Aktenzeichen 3 O 18014/20
Leitsatz
Tenor
Die Verhandlung wird bis zur Erledigung des Strafverfahrens der Staatsanwaltschaft München I, Az.: … ausgesetzt.
Gründe
Die Entscheidung beruht auf § 149 ZPO.
I.
Im vorliegenden Zivilverfahren macht die Klagepartei gegen den Beklagten zu 1) … und den Beklagten zu 2) … Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit einem Aktienerwerb an der … geltend.
Die Kläger erwarb in der Zeit zwischen dem 07.04.2020 und dem 22.05.2020 Aktien der … zum Kaufpreis von 92.660,32 Euro netto und verkaufte diese zwischen dem 28.04.2020 und dem 21.07.2020 zum Verkaufspreis von 53.956,35 € netto. Der Beklagte zu 1) war bis Mitte 2020 Vorstandsvorsitzender der … und deren größter Einzelaktionär. Der Beklagte zu 2) war zwischen dem 1.1.2018 und Mitte 2020 Finanzvorstand der … und unter anderem zuständig für die Themenfelder Compliance und Rechnungswesen zuständig.
Bei der … handelte es sich um ein Zahlungsdienstunternehmen. Die … arbeitete im Rahmen ihrer Geschäfte auch mit Partnerunternehmen in Ländern zusammen, bei welchen sie keine Lizenz als Zahlungsdienstleister hat, um so Zahlungen abzuwickeln (Third-PartyAcquiring). Die Verträge sahen dabei vor, dass die Partnerunternehmen Kreditkartentransaktionen für Kunden abwickeln, die durch die … vermittelt wurden. Die … verpflichtete sich hierbei, die Partner von Vermögensverlusten aus der Geschäftsbeziehung schadlos zu halten, wodurch insbesondere Schäden aus der Rückabwicklung von Zahlungsvorgängen sowie gegebenenfalls von Kartennetzwerkorganisation verhängte Strafzahlungen umfasst werden sollten. Die Besicherung sollte hierbei über die Stellung treuhänderisch verwalteter Barsicherheiten auf Treuhandkonten erfolgen.
Im Juni 2020 teilte … mit, dass Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von 1,9 Milliarden € mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht existierten. Dieser Betrag stellte ca. ¼ des Gesellschaftsvermögens dar. Am 25.06.2020 stellte die … Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Das Amtsgericht München hat das Insolvenzverfahren am 25.8.2020 eröffnet.
Im Jahr 2020 führte die Firma … eine Sonderprüfung durch. Im Rahmen des Ergebnisses diese Sonderprüfung teilte die … mit, dass keine ordnungsgemäßen Nachweise über die Guthaben auf Treuhandkonten eingeholt werden konnten und ihr keine Bankkontoauszüge, die Zahlungseingänge von rund 1 Milliarde € auf den Treuhandkonten belegen würden, übermittelt wurden.
Bereits seit dem Jahr 2015 gab es kritische Presseberichterstattung bezüglich der …. Die Klagepartei macht gegen die Beklagten einen Anspruch aus § 824 BGB, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 264a StGB und § 826 BGB geltend.
Die Klagepartei trägt vor, der Beklagte zu 1) sei für die betrügerischen Handlungen bei der … verantwortlich. Der Beklagte zu 2) sei nach dem Geschäftsverteilungsplan für Compliance und Rechnungswesen verantwortlich, wobei eine Beschränkung auf Deutschland nicht bestehe. Der Beklagte zu 2) sei daher auch für die Vorgänge in Asien verantwortlich gewesen. Aus den Untersuchungen des Untersuchungsausschusses des deutschen Bundestags ergebe sich, dass eine alleinige Begehung der Taten durch den ursprünglichen Beklagten zu 3), … unwahrscheinlich sei. Zudem habe der Beklagte zu 2) zu verantworten, dass das interne Kontrollsystem gezielt ineffektiv gehalten worden sei.
Die Beklagten hätten eine sekundäre Darlegungslast.
Der Beklagte zu 1) trägt dagegen vor, er habe keine Kenntnis zu betrügerischen Vorgängen innerhalb der … gehabt. Nach dem Wissen des Beklagten zu 1) seien die Darstellungen der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der … zutreffend gewesen. Die Anschuldigungen der Presse seien aufgeklärt und unzutreffend gewesen.
Der Beklagte zu 2) trägt vor, er habe von den betrügerischen Vorgängen in der … keine Kenntnis gehabt. Für das Asiengeschäft sei ausschließlich der ursprünglich Beklagte zu 3) zuständig gewesen. Er habe trotz der fehlenden Ressortzuständigkeit versucht, sich einen Überblick zu verschaffen. Anhaltspunkte für ein betrügerisches Handeln hätten sich beim Beklagten zu 2) nicht ergeben. Der Beklagte zu 2) meint, es fehle an jeglichem individualisierten Sachvortrag zum Beklagten zu 2).
II.
Die Staatsanwaltschaft München I hat gegen Vorstandsmitglieder der … Ermittlungsverfahren unter dem Aktenzeichen … eingeleitet. Dem Beklagten zu 1) legt die Staatsanwaltschaft unter anderem zur Last, die Bilanzsumme und das Umsatzvolumen der … durch Vortäuschen von Einnahmen aus Geschäften mit Third-Party-Acquirern aufgebläht zu haben um so regelmäßig Kredite von Banken und sonstigen Investoren zu erhalten, obwohl der Konzern tatsächlich seit 2015 Verluste erwirtschaftete. Gegen den Beklagten zu 2) wird in diesem Zusammenhang unter anderem wegen unrichtiger Darstellung nach § 331 HGB ermittelt.
Der Beklagte zu 1) befindet sich seit mehr als einem Jahr in Untersuchungshaft.
III.
Mit Beschluss vom 16.07.2021 hat das Gericht den Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen. Mit Beschluss vom 17.08.2021 wurde der Rechtsstreit hinsichtlich des Beklagten zu 3), … abgetrennt. Mit Verfügung vom 20.08.2021 (Bl. 93) hat das Gericht auf die beabsichtigte Aussetzung hingewiesen und den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
Die Klagepartei wendet sich gegen die Aussetzung und trägt vor, eine Bindungswirkung des Strafverfahrens bestehe für das vorliegende Verfahren nicht. Zudem könne sich das Strafverfahren noch Jahre hinziehen, was für die Klagepartei nicht zumutbar sei.
Die Beklagten zu 1) und 2) wenden sich gegen die Aussetzung, da der Rechtsstreit mangels schlüssigen Vortrags der Klagepartei abweisungsreif sei.
IV.
Gemäß § 149 Abs. 1 ZPO kann das Gericht die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen, wenn sich im Laufe eines Rechtsstreits der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss ist.
Aufgrund einer solchen gerichtlichen Ermessensentscheidung soll der Ausgang eines Strafverfahrens abgewartet werden können, um dessen bessere Erkenntnismöglichkeiten, die die Amtsermittlung im Strafprozess gegenüber dem Zivilprozess mit seinem Beibringungsgrundsatz bietet, nutzbar zu machen und widersprechende Entscheidungen zu vermeiden.
Der Zweck der gesetzlichen Regelung besteht u.a. darin, eine einheitliche Tatsachengrundlage für die im Zivil- und Strafverfahren zu treffenden Entscheidungen zu schaffen. Dabei liegt eine Straftat, deren Ermittlung gemäß § 149 ZPO „auf die Entscheidung von Einfluss“ ist, vor, wenn durch die Aufklärung des Sachverhalts mit den Mitteln des Strafrechts, insbesondere im Rahmen durchzuführender Beweisaufnahmen, für das Zivilverfahren eine breitere Tatsachengrundlage geschaffen wird. Das Gericht muss die Verzögerung des Zivilprozesses gegen den möglichen Erkenntnisgewinn abwägen (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl., § 149 ZPO Rn. 1 ff.).
Nach Maßgabe dieser Grundsätze liegen vorliegend gewichtige und überzeugende Gründe vor, die für eine Aussetzung sprechen und die auch das Gebot der Verfahrensbeschleunigung überwiegen:
Mit Blick auf den vorliegenden Sach- und Streitstand ist davon auszugehen, dass der Ausgang des Strafverfahrens einen zusätzlichen, erheblichen Erkenntnisgewinn für das hiesige Verfahren bringt. Es handelt sich vorliegend um einen tatsächlich äußerst umfangreichen Fall. Nach dem Vortrag der Klagepartei soll es sich um ein komplexes Betrugssystem gehandelt haben, welches bereits seit Jahren betrieben worden ist. Als Beteiligte kommen eine Vielzahl von Personen und Firmen im In- und Ausland in Betracht.
Zwar sind auch nach Abschluss eines die Aussetzung rechtfertigenden Strafverfahrens weder eine doppelte Beweisaufnahme noch sich widersprechende Entscheidungen völlig ausgeschlossen, da das Zivilgericht an die im Ermittlungs- bzw. Strafverfahren gewonnenen Erkenntnisse nicht gebunden ist.
Dennoch ist die im Strafverfahren vorzunehmende Beweisaufnahme – insbesondere zur Rolle der Beklagten im Gesamtkomplex – etwa durch Sicherstellung von Unterlagen oder Korrespondenz zu Geschäftsabläufen und zu Kontakten zwischen den beteiligten Personen, durch Vernehmung von Zeugen hierzu und zur Geschäftspraxis sämtlicher involvierter, z.T. ausländischer Gesellschaften sowie durch Überprüfung von Geldflüssen anhand von Kontounterlagen, die nach der Strafprozessordnung sichergestellt werden können – geeignet, einen Erkenntnisgewinn zu verschaffen, der die zivilgerichtlichen Möglichkeiten bei weitem übersteigt. Insbesondere können Unterlagen, deren Beschaffung dem Zivilgericht oder den Parteien des Zivilverfahrens außerhalb des Ermittlungs-/Strafverfahrens nicht möglich wäre, auch im Zivilprozess Gegenstand der Beweiswürdigung sein.
Der Einwand der Beklagten, der Klagevortrag sei nicht hinreichend schlüssig und substantiiert, greift im vorliegenden Verfahren nicht durch. Der klägerische Vortrag ist ausreichend substantiiert, als dass das Verfahren gegen die Beklagten zu 1) und 2) nach Auffassung des Gerichts zum jetzigen Zeitpunkt nicht abweisungsreif wäre.
Im Rahmen der gebotenen Abwägung berücksichtigt das Gericht, dass sowohl die Klagepartei als auch die Beklagten ein achtenswertes Interesse an einem möglichst zügigen Abschluss des Zivilverfahrens haben. Andererseits ist das Gericht bestrebt, den Zivilrechtsstreit möglichst prozessökonomisch zu führen und doppelte Ermittlungsarbeit sowie zusätzliche Kosten zu ersparen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 17.11.2009 – VI ZB 58/08).
Hinzu kommt, dass umso wertvollere Ergebnisse für das Zivilverfahren zu erwarten sind, je aufwendiger sich die strafrechtliche Aufklärung gestaltet.
Vorliegend ist zu erwarten, dass die zwischen den Parteien streitigen Fragen – insbesondere die Rolle der Beteiligten und deren Kenntnisse – auf deren Feststellung es im hiesigen Zivilverfahren maßgeblich ankommt, im Ermittlungs- und ggf. Strafverfahren geklärt werden, so dass eine nochmalige oder gar parallele Klärung dieser Umstände in den beim Landgericht München I in hoher Anzahl anhängigen Zivilverfahren erspart wird. Insoweit wird der Nachteil der Verzögerung einer Entscheidung im hiesigen Zivilprozess im Rahmen einer Abwägung durch den Vorteil einer gründlicheren Klärung im Hinblick auf den Untersuchungsgrundsatz im Ermittlungs- und ggf. Strafverfahren aufgehoben.
Es ist auch zu erwarten, dass das Ermittlungsverfahren in Kürze abgeschlossen sein wird. Dies ergibt sich bereits aus dem Beschleunigungsgrundsatz bei Haftsachen. Der Beklagte zu 1) befindet sich bereits seit über einem Jahr in Untersuchungshaft, sodass der Schluss gerechtfertigt ist, dass ein Abschluss der Ermittlungen zeitnah erfolgen wird.
Im Ergebnis überwiegt im Rahmen der vorzunehmenden Ermessensabwägung der Vorteil einer gründlicheren Klärung im Hinblick auf den Untersuchungsgrundsatz im Strafverfahren den Nachteil der Verzögerung einer Entscheidung im Zivilprozess. Dies gilt nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Vermeidung widerstreitender Entscheidungen.
Die Verhandlung gegen die Beklagten ist daher bis zur Erledigung des Strafverfahrens der Staatsanwaltschaft München I, Az. …, auszusetzen.