Strafrecht

Unglaubhafte und nicht nachvollziehbare Behauptung der Drogenabstinenz

Aktenzeichen  M 26 S 15.5529

Datum:
26.1.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
SVR – 2017, 118
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV FeV § 46
StVG StVG § 3

 

Leitsatz

Die Behauptung der Drogenabstinenz zur Wiedererlangung der Fahrerlaubnis ist unglaubhaft und nicht nachvollziehbar, wenn Behördenakten und ärztliche Bescheinigungen den Schluss zulassen, dass im betreffenden Zeitraum ein Drogenkonsum erfolgte.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 6.250,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehung der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A (79.03, 79.04), A1 (79.03, 79.04), AM, B, BE, C, CE, C1, C1E, L und T.
Der Antragsgegner erhielt im September 2014 Kenntnis von einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller wegen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Heroin). Die anlässlich der vorläufigen Festnahme des Antragstellers am … August 2014 entnommene Blutprobe vom … August 2014 ergab nach dem toxikologischen Gutachten des Bayerischen …-kriminalamts vom … November 2014 den Nachweis der Aufnahme von Morphin bzw. Heroin. Die vom gleichen Tag stammende Haarprobe erbrachte u. a. den Nachweis von Cocain, Heroin, Methadon und 9-Carboxy-THC. Die Untersuchung der Haarprobe lasse dem Gutachten zu Folge auf die Aufnahme von Cocain (kleine Mengen), Cannabis-Produkten (z. B. Haschisch, Marihuana) (relativ kleine Mengen), Methadon (mittelgroße Mengen) und Heroin (relativ große Mengen) schließen.
Der den Antragsteller betreffende Haftbefehl des Amtsgerichts A. vom … Mai 2014, der mit Beschluss des Amtsgerichts A. vom … Dezember 2014 außer Vollzug gesetzt worden war, wurde mit Beschluss vom … Mai 2015 wegen Verstoßes gegen eine Weisung des Außervollzugsetzungsbeschlusses wieder in Vollzug gesetzt. Dem lag die Mitteilung des Polizeipräsidiums A., Polizeiinspektion … (B.) an das Amtsgericht A. vom … Februar 2015 zugrunde, wonach der Antragsteller nach seiner telefonischen Auskunft vom selben Tag die Therapieeinrichtung wegen eines Drogenrückfalls vom … Februar 2015 mit Heroin habe verlassen müssen.
Im Rahmen einer vom Antragsgegner veranlassten Vorsprache des Antragstellers am … September 2015 bestritt dieser einen Rückfall mit Heroin. Er habe letztmalig am … August 2014 Heroin konsumiert. Nach der von ihm am … Oktober 2015 übermittelten ärztlichen Bescheinigung der A.-klinik vom … Oktober 2015 habe sich der Antragsteller vom … Dezember 2014 bis … Februar 2015 zu einer stationären Entzugsbehandlung wegen Polytoxikomanie in der Klinik befunden. Die Entlassung des Antragstellers sei wegen mehrmaligen Konsums psychoaktiver Substanzen erfolgt. Zuletzt sei der Konsum von Heroin vermutet worden. Ein Urintest sei nicht durchgeführt worden, so dass der Antragsteller auch eine andere Substanz, z. B. Pregabalin konsumiert haben könne. Am … Oktober 2015 bestätigte der Antragsteller dem Antragsgegner auch telefonisch, dass er Pregabalin entgegen der Anweisung der Klinik wiederholt eingenommen habe und er daher ausgeschlossen worden sei.
Auf die Anhörung des Antragstellers zur vom Antragsgegner beabsichtigten Entziehung seiner Fahrerlaubnis teilte der Bevollmächtigte des Antragstellers am … November 2015 mit, dass der Drogenrückfall im Juni 2014 auf eine depressive Krise zurückzuführen sei. In der A.-klinik habe sich eine neue Überforderungssituation ergeben. Der Antragsteller habe dem gruppendynamischen Zwang trotz des leichten Zugangs zu harten Drogen wiederstehen können. Er habe von einem Patienten Pregabalin gegen seine Angstzustände zu einer Zeit erhalten, zu der der zuständige Arzt im Urlaub gewesen sei und ein sonstiger Ansprechpartner gefehlt habe. Der Antragsteller befinde sich seit Monaten „im Screening“. Außerdem sei er in psychologischer Behandlung. Der Antragsteller sei im Straßenverkehr nicht in Erscheinung getreten. Er lebe in einer festen Beziehung und habe eine Anstellung als A. in Aussicht, die die Fahrerlaubnis voraussetze. Dem Schreiben war eine hausärztliche Bestätigung vom … August 2015 über einen Drogentest vom … Juli 2015 beigefügt, der keinen Nachweis von Amphetaminen, Benzodiazepinen, Kokain, Morphin und THC erbracht habe.
Der Antragsgegner entzog dem Antragsteller mit am … November 2015 zugestelltem Bescheid vom … November 2015 die Fahrerlaubnis aller Klassen (Nr. 1 des Bescheids). Ihm wurde aufgegeben, seinen Führerschein unverzüglich, spätestens jedoch bis zum … Dezember 2015 bei der Behörde abzuliefern (Nr. 2). Für den Fall der nicht fristgerechten Abgabe des Führerscheins wurde ein Zwangsgeld in Höhe von a. EUR angedroht (Nr. 3). Die sofortige Vollziehung der Nr. 1 und 2 des Bescheids wurde angeordnet (Nr. 4).
Begründet ist der Bescheid im Wesentlichen damit, dass sich der Antragsteller auf-grund des Konsums von Betäubungsmitteln als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen habe, weshalb ihm seine Fahrerlaubnis zu entziehen gewesen sei. Eine mindestens einjährige Abstinenz sei in Folge der missbräuchlichen Einnahme von Pregabalin in dem insoweit in Frage kommenden Zeitraum nicht nachgewiesen worden. Auf den Inhalt des Bescheids im Übrigen wird ergänzend Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 VwGO).
Mit Schreiben vom … November 2015, dem Antragsgegner zugegangen am selben Tag, legte der Bevollmächtigte des Antragstellers für diesen Widerspruch gegen den Bescheid vom … November 2015 ein.
Mit Schriftsatz vom … Dezember 2015, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangen am selben Tag, stellte der Bevollmächtigte des Antragstellers für diesen den Antrag,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom … November 2015 gegen den Bescheid vom … November 2015 wiederherzustellen.
Zur Begründung wurde ergänzend zum bisherigen Vortrag im Verwaltungsverfahren näher ausgeführt, dass der Antragsteller eine sehr schwere Kindheit gehabt habe. Nachdem er im Alter von a. Jahren in ein Kinderheim gekommen sei, sei er mit Drogen in Kontakt geraten. Ab 2005 oder 2006 sei er einige Jahre „clean“ gewesen, ab 2009 habe er sich, einen Rückfall befürchtend, mit Methadon substituieren lassen. 2014 habe sich eine Unverträglichkeit herausgestellt, was etwa im Juni 2014 zu einer depressiven Krise und zum Rückfall mit Heroin geführt habe. Den sogleich gesicherten Entgiftungsplatz habe er wegen seiner Festnahme nicht antreten können. Der Antragsteller durchlaufe ausweislich der dem Schriftsatz anliegenden hausärztlichen Bescheinigungen vom … August 2015 und … November 2015 sowie dem Laborbericht des … Labors C. vom … Dezember 2015 ein zweifaches Urinscreening. Außerdem befinde er sich, ebenfalls mit anliegendem ärztlichen Attest bescheinigt (Ärztlich-/psychologisches Attest Dr. A. … vom …10.2015), seit Juli 2015 in psychotherapeutischer Einzeltherapie (zwei- bis viermal im Monat).
Die Begründung des Sofortvollzugs im streitgegenständlichen Bescheid sei derart pauschal erfolgt, dass sie den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO nicht genüge. Zudem überwögen die Interessen des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs. Der Bescheid sei rechtswidrig. Es habe sich um einen einmaligen Rückfall gehandelt und der Antragsteller sei seitdem völlig abstinent. Das Medikament Pregabalin, das keine psychoaktive Substanz sei, sei nicht regelmäßig, sondern nur ein- oder zweimal eingenommen worden. Es sei fraglich, ob durch dessen Einnahme der Abstinenzzeitraum unterbrochen worden sei. Selbst wenn, rechtfertigten die Umstände es nicht, dem Antragsteller die Möglichkeit der Teilnahme an einem den Vorgaben der Rechtsprechung entsprechenden Drogenkontrollprogramm zu verwehren. Es sei nämlich zu berücksichtigen, dass der Antragsteller genau dieses Medikament nunmehr von der Hausärztin gegen seine generalisierte Angststörung ärztlich verschrieben erhalte. Beeinträchtigungen der Fahrtüchtigkeit in Folge der Einnahme von Pregabalin, wie sie sich aus dem Beipackzettel bzw. aus der Gebrauchsinformation ergäben, seien beim Antragsteller nicht aufgetreten, zumal er eine geringe Dosis einnehme. Es sei nicht von den Interessen der Allgemeinheit gedeckt, dem Antragsteller, der an sich arbeite und kompetente Hilfe annehme, die bisher nachweislich erfolgreiche Bewährung und damit die Berufsausübung zu verbieten. Es sei auch zu beachten, dass das nunmehr betonte öffentliche Interesse von der Behörde rund ein Jahr lang nach Bekanntwerden des BtM-Vorwurfs und ein halbes Jahr nach der Hauptverhandlung nicht zum Anlass für eine Maßnahme genommen worden sei. Der Antragsteller werde seine Bemühungen fortsetzen. In einer Situation, in der er so gründlich behandelt werde wie nie zuvor und zudem in einer festen Beziehung mit einer Krankenpflegerin der …station des B.Klinikums lebe, die sich seiner annehme, gebe es keinen Anlass hier mit sofortigen Maßnahmen Gefahren vorzubeugen.
Am … Dezember 2015 ging der Führerschein des Antragstellers beim Antragsgegner ein.
Mit Schriftsatz vom … Dezember 2015 beantragte der Antragsgegner,
den Antrag abzulehnen.
Er wies darauf hin, dass auch der Methadonkonsum des Antragstellers, der labortechnisch nachgewiesen sei und nun von Antragstellerseite eingeräumt werde, fahreignungsausschließend gewesen sei. Unabhängig von der Bestimmung des Beginns eines Abstinenzzeitraums habe der Antragsteller Pregabalin eingenommen, welches er hinsichtlich seiner psychoaktiven Wirkung nicht habe einschätzen können und welches zu seiner Entlassung aus der Klinik geführt habe. Die unkontrollierte Einnahme durchbreche den Abstinenzzeitraum. Der Antragsteller könne nicht beanspruchen, dass ihm die erforderliche Zeit für die Erbringung ausreichender Abstinenzzeiträume eingeräumt werde. Die vorgelegten Nachweise seien mangels Erfüllung der CTU-Kriterien nicht anerkennungsfähig.
Mit Beschluss vom … Januar 2015 wurde die Rechtssache zur Entscheidung auf die Einzelrichterin übertragen. Bezüglich des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakte und die vom Antragsgegner vorgelegte Akte verwiesen.
II.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig, soweit der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom … November 2015 gegen die in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids vom … November 2015 enthaltene Entziehung seiner Fahrerlaubnis aller Klassen und gegen die in Nr. 2 des Bescheids ausgesprochene Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins (§ 47 Abs. 1 Satz 2 Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV; vgl. BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 11 CS 15.1447 – juris Rn. 23) begehrt.
Soweit der uneingeschränkt gestellte Antrag (s. § 88 VwGO) darauf gerichtet ist, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs hinsichtlich der Nr. 3 des Bescheids des Antragsgegners vom … November 2015 anzuordnen (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, Art. 21a Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – VwZVG), ist er mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Denn der Antragssteller hat seinen Führerschein bereits abgegeben. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Antragsgegner das in Nr. 3 des Bescheids angedrohte Zwangsgeld entgegen § 37 Abs. 4 Satz 1 VwZVG noch beitreiben wird.
2. In dem Umfang, indem der Antrag zulässig ist, ist er jedoch unbegründet. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs war in Bezug auf die in Nr. 4 des Bescheids vom … November 2015 angeordnete sofortige Vollziehung hinsichtlich der Nr. 1 und 2 des Bescheids nicht wiederherzustellen.
2.1. Die für die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Nr. 1 und 2 des Bescheids gegebene Begründung entspricht den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO (s. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 43). Unter Hinweis darauf, welche Gefahren von ungeeigneten Kraftfahrern für andere Verkehrsteilnehmer ausgehen, wird mit Bezug zum konkreten Einzelfall des Antragstellers ausgeführt, die Einnahme von Betäubungsmitteln und sonstigen psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln oder Stoffen berge die Gefahr, dass dadurch das zum Führen von Kraftfahrzeugen erforderliche Leistungsvermögen in nicht kalkulierbarem Maße beeinträchtigt werden könne. Außerdem könnten die Sehfähigkeit und das Wahrnehmungsvermögen betroffen sein. Als Folge der missbräuchlichen Einnahme psychoaktiv wirkender Arzneimittel werde außerdem befürchtet, dass es zu krankhaften Persönlichkeitsveränderungen mit abnormer Entwicklung der affektiv und emotionalen Einstellung gegenüber der Umwelt wie Selbstüberschätzung, Gleichgültigkeit, Nachlässigkeit, Erregbarkeit, Reizbarkeit und Vergröberung des Verhaltens kommen könne. Außerdem müsse verhindert werden, dass der Antragsteller bei möglichen Kontrollen durch die Polizei durch die Vorlage des Führerscheins vortäuschen könne, noch im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein.
2.2. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung von Widerspruch oder Klage ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen. Es trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Grundlage dieser Entscheidung ist eine Abwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem Vollzugsinteresse des Antragsgegners, wobei insbesondere die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen sind (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 72 ff.).
2.2.1. Hier überwiegt das Vollzugsinteresse des Antragsgegners, da der Widerspruch des Antragstellers nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Die persönlichen Interessen des Antragstellers – auch solche beruflicher Art – müssen deshalb hinter den Interessen der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs zurückstehen.
Nr. 1 des Bescheids ist rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (s. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist vorliegend der der Entscheidung des Gerichts, da das Verwaltungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz – StVG – i. V. m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen, wenn sich der Betroffene als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV ist die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, wenn zu klären ist, ob der Betroffene noch abhängig ist oder – ohne abhängig zu sein – weiterhin Betäubungsmittel einnimmt. Gemäß § 11 Abs. 7 FeV unterbleibt die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens, wenn die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde feststeht. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i. V. m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV ist die Fahreignung bei der Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) zu verneinen. Dementsprechend ist die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV bereits dann gerechtfertigt, wenn einmalig die Einnahme sogenannter harter Drogen nachgewiesen wurde oder der Fahrerlaubnisinhaber die Einnahme solcher Substanzen eingeräumt hat (s. BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 11 CS 15.1447 – juris Rn. 16 m. w. N.).
Der Antragsteller hat seine Fahreignung durch den mit Blut- und Haarprobe vom … August 2014 nachgewiesenen Konsum von Kokain, Methadon und Heroin verloren. Umstände im Sinne der Vorbemerkung 3 zur Anlage 4 der FeV, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, sind nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich.
Die Behauptung des Antragstellers, seit dem … August 2014 abstinent zu sein, führt vorliegend nicht zur Notwendigkeit weiterer Aufklärungsmaßnahmen durch die Behörde hinsichtlich der Wiedererlangung seiner Fahreignung vor einer Entziehung der Fahrerlaubnis. Obwohl seit dem Tag, den der Antragsteller als den Beginn der Betäubungsmittelabstinenz angegeben hat (…8.2014), sogar schon bis zum Erlass des Entziehungsbescheids mehr als ein Jahr vergangen war (zur ständigen Rechtsprechung des BayVGH zur verfahrensrechtlichen Einjahresfrist vgl. BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 11 CS 15.1447 – juris, B.v. 24.6.2015 – 11 CS 15.802 – juris; B.v. 27.2.2015 – 11 CS 15.145 – juris Rn. 17; B.v. 9.5.2005 – 11 CS 04.2526 – BayVBl 2006), musste der Antragsgegner weiterhin auf die Nichteignung des Antragstellers schließen. Es kann hier dahinstehen, ob das erkennende Gericht der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zur verfahrensrechtlichen Einjahresfrist weiterhin folgt (vgl. hierzu VG München, U.v. 9.12.2015 – M 6b K 15.1592); darüber hinaus auch – wozu das Gericht neigt -, ob mit dem Antragsgegner in Folge der Einnahme von Pregabalin die Unterbrechung einer am … August 2014 begonnenen Betäubungsmittelabstinenz angenommen werden könnte. Denn jedenfalls sind die Anforderungen, die im Hinblick auf die Glaubhaftigkeit und Nachvollziehbarkeit einer Abstinenzbehauptung regelmäßig zu stellen sind, im Fall des Antragstellers nicht erfüllt (BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 11 CS 15.1447 – juris Rn. 18).
Die Behauptung des Antragstellers, seit August 2014 keine Drogen mehr einzunehmen, ist nicht glaubhaft und nachvollziehbar. Vielmehr bestehen Anhaltspunkte dafür, dass er auch in der Zeit danach Betäubungsmittel konsumiert hat und sich folglich nicht auf eine einjährige Betäubungsmittelabstinenz berufen kann. Denn der Antragsteller räumte ausweislich des polizeilichen Schreibens vom … Februar 2015 an das Amtsgericht A. offen ein, wegen eines Drogenrückfalls mit Heroin am … Februar 2015 von der Drogentherapie ausgeschlossen worden zu sein. Dem Gericht ist nicht ersichtlich, warum der Antragsteller gegenüber der Polizei, bei der er sich nach Aktenlage aufgrund einer Auflage im Aussetzungsbeschluss des Amtsgerichts A. vom … Dezember 2014 einmal wöchentlich zu melden hatte, die Einnahme von Heroin als Entlassungsgrund angegeben hat, wenn dieser Sachverhalt nicht den Tatsachen entsprach. Es wäre in Anbetracht der offensichtlichen Bedeutung dieser Frage für die Außervollzugsetzung des Haftbefehls zumindest zu erwarten gewesen, dass er sich dazu, ob und welche Substanzen von ihm eingenommen wurden, näher erklärt hätte. Der Antragsteller bestreitet zwar mittlerweile, während seines Klinikaufenthalts Heroin konsumiert zu haben. Nach der von ihm vorgelegten ärztlichen Bescheinigung vom … Oktober 2015 erfolgte die Entlassung aus der A.-klinik, in der er sich zu einer Entzugsbehandlung wegen Politoxikomanie befand, jedoch zumindest wegen des mehrmaligen Konsums psychoaktiver Substanzen, auch wenn der zuletzt vermutete Konsum von Heroin nicht nachgewiesen sei. Zu den psychoaktiven Substanzen zählen auch Betäubungsmittel nach Anlage III zum Betäubungsmittelgesetz – BtMG. Jedenfalls die mehrfache, nicht verordnete Einnahme von Pregabalin während einer stationären Entzugsbehandlung wegen Politoxikomanie (F 19 nach ICD 10: schädlicher Gebrauch oder Abhängigkeit, bei der mindestens drei verschiedene Substanzen mit Abhängigkeitspotenzial aus den Substanzgruppen Alkohol, Medikamente und illegale Drogen wahllos konsumiert werden) und entgegen der Anweisung der Klinik, bestätigte der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner. Dies lässt bei der speziellen Drogenproblematik des Antragstellers auch unabhängig von der Frage des Nachweises der Aufnahme von Heroin oder anderer Betäubungsmittel erhebliche Zweifel an der behaupteten Abstinenz seit dem … August 2014 aufkommen. Pregabalin, das u. a. bei generalisierten Angststörungen eingesetzt wird und dazu geeignet ist, Entzugssymptome von Opiadabhängigen zu reduzieren, kann selbst schwere Entzugssymptome verursachen (s. www.wikipedia.de zu dem Begriff Pregabalin) und als sedierendes oder auch euphorisierendes Rauschmittel missbraucht werden (s. www.pharmawiki.ch zu Suchbegriff Pregabalin und www.pharmazeutische-zeitung/index.php?id=52407). Vorgelegte Bescheinigungen der Hausärztin und ein Laborbericht, die die Behauptung einer Abstinenz von Betäubungsmitteln stützen könnten, betreffen erst die Zeit ab Juli 2015. Auch die Psychotherapie begann im Juli 2015. Die genannten Bescheinigungen der Hausärztin und der Laborbericht lassen im Übrigen nicht erkennen, ob und in welcher Weise den Anforderungen an chemisch-toxikologische Untersuchungen im Sinne von Nr. 6 der Anlage 4a zur FeV Rechnung getragen wurde. Ein zusammenhängender Zeitraum der Abstinenz erschließt sich aus ihnen nicht.
Nachdem sich somit die Entziehung der Fahrerlaubnis als rechtmäßig erweist, gilt dies auch für die Nr. 2 des Bescheids vom … November 2015. Die Verpflichtung, den Führerschein nach der Entziehung der Fahrerlaubnis unverzüglich bei der Fahrerlaubnisbehörde des Antragsgegners abzuliefern, ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG und § 47 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FeV.
2.2.2. Im Übrigen haben die persönlichen Interessen des Antragstellers – auch diejenigen beruflicher Art – an der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs im vorliegenden Fall hinter den Interessen der Allgemeinheit – hier insbesondere an der Sicherheit des Straßenverkehrs – auch dann zurückzutreten, wenn man den Ausgang des Hauptsacheverfahrens in Bezug auf die Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund der Einwendungen des Antragstellers als offen ansehen würde. In Folge der Schutzpflicht der öffentlichen Gewalt für die Rechtsgüter Leben und Gesundheit könnte es derzeit nicht verantwortet werden, ihn am Straßenverkehr teilnehmen zu lassen. Seine Fahreignung steht nicht nur wegen des noch ausstehenden Nachweises eines ausreichend langen Zeitraums der Abstinenz von Betäubungsmitteln, einer Entgiftung und Entwöhnung und eines fundierten Einstellungswandels, sondern auch deshalb in Frage, weil er – zunächst eigenmächtig und nunmehr ärztlich verschrieben – einen Wirkstoff zu sich nimmt, der selbst in ärztlich verordneter Dosierung geeignet ist, die Fahreignung in Frage zu stellen bzw. das zum Führen von Kraftfahrzeugen erforderliche Leistungsvermögen unter das erforderliche Maß herabzusetzen (s. Fachinformation, auffindbar unter www.ema.europa.eu zum Suchbegriff Pregabalin). Das vorgelegte hausärztliche Attest vom … Dezember 2015, wonach die Verträglichkeit gut sei, lässt insoweit keine ausreichenden Rückschlüsse zu. Abgesehen davon lässt es auch nicht erkennen, ob und wie bei der ärztlichen Verordnung Berücksichtigung findet, dass bei Patienten mit Drogenmissbrauch in der Vorgeschichte im Hinblick auf nichtbestimmungsgemäßen Gebrauch, Missbrauchspotential und Abhängigkeit besondere Vorsicht und Überwachung geboten ist (s. Fachinformation, a. a. O.). Immerhin ist der Antragsteller selbst nach seinem eigenen Vortrag zumindest schon einmal drogenrückfällig geworden. Bei dieser Sachlage kann aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht verantwortet werden, dem Antragsteller bis zur endgültigen Klärung der bestehenden Fahreignungszweifel seine Fahrerlaubnis zu belassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes – GKG – i. V. m. den Empfehlungen in den Nr. 1.5, 46.3 und 46.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Stand November 2013).


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