eigenen Angaben nach, begann der Angeklagte erstmals mit 16 Jahren Cannabis zu rauchen. Der Konsum habe sich auf ein bis 2 Joints gelegentlich an den Wochenenden beschränkt. In Ferienzeiten sei auch mir konsumiert worden, teilweise täglich. Er habe auch bereits einmal Ecstasy und einmal Speed konsumiert, was ihm jedoch nicht gefallen habe weshalb es nicht zu einem erneuten Konsum gekommen sei.
Bei der Tat habe er das 1. Mal LSD konsumiert.
Seit der Tat wären in der Einrichtung regelmäßiger und Urinkontrollen mit ihm durchgeführt worden, die größtenteils negativ ausgefallen seien, Ende Juni 2020 und zum Jahreswechsel 2020/2021 Habe es jeweils eine positive Testung für Cannabis gegeben.
In der Einrichtung sei die Teilnahme an einem „FredKurs“ geplant Alkohol würde er nur gelegentlich konsumieren.
Der Angeklagte ist strafrechtlich einmal wegen vorsätzlicher Körperverletzung (Tatzeit 12.12.2018) in Erscheinung getreten, wobei die Staatsanwaltschaft hier mit Entscheidung vom 30.05.2019 gemäß § 45 Abs. 2 JGG von der Verfolgung abgesehen hat.
II.
Am 16.02.2019 zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt kurz vor 16:20 Uhr nahm der Angeklagte in Heimstetten bei München 2 Tabletten LSD sowie eine nicht näher bekannte Menge Cannabis oder Cannabiszubereitungen zu sich, wobei er hätte erkennen können und müssen, dass er sich mit der Einnahme dieser Mittel in einen Rauschzustand versetzen würde.
Durch diese berauschenden Mittel verfiel der Angeklagte in eine sogenannte Intoxikationspsychose, weshalb bei ihm zum Zeitpunkt der nachfolgenden Handlungen von einer aufgehobenen Einsichtsfähigkeit ausgegangen werden muss.
Der Angeklagte lief, zuletzt nur mehr mit einer Unterhose bekleidet, zum Bahnhof Heimstetten. Nachdem er zunächst am südlichen Bahnsteig auf der Bahnsteigkante saß, überquerte er die Gleise und kletterte auf die Bahnsteigkante des nördlichen Bahnsteigs. Dort schlug er unvermittelt, wortlos und völlig überraschend auf den Geschädigten P1. ein, welche sich in einem Wartehäuschen aufhielt. Dieser prallte durch die Faustschläge mit seinem Kopf gegen einen Fahrkartenautomaten und fiel dann zu Boden. Hierbei schlug er mit dem Kopf gegen eine metallene Sitzbank und erlitt eine kleine Beule am Kopf, verspannte Nackenmuskulatur, sowie diffuse, leichte Schmerzen in der linken Gesichtshälfte. Sodann schlug der Angeklagte auf einen weiteren, bislang unbekannten Fahrgast ein. Im Anschluss begab er sich zu einem in der Nähe geparkten Pkw VW, amtliches Kennzeichen WT-B4567, der Geschädigten B2. und schlug dort mehrfach heftig mit seiner Faust gegen die C-Säule, sodass am Pkw ein Fremdsachschaden in Höhe von 1569,97 € entstand.
Kurze Zeit später traf ein Streifenwagen ein. Der Polizeibeamte Altermoser forderte den Angeklagten auf, stehen zu bleiben. Daraufhin rannte dieser auf den Beamten zu und trat ihn mit seinem Fuß so gegen den Oberkörper, dass der Geschädigte A. rücklings zu Boden fiel und eine Prellung am Knie sowie Schmerzen an der Schulter erlitt.
Seinen Dienst konnte der Geschädigte dennoch fortsetzen.
Während sich der Geschädigten A. am Boden befand, wandte sich der Angeklagte dem Geschädigten POK Pütz zu. Dieser konnte einen Tritt in Richtung seines Kopfes durch Abwehr mit seinen Händen etwas nach unten dirigieren, erhielt jedoch daraufhin von dem Angeklagten mindestens einen Faustschlag gezielt ins Gesicht. Daraufhin verlor der Geschädigte P2. bereits kurzzeitig seine volle Sehfähigkeit. Dennoch gelang es ihm, mithilfe des Zeugen Polizeikommissar G., und des Geschädigten A., den Angeklagten zu Boden zu bringen. Aufgrund des Faustschlages erlitt der Geschädigte neben Platzwunden oberhalb und unterhalb des Auges, sowie eines Monokelhämatoms, eine Orbitabodenfraktur rechts sowie eine Nasenbeinfraktur, die operativ behandelt werden mussten, weshalb sich der Geschädigte bis zum 22.02.2019 im Klinikum Rechts der Isar befand. Zudem erlitt er eine Verletzung am Knie.
Nach der stationären Behandlung war der Geschädigte P2. noch für 5 Wochen arbeitsunfähig. Ausserdem wechselte er in den sogenannten Tagdienst, der mit finanziellen Einbußen einhergeht. Schließlich litt er aufgrund der Verletzungen für ca 1 Jahr und 9 Monate an einem Taubheitsgefühl im Bereich der Augenverletzung.
Der Zeuge und Geschädigte Polizeikommisar G., der ebenfalls versuchte, den Angeklagten zu fixieren und festzunehmen, erlitt im Verlauf dessen eine Knieprellung rechts.
Erst im weiteren Verlauf gelang es den Beamten, die etliche, weitere Einsatzkräfte hinzugezogen hatten, den Angeklagten festzunehmen und zu fixieren, wobei er bei Aufbringung immenser Kraftentfaltung noch mehrere Kabelbinder zerriss, die ihm zur Fixierung um die Füße gelegt worden waren.
III.
1. Die Feststellungen unter I. zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten beruhen auf dem Bericht des Vertreters der Jugendgerichtshilfe, dessen eigener glaubhafter Einlassung sowie der Auskunft aus dem Bundeszentralregister, die der Angeklagte als richtig anerkannt hat.
2. Der Angeklagte hat den unter II. festgestellten Sachverhalt in vollem Umfang eingeräumt und die Tat in objektiver und subjektiver Hinsicht entsprechend den getroffenen Feststellungen geschildert. Sein Geständnis ist auch insoweit glaubhaft, da er widerspruchsfrei die Entstehung und Ausführung der Tat erklärt hat.
Der Angeklagte hat insbesondere ausgeführt, er und einer seiner Freunde habe sich zu einem Arbeitskollegen begeben an diesem Tag zur Frühstückszeit ca. gegen 9:30 Uhr bis 10:00 Uhr. Man habe zunächst gefrühstückt, dann habe er die 1. LSD Tablette von dem Bekannten erhalten. Er sei dann mit einem Freund gemeinsam Zigaretten kaufen gegangen, habe hier nur wenig gespürt, lediglich dass er seine Beine nicht mehr richtig habe wahrnehmen können. Nach ca. 90 Minuten, habe der Bekannte angeregt eine weitere LSD Tablette zu nehmen. Er habe dem Angeklagten geraten sich mit dem Stift auf die Hand zu schreiben: „das ist nicht real“, auf Englisch. Diesem Rat sei der Angeklagte nachgekommen. Er habe dann im Garten des Bekannten mit den anderen Personen gesessen, habe anfangs zunächst ein schönes Gefühl gehabt, habe dann jedoch Panik bekommen, den Eindruck gehabt Gedanken lesen zu können, die Vorstellung gehabt, er könne erkennen, wie die Pflanzen Photosynthese betreiben würden und das Gefühl gehabt sich parallelen Erlebniswelten ausgesetzt zu sehen. Daraufhin habe er noch Marihuana geraucht, um runterzukommen. Sein Freunde habe sich übergeben, der Bekannte, der ihnen das LSD gegeben habe, habe sie dann aus der Wohnung haben wollen, daraufhin sei er in einen sogenannten „Bad Trip“ geraten, indem er das Gefühl gehabt habe, alle Menschen verzerrt zu sehen. Er habe unter Angst und Panik gelitten, habe eine immense Hitze verspürt, habe den Eindruck gehabt sich in der „Hölle“ zu befinden, habe in allen Menschen Nazis gesehen und unter massiven paranoiden Halluzinationen gelitten. Als die Polizeibeamten gekommen seien, habe er die Vorstellung gehabt, es handele sich um IS Kämpfer, die unmittelbar davor stehen würden ihn zu köpfen. Hier habe er unter Todesangst gelitten. Danach habe er keine Erinnerungen mehr, lediglich könne er sich wieder daran erinnern im Krankenhaus aufgewacht zu sein.
3. Das Gericht ist davon überzeugt, dass sich der Sachverhalt wie unter II. festgestellt ereignet hat, aufgrund der Aussagen des Angeklagten sowie der Angaben der Zeugen Polizeioberkommissar A., Polizeioberkommissar Pütz, sowie der Sachverständigen des Instituts für Rechtsmedizin Frau Dr. H1. und des Sachverständigen Psychiaters des gerichtsärztlichen Dienstes des OLG München, Herrn Dr. H2.
3.1. Die Zeugen A. und P. haben den Sachverhalt entsprechend den Feststellungen unter II. in der Hauptverhandlung dargestellt.
Ihre Angaben waren glaubwürdig und glaubhaft, trotz der eigenen zum Teil massiven Verletzungen, die zumindest den Zeugen und Geschädigten P2. deutlich beeindruckt und nachhaltig belastet haben, weder von Belastungsdrucknoch Eifer getragen.
3.2 .
Die Sachverständige Dr. H1., Medizinerin des Instituts für Rechtsmedizin an der Universität München, hat in ihrer Ausführungen festgestellt, dass aufgrund der Verletzungen, die bei dem Geschädigten P2. festgestellt worden sind, sowie dem durch den POK A. dargestellten Schlagstockeinsatz, die Verletzungen im Gesicht dem Faustschlag durch den Angeklagten zuzuordnen sind. Ein ähnliches Verletzungsbild hätte nur verursacht werden können, durch einen Schlagstockeinsatz, wenn dieser als stichähnliche Waffe eingesetzt worden wäre. Jedoch wäre auch bei einem stichartigen Einsatz des Schlagstocks ein solches Verletzungsbild unwahrscheinlich gewesen, insbesondere aufgrund des Monokelhämatoms, der Orbitabodenfraktur, sowie der beiden Riss-Quetschenwunden ober- und unterhalb des Auges des Geschädigten.
Die Knieverletzung bei dem Geschädigten lässt sich zur Überzeugung der Sachverständigen mit dem darauf folgenden Einsatz, den Angeklagten am Boden zu fixieren, in Einklang bringen.
Aufgrund der festgestellten Konzentrationen an Betäubungsmitteln, die bei dem Angeklagten nachgewiesen werden konnten, lagen bei ihm die Einnahme von Cannabinoiden sowie den Benzodiazepinen vor. Im einzelnen handelte es sich um 0,87 Mikrogramm/Liter THC, ca. 0,69 Mikrogramm/Liter Hydroxy-THC und ca. 5,9 Mikrogramm/Liter THC-Carbonsäure. Außerdem 2,4 Mikrogramm/Liter LSD.
Bei LSD handele es sich um ein sehr potentes Hallozinogen, welche seine maximale Konzentration ca. 2-2,5 Stunden nach der Einnahme erreiche. Der Rauschzustand, in den es den Konsumenten versetztem, dauere dann bis zu 12 Stunden an. Typisch für LSD seien die Halluzinationen und die Situationsverkennungen. Im therapeutischen Bereich würde man sich mit ca. 0,5 Mikrogramm/Liter befinden.
Bei ca. 1 Mikrogramm/Liter könne man davon sprechen, dass bereits ein hoher wirksamer Bereich erreicht sei. Dies umso mehr, wenn vorher keinerlei Kontakt mit diesem Rauschmittel vorgelegen habe und es sich um den erstmaligen Konsum handele. Die Halbwertszeit von LSD liege bei ca. 2-4 Stunden. Die Wirkung hänge von der zunächst vorhandenen Grundstimmung ab, könne jedoch im Verlauf auch Änderungen erfahren. Die bei dem Angeklagten vorgefundene Konzentration sei eine sehr hohe Konzentration gewesen, die die von ihm beschriebenen Wahrnehmungen und Situationsverkennungen typischerweise verursachen würde. Die zusätzliche Einnahme von THC, dass sich in sehr niedriger Konzentration bei dem Angeklagten gefunden habe, habe darauf keine dämpfende Wirkung entfalten können.
Bereits nach der Einnahme der 1. LSD Tablette, könne nicht sicher ausgeschlossen werden, dass sich der Angeklagte bereits in einem Zustand der stark eingeschränkten bzw. bereits aufgehobenen Einsichtsfähigkeit befunden habe.
An dem auf zutreffenden Anknüpfungstatsachen, die nachvollziehbar und widerspruchsfrei in dem mündlich erstatteten Gutachten der Sachverständigen vorgetragen wurden, hat das Gericht keinen Zweifel und schließt sich deshalb aus eigener Überzeugung diesem an.
3.3. Der Sachverständige Psychiater des gerichtsärztlichen Dienstes beim OLG München, Herr Dr. H2. hat darüber hinaus in seinem Gutachten angegeben, dass der Angeklagte sich zum Tatzeitpunkt in einem Zustand der sogenannten Intoxikationspsychose befunden habe, der gemäß § 20 StGB dem Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung zuzuordnen sei. Aufgrund der Halluzinationen, des Wahnerlebens und der Desorientiertheit sei er aus gutachterliche Sicht in einem aufgehobenen Realitätsbezug gewesen und damit in seiner Einsichtsfähigkeit aufgehoben.
Aufgrund des vorangegangenen anderen Drogenkonsums, von dem der Angeklagte berichtet habe, sei noch nicht von einem Suchtverhalten auszugehen, damit hier kein Hang gemäß § 64 StGB feststellbar. Ebensowenig, liege bei dem Angeklagten eine schwerwiegende und relevante psychiatrische Störung vor, weshalb auch die Voraussetzungen des § 63 StGB zu verneinen seien. Bei dem Angeklagten sei jedoch von einer Drogenmotivation auszugehen.
Auch hier hat das Gericht keinen Zweifel, an dem auf zutreffenden Anknüpfungstatsachen, die nachvollziehbar und wiederspruchsfrei in dem mündlich erstatteten Gutachten, durch den Sachverständigen vorgetragen wurden und schließt sich diesem daher aus eigener Überzeugung an.
IV.
Der Angeklagte hat sich damit gemäß § 323 a Abs. 1 StGB eines fahrlässigen Vollrauschs strafbar gemacht.
Bei der Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte der Angeklagte erkennen können und müssen, dass die Einnahme der beiden Tabletten LSD bei ihm dazu führen konnten, ihn in einen Rauschzustand zu versetzen. Zur Überzeugung des Gerichts steht dies fest aufgrund der Tatsache, dass der Angeklagte einen ebenfalls drogenabhängigen Vater hatte, mit dessen aggressivem Verhalten aufgrund der Drogeneinnahme er von Kindesbeinen an aufwuchs, bereits Kontakt zu Cannabisprodukten hatte, auch weitere Drogen wie Ecstasy und Speed zumindest versuchsweise konsumiert hatte. Bei regelmäßigen Kontakt mit anderen Drogenabhängigen war dem Angeklagten sicherlich klar, dass die Einnahme von LSD zu unvorhersehbaren Handlungsabläufe führen kann. Darüber hinaus hat der Angeklagte angegeben, ein Kollege habe ihn gefragt, ob er das „schönste Erlebnis seines Lebens“ haben wolle. Nach der Einnahme der 1. Tablette habe er bereits eine Wirkung in der Wahrnehmung seiner Beine gespürt gehabt.
Damit wusste er bereits, dass die Einnahme von LSD seine Sinneswahrnehmungen beeinträchtigen würden, bedachte aber hierbei nicht, was ihm vorwerfbar ist, welches Ausmaß die Einnahme einer weiteren Tablette für ihn annehmen könnte.
Eine wissentliche und noch vom Willlen vollumfänglich getragene Versetzung in den Rauschzustand, nämlich den Zustand der Intoxikation, lässt sich dem Angeklagten jedoch nicht anlasten. Mit der Ersteinnahme der 1. LSD Tablette kann dies nicht angenommen werden. Bei Einnahme der 2. Tablette kann zugunsten des Angeklagten nicht ausgeschlossen werden, dass er hier bereits in seiner Einsichtsfähigkeit erheblich eingeschränkt, ggf, sogar aufgehoben war.
V.
Der Angeklagte war zum Tatzeitpunkt 18 Jahre alt und somit Heranwachsender gemäß § 1 JGG.
Bei Gesamtwürdigung der bisherigen Lebensumstände, der erkennbaren Lebensplanung, unter Berücksichtigung der bereits erreichten Selbstständigkeit d. Angeklagten, lassen sich Reifeverzögerungen nicht ausschließen, die den Angeklagten in der Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstellen gemäß §§ 1 i. V. m. 105 Abs. 1 Nummer 1 JGG.
Zugunsten des Angeklagten musste berücksichtigt werden, dass dieser vollumfänglich geständig war, es sich bei der Einnahme der Drogen um seine 1. Einnahme von LSD handelte und er bereits, in seinen Möglichkeiten begonnen hat, den Schaden zu begleichen.
Demgegenüber mussten die erheblichen Verletzungen, die der erst 5 Monate im aktiven Dienst befindliche Geschädigte P2. erlitten hat zu seinen Lasten berücksichtigt werden.
Von einem Vorliegen schädlicher Neigungen oder einer besonderen Schwere der Schuld gemäß § 17 JGG konnte sich das Gericht nicht überzeugen.
Bei der Ahndung musste die Drogenmotivation des Angeklagten daher den wesentlichen Teil der erzieherischen Maßnahme bilden.
Demzufolge erschien es dem Gericht nicht ausreichend, dass von der pädagogischen Wohneinrichtung bereits ein Fred Kurs für den Angeklagten vorgesehen war, weshalb die Teilnahme an 5 Drogenberatungen bei der Caritas zur Überzeugung des Gerichts, gerade in Anbetracht der Tatsache, dass erst jüngst eine neue positive Drogentestung erfolgte, unerlässlich erschien. Zur Unterstützung des Willens des Angeklagten und zur Kontrolle, ob er nunmehr von seiner Drogenmotivation lassen kann, war es zur Überzeugung des Gerichts erzieherisch sinnvoll ihn anzuweisen für die Dauer von 12 Monaten ab Rechtskraft des Urteils jeglichen Konsum illegaler Drogen zu unterlassen und Orte, an denen illegale Drogen konsumiert werden, sofort zu verlassen, sich in diesem Zeitraum dem Drogenpräventionsprogramm der FTC GmbH zum Nachweis der Drogenabstinenz zu unterziehen und zu diesem Zweck sich dort unverzüglich telefonisch anzumelden, sich jederzeit für dieses Institut erreichbar zu halten und insgesamt 8 Mal nach entsprechender Aufforderung unverzüglich unter Sicht eine Urinprobe abzugeben und diese auf Gerichtskosten auf folgende Stoffe untersuchen zu lassen: Cannabis, Amphetamine und Ecstasy.
Da der Drogenkonsum des Angeklagten, seinen eigenen Angaben nach, insbesondere in Zeiten, in denen er keine Tagesstruktur hat vorkommt, erschien es erzieherisch sinnvoll, den Angeklagten anzuweisen an dem Leseprojekt KonTEXT der Stufe 3 für 24 Stunden teilzunehmen.
VI.
Zwar verdient der Angeklagte als Auszubildender 722 € monatlich, jedoch muss er bereits Schadensersatzleistungen wegen dieser Tat in Höhe von 50 € leisten, 300 € an das Jugendamt zahlen und sieht noch einer Schadensersatz- und Schmerzensgeldklage beim Landgericht München des Geschädigten Pütz entgegen.
Demzufolge hat das Gericht die Möglichkeit gemäß § § 74 in Verbindung mit 109 JGG genutzt, um die finanzielle Leistungsfähigkeit des Angeklagten nicht völlig auszuhöhlen, und die Verfahrenskosten der Staatskasse auferlegt. Der Angeklagte hat jedoch seine notwendigen Auslagen sowie die Kosten der Nebenklage selbst zu tragen.
Rechtskräftig seit 23.10.2021

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